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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IV ZR 306/00
  5. Verkündet am:
  6. 18. Juli 2001
  7. Herrwerth,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, den Richter Seiffert, die Richterin Ambrosius, den
  14. Richter Wendt und die Richterin Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2001
  15. für Recht erkannt:
  16. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des
  17. 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 23. Dezember 1999 aufgehoben.
  18. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  19. Von Rechts wegen
  20. Tatbestand:
  21. Der Kläger ist durch Beschluß des Amtsgerichts E. vom 1. April
  22. 2000 zum Verwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin bestellt worden. Er nimmt in dieser Eigenschaft den Beklagten auf Schadensersatz wegen der Verletzung versicherungsvertraglicher Pflichten in
  23. Anspruch.
  24. -3-
  25. Die Insolvenzschuldnerin, Inhaberin einer als Einzelfirma betriebenen Bäckerei, wurde seit dem Jahre 1989 in Versicherungsfragen
  26. durch den Agenten des Beklagten, den Zeugen S., betreut. Sie unterhielt
  27. bei dem Beklagten u. a. eine Betriebs-Haftpflichtversicherung. Im Februar 1997 wurde festgestellt, daß aus den Leitungen der auf dem Betriebsgrundstück befindlichen Heizöltanks über längere Zeit Öl ausgetreten
  28. war. Zur Beseitigung des Schadens an ihrem Grundstück mußte die Insolvenzschuldnerin 57.305,18 DM aufwenden. Der Beklagte lehnte eine
  29. Regulierung mit der Begründung ab, die mit der Lagerung von Heizöl
  30. verbundenen
  31. Risiken
  32. hätten
  33. durch
  34. eine
  35. Gewässerschaden-
  36. Haftpflichtversicherung abgesichert werden müssen. Deswegen nimmt
  37. die Insolvenzschuldnerin den Beklagten wegen Beratungs- und Aufklärungsverschuldens auf Schadensersatz in Anspruch. Dem Zeugen S. sei
  38. ein Beratungsverschulden vorzuwerfen, weil er auf ausdrückliche Nachfrage im Jahre 1992 erklärt habe, es bestehe ein umfassender Versicherungsschutz, der die sich aus der mit der Lagerung von Heizöl verbundenen Gefahren einschließe. Der Beklagte selbst habe aufgrund der von
  39. ihm unter anderem in den Jahren 1995 und 1996 versandten Fragebögen von dem besonderen Umweltrisiko gewußt, das von den Heizöltanks
  40. ausgegangen sei. Für ihn sei erkennbar geworden, daß sich bei ihr die
  41. Vorstellung gebildet habe, das Risiko sei von der vorhandenen BetriebsHaftpflichtversicherung abgedeckt.
  42. Das Landgericht hat den Beklagten in Höhe eines Betrages von
  43. 52.805,18 DM verurteilt. Der Beklagte habe für ein Beratungsverschulden des Zeugen S. einzustehen. Unabhängig davon hafte er aufgrund
  44. -4-
  45. eigenen Aufklärungsverschuldens. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen wendet er sich
  46. mit der Revision.
  47. Entscheidungsgründe:
  48. Die nach § 547 ZPO unbeschränkt statthafte Revision hat Erfolg
  49. und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  50. I. Es hat die Berufung des Beklagten mangels ordnungsgemäßer
  51. Begründung als unzulässig verworfen. Der Beklagte habe sich nur mit
  52. einer der beiden jeweils tragenden Begründungen des angefochtenen
  53. Urteils auseinandergesetzt, nämlich mit der Frage, ob ein zurechenbares
  54. Beratungsverschulden seines Agenten vorliege. Zur weiteren Begründung des Landgerichts, er hafte daneben auch wegen eigener Aufklärungspflichtverletzung im Zusammenhang mit der alljährlich durchgeführten Fragebogenaktion, liege noch nicht einmal eine - ohnehin unzulässige - pauschale Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag vor.
