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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 587/02
  4. vom
  5. 4. März 2004
  6. in dem Entschädigungsrechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  9. Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Raebel, Vill und Cierniak
  10. am 4. März 2004
  11. beschlossen:
  12. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
  13. der Revision im Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
  14. Düsseldorf vom 18. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
  15. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
  16. Gründe:
  17. Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision (§ 219 Abs. 2
  18. BEG) liegt nicht vor.
  19. 1. Die in der Beschwerdebegründung bezeichnete Frage zur Auslegung
  20. von § 779 BGB bei fehlender Ungewißheit der Vergleichsparteien über das
  21. Ausgangsrechtsverhältnis ("unechter Vergleich") stellt sich nicht. Denn dem
  22. Berufungsurteil ist eine solche Grundlage für den Abschluß des Prozeßvergleichs im Jahre 1964 tatbestandlich nicht zu entnehmen. Insbesondere ist offen, ob der Beklagte ein hierdurch erweitertes Irrtumsrisiko hätte übernehmen
  23. wollen. Das Berufungsgericht hat die Wirksamkeit des Vergleiches im übrigen
  24. auch nicht bejaht, weil die Parteien nur innerhalb des Vergleichsgegenstandes
  25. von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, sondern weil es an der
  26. - 3 -
  27. zweiten Voraussetzung des § 779 BGB - der streitverursachenden Unkenntnis - fehlt. Die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts lassen
  28. keinen Rechtsfehler erkennen. Die Rechtsfrage, daß es für die Anwendung von
  29. § 779 BGB nicht genügt, wenn es bei Kenntnis der Sachlage (so wie sie sich
  30. nach der weiteren Aufklärung in diesem Rechtsstreit darstellt) zwischen den
  31. Parteien möglicherweise zu einem anderen Vergleich gekommen wäre, ist auch
  32. durch die zitierte Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 149, 140, 142) zutreffend im Sinne des Berufungsurteils geklärt.
  33. 2. Die freilich mißverständlich formulierte tatrichterliche Würdigung des
  34. Berufungsgerichts, daß der Vergleich des Jahres 1964 auf keiner Geschäftsgrundlage aufbaue, die ein psychisches Leiden des Erblassers, wie nach jetzigem Erkenntnisstand naheliegend, ausschließe, entzieht sich einer revisionsrechtlichen Überprüfung. Rechtsgrundsätzliche Verfahrensrügen hiergegen
  35. erhebt die Beschwerde nicht. Eine Abweichung des Berufungsurteils von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs liegt insoweit nicht vor. Auch für § 219
  36. Abs. 2 Nr. 2 BEG gilt der allgemeine enge Divergenzbegriff. Eine Abweichung
  37. in diesem Sinne setzt voraus, daß die anzufechtende Entscheidung ein und
  38. dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als eine Vergleichsentscheidung,
  39. mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diesen tragenden Rechtssatz nicht deckt (vgl. letzthin
  40. etwa BGHZ 151, 42, 45; BGH, Beschl. v. 27. März 2003 - V ZR 291/02,
  41. WM 2003, 987, 989 m.w.N.). Daran fehlt es.
  42. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für die rechtlichen
  43. Anforderungen an eine Geschäftsgrundlage (vgl. jetzt § 313 BGB) erfordert das
  44. Berufungsurteil gleichfalls keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Selbst
  45. wenn das Berufungsgericht in diesem Punkt unabsichtlich von der Rechtspre-
  46. - 4 -
  47. chung des Bundesgerichtshofs abgewichen wäre, der es hat folgen wollen,
  48. würde ein solcher Rechtsfehler die Zulassung der Revision nach § 219 Abs. 2
  49. Nr. 3 BEG nicht rechtfertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 27. März 1963 - IV ZB
  50. 461/62, RzW 1963, 424 m.w.N. zu § 219 Abs. 2 Nr. 2 BEG a.F. = § 219 Abs. 2
  51. Nr. 3 BEG n.F.). Vorliegend ist bereits nicht erkennbar, daß das Berufungsurteil auf einem rechtsfehlerhaften Verständnis des Begriffs der Geschäftsgrundlage beruht.
