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9.7 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IV ZR 233/99
  5. Verkündet am:
  6. 22. März 2000
  7. Schick
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. _____________________
  16. AVB f. Unfallversicherung (AUB 88) § 12 III
  17. Fälligkeit des Versicherungsanspruchs im Sinne des § 12 III AUB 88 tritt
  18. auch mit der endgültigen Ablehnung von Versicherungsleistungen durch den
  19. Versicherer ein.
  20. BGH, Urteil vom 22. März 2000 - IV ZR 233/99 - OLG Oldenburg
  21. LG Aurich
  22. -2-
  23. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Dr. Schlichting, Terno, Seiffert
  24. und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom
  25. 22. März 2000
  26. für Recht erkannt:
  27. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats
  28. des
  29. Oberlandesgerichts
  30. Oldenburg
  31. vom
  32. 29. September 1999 aufgehoben.
  33. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. Der Kläger begehrt von der Beklagten weitere Leistungen aus einer Unfallversicherung. Seine Ehefrau hatte bei der Beklagten eine
  37. Gruppen-Unfallversicherung genommen, die sie selbst und den Kläger
  38. als versicherte Personen ausweist. Diesem Vertrag liegen neben anderen
  39. Bedingungen
  40. (AUB 88) zugrunde.
  41. die
  42. Allgemeinen
  43. Unfallversicherungsbedingungen
  44. -3-
  45. Bei einem Unfall am 23. August 1994 erlitt der Kläger unter anderem ein Schädelhirntrauma, eine Schulterblatt- und eine Rippenserienfraktur.
  46. Die
  47. Beklagte
  48. erbrachte
  49. Entschädigungsleistungen
  50. von
  51. 54.000 DM und legte hierbei eine Invalidität des Klägers bezüglich der
  52. Kopffunktion von 10% und eine dauernde Funktionsbeeinträchtigung des
  53. linken Armes von 1/20 zugrunde. Weitere - vom Kläger begehrte - Entschädigungsleistungen lehnte sie mit Schreiben vom 23. Januar 1998
  54. ab.
  55. Der Kläger hat die Beklagte auf die Feststellung in Anspruch genommen, daß diese verpflichtet sei, ihm weitergehende Versicherungsleistungen nach einem Invaliditätsgrad von 50% zu erbringen. Ausweislich einer Abtretungserklärung vom 1. Februar 1998 habe seine Ehefrau
  56. ihre Ansprüche gegen die Beklagte wegen des Unfalls vom 23. August
  57. 1994 an ihn abgetreten.
  58. Die Beklagte erachtet die Abtretung für unwirksam; der Kläger sei
  59. demgemäß nicht aktivlegitimiert. Ihm stehe überdies kein Anspruch auf
  60. weitere Entschädigungsleistungen zu.
  61. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt er seinen Klageantrag weiter.
  62. -4-
  63. Entscheidungsgründe:
  64. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  65. 1. Das Berufungsgericht erachtet die Klage schon deshalb für unbegründet, weil es an der Aktivlegitimation des Klägers für die Geltendmachung des hier streitigen Anspruchs fehle. Nach § 12 I AUB 88 stehe
  66. die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht dem Versicherten, sondern dem Versicherungsnehmer zu, wenn die Versicherung gegen Unfälle abgeschlossen sei, die einem anderen zustoßen
  67. (Fremdversicherung). Eine solche Fremdversicherung liege hier hinsichtlich des Klägers vor, der Versicherter in der von seiner Ehefrau genommenen Gruppenversicherung sei. Die Aktivlegitimation des Klägers
  68. ergebe sich auch nicht aus der von ihm vorgelegten Abtretungserklärung
  69. vom 1. Februar 1998. Die Abtretung sei unwirksam. Gemäß § 12 III AUB
  70. 88 könnten Versicherungsansprüche vor Fälligkeit ohne Zustimmung des
  71. Versicherers nicht abgetreten werden. Eine solche Zustimmung sei unstreitig nicht erfolgt; der Versicherungsanspruch sei im Zeitpunkt der
  72. Abtretung aber auch nicht fällig gewesen. Der insoweit maßgebliche Begriff der Fälligkeit werde durch § 11 AUB 88 definiert. Fälligkeit setze
  73. danach ein Anerkenntnis der Beklagten, eine Einigung der Vertragspartner oder eine Feststellung durch ein ordentliches Gericht voraus. An
  74. diesen Voraussetzungen fehle es. Ob nach § 11 VVG auch die Leistungsablehnung zur Fälligkeit führe, könne dahinstehen, weil § 11 VVG
  75. durch § 11 II AUB 88 abbedungen sei.
