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242 lines
11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZR 96/10
  4. vom
  5. 15. Dezember 2010
  6. in dem Rechtsstreit
  7. nachträglicher Leitsatz
  8. Nachschlagewerk: ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. RVG § 15; RVG VV Nr. 2303 Nr. 4
  14. Eine Geschäftsgebühr nach RVG VV Nr. 2303 Nr. 4 setzt ein Verfahren vor einer gesetzlich eingerichteten Einigungs-, Güte- oder Schiedsstelle voraus. Sie
  15. fällt daher bei Verfahren vor einer kirchlichen Vermittlungsstelle, deren Anrufung vor Beschreiten des Rechtsweges rein arbeitsvertraglich vereinbart ist,
  16. nicht an.
  17. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2010 - IV ZR 96/10 - LG Düsseldorf
  18. AG Düsseldorf
  19. -2-
  20. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richterin
  21. Dr. Kessal-Wulf, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt,
  22. die Richter Dr. Karczewski und Lehmann
  23. am 15. Dezember 2010
  24. einstimmig beschlossen:
  25. Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen
  26. das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 24. Februar 2010 durch Beschluss nach § 552a
  27. Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
  28. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis
  29. zum
  30. 31. Januar 2011.
  31. Gründe:
  32. 1
  33. I. Der Kläger - eine Gewerkschaft - fordert von dem beklagten
  34. Rechtsschutzversicherer die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Dem Versicherungsverhältnis liegen Bedingungen zugrunde, die den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (im Folgenden: ARB 94) entsprechen. Nachdem die Arbeitsverhältnisse zweier Mitglieder des Klägers von den jeweiligen kirchlichen Anstellungsträgern gekündigt worden waren, erhoben die beauftragten
  35. -3-
  36. Rechtsanwälte in beiden Fällen Kündigungsschutzklage und riefen
  37. gleichzeitig die kircheninterne Vermittlung an. Die Beklagte zahlte nur
  38. die im gerichtlichen Verfahren entstandenen Rechtsanwaltsgebühren.
  39. Der Kläger meint, dass auch durch die außergerichtliche Vertretung im
  40. Verfahren vor den kirchlichen Vermittlungsstellen von der Beklagten zu
  41. erstattende Rechtsanwaltsgebühren entstanden seien.
  42. 2
  43. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg; das Landgericht hat die Revision gegen seine
  44. Entscheidung zugelassen.
  45. 3
  46. II. Die Voraussetzungen für eine Zulassung liegen nicht vor; die
  47. Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
  48. 4
  49. 1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
  50. ZPO hat die Rechtssache nicht.
  51. 5
  52. a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nicht
  53. schon dann zu, wenn sie lediglich in Zusammenhang mit einer abstrakt
  54. generell formulierten Rechtsfrage gebracht wird. Erforderlich ist weiter,
  55. dass diese Rechtsfrage über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 319/02,
  56. VersR 2004, 225 unter 2 a) und die Rechtssache eine solche Rechtsfrage im konkreten Fall als entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und
  57. klärungsfähig aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen
  58. stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an
  59. der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl.
  60. -4-
  61. BGH, Beschlüsse vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288,
  62. 291; vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 182, 191).
  63. 6
  64. b) Eine derartige Bedeutung hat die Klärung der hier entscheidungserheblichen Fragen nicht. Weder die Auslegung der maßgeblichen
  65. Regelung in den ARB 94 noch die Auslegung der Rechtsanwaltsvergütungsvorschriften ist über das Rechtsverhältnis der Parteien hinaus umstritten.
  66. 7
  67. aa) Nach § 5 (1) d) ARB 94 trägt der Versicherer "die Gebühren
  68. eines Schieds- oder Schlichtungsverfahrens bis zur Höhe der Gebühren,
  69. die im Falle der Anrufung eines zuständigen staatlichen Gerichtes erster
  70. Instanz entstehen". Der Wortlaut des § 5 (1) d) ARB 94 enthält keine den
  71. Rechtsanwaltsvergütungsregelungen der § 65 Abs. 1 Ziff. 4 BRAGO und
  72. Nr. 2303 Ziff. 4 VVRVG entsprechende Einschränkung auf gesetzlich
  73. eingerichtete Einigungsstellen. Für eine einschränkende Auslegung entgegen dem Wortlaut gibt es keinen Anlass. Dementsprechend gilt die
  74. Kostenübernahme
  75. nach
  76. allgemeiner
  77. Auffassung
  78. für
  79. Schieds-
  80. und
  81. Schlichtungsverfahren jeglicher Art (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG,
  82. 27. Aufl., § 5 ARB 94 Rn. 5; Bauer in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, § 5 ARB 2000 Rn. 121; van Bühren in van Bühren/Plote, ARB,
  83. 2. Aufl., § 5 Rn. 72), insbesondere auch für betriebliche Schiedsstellen,
  84. die auf Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung beruhen (Obarowski in
  85. Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl.,
  86. S. 2104). Allerdings sind Rechtsanwaltskosten nach § 5 (1) a) ARB 94
  87. nur im Rahmen der gesetzlichen Vergütung erstattungsfähig.
