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171 lines
8.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 46/12
  4. vom
  5. 22. Mai 2014
  6. in dem Rechtsstreit
  7. - 2 -
  8. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  9. Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
  10. am 22. Mai 2014
  11. beschlossen:
  12. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats
  13. des Oberlandesgerichts Köln vom 19. März 2012 wird auf Kosten
  14. des Beklagten verworfen.
  15. Der
  16. Gegenstandswert
  17. der
  18. Rechtsbeschwerde
  19. wird
  20. auf
  21. 103.153,23 € festgesetzt.
  22. Gründe:
  23. I.
  24. 1
  25. Der klagende Rechtsanwalt nimmt den Beklagten auf Zahlung von Anwaltsvergütung in Höhe von 103.153,23 € für in den Jahren 1993 bis 1995,
  26. 2003 und 2004 erbrachte Beratungsleistungen in Anspruch. Der Beklagte ist
  27. den Ansprüchen entgegengetreten und hat hierzu geltend gemacht, teilweise
  28. habe er die berechneten Leistungen nicht in Auftrag gegeben und im Übrigen
  29. stünden ihm gegen den Kläger Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter
  30. Beratung zu, die ein Zurückbehaltungsrecht begründeten. Die Ansprüche aus
  31. dem Jahre 2003 seien zudem verjährt.
  32. - 3 -
  33. 2
  34. Das Landgericht hat dem Beklagten uneingeschränkt Prozesskostenhilfe
  35. gewährt, weil dessen Verteidigungsvorbringen Aussicht auf Erfolg habe. Auf
  36. den kurz danach durchgeführten Verhandlungstermin hat das Landgericht, ohne dass sich der Vortrag der Parteien zwischenzeitlich verändert gehabt hat,
  37. der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht
  38. wegen unzureichender Begründung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
  39. II.
  40. 3
  41. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
  42. 4
  43. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber
  44. nicht zulässig, weil der Beklagte nicht aufzuzeigen vermag, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2
  45. ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten weder in seinem
  46. verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm mit dem Rechtsstaatsgrundsatz) noch in seinem
  47. Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
  48. 5
  49. 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die nach § 520 Abs. 3 Satz 2
  50. Nr. 2 ZPO maßgeblichen Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung erfülle der Begründungsschriftsatz des Beklagten nicht. Dieser enthalte
  51. größtenteils Ausführungen dazu, dass das Landgericht unter Verletzung des
  52. rechtlichen Gehörs eine Überraschungsentscheidung getroffen habe. Dies sei
  53. zwar zutreffend, ändere aber nichts daran, dass die Berufungsbegründung
  54. - 4 -
  55. mangels konkreter Befassung mit den Urteilsgründen nicht aufzeige, welche in
  56. dem angefochtenen Urteil getroffenen entscheidungserheblichen Feststellungen und Rechtsausführungen im Einzelnen aus welchen Gründen falsch sein
  57. sollen. Die allgemeinen Ausführungen, das Landgericht habe die Darlegungsund Beweislast verkannt und Beweisangebote übergangen, ließen nicht erkennen, worauf sich der Vorwurf konkret beziehe. Weder die bloße Bezugnahme
  58. auf den gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag neben Beweisantritten noch
  59. der Hinweis auf eine zu den Akten gereichte Streitverkündungsschrift aus einem früheren Verfahren und die hierzu gemachte Bemerkung, das insoweit in
  60. Bezug genommene Urteil habe den Sachvortrag des Beklagten zur Schlechtberatung des Klägers übergangen, bringe die gebotene Klarstellung. Angesichts
  61. der umfänglichen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zu den von dem
  62. Beklagten vorgebrachten Gegenansprüchen wegen fehlerhafter Beratung lasse
  63. sich nicht erkennen, in welchen Punkten entscheidungserheblicher Vortrag des
  64. Beklagten übergangen worden sei.
  65. 6
  66. 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
  67. 7
  68. a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung
  69. die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers
  70. die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche
  71. bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft
  72. und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2011 - II ZB 21/10, WM 2012, 209
  73. Rn. 7; vom 23. Oktober 2012 - XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 10, jeweils
  74. mwN). Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit
  75. der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich
  76. - 5 -
  77. schlüssig oder rechtlich haltbar sind (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2003
  78. - XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532; vom 23. Oktober 2012, aaO). Jedoch
  79. muss die Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein
  80. (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - XI ZB 41/06, WM 2008, 1810 Rn. 11; vom
  81. 23. Oktober 2012, aaO). Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts
  82. mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder
  83. lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (BGH, Urteil vom
  84. 27. November 2003 - IX ZR 250/00, WM 2004, 442; vom 23. Oktober 2012,
  85. aaO). Ungenügend sind insbesondere Textbausteine und Schriftsätze aus anderen Verfahren (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008, aaO Rn. 12).