  76. -5-
  77. Dem folgt der Senat nicht.
  78. 2. a) Allerdings geht das Berufungsgericht unter Berücksichtigung
  79. von § 12 I AUB 88 zunächst zutreffend davon aus, daß der Kläger als
  80. Versicherter
  81. in
  82. der
  83. von
  84. seiner
  85. Ehefrau
  86. genommenen
  87. Gruppen-
  88. Unfallversicherung zur Geltendmachung des Anspruchs auf (weitere)
  89. Versicherungsleistungen nur dann aktivlegitimiert ist, wenn er den Anspruch durch wirksame Abtretung erlangt hat. Das setzt gemäß § 12 III
  90. AUB 88 - weil es an der Zustimmung der Beklagten fehlt - voraus, daß
  91. der Anspruch auf die Versicherungsleistungen im Zeitpunkt der Abtretung, am 1. Februar 1998, fällig war. Davon aber ist - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auszugehen. Die Beklagte hat mit
  92. Schreiben vom 23. Januar 1998 weitere Versicherungsleistungen abgelehnt. Mit Zugang dieses Ablehnungsschreibens (27. Januar 1998) ist
  93. die Fälligkeit des Versicherungsanspruchs im Sinne des § 12 III AUB 88
  94. eingetreten.
  95. b) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats grundsätzlich so auszulegen, wie ein
  96. durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche
  97. Spezialkenntnisse diese verstehen muß (BGHZ 123, 83, 85). Dieser
  98. Grundsatz erfährt jedoch eine Ausnahme, wenn die Rechtssprache mit
  99. dem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verbindet; trifft
  100. das zu, so ist im Zweifel anzunehmen, daß auch die Bedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen (Senatsurteil vom 5. Juli 1995 - IV
  101. ZR 133/94 - VersR 1995, 951 unter 2 b). Der in § 12 III AUB 88 verwen-
  102. -6-
  103. dete Ausdruck "Fälligkeit" ist ein solcher Begriff der Rechtssprache mit
  104. fest umrissenen Konturen. Er beschreibt den Zeitpunkt, zu dem der
  105. Gläubiger die Leistung verlangen kann, der Schuldner säumig zu werden
  106. beginnt. Die in § 12 III AUB 88 allein und ohne weitere Hinweise mit dem
  107. Begriff Fälligkeit beschriebene zeitliche Grenze ist demgemäß unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Verständnisses zu bestimmen.
  108. c) Die Fälligkeit des Anspruchs auf Versicherungsleistungen
  109. - soweit diese in Geldleistungen bestehen - regelt zunächst § 11 VVG,
  110. der zugunsten des Versicherers von § 271 BGB abweicht. Da nur § 11
  111. Abs. 2 VVG durch § 15a VVG als für nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers abänderbar erklärt wird, bleiben im übrigen die Vorschrift des
  112. § 11 VVG modifizierende oder abändernde vertragliche Fälligkeitsregelungen möglich. Eine solche Regelung enthält - wie sich schon aus der
  113. Überschrift der Klausel ergibt - § 11 AUB 88. Sie regelt die Frage der
  114. Fälligkeit der Versichererleistung indessen nur unvollständig. Denn die
  115. Klausel beschränkt sich auf die Bestimmung der Fälligkeit in solchen
  116. Fällen, in denen der Versicherer im positiven Sinne über den vom Versicherungsnehmer erhobenen Anspruch entschieden hat, sei es durch Anspruchsanerkenntnis oder durch Einigung mit dem Versicherungsnehmer
