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12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 117/03
  5. Verkündet am:
  6. 1. April 2004
  7. Bürk
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. ZPO § 329
  18. Nicht zu verkündende Entscheidungen werden erlassen in dem Zeitpunkt, in dem
  19. das Gericht sich ihrer in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat.
  20. Dies setzt voraus, daß der Beschluß die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren
  21. Zweckbestimmung verlassen hat, den Parteien bekannt gegeben zu werden.
  22. BGH, Urteil vom 1. April 2004 - IX ZR 117/03 - OLG Düsseldorf
  23. LG Düsseldorf
  24. -2-
  25. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 18. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
  27. Dr. Fischer, Dr. Ganter, Kayser und Vill
  28. für Recht erkannt:
  29. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats
  30. des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. März 2003 aufgehoben.
  31. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
  32. über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. Die Klägerin hatte den verklagten Rechtsanwalt beauftragt, ihr gegen
  36. Dritte zustehende Ansprüche zu verfolgen. Sie entzog ihm im Juli 1995 das
  37. Mandat und ließ die Ansprüche durch andere Rechtsanwälte gerichtlich geltend machen. Während dieses Prozesses trafen die Klägerin und der Beklagte
  38. am 17. September/14. Oktober 1996 eine "Streitverkündungsabrede". In der
  39. Berufungsinstanz wurde die Klage vollumfänglich wegen Verjährung abgewiesen. Die Revision der Klägerin nahm der Bundesgerichtshof durch Beschluß
  40. -3-
  41. vom 11. November 1998 nicht an. Dieser Beschluß wurde der Klägerin am
  42. 16. November 1998 zugestellt.
  43. Am 14. Mai 1999 hat die Klägerin die vorliegende Klage auf Zahlung von
  44. Schadensersatz in Höhe von 1.003.474 DM eingereicht, die sie nunmehr noch
  45. in Höhe von 403.464,48 € weiterverfolgt. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen (OLGR Düsseldorf 2004, 55). Dagegen richtet sich die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision der Klägerin.
  46. Entscheidungsgründe:
  47. Das Rechtsmittel der Klägerin führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
  48. I.
  49. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von dem Beklagten erhobene
  50. Verjährungseinrede greife durch. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 51b
  51. BRAO sei spätestens drei Jahre nach der Beendigung des dem Beklagten erteilten Mandats, also im Juli 1998, abgelaufen. Die am 14. Mai 1999 eingereichte Klage habe den Lauf der Frist nicht mehr gemäß § 209 Abs. 1 BGB a.F.
  52. unterbrechen können. Der Beklagte müsse sich auch nicht im Hinblick auf die
  53. zwischen den Parteien getroffene Streitverkündungsabrede so behandeln lassen, als sei die Verjährungsfrist gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a.F. unterbro-
  54. -4-
  55. chen worden. Denn die vorliegende Klage sei nicht binnen sechs Monaten
  56. nach Beendigung des Vorprozesses erhoben worden (§ 215 Abs. 2 BGB a.F.).
  57. Dieser sei mit Erlaß des Nichtannahmebeschlusses des Bundesgerichtshofs
  58. rechtskräftig beendet worden. Der Nichtannahmebeschluß sei erlassen worden, als er mit dem Willen des Bundesgerichtshofs aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten sei. Dies sei am 11. November 1998 geschehen,
  59. als der Beschluß in das Postausgangsfach der Geschäftsstelle gelangt sei. Auf
  60. den Tag der Zustellung des Beschlusses komme es nicht an. Ein Anerkenntnis
  61. der Klageforderung (§ 208 BGB a.F.) liege nicht vor. Ebensowenig sei ein Verzicht des Beklagten auf die Einrede der Verjährung festzustellen.
  62. II.
  63. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
  64. Der Klageanspruch ist nicht verjährt. Aufgrund der zwischen den Parteien getroffenen Streitverkündungsabrede muß sich der Beklagte in dem Verhältnis
  65. zur Klägerin so behandeln lassen, wie wenn ihm im Vorprozeß der Streit verkündet worden wäre. Eine Streitverkündung hätte die Unterbrechungswirkung
  66. gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a.F. gehabt. Denn die vorliegende Klage ist
  67. binnen sechs Monaten nach Beendigung des Vorprozesses erhoben worden
  68. (§ 215 Abs. 2 BGB a.F.).
  69. 1. Nach dem - im Streitfall noch anzuwendenden - § 215 Abs. 2 Satz 1
  70. BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung gilt die Unterbrechung der Verjährung durch Streitverkündung (§ 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a.F.) als
  71. nicht erfolgt, wenn nicht binnen sechs Monaten nach der Beendigung des Pro-
  72. -5-
  73. zesses Klage auf Befriedigung oder Feststellung des Anspruchs erhoben wird.