  88. 8
  89. bb) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass
  90. durch die Vertretung in den Vermittlungsverfahren keine Rechtsanwalts-
  91. -5-
  92. gebühren nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 4 BRAGO bzw. nach Anlage 1 zu
  93. § 2 Abs. 2 RVG, Nr. 2303 Ziff. 4 VV RVG entstanden sind.
  94. 9
  95. (1) Einer unmittelbaren Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 4
  96. BRAGO und der Nr. 2303 Ziff. 4 VV RVG auf kirchliche Vermittlungsstellen steht der klare Wortlaut der Gebührentatbestände entgegen. Zwar
  97. setzen § 65 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 4 BRAGO und Nr. 2303 Ziff. 4 VV RVG
  98. nicht voraus, dass die Einrichtung der Gütestelle unmittelbar durch ein
  99. formelles Gesetz geregelt ist. Aus der Bezugnahme auf die in Ziff. 1 bis 3
  100. konkret aufgeführten Gütestellen folgt vielmehr, dass die Einrichtung aufgrund einer in einem Gesetz enthaltenen Ermächtigung ausreichend ist
  101. (OLG Karlsruhe, JurBüro 1985, 236, 238; Madert, in Gerold/Schmidt/
  102. v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., VV 2303 Rn. 7; Jungbauer, in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 3. Aufl.,
  103. Nr. 2303 VV Rn. 12; Feller, in Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke/Schons/
  104. Vogt/Feller, RVG, 3. Aufl., S. 489).
  105. 10
  106. Eine gesetzliche Ermächtigung für die Einrichtung der kirchlichen
  107. Vermittlungsstellen fehlt jedoch. Insbesondere findet sich eine solche
  108. nicht in § 1 des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes (ARRG), der lediglich
  109. bestimmt, dass die Arbeitsbedingungen nach tarifvertraglichen Regelungen zu gestalten sind. Der Kirchliche Angestelltentarifvertrag (KAT-NEK)
  110. vom 15. Januar 1982 (veröffentlicht im GVOBl. der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche - NEK - 1980, S. 46-82) stellt bereits deshalb keine gesetzliche Grundlage dar, da er weder das Schlichtungsverfahren vor den kirchlichen Vermittlungsstellen noch das Vertragsmuster
  111. mit der die Vermittlungsstellen betreffenden Verpflichtungsklausel erwähnt. Offen bleiben kann, ob für das vorliegende Revisionsverfahren
  112. nach § 559 Abs. 2 ZPO die - unzutreffende - Feststellung im unstreitigen
  113. -6-
  114. Tatbestand des Berufungsurteils zugrunde zu legen ist, wonach das Arbeitsvertragsmuster Bestandteil des für allgemeinverbindlich erklärten
  115. KAT-NEK ist. Auch auf dieser Grundlage könnte in dem Tarifvertrag keine "gesetzliche" Ermächtigung für die Einrichtung der kirchlichen Vermittlungsstellen gesehen werden, da es zur Verbindlichkeit der Klausel
  116. einer Übernahme in den Arbeitsvertrag bedarf, die - wie die "NEK Mitteilungen" vom 1. Januar 1994 klarstellen - den Arbeitsvertragsparteien
  117. freisteht. Die Anrufung und Einrichtung der Vermittlungsstellen beruht
  118. daher ausschließlich auf der Entscheidung der Arbeitsvertragsparteien.
