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194 lines
7.1 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IV ZR 69/15
  5. Verkündet am:
  6. 18. November 2015
  7. Heinekamp
  8. Amtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
  14. Richterin
  15. Mayen,
  16. die
  17. Richterin
  18. Harsdorf-Gebhardt,
  19. die
  20. Richter
  21. Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum
  22. 4. November 2015 eingereicht werden konnten,
  23. für Recht erkannt:
  24. Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der
  25. 7. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 23. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  26. Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  27. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
  28. 4.375,17 € festgesetzt.
  29. Von Rechts wegen
  30. Tatbestand:
  31. 1
  32. Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) b egehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rüc kzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversich erung.
  33. -3-
  34. 2
  35. Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsb eginn zum 1. Dezember 1999 nach dem so genannten Policenmodell des
  36. § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG
  37. a.F.) abgeschlossen.
  38. 3
  39. Im Februar 2003 und nochmals im Februar 2004 kündigte d. VN
  40. den Vertrag. Der Versicherer akzeptierte die letzte Kündigung und zahlte
  41. den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 19. November 2012 erklärte
  42. d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.
  43. 4
  44. Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren
  45. noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, in sgesamt 4.375,17 €.
  46. 5
  47. Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
  48. zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
  49. 6
  50. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
  51. hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
  52. d. VN das Klagebegehren weiter.
  53. Entscheidungsgründe:
  54. 7
  55. -4-
  56. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z urückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  57. 8
  58. I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Es könne dahinstehen, ob d. VN
  59. nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt worden sei.
  60. Ein etwaiger Bereicherungsanspruch sei mit Zahlung der jeweiligen Prämie entstanden und demnach gemäß § 199 Abs. 4 BGB verjährt.
  61. 9
  62. II. Die Revision ist begründet.
  63. 10
  64. 1. Ein - mit der Revision allein weiter verfolgter - Anspruch auf
  65. Prämienrückzahlung aus ungerechtfertigter Bereicherung kann mit der
  66. vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden.
  67. 11
  68. a) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen,
  69. ob d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen,
  70. eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. übersandt wurden.
  71. Für das Revisionsverfahren ist zu unterstellen, dass d. VN die genannten
  72. Unterlagen nicht erhielt.
  73. 12
  74. aa) Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
  75. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten
  76. Prämie erlischt. Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen
  77. Sachverhalt bestand das Widerspruchsrecht hier aber nach Ablauf der
  78. Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
  79. -5-
  80. 13
  81. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
  82. Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des G erichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
  83. 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
  84. BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
  85. Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert
  86. werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
  87. Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e rfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
  88. zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
  89. wenn d. VN - wie hier zu unterstellen - nicht ordnungsgemäß über das
  90. Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucheri nformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
  91. 14
  92. bb) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren
  93. Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO
  94. Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits
  95. vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl.
  96. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
  97. 15
  98. b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
  99. ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e ine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
  100. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
  101. 16
  102. 2. Aus der Erklärung des Widerspruchs folgende bereicherungsrechtliche Ansprüche sind, anders als das Berufungsgericht gemeint hat,
  103. -6-
  104. nicht verjährt. Die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist
  105. des § 195 BGB konnte erst mit Schluss des Jahres 2012 beginnen, da
  106. die Klägerin erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte, und war bei
  107. Klageerhebung im September 2013 noch nicht abgelaufen. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im
  108. Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte
  109. d. VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der
  110. Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).
  111. 17
  112. 3. Der Höhe nach umfasst ein etwaiger Rückgewähranspruch nach
  113. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten
  114. Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen
  115. Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages geno ssenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versich erungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation b emessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil
  116. Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45
  117. m.w.N.). Auch hierzu fehlt es an Feststellungen.
  118. -7-
  119. 18
  120. Die fehlenden Feststellungen wird das Berufungsgericht nachzuh olen haben und dabei - je nachdem zu welchem Ergebnis es gelangt - die
  121. Vorgaben der Senatsurteile vom 7. Mai 2014 (aaO), vom 16. Juli 2014
  122. (IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102) und vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14,
  123. VersR 2015, 1101; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104) zu beachten haben.
  124. Mayen
  125. Harsdorf-Gebhardt
  126. Lehmann
  127. Dr. Karczewski
  128. Dr. Brockmöller
  129. Vorinstanzen:
  130. AG Bad Schwalbach, Entscheidung vom 20.03.2014 - 3 C 611/13 (70) LG Wiesbaden, Entscheidung vom 23.12.2014 - 7 S 14/14 -