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9.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 91/09
  4. vom
  5. 5. November 2009
  6. in dem Verbraucherinsolvenzverfahren
  7. - 2 -
  8. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  9. Dr. Ganter, die Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und
  10. den Richter Dr. Pape
  11. am 5. November 2009
  12. beschlossen:
  13. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer
  14. des Landgerichts Erfurt vom 9. März 2009 wird auf Kosten des
  15. Schuldners als unzulässig verworfen.
  16. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
  17. Gründe:
  18. I.
  19. 1
  20. Über das Vermögen des Schuldners wurde am 18. Februar 2003 das
  21. Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Die Verfahrenskosten waren bereits
  22. mit Beschluss vom 2. Oktober 2002 gestundet worden. Der weitere Beteiligte
  23. (fortan: Treuhänder) wurde zum Treuhänder bestellt. Das Verfahren ist bisher
  24. nicht aufgehoben worden.
  25. 2
  26. Der Schuldner, von Beruf Steinmetz und Bildhauer, bezieht Arbeitslosengeld II. Daneben ist er als freiberuflicher Künstler tätig. Mit Schreiben vom
  27. - 3 -
  28. 7. April 2008 regte der Treuhänder die Aufhebung der Stundung an, weil der
  29. Schuldner Einkommensnachweise nur sporadisch und auf mehrfache Mahnungen hin vorlege. Das Insolvenzgericht gab dem Schuldner Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Schuldner überreichte dem Treuhänder mit Schreiben vom
  30. 2. Juni 2008 die ALG II-Bescheide sowie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
  31. für den Zeitraum 28. Mai bis 4. Juli 2008. Er teilte mit, er übe seine freiberufliche Tätigkeit nach wie vor aus und werde die hierzu geforderten Nachweise bis
  32. zum 13. Juni 2008 nachreichen; außerdem kündigte der Schuldner an, anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Der Schuldner legte keine Belege hinsichtlich seiner freiberuflichen Tätigkeit vor und erteilte auch keine weitere Auskunft. Mit Verfügung vom 8. Juli 2008 mahnte das Insolvenzgericht die Einreichung der Belege an. Hierauf reagierte der Schuldner nicht. Mit Verfügung vom
  33. 19. August 2008 wies das Insolvenzgericht den Schuldner darauf hin, dass die
  34. Verfahrenskostenstundung aufgehoben werden könne, wenn eine vom Gericht
  35. verlangte Erklärung nicht abgegeben werde, und forderte ihn auf, die Einkommensnachweise bis zum 12. September 2008 bei Gericht vorzulegen. Auch auf
  36. dieses Schreiben antwortete der Schuldner nicht.
  37. 3
  38. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2008 hat das Insolvenzgericht die Kostenstundung aufgehoben. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist erfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Schuldner weiterhin die
  39. Aufhebung des die Kostenstundung aufhebenden Beschlusses erreichen.
  40. II.
  41. 4
  42. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 4d Abs. 1, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1
  43. Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Auch ein Prozessunfähiger kann eine gegen ihn er-
  44. - 4 -
  45. gangene Entscheidung vom Rechtsmittelgericht darauf überprüfen lassen, ob
  46. die Vorinstanz ihn zu Recht als prozessfähig oder prozessunfähig behandelt
  47. hat. Gleiches gilt, wenn eine Partei, deren Prozessfähigkeit fraglich sein könnte,
  48. sich gegen die in der Vorinstanz ergangene Sachentscheidung wendet und mit
  49. ihrem Rechtsmittel eine andere, ihrem Begehren entsprechende Sachentscheidung anstrebt (vgl. BGHZ 143, 122, 127). Im Übrigen bestehen hier - worauf
  50. später noch einzugehen sein wird - keine Zweifel an der Prozessfähigkeit des
  51. Schuldners. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch aus anderen Gründen unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
  52. 5
  53. 1. Die Rechtsbeschwerde meint im Anschluss an die Kommentierung
  54. von Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 4c Rn. 2, das Insolvenzgericht dürfe den
  55. Schuldner nur dann zu einer Erklärung über seine Verhältnisse auffordern (§ 4c
  56. Nr. 1, § 4b Abs. 2 InsO), wenn es Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung
  57. habe und diese dem Schuldner mitteile; erst auf eine derart qualifizierte Aufforderung hin sei der Schuldner überhaupt verpflichtet, sich zu äußern. Im Wortlaut des Gesetzes findet diese Ansicht jedoch keine Stütze. Das Insolvenzgericht kann vom Schuldner eine Erklärung über seine Verhältnisse verlangen, um
  58. zu prüfen, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners verbessert
  59. haben und die Entscheidung über die Stundung deshalb gemäß § 4b Abs. 2
  60. InsO zu ändern ist. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus § 120 Abs. 4 ZPO,
  61. auf dessen Sätze 1 und 2 § 4b Abs. 2 Satz 3 InsO verweist. In § 120 Abs. 4
  62. Satz 2 ZPO heißt es ausdrücklich, die Partei habe sich auf Verlangen des Gerichts darüber zu erklären, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten sei.
  63. Die Erklärungspflicht wird also gerade nicht davon abhängig gemacht, dass das
  64. Gericht der Partei zuvor eine Änderung ihrer Verhältnisse vorgehalten hat. In-
  65. - 5 -
  66. stanzgerichtliche Entscheidungen, die der von der Rechtsbeschwerde vertretenen - fern liegenden - Ansicht gefolgt wären, weist die Rechtsbeschwerde nicht
  67. nach. Eine vereinzelt gebliebene, möglicherweise nur missverständlich formulierte Kommentarstelle begründet keinen Klärungsbedarf.
