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186 lines
10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 80/11
  4. vom
  5. 24. März 2011
  6. in dem Insolvenzverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 304 Abs. 1 Satz 1
  14. Der Grundsatz, dass ein Schuldner auch dann unter die Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens fällt, wenn er neben einer abhängigen Beschäftigung einer wirtschaftlich selbständigen Nebentätigkeit nachgeht, gilt nur dann, wenn die Nebentätigkeit
  15. einen nennenswerten Umfang erreicht und sich organisatorisch verfestigt hat; eine
  16. nur gelegentlich ausgeübte Tätigkeit, die sich nicht zu einer einheitlichen Organisation verdichtet hat, ist keine selbständige Erwerbstätigkeit.
  17. BGH, Beschluss vom 24. März 2011 - IX ZB 80/11 - AG Nürnberg
  18. LG Nürnberg-Fürth
  19. -2-
  20. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  21. Prof. Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter
  22. Dr. Fischer und Dr. Pape
  23. am 24. März 2011
  24. beschlossen:
  25. Der Antrag des Rechtsbeschwerdeführers auf Bewilligung von
  26. Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 4. Februar 2011 wird abgelehnt.
  27. Gründe:
  28. I.
  29. 1
  30. Die bei einer Vermögensverwaltungsgesellschaft mit einem monatlichen
  31. Bruttoeinkommen von 1.360 € vollzeitbeschäftigte Schuldnerin beantragte zunächst das Verbraucherinsolvenzverfahren nebst Restschuldbefreiung. Am
  32. 28. Januar 2008 meldete sie ein Gewerbe für Schreibarbeiten an, mit dem sie
  33. 2009 einen Umsatz von 840 € erzielte. Am 28. März 2008 nahm ihr Verfahrensbevollmächtigter den Insolvenzantrag mit der Begründung zurück, dass es nicht
  34. gelungen sei, den ursprünglich vom hiesigen Versagungsantragsteller (fortan:
  35. auch Gläubiger) in Aussicht gestellten Verzicht auf die Qualifikation seiner Forderung als unerlaubte Handlung umzusetzen. Aufgrund eines im November
  36. 2009 gestellten Insolvenzantrags mit Antrag auf Restschuldbefreiung, mit dem
  37. - 3 -
  38. sie zugleich einen Insolvenzplan vorlegte, eröffnete das Insolvenzgericht am
  39. 18. Februar 2010 das Regelinsolvenzverfahren. Der Plan sieht vor, dass die
  40. Schuldnerin gegen Zahlung eines Betrages von 20.000 € von dritter Seite, der
  41. nach Abzug der Kosten des Verfahrens an die Gläubiger verteilt werden soll,
  42. die Restschuldbefreiung erlangt. Im Abstimmungstermin am 10. November
  43. 2010 nahm die Mehrheit der Gläubiger gegen den Widerstand des Versagungsantragstellers den Plan an.
  44. Auf Antrag des Gläubigers hat das Insolvenzgericht die Bestätigung des
  45. 2
  46. Insolvenzplans mit Beschluss vom 25. November 2010 versagt. Die hiergegen
  47. gerichtete Beschwerde der Schuldnerin hat Erfolg gehabt. Das Beschwerdegericht hat die Entscheidung des Insolvenzgerichts aufgehoben und die Planbestätigung erteilt, weil der Gläubiger eine wirtschaftliche Schlechterstellung durch
  48. den Plan nicht glaubhaft gemacht habe. Mit seiner Rechtsbeschwerde, für deren Durchführung er Prozesskostenhilfe beantragt, möchte der Gläubiger die
  49. Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts und Versagung der
  50. Planbestätigung erreichen.
  51. II.
  52. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, die
  53. 3
  54. Rechtsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 4 InsO, § 114
  55. ZPO).
  56. - 4 -
  57. 4
  58. Die vom Gläubiger zu 1 zunächst ohne weitere Begründung eingelegte
  59. Rechtsbeschwerde (§§ 6, 7 Abs. 1, § 253 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO)
  60. ist unzulässig, weil kein Zulassungsgrund erkennbar ist (§ 574 Abs. 2 ZPO).