  119. 11
  120. (2) Eine extensive Auslegung des seinem Wortsinn nach eindeutigen Begriffs der "gesetzlichen" Einrichtung in Ziff. 4 der Vergütungsregelungen scheidet auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser
  121. einschränkenden Formulierung aus. Aus dem Wortlaut der Regelung und
  122. der Bezugnahme auf die ausdrücklich unter Ziff. 1 bis Ziff. 3 erwähnten
  123. Schlichtungsstellen ergibt sich die Intention des Gesetzgebers, die Anwendung der besonderen Gebühr für das Vermittlungsverfahren im Interesse der Vorhersehbarkeit der Gebührenlast für die Parteien klar zu begrenzen. Durch die Beschränkung auf gesetzlich eingerichtete Einigungsstellen wird zugleich gewährleistet, dass die besondere Gebühr nur
  124. in Verfahren vor solchen Einigungsstellen anfällt, die aufgrund ihrer Besetzung und aufgrund eines strukturierten Verfahrens ein hinreichendes
  125. Maß an Neutralität und Kompetenz aufweisen. Dieser Zweck lässt sich
  126. nur durch eine restriktive, am Wortsinn orientierte Auslegung der Vergütungsvorschrift gewährleisten. Daher können weder eine vertragliche
  127. Regelung noch die aus dem Status der Religionsgemeinschaften als
  128. Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5
  129. Satz 1 WRV) abgeleitete allgemeine Befugnis zu öffentlich-rechtlicher
  130. -7-
  131. Rechtssetzung unter den Begriff der "gesetzlichen" Einrichtung subsumiert werden.
  132. 12
  133. (3) Auch eine analoge Anwendung der Vergütungsregelungen auf
  134. die Verfahren vor kirchlichen Vermittlungsstellen kommt nicht in Betracht. Es fehlt bereits die für eine Analogie erforderliche (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - V ZB 102/06, NJW 2007, 3124 unter III 2 b
  135. m.w.N.) planwidrige Regelungslücke. Eine Ausweitung des Gebührentatbestandes auf vertraglich vereinbarte Streitbeilegungsverfahren wollte
  136. der Gesetzgeber zwecks Vorhersehbarkeit der Gebührenlast erkennbar
  137. vermeiden. Der Annahme, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer
  138. arbeitsvertraglichen Regelung planwidrig übersehen haben könnte, steht
  139. auch entgegen, dass sowohl Ziff. 2 als auch Ziff. 3 der Gebührenregelungen Verfahren zur Schlichtung von Streitigkeiten in Arbeits- bzw.
  140. Ausbildungsverhältnissen betreffen.
  141. 13
  142. (4) Für die vom Kläger geforderte verfassungskonforme Auslegung
  143. der Gebührentatbestände unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts der N.
  144. -Kirche (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137
  145. Abs. 3 Satz 1 WRV) besteht kein Anlass. Weder können sich die Parteien dieses Rechtsstreits auf das Selbstbestimmungsrecht berufen noch
  146. ist die N.
  147. -Kirche in ihrem Recht, ihre eigenen Angelegenheiten
  148. zu regeln, beeinträchtigt.
  149. 14
  150. cc) Entscheidungserheblich ist demnach allein die Frage, ob die
  151. Gebührenregelungen auf vertraglich vereinbarte Vermittlungsverfahren
  152. Anwendung finden. Diese Frage ist über die zwischen den Parteien streitigen Fälle hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre nicht umstritten.
  153. Nur vereinzelt (Scherpe, AnwBl. 2004, S. 14) wird vertreten, dass § 65
  154. -8-
  155. BRAGO auf private Streitbeilegungseinrichtungen angewendet werden
  156. sollte. Eine grundsätzliche Bedeutung folgt hieraus nicht.
  157. 15
  158. 2. Auch der vom Berufungsgericht angenommene Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts liegt nicht vor. Dieser Zulassungsgrund
  159. setzt voraus, dass der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen
  160. Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. Ein solcher Anlass besteht für die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze nur dann,
  161. wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März
  162. 2003 - V ZR 291/02, NJW 2003, 1943 unter II 2). Ein Bedürfnis für eine
  163. -9-
  164. Orientierungshilfe bei der Auslegung der hier maßgeblichen Regelung
  165. der ARB 94 und der einschlägigen Gebührentatbestände besteht aus den
  166. genannten Gründen nicht.
  167. Dr. Kessal-Wulf
  168. Felsch
  169. Dr. Karczewski
  170. Hinweis:
  171. Das Revisionsverfahren
  172. erledigt worden.
  173. Harsdorf-Gebhardt
  174. Lehmann
  175. ist
  176. durch
  177. Revisionsrücknahme
  178. Vorinstanzen:
  179. AG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.12.2008 - 36 C 9324/08 LG Düsseldorf, Entscheidung vom 24.02.2010 - 23 S 34/09 -