  55. II. Das hält der Nachprüfung nicht stand.
  56. 1. Die Berufungsbegründung muß nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die
  57. bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der
  58. Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel
  59. und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer
  60. -5-
  61. Berufung anzuführen hat. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, formale und nicht auf den konkreten Streitfall bezogene Berufungsbegründungen auszuschließen, um dadurch auf die Zusammenfassung und Beschleunigung des Verfahrens im zweiten Rechtszug hinzuwirken; allein
  62. schon aus der Berufungsbegründung sollen Gericht und Gegner erkennen können, welche Gesichtspunkte der Berufungskläger seiner Rechtsverfolgung oder -verteidigung zugrunde legen, insbesondere welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils er
  63. bekämpfen und auf welche Gründe er sich hierfür stützen will (BGH, Urteil vom 24. Januar 2000 - II ZR 172/98 - NJW 2000, 1576 unter II). Die
  64. Rechtsmittelbegründung muß das gesamte Urteil in Frage stellen. Dabei
  65. kann es für die Zulässigkeit der Berufung genügen, daß der Berufungskläger sich lediglich mit einem der Streitpunkte auseinandersetzt, soweit
  66. sein diesbezüglicher Angriff geeignet ist, dem angefochtenen Urteil insgesamt die Grundlage zu entziehen. So reicht es, wenn sie Ausführungen nur zu einem prozessualen Anspruch enthält, das erstinstanzliche
  67. Urteil aber in diesem Zusammenhang mit Erwägungen beanstandet, die
  68. hinsichtlich der anderen prozessualen Ansprüche gleichermaßen Geltung beanspruchen. Decken sich die Voraussetzungen für die verschiedenen Ansprüche, genügt es, wenn die Berufungsbegründung einen einheitlichen Rechtsgrund im ganzen angreift (BGH, Urteil vom 22. Januar
  69. 1998 - I ZR 177/95 - NJW 1998, 1399 unter II 1). Es bedarf differenzierender Beanstandungen lediglich dann, wenn die Vorinstanz die erhobenen Ansprüche aus jeweils unterschiedlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für begründet erachtet hat. Nur wenn das Landgericht
  70. seine Entscheidung mit mehreren, voneinander unabhängigen und selbständig tragenden rechtlichen Erwägungen begründet, muß der Beru-
  71. -6-
  72. fungskläger für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner
  73. Auffassung die angefochtene Entscheidung nicht stützen (BGHZ 143,
  74. 169, 170 f.; BGH, Urteil vom 16. Dezember 1999 - VII ZR 25/98 - NJWRR 2000, 685 unter II 1). Ob die Angriffe in tatsächlicher und rechtlicher
  75. Hinsicht beachtlich sind, ist unerheblich. Die angeführten Berufungsgründe brauchen weder schlüssig noch rechtlich haltbar zu sein. Es geht
  76. allein darum, daß sie den formellen Anforderungen genügen (BGH, Urteil
  77. vom 6. Mai 1999 - III ZR 265/98 - NJW 1999, 3126 unter II 1 c).
  78. 2. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, daß ein auf
  79. eine der beiden selbständigen Urteilsbegründungen beschränkter Angriff
  80. nicht ausgereicht hätte, um die landgerichtliche Entscheidung insgesamt
  81. in Zweifel zu ziehen. Wird nämlich das Urteil nur hinsichtlich des Beratungsverschuldens des Zeugen S. zu Fall gebracht, bleibt noch das eigene Aufklärungsverschulden des Beklagten, auf dem die Verurteilung
  82. gleichfalls beruht.
  83. Jedoch ist dem Berufungsgericht nicht darin zu folgen, daß sich
  84. der Beklagte in seiner Berufungsbegründung nur mit einer der tragenden
  85. Erwägungen auseinandergesetzt hat. Es hat den Inhalt der Begründungsschrift nicht vollständig berücksichtigt und die Reichweite der darin
  86. vorgetragenen Angriffe verkannt.