  61. 5
  62. 1. Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, der Schuldnerin
  63. hätte die Bestätigung des Insolvenzplans versagt werden müssen, weil sie den
  64. Weg des Regelinsolvenzverfahrens mit Vorlage eines Insolvenzplans rechtsmissbräuchlich gewählt habe, um die im Verbraucherinsolvenz- und Schuldenbereinigungsverfahren aufgrund seines Widerstands nicht durchsetzbare Befreiung von seiner Forderung im Regelinsolvenzverfahren zu erlangen. Die Aufnahme der wirtschaftlich bedeutungslosen selbständigen Tätigkeit habe ausschließlich dazu gedient, in das Regelinsolvenzverfahren mit der dort möglichen
  65. Durchführung eines Insolvenzplans zu gelangen.
  66. 6
  67. a) Nach Auffassung des Beschwerdegerichts drängt sich zwar auf, dass
  68. die Schuldnerin die selbständige Tätigkeit mit äußerst geringen Umsätzen nur
  69. aufgenommen habe, um die Voraussetzungen eines Regelinsolvenzverfahrens
  70. zu schaffen. Dies könne aber nicht zur Versagung der Planbestätigung ohne
  71. Glaubhaftmachung einer wirtschaftlichen Schlechterstellung des Gläubigers
  72. führen, weil es letztlich eine autonome Entscheidung der Gläubigermehrheit sei,
  73. ob sie den Insolvenzplan annehme. Rechtsmissbrauch sei in der Ausnutzung
  74. eines im Gesetz vorgesehenen Verfahrens nicht zu sehen.
  75. - 5 -
  76. 7
  77. b) Diese Ausführungen sind im Ergebnis nicht angreifbar. Grundsatzfragen, die nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden könnten,
  78. stellen sich nicht. Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass vorliegend erhebliche Bedenken gegen die Eröffnung eines Regelinsolvenzverfahrens bestehen. Zwar entspricht es nahezu einhellig vertretener Auffassung, dass ein
  79. Schuldner auch dann unter die Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens fällt,
  80. wenn er neben einer abhängigen Beschäftigung einer selbständigen Nebentätigkeit nachgeht (vgl. AG Hamburg, ZInsO 2004, 1375; HK-InsO/Landfermann,
  81. 5. Aufl. § 304 Rn. 6; MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl. § 304 Rn. 52;
  82. Uhlenbruck/Vallender, InsO 13. Aufl. § 304 Rn. 9; Wenzel in Kübler/Prütting/
  83. Bork, InsO § 304 Rn. 14; Pape/Sietz in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der
  84. Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. § 16 Rn. 16). Einschränkend ist aber nach zutreffender Auffassung eine wirtschaftlich selbständige Tätigkeit, welche die Anwendung des Regelinsolvenzverfahrens rechtfertigt, erst dann gegeben, wenn die
  85. Nebentätigkeit einen nennenswerten Umfang erreicht und sich organisatorisch
  86. verfestigt hat (FK-InsO/Kohte, 6. Aufl. § 304 Rn. 9; Graf-Schlicker/Sabel, InsO
  87. 2. Aufl. § 304 Rn. 8; HK-InsO/Landfermann, aaO; Uhlenbruck/Vallender, aaO).
  88. Erreichen die Einkünfte aus der Tätigkeit nicht einmal die Bagatellgrenze des
  89. § 3 Nr. 26 EStG (derzeit 2.100 €), spricht vieles für das Fehlen einer
  90. verfestigten organisatorischen Einheit (vgl. Graf-Schlicker/Sabel, aaO). Die
  91. Schuldnerin hat 2009 mit ihrer selbständigen Tätigkeit nur einen Umsatz von
  92. 840 € erzielt. Die Schwelle zur Erheblichkeit der Tätigkeit war folglich bei weitem nicht überschritten.
  93. - 6 -
  94. 8
  95. c) Der damit möglicherweise vorliegende Verstoß gegen die Zuordnung
  96. der Schuldnerin zum Regelinsolvenzverfahren kann aber nicht zur Versagung
  97. der Planbestätigung führen. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die
  98. Rechtskraft des Beschlusses über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für
  99. sämtliche Beteiligten bindende Wirkung hat und auch dann hinzunehmen ist,
  100. wenn er verfahrensfehlerhaft ergangen ist, sofern nicht ausnahmsweise ein
  101. Mangel vorliegt, der zur Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses führt (vgl. BGH,
  102. Urteil vom 22. Januar 1998 - IX ZR 99/97, BGHZ 138, 40, 44; BGH, Urteil vom
  103. 7. Juli 2008 - II ZR 37/07, ZInsO 2008, 973 Rn. 13; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 27
  104. Rn. 35; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 27 Rn. 35; Uhlenbruck, aaO § 27
  105. Rn. 19). Hier ist ein Mangel, der zur Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses führen könnte, nicht ersichtlich. Die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens ist
  106. ungeachtet der Bedenken am Vorliegen einer wirtschaftlich selbständigen Tätigkeit der Schuldnerin wirksam. Damit konnte diese einen Insolvenzplan vorlegen, für den die §§ 217 ff InsO gelten.
