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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZR 510/15
  4. vom
  5. 29. März 2017
  6. in dem Rechtsstreit
  7. ECLI:DE:BGH:2017:290317BIVZR510.15.0
  8. -2-
  9. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
  10. Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt,
  11. die Richter Dr. Karczewski und Dr. Götz
  12. am 29. März 2017
  13. beschlossen:
  14. Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen
  15. das Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
  16. Hamm vom 6. November 2015 zugelassen.
  17. Gemäß § 544 Abs. 7 ZPO wird das vorbezeichnete Urteil
  18. aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und
  19. Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfa hrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  20. Streitwert: bis 65.000 €
  21. Gründe:
  22. 1
  23. I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Versicherungsleistungen aus
  24. einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch, die er in Verbindung mit einer Rentenversicherung seit November 2007 hält.
  25. 2
  26. Im Jahr 2010 beantragte der Kläger wegen behaupteter Berufsu nfähigkeit nach einem Arbeitsunfall Leistungen aus der Berufsunfähi g-
  27. -3-
  28. keits-Zusatzversicherung. Im Zuge der Leistungsprüfung brachte die B eklagte in Erfahrung, dass der Kläger vor Antragstellung wiederholt in
  29. ärztlicher Behandlung und arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen
  30. war. Da im Versicherungsantrag alle Gesundheitsfragen mit "nein" angekreuzt waren, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 9. Dezember 2010
  31. den Rücktritt vom Vertrag und mit Schreiben vom 24. August 2011 die
  32. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
  33. 3
  34. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die
  35. Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche
  36. Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Revision hat es nicht
  37. zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
  38. 4
  39. II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Beklagte wegen
  40. schuldhafter Anzeigepflichtverletzung des Klägers mit befreiender Wi rkung von dem Versicherungsvertrag gemäß § 19 Abs. 2 VVG zurückgetreten. Der Kläger habe gegen seine Anzeigepflicht verstoßen, indem er
  41. die bei Antragstellung seit Jahren vorhandene chronische Bronchitis
  42. nicht angegeben habe. Er habe die Vermutung des § 19 Abs. 3 Satz 1
  43. VVG nicht widerlegt. Es sei davon auszugehen, dass er die Bronchitiserkrankung bei Antragstellung vorsätzlich nicht angegeben habe. Die vo rsätzliche Anzeigepflichtverletzung führe nach § 21 Abs. 2 Satz 1 VVG
  44. zur Leistungsfreiheit. Zum Kausalitätsgegenbeweis habe der Kläger
  45. nichts vorgetragen.
  46. 5
  47. III. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde ist die Revision zuzula ssen, das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß
  48. -4-
  49. § 544 Abs. 7 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses
  50. hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs
  51. (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es
  52. den Kausalitätsgegenbeweis nach § 21 Abs. 2 Satz 1 VVG als nicht geführt angesehen hat, ohne den Kläger auf seine diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast hinzuweisen.
  53. 6
  54. 1. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler eine zum Rücktritt
  55. berechtigende vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung des Klägers damit begründet, dass er die chronische Bronchitis bei Beantwortung der
  56. Gesundheitsfragen nicht angegeben habe. Die zum Versicherungsfall
  57. führende Berufsunfähigkeit beruht nach den Feststellungen des Landg erichts darauf, dass der Kläger aufgrund einer Persönlichkeitsstörung den
  58. Arbeitsunfall fehlverarbeitet hat. Dies hat das Berufungsgericht nach Anhörung des Sachverständigen ebenso gesehen, auch wenn es nach se iner Ansicht wegen des Rücktritts nicht auf die Berufsunfähigkeit ankam .
  59. Damit hat es allerdings nicht festgestellt, dass die vom Kläger nicht a ngegebene Bronchitiserkrankung weder für den Eintritt oder die Festste llung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang
  60. der Leistungspflicht des Versicherers (mit-)ursächlich war. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts kann einerseits entgegen der Auffassung des Klägers ein Ursachenzusammenhang zwischen
  61. der bei Vertragsschluss nicht angezeigten Erkrankung und dem Versicherungsfall nicht ausgeschlossen werden. Ein Zusammenhang zwischen der chronischen Bronchitis und der Berufsunfähigkeit des Klägers
  62. liegt andererseits aber auch nicht auf der Hand. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass
  63. die festgestellte Persönlichkeitsstörung des Klägers und die daraus resultierende Fehlverarbeitung des Unfalles durch die verschwiegene
  64. -5-
  65. Bronchitiserkrankung zumindest mitverursacht worden ist. Den Beweis
  66. fehlender Kausalität hat der Kläger als Versicherungsnehmer zu führen
  67. (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 21 VVG Rn. 42; Langheid in ders./Rixecker, VVG 5. Aufl. § 21 Rn. 28; jeweils m.w.N.). Im Berufungsverfahren hat er zur fehlenden Kausalität zwischen der Bronchitiserkrankung und der geltend gemachten Berufsunfähigkeit nichts vorgetragen.
  68. 7
  69. 2. Das Berufungsgericht hätte den Kläger auf seine Darlegungsund Beweislast gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO hinweisen müssen.
  70. 8
  71. a) Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Übe rraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien
  72. auf rechtliches Gehör. Diese in Art. 103 Abs. 1 GG normierte Gewährleistung stellt eine Ausprägung des Rechtsstaatsgedankens für das g erichtliche Verfahren dar. Hieraus folgt insbesondere, dass eine in erster
  73. Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen darf, vom Berufungsgericht
  74. rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entsche idungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will
  75. und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (Senatsbeschluss vom
  76. 23. Oktober 2013 - IV ZR 122/13, VersR 2014, 398 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 13. September 2016 - VI ZR 377/14, MDR 2017, 168
  77. Rn. 10; jew. m.w.N.).
  78. 9
  79. b) So liegt es hier. Nachdem das Landgericht eine Anzeigepflichtverletzung verneint hatte und in erster Instanz der Kausalitätsgegenbeweis im Sinne von § 21 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht relevant gewesen war,
  80. musste der Kläger im Berufungsverfahren nicht annehmen, dass sein
  81. -6-
  82. Vortrag insoweit ergänzungsbedürftig war. Damit musste er nicht schon
  83. deshalb rechnen, weil das Berufungsgericht zur Frage der Beantwortung
  84. der Gesundheitsfragen Beweis erhob. Die Beklagte hatte wegen Verschweigens von Vorerkrankungen, unter anderem der Bronchitis, außer
  85. dem Rücktritt die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt. Daher
  86. lag es für den Kläger nicht auf der Hand, dass es auf den Kausalitätsgegenbeweis ankommen könnte, zumal ihm dieser im Fall einer - nicht
  87. festgestellten - Arglist gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 VVG verwehrt wäre.
  88. 10
  89. 3. Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht hinsichtlich des
  90. Rücktritts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es den
  91. Kläger darauf hingewiesen hätte, dass er die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen eines Ursachenzusammenhangs zwischen der Bron -
  92. -7-
  93. chitis und der behaupteten Berufsunfähigkeit trägt, und er insoweit, wie
  94. die Beschwerde geltend macht, Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt hätte.
  95. VRiBGH Mayen ist
  96. wegen Urlaubs an der
  97. Unterschriftsleistung
  98. gehindert.
  99. Felsch
  100. Dr. Karczewski
  101. Felsch
  102. Harsdorf-Gebhardt
  103. Dr. Götz
  104. Vorinstanzen:
  105. LG Dortmund, Entscheidung vom 06.02.2014 - 2 O 421/11 OLG Hamm, Entscheidung vom 06.11.2015 - 26 U 40/14 -