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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 185/00
  5. in dem Rechtsstreit
  6. Nachschlagewerk:
  7. BGHZ:
  8. Verkündet am:
  9. 25. Oktober 2001
  10. Preuß
  11. Justizangestellte
  12. als Urkundsbeamtin
  13. der Geschäftsstelle
  14. ja
  15. nein
  16. BGB § 776; AGBG § 9 Bm
  17. Zu den Anforderungen an eine wirksame formularmäßige Einschränkung
  18. der Rechte des Bürgen aus § 776 BGB.
  19. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2001 - IX ZR 185/00 - OLG München
  20. LG Traunstein
  21. -2-
  22. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  23. vom 25. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
  24. Stodolkowitz, Kirchhof, Dr. Fischer und Raebel
  25. für Recht erkannt:
  26. Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 5. April 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als deren Verurteilung zur
  27. Zahlung über die Beträge von 160.000 DM (Beklagter zu 1) sowie
  28. 40.000 DM (Beklagte zu 2), jeweils zuzüglich der zuerkannten
  29. Zinsen seit dem 10. September 1998, hinaus bestätigt worden ist.
  30. In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung
  31. und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand
  34. Der Beklagte zu 1 übernahm mit formularmäßiger Erklärung vom 6. Oktober 1994 gegenüber einer Rechtsvorgängerin der Klägerin (fortan: Klägerin)
  35. die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 200.000 DM für
  36. alle bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche der Klägerin aus der
  37. bankmäßigen Geschäftsverbindung gegen R. H. Die Beklagte zu 2 erteilte am
  38. -3-
  39. selben Tage eine entsprechende Bürgschaft über 50.000 DM. Ziffer 8 dieser
  40. Verträge lautet:
  41. "Stundung und Freigabe von Sicherheiten
  42. Der Bürge wird von seiner Bürgschaftsverpflichtung nicht frei, wenn
  43. die Bank dem Hauptschuldner Stundung gewährt, andere Bürgen
  44. aus der Haftung entläßt oder sonstige Sicherheiten freigibt, insbesondere, wenn die Bank Verfügungen über Gegenstände zuläßt,
  45. die dem Pfandrecht der Bank unterliegen und dies im Rahmen der
  46. ordnungsgemäßen Durchführung und Abwicklung der Geschäftsverbindung zum Hauptschuldner oder zur Wahrung berechtigter
  47. Belange des Hauptschuldners oder der Bank geschieht. Der Bürge
  48. wird ebenfalls nicht frei, wenn die Bank Sicherheiten aufgibt, um
  49. eine sich aus anderen Sicherungsverträgen ergebende Freigabeverpflichtung zu erfüllen."
  50. Die Klägerin gewährte dem Hauptschuldner am 6. Oktober 1994 ein am
  51. 30. Oktober 1995 zur Rückzahlung fälliges Darlehen von 200.000 DM sowie
  52. am 30. November 1994 einen Kontokorrentkredit über 100.000 DM mit einer
  53. Laufzeit bis 31. August 1995. Die Forderungen aus diesen Verträgen sind
  54. durch Zahlungen der Beklagten erloschen.
  55. Am 2. Februar 1996 erhielt der Hauptschuldner ein weiteres Darlehen
  56. über 200.000 DM. Mit Vertrag vom 25. März 1996 wurde ihm auf dem bisherigen Konto ein Kontokorrentkredit in Höhe von 100.000 DM bis 31. Januar 1997
  57. und durch Vereinbarung vom 2. Oktober 1997 in Höhe von 50.000 DM bis
  58. 31. März 1998 zur Verfügung gestellt. Die Urkunden über die genannten Verträge bezeichnen als Sicherheiten die Bürgschaften der Beklagten vom 6. Oktober 1994 und sind von den Beklagten als Bürgen unterzeichnet worden. Darüber hinaus ist in den Verträgen vom 2. Februar und 25. März 1996 als Sicher-
  59. -4-
  60. heit die Verpfändung der in dem Safe Nr. 154/6 enthaltenen Wertpapiere des
  61. Hauptschuldners gemäß dessen Erklärung vom 21./22. Juli 1993 erwähnt.
  62. Die Klägerin hat die Darlehensverträge wegen Zahlungsverzugs des
  63. Hauptschuldners gekündigt und die Beklagten aus den Bürgschaften in Anspruch genommen. Die verpfändeten Wertpapiere hat sie freigegeben. Das
  64. Berufungsgericht hat das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil bestätigt. Der Senat hat die Revisionen der Beklagten nur insoweit angenommen, als
  65. der Beklagte zu 1 zur Zahlung von mehr als 160.000 DM und die Beklagte zu 2
  66. zur Zahlung von mehr als als 40.000 DM, jeweils zuzüglich Zinsen, verurteilt
  67. worden sind.
  68. Entscheidungsgründe
  69. Die Revisionen der Beklagten führen im Umfang der Annahme zur Aufhebung und Zurückverweisung.
  70. I.
  71. Wie der Senat in dem die Annahme der Revision betreffenden Beschluß
  72. vom 7. Juni 2001 ausgeführt hat, ist das angefochtene Urteil rechtlich nicht zu
  73. beanstanden, soweit es angenommen hat, daß die Beklagten sich mit den in
  74. den Verträgen vom 2. Februar 1996, 25. März 1996 und 2. Oktober 1997 ent-
  75. -5-
  76. haltenen Erklärungen im Rahmen der vereinbarten Höchstbeträge wirksam für
  77. die jeweiligen Hauptschulden verbürgt haben. Das Berufungsgericht hat weiter
  78. rechtlich einwandfrei festgestellt, daß der Klägerin in dem geltend gemachten
  79. Umfang eine fällige Forderung gegen den Hauptschuldner zusteht. Einwendungen, die gemäß §§ 767, 768, 770 BGB beachtlich sein könnten, haben die
  80. Beklagten nicht erhoben.
  81. II.
  82. Die Revision rügt jedoch zu Recht, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, daß die Beklagten bis zum Betrag von insgesamt 50.000 DM gemäß
  83. § 776 BGB von ihrer Haftung frei geworden sein können. Nach dem Vorbringen
  84. der Beklagten, zu dem das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen
  85. hat, ist die dort vorgesehene Rechtsfolge eingetreten.