  74. Wann ein Prozeß beendet wird, falls der Bundesgerichtshof die Annahme einer
  75. Revision durch - nicht zu verkündenden - Beschluß ablehnt (§ 554b Abs. 3
  76. ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung), ist bislang noch
  77. nicht abschließend geklärt. Der Bundesgerichtshof hat sich einerseits dafür
  78. ausgesprochen, bereits mit der Ablehnung der Annahme werde das angefochtene Urteil rechtskräftig (BGH, Beschl. v. 24. Juni 1980 - KZR 12/79, NJW
  79. 1981, 55; Urt. v. 4. Juli 1980 - V ZR 37/78, WM 1980, 1350, 1351), andererseits hat er geäußert, die Prozeßbeendigung trete erst mit der Zustellung des
  80. Nichtannahmebeschlusses ein (BGH, Urt. v. 1. Juli 1986 - VI ZR 120/85, NJW
  81. 1987, 371). Im vorliegenden Fall bedarf diese Streitfrage keiner Entscheidung.
  82. 2. Bei Klageeinreichung am 14. Mai 1999 war die sechsmonatige Frist
  83. des § 215 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. selbst dann noch nicht abgelaufen, wenn
  84. man auf den Zeitpunkt des Erlasses des Nichtannahmebeschlusses abstellt.
  85. a) Ein nicht zu verkündender Beschluß ist dann erlassen, wenn er mit
  86. dem Willen des Gerichts aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten ist
  87. (BGHZ 12, 248, 252; 85, 361, 364; 133, 307, 310; BGH, Beschl. v. 27. Oktober
  88. 1999 - XII ZB 18/99, NJW-RR 2000, 877, 878). Dafür kann es ausreichen, daß
  89. der Geschäftsstellenbeamte den Beschluß in den äußeren Geschäftsgang gegeben hat (RGZ 160, 307, 309 f; BGHZ 85, 361, 364). Der Übergang vom inneren Geschäftsbetrieb zum äußeren Geschäftsgang ist dadurch gekennzeichnet,
  90. daß das Gericht sich der Entscheidung entäußert hat. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit verkündeten Entscheidungen. Diese werden mit der in öffentlicher Sitzung erfolgenden Verkündung existent und bindend, weil sie nunmehr aus dem inneren Geschäftsbetrieb des Gerichts heraustreten (vgl.
  91. -6-
  92. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 22. Aufl. § 705 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Musielak,
  93. 2. Aufl. § 310 Rn. 1; § 318 Rn. 1; Musielak, ZPO 3. Aufl. § 310 Rn. 8; Zöller/Vollkommer, ZPO 24. Aufl. § 310 Rn. 1; Thomas/Putzo, ZPO 25. Aufl. § 310
  94. Rn. 1). Wenn die Öffentlichkeit hergestellt war, kommt es nicht darauf an, ob
  95. die Entscheidung in Anwesenheit der Parteien verkündet worden ist. Ab dem
  96. Zeitpunkt der Verkündung kann das Gericht seine Entscheidung nicht mehr
  97. verändern. Dementsprechend werden nicht zu verkündende Entscheidungen
  98. existent und bindend in dem Zeitpunkt, in dem das Gericht sich ihrer in einer
  99. vergleichbaren Weise entäußert hat. Dies ist noch nicht der Fall, wenn der Geschäftsstellenbeamte den Nichtannahmebeschluß auf den Abtrag gelegt hat. Er
  100. könnte ihn dort wieder wegnehmen. Um eine Bindungswirkung für das Gericht
  101. anzunehmen, genügt es auch nicht, daß der Beschluß bei der Geschäftsstelle
  102. abgetragen wurde, damit in der Kanzlei die an die Parteien zu versendenden
  103. Ausfertigungen mit den Empfangsbekenntnissen vorbereitet werden. Dies alles
  104. gehört noch zum inneren Geschäftsbetrieb. Erforderlich ist, daß der Beschluß
  105. die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den
  106. Parteien bekannt gegeben zu werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn
  107. eine Ausfertigung des Beschlusses in das Gerichtsfach eines Prozeßbevollmächtigten eingelegt worden ist, aber auch schon dann, wenn der Gerichtswachtmeister eine Ausfertigung bei der Geschäftsstelle abgetragen hat, um sie
  108. in das Gerichtsfach des Prozeßbevollmächtigten einzulegen oder zur Post(stelle) zu geben.
  109. Ob eine Selbstbindung des Gerichts - mit der Folge, daß die Entscheidung bereits als erlassen gilt, obwohl sie sich noch im inneren Geschäftsbetrieb des Gerichts befindet - bereits dann angenommen werden kann, wenn auf
  110. Anfrage das "Ergebnis" telefonisch bekanntgegeben wird (vgl. BGH, Beschl. v.
  111. -7-
  112. 27. Oktober 1999 – XII ZB 18/99, NJW-RR 2000, 877, 878), braucht der Senat
  113. nicht zu entscheiden.
