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11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 230/09
  4. vom
  5. 11. Oktober 2012
  6. in dem Insolvenzverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 290 Abs. 2, § 300 Abs. 1
  14. Ist über die Restschuldbefreiung im Hinblick auf das Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung bereits vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu entscheiden, kann
  15. ein absonderungsberechtigter Gläubiger, dessen Forderung für den Ausfall zur Tabelle festgestellt ist, einen Versagungsantrag stellen, wenn er seinen Ausfall glaubhaft macht.
  16. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2012 - IX ZB 230/09 - LG Hamburg
  17. AG Hamburg
  18. - 2 -
  19. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill, Raebel, die
  20. Richterin Lohmann, die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
  21. am 11. Oktober 2012
  22. beschlossen:
  23. Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der
  24. so bezeichnete Beschluss der Zivilkammer 26 des Landgerichts
  25. Hamburg vom 7. Oktober 2009 aufgehoben.
  26. Die Sache wird zur Entscheidung - auch über die Kosten des
  27. Rechtsmittelverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
  28. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
  29. 5.000 € festgesetzt.
  30. Gründe:
  31. I.
  32. 1
  33. Mit Beschluss vom 15. April 2003 wurde über das Vermögen des
  34. Schuldners, eines selbständig tätigen Architekten, das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2 zum Insolvenzverwalter bestimmt. Im Prüfungstermin am 19. Januar 2006 wurden hinsichtlich der weiteren Beteiligten
  35. zu 1, einer S.
  36. (im Folgenden: Gläubigerin), Forderungen aus Kreditver-
  37. - 3 -
  38. bindlichkeiten in die Insolvenztabelle aufgenommen und mit dem Vermerk versehen, dass sie vom Verwalter für den Ausfall in voller Höhe festgestellt, vom
  39. Schuldner allerdings bestritten sind. Das Insolvenzgericht beraumte für den
  40. 16. April 2009 eine Gläubigerversammlung "zur Anhörung der Gläubiger zu
  41. dem Antrag des Schuldners auf Ankündigung der Restschuldbefreiung sowie
  42. auf Erteilung der Restschuldbefreiung nach Ablauf der sechsjährigen Abtretungserklärung" an. Zugleich wurde darauf hingewiesen, eine gesonderte Anhörung nach § 300 InsO erfolge nicht mehr. In diesem Termin beantragte die
  43. Gläubigerin, dem Schuldner gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO die Restschuldbefreiung zu versagen.
  44. 2
  45. Das Insolvenzgericht hat den Versagungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Das Landgericht hat die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde
  46. der Gläubigerin zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag, die Restschuldbefreiung zu versagen, weiter.
  47. II.
  48. 3
  49. Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 4, 6 Abs. 1, § 7 aF, § 300 Abs. 3
  50. Satz 2 InsO, Art. 103 f Satz 1 EGInsO statthaft und auch im Übrigen zulässig
  51. (§ 4 InsO, § 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
  52. 4
  53. 1. Der angegriffene Beschluss unterliegt der Aufhebung. Er weist, obwohl
  54. die zuständige Einzelrichterin am selben Tag mit gesondertem Beschluss die
  55. Sache der Kammer übertragen hatte, lediglich die Unterschrift dieser Richterin
  56. auf; im Beschlussrubrum wird dagegen die Kammer in voller Besetzung aufgeführt. Da es sich mithin lediglich um einen Beschlussentwurf der Berichterstatte-
  57. - 4 -
  58. rin handelt, fehlt es an einer richterlichen Entscheidung der zuständigen Kammer (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 - IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49,
  59. 51 ff). Dem Nichtbeschluss kommt keine rechtliche Wirksamkeit zu, er ist unbeachtlich und zur Klarstellung ersatzlos aufzuheben (vgl. BGH, Urteil vom
  60. 23. Oktober 1997, aaO; vom 4. Februar 1999 - IX ZR 7/98, NJW 1999, 1192).
  61. 5
  62. 2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
  63. 6
  64. a) Der Beschlussentwurf, der in ZInsO 2009, 2163 veröffentlicht ist, hat
  65. gemeint, weil die Versagung der Restschuldbefreiung im Schlusstermin beantragt werden müsse, sei möglicherweise die Anberaumung eines vorgezogenen
  66. Anhörungstermins zur Stellung von Versagungsanträgen verfahrensfehlerhaft.
  67. Jedenfalls sei die Gläubigerin nicht berechtigt, einen Versagungsantrag zu stellen. Als absonderungsberechtigte Gläubigerin sei sie nur antragsberechtigt,
  68. wenn sie ihren Ausfall nachgewiesen hätte. Unbeachtlich sei, weshalb sie ihren