  86. 1. Gemäß § 776 Satz 1 BGB wird der Bürge insoweit frei, als der Gläubiger ein für die Hauptforderung bestelltes Pfandrecht aufgibt und der Bürge
  87. aus dem aufgegebenen Recht nach § 774 BGB hätte Ersatz erlangen können.
  88. a) Unstreitig hat die Klägerin ihr Pfandrecht an den Wertpapieren des
  89. Hauptschuldners freiwillig aufgegeben. Nach der für die revisionsrechtliche
  90. Prüfung maßgeblichen Darstellung der Beklagten ist davon auszugehen, daß
  91. ohne diese Rechtshandlung die Forderung der Gläubigerin mit dem Pfandrecht
  92. an den Wertpapieren (§ 774 Abs. 1 Satz 1, §§ 412, 401 BGB) bei Erfüllung des
  93. Bürgschaftsanspruchs auf sie übergegangen wäre und die Verwertung der Papiere einen Erlös von 50.000 DM erbracht hätte. Dieser Erlös wäre den Be-
  94. -6-
  95. klagten entsprechend dem Verhältnis ihrer Höchstbetragsbürgschaften zugeflossen (vgl. BGHZ 137, 292), so daß der Beklagte zu 1) danach 40.000 DM
  96. erhalten hätte und die Beklagte zu 2) 10.000 DM. Wegen der zwischenzeitlich
  97. eingetretenen Insolvenz des Hauptschuldners stehen die Wertpapiere nicht zur
  98. Befriedigung der Regreßansprüche zur Verfügung.
  99. 2. Durch die Unterschriften auf den Kreditverträgen vom 2. Februar
  100. 1996, 25. März 1996 und 2. Oktober 1997 wurden wirksame Haftungsverpflichtungen der Beklagten mit dem Inhalt der Bürgschaftsverträge vom
  101. 6. Oktober 1994 begründet. Die Parteien haben die Wirkungen des § 776 BGB
  102. durch die in Ziffer 8 jener Verträge enthaltene Klausel nicht wirksam ausgeschlossen.
  103. a) Der Senat hat mit Urteil vom 2. März 2000 (BGHZ 144, 52) - in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - entschieden, daß ein formularmäßiger genereller Verzicht auf die Rechte aus
  104. § 776 BGB nach § 9 AGBG unwirksam ist, weil er den Bürgen entgegen den
  105. Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Ein solcher allgemeiner Ausschluß der dem Bürgen zustehenden Rechte kann allerdings
  106. rechtlich haltbar sein, sofern er sich lediglich auf Sicherheiten bezieht, die dem
  107. Kreditinstitut nicht aufgrund einer gesonderten Sicherungsvereinbarung, sondern schon nach dem Inhalt seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustehen (BGHZ 144, 52, 56).
  108. b) Die in den Bürgschaftsverträgen enthaltene Formularbestimmung erwähnt § 776 BGB nicht, sieht jedoch weitgehend dieselben Rechtsfolgen vor,
  109. die sich bei einem gänzlichen Ausschluß der Vorschrift ergeben. Danach soll
  110. -7-
  111. der Bürge ganz allgemein nicht frei werden, wenn die Bank andere Bürgen aus
  112. der Haftung entläßt oder sonstige Sicherheiten freigibt. Die Voraussetzung,
  113. daß die Bank ihrem Pfandrecht unterliegende Gegenstände freigibt und dies im
  114. Rahmen der ordnungsgemäßen Durchführung und Abwicklung der Geschäftsverbindung zum Hauptschuldner geschieht, wird nur als ein möglicher Anwendungsfall unter anderen beschrieben. Damit fehlt es an einer hinreichend konkreten gegenständlichen Begrenzung auf Sachverhalte, bei denen eine Einschränkung der gesetzlichen Rechte des Bürgen auch unter Beachtung seiner
  115. berechtigten Interessen vertretbar erscheint. Die Klausel ist infolgedessen insgesamt unwirksam; die Voraussetzungen, unter denen eine sprachliche und
  116. inhaltliche Teilung in Betracht kommt, liegen nicht vor. An die Stelle der Formularbestimmung tritt die gesetzliche Vorschrift des § 776 BGB (§ 6 Abs. 2
  117. AGBG).
  118. III.
  119. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden.
  120. 1. Die Klägerin hat behauptet, die Freigabe der Wertpapiere sei mit Zustimmung der Beklagten erfolgt. Trifft dies zu, haben die Beklagten mit ihrer
  121. Einverständniserklärung insoweit auf ihre Rechte aus § 776 BGB individualvertraglich wirksam verzichtet. Die entsprechenden Voraussetzungen hat die
  122. Klägerin zu beweisen. Das Berufungsurteil enthält dazu keine Feststellung.
  123. -8-
  124. 2. Sollte die neue Verhandlung ergeben, daß sich die Beklagten dem
  125. Grunde nach zu Recht auf § 776 BGB berufen, werden sie den Beweis führen
  126. müssen, daß sie in dem behaupteten Umfang aus den Wertpapieren Befriedigung hätten erlangen können.
  127. Kreft
  128. Stodolkowitz
  129. Fischer
  130. Kirchhof
  131. Raebel