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154 lines
8.2 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 261/04
  4. vom
  5. 6. Juli 2006
  6. in dem Entschädigungsrechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. BEG § 209 Abs. 1; ZPO § 522 Abs. 2 und 3
  14. a) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung sind im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten in ihrer jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden (dynamische Verweisung).
  15. b) Die Berufung kann auch im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten durch
  16. unanfechtbaren Beschluss zurückgewiesen werden.
  17. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2006 - IX ZB 261/04 - OLG Koblenz
  18. LG Trier
  19. -2-
  20. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  21. Dr. Fischer, die Richter Dr. Ganter, Raebel, Cierniak und die Richterin Lohmann
  22. am 6. Juli 2006
  23. beschlossen:
  24. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
  25. der Revision im einstimmigen Beschluss des 5. Zivilsenats des
  26. Oberlandesgerichts Koblenz vom 20. September 2004 sowie jedes andere gegen den vorbezeichneten Beschluss hilfsweise eingelegte Rechtsmittel werden als unzulässig verworfen.
  27. Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden
  28. dem Kläger auferlegt.
  29. Gründe:
  30. I.
  31. 1
  32. Das beklagte Land lehnte mit Bescheid vom 4. Januar 2001 eine Entschädigung des Klägers wegen Schadens an Körper und Gesundheit ab. Der
  33. Anspruch sei jedenfalls nach § 190a BEG erloschen, weil der Sachverhalt zu
  34. seiner Begründung nicht rechtzeitig und hinreichend dargelegt worden sei.
  35. Hiergegen wendete sich die fristgerecht erhobene Klage, die auch dazu Stellung nahm, inwieweit der in Serbien geborene Kläger, der dort während der
  36. - 3 -
  37. deutschen Besetzung im Untergrund gelebt habe, dem deutschen Sprach- und
  38. Kulturkreis angehört hat (§ 150 Abs. 1 BEG).
  39. 2
  40. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger zu keiner der
  41. Personengruppen zähle, denen das Gesetz für einen Schaden an Körper und
  42. Gesundheit Individualentschädigung gewähre (§§ 4, 150, 160, 164 BEG). Insbesondere könne auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen des
  43. § 176 BEG nicht festgestellt werden, dass der Kläger dem deutschen Sprachund Kulturkreis angehört habe.
  44. 3
  45. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger angekündigt, dass es seine Berufung gegen das landgerichtliche Urteil mangels Erfolgsaussicht durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen beabsichtige. Weder lasse sich seine Anspruchsberechtigung nach den §§ 150, 176 BEG feststellen, noch sei der Anspruch wegen Schadens an Körper und Gesundheit nach den §§ 190a, 190
  46. Nr. 2 und 3 BEG rechtzeitig und hinreichend dargelegt worden. Hinderungsgründe gegen eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1
  47. Nr. 2 oder 3 ZPO seien nicht ersichtlich. Der Kläger ist den Bedenken des
  48. Oberlandesgerichts entgegengetreten, hat jedoch zu der beabsichtigten Verfahrensweise nicht Stellung genommen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung
  49. des Klägers durch einstimmigen Beschluss vom 20. September 2004 zurückgewiesen.
  50. 4
  51. Hiergegen hat der Kläger Beschwerde erhoben, mit welcher er die Zulassung der Revision durch den Bundesgerichtshof erstrebt. Hilfsweise hat er
  52. das Rechtsmittel der Revision eingelegt.
  53. - 4 -
  54. 5
  55. Zur Begründung seines Rechtsmittels hat der Kläger ausgeführt: Die Generalverweisung des Bundesentschädigungsgesetzes auf die Vorschriften der
  56. Zivilprozessordnung (§ 209 Abs. 1 BEG) erstrecke sich nicht auf die Möglichkeit, eine Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO n.F.
  57. zurückzuweisen. Der Kläger sei deshalb hinsichtlich seiner Rechtsmittel so zu
  58. stellen wie bei einem Berufungsurteil, welches keine Entscheidung über die Zulassung der Revision enthalte. Nach § 220 BEG sei die Revision zuzulassen,
  59. weil die grundsätzliche Rechtsfrage zu klären sei, ob im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten die Berufung entsprechend § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen werden könne. Notfalls müsse zulassungsunabhängig eine Revision entsprechend § 221 BEG statthaft sein.
