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6.2 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IV ZR 491/14
  5. Verkündet am:
  6. 22. April 2015
  7. Heinekamp
  8. Amtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
  14. Richterin
  15. Mayen,
  16. die
  17. Richterin
  18. Harsdorf-Gebhardt,
  19. die
  20. Richter
  21. Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum
  22. 27. März 2015
  23. für Recht erkannt:
  24. Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 11. Oktober
  25. 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung
  26. und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  27. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf
  28. 2.962,46 € festgesetzt.
  29. Von Rechts wegen
  30. Tatbestand:
  31. 1
  32. Die Klägerseite (Versicherungsnehmer/in: im Folgenden d. VN)
  33. begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer)
  34. Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.
  35. 2
  36. Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum
  37. 1. August 2004 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in
  38. der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.)
  39. -3-
  40. abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde
  41. d. VN nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht in drucktechnisch deu tlicher Form über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. belehrt. Mit
  42. Schreiben vom 27. Dezember 2009 erklärte d. VN den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F., Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich Anfechtung
  43. nach § 119 Abs. 1 BGB und hilfsweise Kündigung. Auf die Kündigung
  44. zahlte der Versicherer den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 22.
  45. Juni 2010 erklärte d. VN nochmals den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
  46. 3
  47. Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts (insgesamt 3.708,93 €).
  48. 4
  49. Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam
  50. zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können. Außerdem sei der Versicherer
  51. wegen unzureichender Aufklärung über die Abschlusskosten zum Sch adensersatz verpflichtet.
  52. 5
  53. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die
  54. hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt
  55. d. VN das Klagebegehren hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs weiter.
  56. Entscheidungsgründe:
  57. 6
  58. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Z urückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  59. -4-
  60. 7
  61. I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar u.a.
  62. nicht in drucktechnisch hervorgehobener Form über das W iderspruchsrecht belehrt. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.
  63. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam
  64. geworden.
  65. 8
  66. II. Die Revision ist begründet.
  67. 9
  68. 1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1
  69. Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrü ndung nicht versagt werden.
  70. 10
  71. a) Nach den für das Revisionsverfahren nicht zu beanstandenden
  72. Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN
  73. nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4
  74. VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der
  75. ersten Prämie erlischt.
  76. 11
  77. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.
  78. 12
  79. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2
  80. Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR
  81. 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11,
  82. BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die
  83. Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduzier t
  84. -5-
  85. werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten
  86. Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon e rfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen
  87. zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht,
  88. wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder
  89. die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
  90. 13
  91. b) Die Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem zugleich
  92. und später erneut erklärten Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt
  93. ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37
  94. m.w.N.).
  95. 14
  96. c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarecht swidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung
  97. ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur e ine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen
  98. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
  99. 15
  100. 2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812
  101. Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien.
  102. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes
  103. kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden;
  104. bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
  105. -6-
  106. 16
  107. Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen
  108. Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuve rweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu
  109. geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
  110. Mayen
  111. Harsdorf-Gebhardt
  112. Lehmann
  113. Dr. Karczewski
  114. Dr. Brockmöller
  115. Vorinstanzen:
  116. AG Wiesbaden, Entscheidung vom 13.04.2012 - 93 C 4377/11 (32) LG Wiesbaden, Entscheidung vom 11.10.2012 - 9 S 22/12 -