  107. 9
  108. 2. Nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist die Bestätigung des Insolvenzplans
  109. auf Antrag eines Gläubigers dann zu versagen, wenn dieser Gläubiger durch
  110. den Insolvenzplan schlechter gestellt würde, als er ohne den Plan stünde. Zu
  111. vergleichen ist die Position des Gläubigers bei Abwicklung des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften der Insolvenzordnung und bei Ausführung des Insolvenzplans. Bringt der Plan für den widersprechenden Gläubiger wirtschaftliche Nachteile, hat der Widerspruch Erfolg. Zulässig ist der Antrag, die Bestätigung des Insolvenzplans zu versagen, nur, wenn der Gläubiger die Verletzung
  112. seines wirtschaftlichen Interesses glaubhaft macht. Dazu muss er Tatsachen
  113. vortragen und glaubhaft machen, aus denen sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit seiner Schlechterstellung durch den Insolvenzplan ergibt. Die
  114. Prüfung des Insolvenzgerichts ist auf die vom Gläubiger vorgebrachten und
  115. - 7 -
  116. glaubhaft gemachten Tatsachen und Schlussfolgerungen beschränkt (BGH,
  117. Beschluss vom 29. März 2007 - IX ZB 204/05, ZInsO 2007, 491 Rn. 10; vom
  118. 19. Mai 2009 - IX ZB 236/07, ZInsO 2009, 1252, Rn. 12 f).
  119. 10
  120. Entsprechend diesen Grundsätzen hat das Beschwerdegericht den Antrag des Rechtsbeschwerdeführers, der eine konkrete wirtschaftliche Schlechterstellung bei Durchführung des Insolvenzplanverfahrens weder dargelegt noch
  121. glaubhaft gemacht hat, als unzulässig verworfen. Fragen von grundsätzlicher
  122. Bedeutung stellen sich auch hierbei nicht. Die in Betracht kommenden Rechtsfragen sind im Sinne der Entscheidung des Beschwerdegerichts geklärt.
  123. 11
  124. 3. Soweit der Rechtsbeschwerdeführer eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Gläubigern natürlicher Personen durch das Insolvenzplanverfahren gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren rügen könnte, weil Forderungen,
  125. die aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners
  126. herrühren (vgl. § 174 Abs. 2 InsO), von der Schuldbefreiung durch den erfüllten
  127. Insolvenzplan nur ausgenommen sind, wenn der Plan dies ausdrücklich bestimmt, steht dies mit dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte sowie dem
  128. Sinn und Zweck des Insolvenzplanverfahrens in Einklang. Das Insolvenzplanverfahren ist nur dann handhabbar und kann nur dann zu der im Interesse der
  129. Gläubigergesamtheit gewünschten zeitnahen Schuldenregulierung führen,
  130. wenn die Prüfung der behaupteten Schlechterstellung im Verfahrensabschnitt
  131. der gerichtlichen Bestätigung des Insolvenzplans (§ 247 Abs. 2, §§ 248 bis 251
  132. InsO) an die Glaubhaftmachung durch den widersprechenden Gläubiger geknüpft wird. Dieses Erfordernis wird sonach durch die Besonderheiten dieser
  133. - 8 -
  134. Verfahrensart gerechtfertigt; es erscheint sogar zwingend erforderlich (BGH,
  135. Beschluss vom 17. Dezember 2009 - IX ZB 32/08, Rn. 3).
  136. Kayser
  137. Vill
  138. Fischer
  139. Lohmann
  140. Pape
  141. Vorinstanzen:
  142. AG Nürnberg, Entscheidung vom 25.11.2010 - 8211 IN 1903/09 LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 04.02.2011 - 11 T 10430/10 -