  69. Ausfall nicht nachweisen oder beziffern könne.
  70. 7
  71. b) Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
  72. 8
  73. aa) Die Annahme, die Anberaumung eines vorgezogenen Anhörungstermins zur Stellung von Versagungsanträgen erscheine als verfahrensfehlerhaft, ist unzutreffend. Der Senat hat inzwischen wiederholt ausgesprochen,
  74. dass gemäß § 300 Abs. 1 InsO nach Ablauf von sechs Jahren nach Eröffnung
  75. des Insolvenzverfahrens über den Antrag auf Restschuldbefreiung auch dann
  76. zu entscheiden ist, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist
  77. (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258
  78. Rn. 14, 20, 28; vom 12. Mai 2011 - IX ZB 229/10, ZInsO 2011, 1126 Rn. 6 f;
  79. vom 16. Februar 2012 - IX ZB 268/10 Rn. 6, nv). Da zu diesem Zeitpunkt noch
  80. - 5 -
  81. kein Schlusstermin abgehalten werden kann, muss die Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Insolvenzverwalters oder Treuhänders und des Schuldners
  82. in einer Form durchgeführt werden, die dem Schlusstermin entspricht. Dies
  83. kann in einer Gläubigerversammlung oder gemäß § 5 Abs. 2 InsO im schriftlichen Verfahren erfolgen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO Rn. 28;
  84. vom 12. Mai 2011, aaO Rn. 7). Die Gläubiger können zwar hierbei nicht die
  85. Versagungsgründe des § 296 InsO geltend machen, weil der Schuldner die Obliegenheiten des § 295 InsO nur in der Wohlverhaltensphase zu beachten hat.
  86. Sie können sich aber auf die Versagungsgründe des § 290 InsO berufen (BGH,
  87. Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO Rn. 23 f). Diesen Anforderungen entspricht die vom Insolvenzgericht anberaumte und durchgeführte Gläubigerversammlung vom 16. April 2009.
  88. 9
  89. bb) Zu Unrecht wurde davon ausgegangen, die Gläubigerin sei nicht befugt, einen Versagungsantrag zu stellen.
  90. 10
  91. (1) Versagungsanträge können nur diejenigen Gläubiger stellen, die Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet haben (BGH, Beschluss vom
  92. 22. Februar 2007 - IX ZB 120/05, ZVI 2007, 327 f; vom 8. Oktober 2009 - IX ZB
  93. 257/08, ZVI 2010, 30 Rn. 3; vom 10. August 2010 - IX ZB 127/10, NZI 2010,
  94. 865 Rn. 4). Erst die Teilnahme am Insolvenzverfahren begründet die Antragsberechtigung (vgl. Pape in Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht,
  95. 2. Aufl., Kap. 41 Rn. 21). Für einen absonderungsberechtigten Gläubiger gilt
  96. grundsätzlich nichts anderes. Ein Absonderungsberechtigter, der seine persönliche Forderung nicht zumindest in Höhe des Ausfalls anmeldet, nimmt allerdings am Insolvenzverfahren nicht teil (BGH, Beschluss vom 17. März 2005
  97. - IX ZB 214/04, ZVI 2005, 322, 324; MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl., § 52
  98. Rn. 16). Die Gläubigerin hat dagegen ihre Forderung angemeldet; der Insol-
  99. - 6 -
  100. venzverwalter hat die Forderung für den Fall des Ausfalls zur Tabelle festgestellt.
  101. 11
  102. (2) Ob der absonderungsberechtigte Gläubiger zusätzlich den Ausfall
  103. nachzuweisen hat, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (befürwortend:
  104. FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 290 Rn. 80; HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl., § 290
  105. Rn. 37; HmbKomm-InsO/Streck, 4. Aufl., § 290 Rn. 2; ablehnend: Nerlich/
  106. Römermann, InsO, 2010, § 290 Rn. 7; Schmerbach in Haarmeyer/Wutzke/
  107. Förster, InsO, 2. Aufl., § 290 Rn. 42; Schmidt, Privatinsolvenz, 3. Aufl., § 5
  108. Rn. 67 jew. unter Bezugnahme auf AG Hamburg, ZInsO 2008, 983, 984). Für
  109. die hier vorliegende Fallgestaltung, bei der über die Versagung der Restschuldbefreiung im Hinblick auf das Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung bereits
  110. zu entscheiden ist, obwohl das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist
  111. (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009, aaO; vom 12. Mai 2011, aaO;
  112. vom 16. Februar 2012, aaO), kann jedenfalls auf den vollen Nachweis im Sinne
  113. einer Bezifferung nicht abgestellt werden.