  60. II.
  61. 6
  62. Die Rechtsmittel des Klägers gegen die Zurückweisung seiner Berufung
  63. im Beschlusswege sind unstatthaft. Die ihrer Form nach nicht zu beanstandende Entscheidung des Oberlandesgerichts ist gemäß § 209 Abs. 1 BEG, § 522
  64. Abs. 3 ZPO unanfechtbar. Die Frage, ob bei verfahrensfehlerhafter Entscheidungsform des Berufungsgerichts die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 220
  65. BEG oder die Revision entsprechend § 221 BEG zu eröffnen wäre, wie der Kläger meint, stellt sich somit nicht.
  66. 7
  67. 1. Die einstimmige Zurückweisung der Berufung durch das Oberlandesgericht im Beschlusswege war zulässig. Die Vorschrift des § 522 Abs. 2 ZPO in
  68. der Fassung von Art. 2 des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001
  69. (BGBl. I S. 1887), welche dieses Verfahren eingeführt hat, gilt nach § 209
  70. - 5 -
  71. Abs. 1 BEG sinngemäß auch für den Berufungsrechtszug der Entschädigungsgerichte.
  72. 8
  73. Anzuwenden sind nach § 209 Abs. 1 BEG die Vorschriften der Zivilprozessordnung in der jeweils geltenden Fassung (dynamische Verweisung). Hier
  74. gilt nichts anderes als bei den rechtsähnlichen Generalverweisungen der
  75. §§ 173 VwGO, 202 SGG und 155 FGO (vgl. Falk, Die Anwendung der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes nach § 173 VwGO S. 116;
  76. Auer, Inhalt, Reichweite und Grenzen der Verweisung in § 173 VwGO S. 5
  77. m.w.N.). Davon ist in Art. 4 des Zivilprozessreformgesetzes auch der Gesetzgeber ausgegangen. Insbesondere die dort in Nummer 4 bestimmte Anfügung
  78. eines Satzes 3 in § 223 BEG betreffend die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde setzt voraus, dass nach § 209 Abs. 1 BEG die neuen Vorschriften der
  79. Zivilprozessordnung über die Rechtsbeschwerde (§§ 574 bis 577 ZPO) für das
  80. Verfahren vor den Entschädigungsgerichten sinngemäß gelten (vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 4. April 2000, BTDrucks. 14/3750 S. 97 a.E.). Dies trifft dann auch für die neugeschaffenen Regelungen des Berufungsverfahrens zu, weil sonst die Anpassung von § 218
  81. Abs. 2 BEG durch Art. 4 Nr. 1 des Zivilprozessreformgesetzes überflüssig gewesen wäre.
  82. 9
  83. Aus § 219 Abs. 1, § 220 BEG ergibt sich für das Verfahren vor den Entschädigungsgerichten keine ausnahmslose Garantie der Grundsatzrevision und
  84. der Nichtzulassungsbeschwerde. Wie nach § 542 Abs. 1 ZPO n.F. findet die
  85. Revision im Entschädigungsrechtszug nur gegen Endurteile statt. Einstimmige
  86. Beschlüsse, mit welchen die Berufung zurückgewiesen wird, stehen nach § 522
  87. Abs. 3 ZPO n.F. einem Endurteil insoweit nicht gleich. Sie sind unanfechtbar.
  88. - 6 -
  89. 10
  90. 2. Einheitliche Verfahrensgrundsätze des Rechts zur Wiedergutmachung
  91. nationalsozialistischen Unrechts, die ein anderes Verständnis des Gesetzes
  92. nahe legen könnten, bestehen nicht. Die vom Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 8. Januar 2004 (IX ZB 780/03, BGHR ÜberlG § 2 Beschwerde,
  93. sofortige 1) ausgeführten Erwägungen zum Rückerstattungsverfahren sind auf
  94. das Verfahren vor den Entschädigungsgerichten nicht übertragbar. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshof nach den §§ 1, 4 ÜberlG dient wie zuvor diejenige der Obersten Rückerstattungsgerichte einer Letztkontrolle der richtigen
  95. Rechtsanwendung im Einzelfall (BGH, aaO). Einen entsprechenden Rechtsschutzzweck hat die Grundsatzrevision des § 219 BEG und die Nichtzulassungsbeschwerde des § 220 BEG nicht. Die praktische Bedeutung dieses
  96. Rechtsschutzes ist daher seit Jahren rückläufig, weil in dem auslaufenden
  97. Rechtsgebiet nur noch in ganz wenigen Ausnahmen Grundsatzentscheidungen,
  98. auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, in Frage kommen. Es besteht bei dieser Ausgangslage auch trotz
  99. des Wiedergutmachungszwecks des Bundesentschädigungsgesetzes kein
  100. rechtlicher Hinderungsgrund dagegen, dass durch Anwendung von § 522
  101. Abs. 3 ZPO einstimmige Berufungsentscheidungen im Beschlusswege einer
  102. Nachprüfung der Zulassungsgründe (§ 219 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BEG, § 522
  103. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) entzogen werden.
  104. - 7 -
  105. 11
  106. 3. Verfahrensgrundrechtliche Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit
  107. von § 522 Abs. 2 und 3 ZPO greifen nicht durch (BVerfG-K NJW 2003, 281;
  108. NJW 2005, 659; vgl. auch Zuck NJW 2006, 1703 ff).
  109. Fischer
  110. Ganter
  111. Cierniak
  112. Raebel
  113. Lohmann
  114. Vorinstanzen:
  115. LG Trier, Entscheidung vom 27. Mai 2004 - 6wg O 55/01 OLG Koblenz, Entscheidung vom 20.09.2004 - 5wg U 6/04.E -