  52. Soweit sich der Kläger auf § 242 BGB beruft, fällt ihm außerdem zur
  53. Last, daß der Erblasser bis zu seinem Ableben Ende 1994 mit dem Verlangen
  54. nach Abänderung des Vergleichs nicht hervorgetreten ist, obwohl er nach der
  55. zweiten Depression im Jahre 1979 und der anschließenden Behandlung durch
  56. Prof. Dr. K.
  57. in W.
  58. mit der Möglichkeit eines phasenhaft verlaufenden
  59. psychasthenischen Verfolgungssyndroms rechnen mußte, welches in dieser
  60. Eigenart bei der Bemessung der Entschädigungsrente 1964 noch nicht erkannt
  61. worden war. Dieser Umstand kann einer Anpassung des Vergleichs aus dem
  62. Jahre 1964 unter allen vom Kläger geltend gemachten Gesichtspunkten entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 20. Februar 1975 - IX ZR 142/73, LM BEG § 177
  63. Nr. 7 = RzW 1975, 153, 154 m.w.N.; Beschl. v. 20. Januar 2000 - IX ZB 34/99,
  64. BGHR BEG § 177 Geschäftsgrundlage 1). Dies gilt nicht nur dann, wie die Beschwerde meint, wenn infolge des Zeitablaufs die Ermittlung der Anspruchsvoraussetzungen erschwert wird. In dieser Hinsicht ist aber ohnehin - entgegen
  65. den Ausführungen der Beschwerde - daran zu erinnern, daß der Kläger eine
  66. erhöhte Kapitalentschädigung und Rente für die Zeit ab 1. Januar 1943 begehrt, mithin auch für die Zeit vor 1964 von den Tatsacheninstanzen im Erfolgsfalle zusätzliche Feststellungen hätten getroffen werden müssen.
  67. - 5 -
  68. 3. Endlich kann, soweit die Beschwerde rügt, daß das Berufungsgericht
  69. § 206 Abs. 2, § 35 BEG verletzt habe, ein solcher Rechtsfehler die Zulassung
  70. der Revision nach § 219 Abs. 2 Nr. 3 BEG gleichfalls nicht rechtfertigen.
  71. Das Berufungsgericht hat zu diesem hilfsweisen Anspruchsgrund, der
  72. allenfalls eine Rentenanpassung vom Jahre 1979 ab tragen könnte, wie im übrigen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgen wollen, die es zitiert
  73. (BGH, Urt. v. 8. Mai 1980 - IX ZR 34/79, RzW 1980, 158, 159; ebenso seither
  74. noch Urt. v. 10. Mai 1990 - IX ZR 222/89, BGHR BEG § 206 Abs. 2 Vergleich 1
  75. = LM BEG § 206 Nr. 50). Danach gelten, wenn in einem Vergleich nur bestimmte Leiden als verfolgungsbedingt anerkannt worden sind, andere zu dieser Zeit schon vorhandene, die Leistungsfähigkeit des Verfolgten beeinträchtigende Leiden als verfolgungsunabhängig. Ihre spätere Verschlimmerung könnte unter dieser Voraussetzung nicht zu einer Rentenanpassung führen.
  76. Das Berufungsgericht hat tatrichterlich festgestellt, daß zwischen der
  77. anerkannten vegetativen Dystonie und der hier nicht anerkannten endogenen
  78. Depression im Rahmen eines psychasthenischen Syndroms, möglicherweise
  79. einer Dysthymie, kein Zusammenhang bestehe, es sich mithin um zwei verschiedene Erkrankungen handelt. So ist auch die Darstellung der Beschwerde
  80. S. 7 unter III. 1. zu verstehen. Dagegen versucht die Beschwerde mit der weiteren Behauptung, das psychische Leiden des Erblassers sei in dem Vergleich
  81. von 1964, wenn auch unter der falschen Bezeichnung einer vegetativen Dystonie, anerkannt worden (so auf S. 9 unter III. 4. a.E.), an die Stelle der bindenden tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts einen anderen Sachverhalt zu setzen. Das ist revisionsrechtlich unzulässig.