  87. a) Der Beklagte hat schon zu Beginn seiner Berufungsbegründung
  88. die eine positive Vertragsverletzung bejahende landgerichtliche Entscheidung umfassend zur Überprüfung gestellt. Es wird unter urkundlicher Auswertung der von ihm an die Insolvenzschuldnerin versandten
  89. -7-
  90. Fragebögen zur Betriebs-Haftpflichtversicherung ausgeführt, im Jahre
  91. 1996 seien dieser bzw. ihrem geschäftsführenden Mitarbeiter die Grenzen des Haftpflicht-Versicherungsvertrages bewußt gewesen. Sie hätten
  92. spätestens am 30. April 1996 positive Kenntnis davon gehabt, daß die in
  93. Abschnitt 7 des Fragebogens abgehandelten, beispielhaft mit "Tankanlagen ... Anlagen für die Lagerung und Verwendung gewässerschädlicher Stoffe" beschriebenen Umweltrisiken nicht (separat) versichert seien. Daraus sei der Schluß zu ziehen, daß die Insolvenzschuldnerin eine
  94. solche Versicherung nicht gewollt habe.
  95. b) Darin sind Angriffe gegen die rechtliche und tatsächliche Würdigung des in erster Instanz vorgebrachten Streitstoffs zu erkennen, die
  96. die Aufklärungs- und Beratungsbedürftigkeit der Insolvenzschuldnerin
  97. insgesamt in Frage stellen. Denn für ein Aufklärungsverschulden des
  98. Beklagten ist die Aufklärungsbedürftigkeit der Insolvenzschuldnerin notwendige Voraussetzung, für ein ihm zuzurechnendes Beratungsverschulden des Zeugen S., daß der spätere Schaden auf der vorangegangenen fehlerhaften Beratung beruht. Beides kann bei Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Unvollständigkeit des Versicherungsschutzes entfallen. Das gilt erst recht, wenn sich der Versicherungsnehmer
  99. bewußt gegen eine das noch offene Risiko abdeckende Versicherung
  100. entschieden hat. Mit der behaupteten Kenntnis des Versicherungsnehmers
  101. von
  102. der
  103. fehlenden
  104. Deckung
  105. des
  106. Gewässerschaden-
  107. Haftpflichtrisikos hat der Beklagte die rechtliche Grundlage sowohl eines
  108. auf ein Beratungsverschulden des Agenten als auch eines auf ein Aufklärungsverschulden des Beklagten gestützten Anspruchs angegriffen.
  109. -8-
  110. c) Daß der Beklagte den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf
  111. das Beratungsverschulden des Zeugen S. gelegt hat, schadet nicht. Seine Berufungsbegründung läßt nicht erkennen, daß er sich auf diesen
  112. Streitgegenstand beschränken und den weiteren, sein Aufklärungsverschulden betreffenden Angriff ausnehmen wollte. Eine inhaltliche Trennung der einzelnen Angriffspunkte setzt § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht
  113. voraus. Es reicht, wenn die Berufungsbegründung in ihrer Gesamtschau
  114. erkennen läßt, aus welchen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, solange nur seine Angriffe auf den konkreten Fall bezogen bleiben. Eine besondere Gliederung der Berufungsbegründung, eine sprachliche Hervorhebung des jeweiligen Angriffs oder
  115. eine ausdrückliche Bezugnahme auf einzelne Abschnitte des angefochtenen Urteils ist nicht erforderlich. Entscheidend ist, daß die Rechtsmittelbegründung in hinreichend deutlicher Form zum Ausdruck bringt, welche Gesichtspunkte der Rechtsmittelkläger im Berufungsrechtszug zugrunde legen möchte (BGH, Urteil vom 7. November 1996 - VII ZR
  116. 120/96 - ZfBR 1997, 83 unter III c; Urteil vom 25. Juni 1992 - VII ZR
  117. 8/92 - NJW-RR 1992, 1340 unter II 1 c).
  118. Terno
  119. Seiffert
  120. Wendt
  121. Ambrosius
  122. Dr. Kessal-Wulf