  68. 6
  69. 2. Die Rechtsbeschwerde rügt eine Verletzung des Anspruchs des
  70. Schuldners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), weil dem Schuldner
  71. nicht deutlich gemacht worden sei, was eigentlich von ihm erwartet werde. Der
  72. Schuldner habe die fehlende Bestimmtheit des Auskunftsverlangens des Gerichts bereits in der Begründung seiner sofortigen Beschwerde gerügt. Das
  73. Landgericht hat sich mit diesem Einwand jedoch auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer wendet sich der Sache nach also nur gegen die inhaltliche
  74. Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die
  75. Gerichte jedoch nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE
  76. 64, 1, 12; BVerfG NJW 2005, 3345, 3346; BGH, Beschl. v. 16. September 2008
  77. - X ZB 28/07, BGH-Report 2009, 255, 256 Rn. 10).
  78. 7
  79. 3. Eine weitere Verletzung des Anspruchs des Schuldners auf rechtliches
  80. Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sieht die Rechtsbeschwerde darin, dass das Beschwerdegericht den Vortrag des Schuldners zu seiner psychischen Erkrankung als Schutzbehauptung angesehen, kein Gutachten eines Sachverständigen zur Schwere der Beeinträchtigungen eingeholt und die Vorlage eines
  81. schriftsätzlich angekündigten fachärztlichen Attestes nicht abgewartet hat.
  82. 8
  83. Der Schuldner hätte Gelegenheit gehabt, ein Attest zu den Akten zu reichen. Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2009, der am selben Tag per Fax bei Gericht eingegangen ist, hatte er angekündigt, das Attest werde "kurzfristig" nachgereicht. Bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses am 9. März 2009 hat
  84. - 6 -
  85. er sich dann nicht mehr geäußert, also weder ein Attest übersandt noch um die
  86. Einräumung einer weiteren Frist gebeten. Im Übrigen gilt auch hier, dass das
  87. Landgericht den Vortrag des Schuldners zur Kenntnis genommen und in seiner
  88. Entscheidung berücksichtigt hat. Es hat lediglich nicht die vom Schuldner gewünschte Schlussfolgerung gezogen, die Missachtung der gerichtlichen Aufforderung unter Androhung der Aufhebung der Stundung sei nicht grob fahrlässig
  89. gewesen.
  90. 9
  91. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde entbehrt die Würdigung
  92. des Vorbringens des Schuldners als "offenkundiges Schutzvorbringen" nicht
  93. jeder tatsächlichen Basis. Das Landgericht hat seine Entscheidung insbesondere darauf gestützt, dass der Schuldner seine sofortige Beschwerde zunächst
  94. damit begründet hatte, im Jahre 2008 keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit
  95. erzielt und sein Atelier bereits im Januar 2008 aufgelöst zu haben. Daraufhin
  96. legte der Treuhänder ein Schreiben des Schuldners vom 2. Juni 2008 vor, in
  97. dem es heißt, die freiberufliche Tätigkeit werde noch ausgeübt, und die Nachweise über Einnahmen und Ausgaben würden bis zum 13. Juni 2008 nachgereicht. Erst danach behauptete der Schuldner, es fehle am Verschulden, weil er
  98. aufgrund psychosomatischer Beeinträchtigungen den Inhalt und die Wichtigkeit
  99. von Mitwirkungspflichten nicht habe abschätzen können.
  100. 10
  101. 4. Der Senat sieht sich nicht veranlasst, seinerseits ein Gutachten zur
  102. Frage der Prozessfähigkeit des Schuldners einzuholen. Die fehlende Prozessfähigkeit einer Prozesspartei oder des Beteiligten eines Insolvenzverfahrens ist
  103. in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist ein Erwachsener allerdings prozessfähig. Die Prozessfähigkeit ausschließende Störungen der Geistestätigkeit treten nur in Ausnahmefällen auf. Von einer Partei, die sich auf sie beruft, muss deshalb die Dar-
  104. - 7 -
  105. legung von Tatsachen erwartet werden, aus denen sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit ergeben (BGHZ 18, 184, 190; BGHZ 86,
  106. 184, 189; BGH, Urt. v. 9. Januar 1996 - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059, 1060).
  107. Das ist hier nicht der Fall. Das vom Schuldner nunmehr vorgelegte Attest der
  108. Fachärztin
  109. für
  110. Psychiatrie
  111. und
  112. Psychotherapie
  113. Dr.
  114. G.
  115. vom 4. März 2009 beschreibt die Beschwerden, wegen derer der Schuldner
  116. sich in fachärztliche Behandlung begeben hat, und bescheinigt ihm Antriebslosigkeit, eine Einschränkung der Konzentration und Aufmerksamkeit, teils affektiv überschießende Reaktionen in Belastungssituationen sowie multiple somatische Beschwerden. Dass der Schuldner deshalb nicht mehr in der Lage sei,
  117. Prozesshandlungen, die er selbst angekündigt hat, in eigener Person oder
  118. durch einen selbst bestellten Vertreter vornehmen oder entgegennehmen zu
  119. können, steht nicht in dem Attest und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich; weder der Schuldner noch die von ihm in den Vorinstanzen und in der Rechtsbe-
  120. - 8 -
  121. schwerdeinstanz beauftragten Anwälte gehen von einem Fehlen der Geschäftsoder Prozessfähigkeit des Schuldners aus.
  122. Ganter
  123. Raebel
  124. Lohmann
  125. Kayser
  126. Pape
  127. Vorinstanzen:
  128. AG Erfurt, Entscheidung vom 14.10.2008 - 174 IK 149/02 LG Erfurt, Entscheidung vom 09.03.2009 - 1 T 620/08 -