  114. 12
  115. (a) Der nach § 190 Abs. 1 InsO zu führende Nachweis des Ausfalls im
  116. Rahmen der Schlussverteilung, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem das Insolvenzverfahren abschlussreif ist, setzt die Verwertung des Haftungsgegenstandes (Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 190 Rn. 7) oder zumindest den Nachweis,
  117. dass ein erfolgloser Verwertungsversuch unternommen wurde (MünchKommInsO/Ganter, aaO Rn. 35; Uhlenbruck/Brinkmann, aaO, § 52 Rn. 18), voraus.
  118. Regelmäßig wird die Verwertung bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen (vgl.
  119. HK-InsO/Lohmann, aaO § 52 Rn. 5) und damit eine genaue Bezifferung des
  120. Ausfalls möglich sein.
  121. 13
  122. - 7 -
  123. (b) Handelt es sich dagegen um der Schlussverteilung vorausgehende
  124. Verfahrensabschnitte, findet im Hinblick auf die vielfach noch ausstehende
  125. Durchführung der Verwertung dieser Maßstab keine Anwendung. Geht es um
  126. Abschlagsverteilungen (§ 190 Abs. 2 InsO) oder um das Stimmrecht im Planverfahren (§ 237 Abs. 1 Satz 1 InsO), so genügt die Glaubhaftmachung (HKInsO/Lohmann, aaO Rn. 6). Erst recht gilt dies, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger einen Insolvenzantrag stellt und diesen mit einem möglichen
  127. Ausfall begründet. Nur dann, wenn der Ausfall nicht glaubhaft gemacht wird,
  128. fehlt dem Antrag das Rechtsschutzinteresse (vgl. BGH, Beschluss vom
  129. 29. November 2007 - IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281 Rn. 12; HK-InsO/Lohmann,
  130. aaO).
  131. 14
  132. (c) Für die vorliegende Fallgestaltung ist ebenfalls kennzeichnend, dass
  133. das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist und mithin ein Schlusstermin (§ 197 InsO) nicht anberaumt werden kann. Auch hier ist es dem absonderungsberechtigten Insolvenzgläubiger regelmäßig nicht möglich, den vollen
  134. Nachweis des Ausfalls zu führen. Es genügt daher auch hier, den Ausfall
  135. glaubhaft zu machen.
  136. 15
  137. Im gegenwärtigen Verfahrensabschnitt ist das Zwangsversteigerungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Die Gläubigerin hat im Beschwerdeverfahren
  138. vorgebracht, dass das bislang abgegebene Meistgebot deutlich unter der
  139. Summe der für sie in der Tabelle festgestellten Forderungen liegen wird. Diesem Vortrag muss nachgegangen werden.
  140. 16
  141. (3) Auch ist es nicht erheblich, dass der Schuldner die zur Tabelle festgestellten Forderungen bestritten hat. Für die Beurteilung der Berechtigung eines Gläubigers, einen Versagungsantrag zu stellen, ist dies ohne Belang.
  142. - 8 -
  143. 17
  144. Der Widerspruch eines Schuldners gegen eine vom Insolvenzgläubiger
  145. zur Tabelle angemeldeten Forderung berührt die Stellung des Insolvenzgläubigers im Insolvenzverfahren nicht. Dies folgt aus § 178 Abs. 1 InsO (vgl. FKInsO/Ahrens, aaO Rn. 81). Restschuldbefreiungsverfahren und Insolvenzverfahren sind eng miteinander verbunden, insbesondere, wenn die Versagung der
  146. Restschuldbefreiung bereits während des Insolvenzverfahrens nach Ablauf der
  147. Abtretungsfrist oder im Schlusstermin nach § 290 InsO erfolgen sollte. Da der
  148. Gesetzgeber die Entscheidung, ob dem Schuldner die Wohltat der Restschuldbefreiung gewährt werden soll, davon abhängig gemacht hat, dass die Insolvenzgläubiger keine begründeten Versagungsanträge stellen, muss entscheidend auf die Gemeinschaft der Insolvenzgläubiger abgestellt werden, wozu
  149. auch der absonderungsberechtigte Gläubiger gehört. Der nachinsolvenzlichen
  150. Wirkung des Schuldnerwiderspruchs, etwa nach § 201 InsO, kann hierbei keine
  151. - 9 -
  152. Bedeutung zukommen, insbesondere keine den Versagungsantrag hindernde
  153. Wirkung (so aber FK-InsO/Ahrens, aaO).
  154. Vill
  155. Raebel
  156. Fischer
  157. Lohmann
  158. Pape
  159. Vorinstanzen:
  160. AG Hamburg, Entscheidung vom 04.05.2009 - 67e IN 346/02 LG Hamburg, Entscheidung vom 07.10.2009 - 326 T 45/09 -