  114. b) Im vorliegenden Fall ist der im Vorprozeß ergangene Nichtannahmebeschluß des Bundesgerichtshofs entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts
  115. nicht bereits am 11. November, sondern frühestens am 13. November 1998
  116. "herausgegeben" worden.
  117. Wie sich aus den Akten ergibt, ist der Nichtannahmebeschluß von den
  118. Richtern am 11. November 1998 unterschrieben worden. Die Schlußverfügung
  119. des Bundesgerichtshofs, mit welcher unter anderem die Kanzlei angewiesen
  120. wurde, Ausfertigungen und Abdrucke an die Prozeßbevollmächtigen zu fertigen, datiert vom 12. November 1998 und der Erledigungsvermerk der Kanzlei
  121. vom 13. November 1998. Das von der Kanzlei vorbereitete Empfangsbekenntnis gemäß § 212a ZPO trägt ebenfalls das Datum vom 13. November 1998.
  122. Ausfertigungen, Abdrucke und Empfangsbekenntnis können folglich frühestens
  123. am 13. November 1998 die Geschäftsstelle mit dem Ziel verlassen haben, sie
  124. in das Gerichtsfach der Prozeßbevollmächtigten der Parteien einzulegen oder
  125. zur Poststelle zu geben.
  126. 2. Die sechsmonatige Frist des § 215 Abs. 2 BGB a.F. konnte somit
  127. nicht vor dem 13. Mai 1999 ablaufen (§ 222 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit
  128. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Dieser Tag war ein gesetzlicher Feiertag
  129. (Christi Himmelfahrt), so daß die Frist frühestens am 14. Mai 1999 endete
  130. (§ 222 Abs. 2 ZPO). An diesem Tage wurde jedoch die Klage eingereicht.
  131. -8-
  132. 3. Für die Unterbrechungswirkung (§ 209 Abs. 1 BGB a.F.) unschädlich
  133. ist, daß die Klage erst am 19. Juli 1999 zugestellt wurde. Dies war noch "demnächst" im Sinne von § 270 Abs. 3 ZPO a.F., weil die Verzögerung von der
  134. Klägerin allenfalls in unerheblicher Weise zu vertreten war. Mit der Klageeinreichung hatte diese zunächst einmal alles getan, was von ihrer Seite erforderlich war, um die Verjährungsfrist zu unterbrechen, zumal sie einen Verrechnungsscheck in Höhe des Gerichtskostenvorschusses in Höhe von 18.616 DM
  135. beigefügt hatte.
  136. Der Zeitraum, der auf vermeidbare Verzögerungen im Geschäftsablauf
  137. des Gerichts entfällt, wird dem Kläger nicht zugerechnet (BGH, Urt. v. 20. April
  138. 2000 - VII ZR 116/99, NJW 2000, 2282). Allerdings muß ein Kläger, der seinerseits zunächst alles Erforderliche getan hat, unter Umständen auch später
  139. noch einer Verzögerung der Zustellung entgegentreten (vgl. Musielak/Wolst,
  140. § 167 ZPO Rn. 8). Droht eine solche aus unerklärlichen Gründen, muß er sich
  141. bei dem Gericht nach den Ursachen erkundigen (vgl. BGHZ 69, 361, 364; Zöller/
  142. Greger, § 167 ZPO Rn. 15; Musielak/Wolst, aaO). Eine derartige Pflicht erwächst ihm aber grundsätzlich nicht vor Ablauf von einem Monat (vgl. OLG
  143. Hamm NJW-RR 1998, 1104; OLG Hamburg NVersZ 2002, 133, wo sogar im
  144. Falle der zunächst unterbliebenen Zahlung dem Prozeßbevollmächtigten zugebilligt wurde, drei Wochen auf die gerichtliche Zahlungsanforderung zu warten), und schädlich wird das Unterlassen einer Nachfrage nicht vor Ablauf von
  145. weiteren zwei Wochen (BGH, Urt. v. 9. November 1994 - VIII ZR 327/93, NJWRR 1995, 254; v. 12. Januar 1996 - V ZR 246/94, NJW 1996, 1060, 1061, insofern in BGHZ 131, 376 ff nicht abgedruckt; v. 20. April 2000 aaO).
  146. -9-
  147. Im vorliegenden Fall hätte der Klägerin deshalb eine unterlassene Nachfrage erst ab Ende Juni 1999 geschadet. Bereits am 28. Juni 1999 hat die Geschäftsstelle des Landgerichts jedoch die Absendung des der Klageschrift beigefügten Schecks an die Gerichtskasse veranlaßt; am 2. Juli 1999 wurde er
  148. eingelöst. Am 12. Juli 1999 wurde die Zustellung der Klage verfügt und früher
  149. erster Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Es ist nicht davon auszugehen, dass eine Nachfrage der Klägerin Ende Juni 1999 eine größere Beschleunigung bewirkt hätte.
  150. III.
  151. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die Berechtigung
  152. der Klage in der Sache geprüft wird.
  153. Kreft
  154. Fischer
  155. Kayser
  156. Ganter
  157. Vill