  86. 8
  87. b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung nicht.
  88. 9
  89. aa) Die Rüge, das Landgericht habe die Versäumnisse in der anwaltlichen Leistung des Klägers und die adäquat kausal eingetretenen Vermögensschäden nicht gewürdigt, nimmt nur pauschal auf das Vorbringen erster Instanz
  90. Bezug. Mit den konkreten Erwägungen des Landgerichts, weshalb die vorgebrachten Einwendungen nicht durchgriffen oder mangels hinreichender Substantiierung oder fehlenden Beweisantrittes unbeachtlich seien, befasst sich die
  91. Berufungsbegründung nicht. Es ist nicht ersichtlich, welche konkreten tatsächlichen oder rechtlichen Gründe der Beklagte den Ausführungen des Landgerichts
  92. zu den einzelnen Mandatsverhältnissen entgegensetzen will.
  93. 10
  94. bb) Auch die Rüge, das landgerichtliche Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar, weil im Hinblick auf die kurz zuvor gewährte Prozesskostenhilfe der Beklagte davon habe ausgehen können, sein Verteidigungsvorbringen sei als erfolgversprechend (§ 114 ZPO) und damit als ausreichend anzusehen, greift im Ergebnis nicht durch. Die damit erhobene Gehörs-
  95. - 6 -
  96. rüge wurde nicht ausgeführt. Die Berufungsbegründung hat sich darauf beschränkt zu rügen, wegen fehlender vorausgehender Hinweise sei die landgerichtliche Beurteilung, das Verteidigungsvorbringen sei teilweise unsubstantiiert
  97. und im Übrigen ohne gebotene Beweisantritte geblieben, als Überraschungsentscheidung zu beanstanden. Mit den im landgerichtlichen Urteil ausgeführten
  98. inhaltlichen Gesichtspunkten, weshalb das Vorbringen unsubstantiiert oder ohne erforderlichen Beweisantritt geblieben ist, hat sich der Beklagte nicht auseinandergesetzt, insbesondere nicht ausgeführt, welches Vorbringen er gegebenenfalls ergänzend hierzu noch vorgetragen hätte (vgl. BGH, Beschluss vom
  99. 7. März 2013 - I ZR 43/12, TranspR 2013, 461 Rn. 11). Dazu hätte im Rahmen
  100. der Berufungsbegründung nach den vorstehend angeführten Grundsätzen des
  101. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO Gelegenheit bestanden.
  102. 11
  103. Der Rechtsstaatsgrundsatz verlangt es, für jede "neue und eigenständige
  104. Verletzung" des Art. 103 Abs. 1 GG durch eine gerichtliche Entscheidung die
  105. einmalige Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle zu gewähren (vgl. BVerfGE 107,
  106. 395, 410 f). Wird im Zivilprozess die erstmalige Verletzung des Art. 103 Abs. 1
  107. GG durch das Eingangsgericht gerügt, so ist der danach erforderliche Rechtsbehelf mit der Berufung gemäß § 520 ZPO gegeben und nach den hierfür maßgeblichen Bestimmungen durchzuführen. Ein zusätzlicher Rechtsbehelf im Wege der Rechtsbeschwerde ist danach nur erforderlich, wenn eine neue und eigenständige Verletzung durch das Berufungsgericht gerügt werden könnte; dies
  108. ist aber im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung des § 520 Abs. 3
  109. - 7 -
  110. Satz 2 Nr. 2 ZPO durch das Berufungsgericht zu verneinen (vgl. auch BGH,
  111. Beschluss vom 6. Mai 2010 - IX ZB 225/09, WM 2010, 1722 Rn. 8; vom
  112. 19. April 2012 - IX ZB 225/10, Rn. 5 nv).
  113. Kayser
  114. Gehrlein
  115. Fischer
  116. Vill
  117. Grupp
  118. Vorinstanzen:
  119. LG Köln, Entscheidung vom 03.03.2011 - 29 O 169/06 OLG Köln, Entscheidung vom 19.03.2012 - 17 U 36/11 -