  117. über Grund und Höhe des Anspruchs (§ 11 II AUB 88), sei es, daß die
  118. Leistungspflicht bereits dem Grunde nach feststeht (§ 11 III AUB 88).
  119. Dagegen regelt § 11 AUB 88 nicht, wann Fälligkeit eintritt, nachdem der
  120. Versicherer die Ablehnung des vom Versicherungsnehmer erhobenen
  121. Anspruchs erklärt hat. Die Klausel enthält also insoweit eine § 11 VVG
  122. abändernde vertragliche Vereinbarung nicht. Im Falle der Leistungsab-
  123. -7-
  124. lehnung ist der Eintritt der Fälligkeit der Versichererleistung daher der
  125. gesetzlichen Vorschrift des § 11 VVG zu entnehmen.
  126. Nach § 11 Abs. 1 VVG sind die Leistungen des Versicherers fällig,
  127. wenn dieser seine Feststellungen zum Versicherungsfall beendet hat.
  128. Davon ist auszugehen, wenn der Versicherer endgültig die Ablehnung
  129. von (weiteren) Versicherungsleistungen erklärt hat. Denn mit der Leistungsablehnung stellt der Versicherer klar, daß keine weiteren Feststellungen zur Entschließung über den erhobenen Anspruch erforderlich
  130. sind; dann aber besteht kein Grund, die Fälligkeit weiter hinauszuschieben. Mit dem Zugang der Erklärung des Versicherers über die endgültige
  131. Leistungsablehnung tritt deshalb Fälligkeit des Anspruchs auf die Versichererleistung ein (BGH, Urteile vom 10. Februar 1971 - IV ZR 159/69 VersR 1971, 433 m.w.N.; vom 27. September 1989 - IVa ZR 156/88 VersR 1990, 153, 154; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 11
  132. AUB 88 Rdn. 3; Römer in Römer/Langheid, VVG § 11 VVG Rdn. 12;
  133. Grimm, Unfallversicherung 2. Aufl. § 11 Rdn. 17; Wussow/Pürckhauer,
  134. AUB 6. Aufl. § 11 Rdn. 15).
  135. d) § 12 III AUB 88 stellt hinsichtlich der Wirksamkeit einer Übertragung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung - soweit keine Zustimmung des Versicherers vorliegt - allein auf die Fälligkeit des Versicherungsanspruchs ab. Mit dem damit eingeführten Rechtsbegriff Fälligkeit ist eine Beschränkung auf die in § 11 AUB geregelten Fälligkeitstatbestände nicht erklärt, sie ist der Klausel auch im übrigen nicht zu entnehmen. Allein der Umstand, daß die Bedingungen der Beklagten eine
  136. - wenngleich unvollständige - Fälligkeitsregelung enthalten, gibt keinen
  137. -8-
  138. ausreichenden Anhalt für eine solche Beschränkung. Eine Verweisung
  139. auf § 11 AUB 88 enthält § 12 III AUB 88 gerade nicht.
  140. 3. Zu Unrecht beruft sich die Revisionserwiderung schließlich darauf, daß die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG vom Kläger nicht gewahrt
  141. worden sei. Der Umstand, daß der eingereichten Klage - entgegen der
  142. Sollvorschrift des § 133 ZPO - keine Abschriften der Anlagen für den
  143. Prozeßgegner beigefügt waren, hinderte die sofortige Zustellung der
  144. Klage nicht. Wenn das Gericht dennoch die Zustellung erst nach Einreichung der Anlagen vorgenommen hat, stellt das die Zustellung der Klage
  145. "demnächst" (§ 270 Abs. 3 ZPO) nicht in Frage.
  146. Dr. Schmitz
  147. Dr. Schlichting
  148. Seiffert
  149. Terno
  150. Ambrosius