  82. - 6 -
  83. Das Berufungsgericht hat des weiteren angenommen, daß die nach der
  84. ersten Phase der endogenen Depression 1959 verbliebenen Beschwerden und
  85. Ausfälle die Leistungsfähigkeit des Erblassers zur Zeit des Vergleichsschlusses auch beeinträchtigt haben (BU 11 oben). Mit dem Bezug auf die Leistungsfähigkeit hat es sich hierbei entgegen der Beschwerde (S. 7 unter III. 1.) ersichtlich auch von dem entschädigungsrechtlichen Krankheitsbegriff (BGH, Urt.
  86. v. 6. November 1969 - IX ZR 137/67, RzW 1970, 216, 218 m.w.N.; v. 13. Juli
  87. 1972 - IX ZR 103/70, RzW 1972, 346, 347; v. 18. Januar 1973 - IX ZR 75/70,
  88. RzW 1973, 171, 172) leiten lassen. Die tatsächliche Annahme des Berufungsgerichts deckt sich mit dem Vorbringen des Klägers zu einem höheren Bewertungsrahmen der VMdE (vgl. S. 4 f der Beschwerde unter II., 3.), der nach dem
  89. hauptsächlichen Klageziel eine Anhebung der Entschädigung schon ab 1943
  90. rechtfertigen soll. Auch der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 12. April
  91. 1999 S. 2 Mitte krankheitswertige psychische Beschwerden des Erblassers
  92. bereits zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses behauptet.
  93. Im Berufungsurteil findet sich an anderer Stelle freilich auch die Feststellung, daß der Erblasser zwischen 1960 und 1979 - somit zur Zeit des Vergleichsschlusses - im Grundsatz psychisch unauffällig war (BU 10 unten) und
  94. hierin kann möglicherweise ein gewisser Widerspruch in den tatrichterlichen
  95. Annahmen gesehen werden, die dem Berufungsurteil zugrunde liegen. Dieser
  96. Widerspruch findet sich noch deutlicher in dem Vorbringen der Beschwerde
  97. selbst, die einerseits behauptet, die endogene Depression des Erblassers sei
  98. zur Zeit des Vergleichsschlusses vollständig abgeklungen gewesen, so daß
  99. entschädigungsrechtlich keine fortbestehende Krankheit vorgelegen habe, andererseits aber geltend macht, das psychische Verfolgungsleiden des Erblassers habe mit Auswirkung auf seine Erwerbsfähigkeit seit 1943 bestanden und
  100. sei 1964 in ihrem Krankheitsbild dem Vergleich zutreffend zugrundegelegt, le-
  101. - 7 -
  102. diglich in ihrer medizinischen Eigenart und damit der weiteren Gewichtung verkannt worden. Für eine Zulassung der Revision nach § 219 Abs. 2 BEG gibt
  103. der vorgenannte Umstand nichts her, weil er sich in der tatrichterlichen Würdigung des Einzelfalls erschöpft.
  104. 4. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde schließlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtberücksichtigung des nachgelassenen Schriftsatzes
  105. vom 27. Juni 2002 durch das Berufungsgericht.
  106. Der behauptete Verfahrensfehler ist aus der Gerichtsakte nicht ersichtlich. Ihm braucht auch nicht nachgegangen zu werden, weil das Berufungsurteil
  107. auf der - wie unterstellt - Außerachtlassung des Schriftsatzes nicht beruht.
  108. Kreft
  109. Fischer
  110. Vill
  111. Raebel
  112. Cierniak