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508 lines
26 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZR 152/10
  4. vom
  5. 21. März 2012
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
  9. Wendt, Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann
  10. und die Richterin Dr. Brockmöller
  11. am 21. März 2012
  12. beschlossen:
  13. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in
  14. dem Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 10. Juni 2010 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
  15. Streitwert: bis 9.000.000 €.
  16. Gründe:
  17. 1
  18. I. Die Klägerin fordert von der Beklagten als führendem Versicherer anteilige Versicherungsleistungen und Schadensersatz aus einer von
  19. der HEROS-Gruppe mit mehreren Versicherungsunternehmen abgeschlossenen "Valorenversicherung", deren Bedingungen auszugsweise
  20. im Senatsurteil vom 25. Mai 2011 (IV ZR 117/09 - Geldtransporte
  21. HEROS I, VersR 2011, 918 Rn. 1) und im Senatsbeschluss vom 21. September 2011 (IV ZR 38/09 - Geldtransporte II HEROS II, juris Rn. 1) wiedergegeben sind, und aus einer ihr erteilten Versicherungsbestätigung.
  22. Sie ist eine deutsche Großbank, welche bundesweit ein Netz von über
  23. 1000 Filialen unterhält, für die sie - nach Regionen aufgeteilt - im Jahre
  24. -3-
  25. 2004 mit Gesellschaften der HEROS-Gruppe mehrere Verträge über
  26. Werttransportleistungen abgeschlossen hatte. Aufgrund dieser Verträge
  27. ist sie Versicherte des vorgenannten Versicherungsvertrages. Nach ihrer
  28. Behauptung hat sie infolge vertragswidrigen Verhaltens der HEROSGruppe im Rahmen der Bargeldentsorgung und der Bargeldversorgung in
  29. der Zeit vom 8. bis 20. Februar 2006 Schäden in einer Gesamthöhe von
  30. ursprünglich 17.426.263,53 € erlitten, deren anteilige Erstattung sie
  31. - nach
  32. zwischenzeitlich
  33. eingegangenen
  34. Zahlungen
  35. des
  36. HEROS -
  37. Insolvenzverwalters - entsprechend der Beteiligungsquote der Beklagten
  38. von 62,5% in Höhe von noch 8.969.632,34 € von der Beklagten verlangt.
  39. Zusätzlich begehrt sie die Feststellung, dass der Rechtsstreit in Höhe
  40. von 42.204,67 € erledigt sei.
  41. 2
  42. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht
  43. die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt sie ihr Begehren weiter.
  44. 3
  45. II. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch e rfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
  46. Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2
  47. Satz 1 ZPO). Eine Zulassung der Revision war schon im Zeitpunkt der
  48. Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geboten, so dass es auf
  49. die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Revision im Übrigen nicht a nkommt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2004 - IV ZR
  50. 386/02, VersR 2005, 809 unter 2 m.w.N.).
  51. 4
  52. 1. Das Berufungsgericht hat die Klage in erster Linie abgewiesen,
  53. weil die Beklagte den unter der Police Nr. 7509 geführten Versiche-
  54. -4-
  55. rungsvertrag mit ihrem an den Insolvenzverwalter der HEROS-Gruppe
  56. gerichteten Schreiben vom 8. Januar 2007 wirksam wegen arglistiger
  57. Täuschung angefochten habe. Bei diesem mit Wirkung zum 1. Dezember
  58. 2001 geschlossenen Vertrag habe es sich ungeachtet des bereits zuvor
  59. unter der Police Nr. 7265 bestehenden langjährigen Versicherungsverhältnisses um einen Neuabschluss gehandelt, bei dem die Verantwortl ichen der HEROS-Gruppe der Beklagten das von der HEROS-Gruppe seit
  60. langem praktizierte Schneeballsystem des fortlaufenden vertragswidrigen
  61. Zugriffs auf Kundengelder und die dadurch verursachten Liquiditätsl ücken (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Mai 2011 aaO Rn. 5) arglistig verschwiegen hätten. Insoweit deckt die Beschwerde keine Rechtsfehler
  62. auf, die die Zulassung der Revision erfordern.
  63. 5
  64. a) Keiner grundsätzlichen Klärung bedarf, inwieweit die Arglista nfechtung in Ziffer 13.4 der Versicherungsbedingungen wirksam ausgeschlossen werden konnte. Der Bundesgerichtshof hat einen vergleichb aren vertraglichen Anfechtungsausschluss bereits mit Urteil vom 17. Januar 2007 (VIII ZR 37/06, VersR 2007, 1084 Rn. 17 ff.) für unwirksam erachtet. Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen. Ergänzend
  65. wird dazu auf den Senatsbeschluss vom 21. September 2011 (aaO
  66. Rn. 27-33) verwiesen. Da ein Ausschluss der Arglistanfechtung nicht
  67. wirksam vereinbart werden konnte, kommt es auf die von der Beschwe rde erörterte Frage, ob das Berufungsgericht die genannte Klausel unz utreffend ausgelegt, dabei Vortrag der Klägerin übergangen und abweichend von Urteilen der Oberlandesgerichte Hamm (vom 18. Dezember
  68. 2009 - 20 U 137/08, juris Rn. 100 ff.; vgl. dazu Senatsurteil vom 9. November 2011 - IV ZR 16/10, juris Rn. 45, 46) und Düsseldorf (vom
  69. 5. November 2008 - 18 U 188/07, juris Rn. 139 ff.; vgl. dazu Senatsurteil
  70. -5-
  71. vom 9. November 2011 - IV ZR 251/08, juris Rn. 60 ff.) entschieden hat,
  72. nicht an.
  73. 6
  74. Auch mit der der Klägerin übersandten Versicherungsbestätigung
  75. hat die Beklagte nicht wirksam auf die Geltendmachung der Arglista nfechtung verzichtet. Ein solcher Verzicht setzt - ähnlich wie die Bestätigung anfechtbarer Rechtsgeschäfte gemäß § 144 BGB - in der Regel die
  76. Kenntnis vom Anfechtungsgrund voraus (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB
  77. 71. Aufl. § 144 Rn. 2). Diese Kenntnis hat das Berufungsgericht nicht
  78. feststellen können. Ein ausnahmsweise möglicher konkludenter Verzicht
  79. ist der Versicherungsbestätigung nicht zu entnehmen. Ein Motiv der B eklagten für einen solchen Verzicht ist ohnehin nicht ersichtlich.
  80. 7
  81. b) Zu Recht hat das Berufungsgericht weiter angenommen, es sei
  82. für die Wirksamkeit der Anfechtung ohne Bedeutung, ob die Klägerin den
  83. Anfechtungsgrund kannte. § 123 Abs. 2 BGB ist hier nicht anzuwenden.
  84. Sowohl § 123 Abs. 2 Satz 1 als auch Abs. 2 Satz 2 BGB setzen voraus,
  85. dass die Täuschung von einem Dritten ausgeht, und könn en daher nicht
  86. eingreifen, wenn allein eine Täuschung durch den Erklärungsgegner
  87. - hier die HEROS-Gruppe als Versicherungsnehmerin - in Rede steht
  88. (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2011 aaO Rn. 34; BGH, Urteil
  89. vom 8. Dezember 1959 - VIII ZR 134/58, BGHZ 31, 321, 327 f.).
  90. 8
  91. c) Durch die Senatsrechtsprechung ist weiter geklärt, dass den
  92. Versicherer keine Nachfrageobliegenheit trifft, wenn ihn der Versich erungsnehmer
  93. bei
  94. Anbahnung
  95. des
  96. Versicherungsvertrages
  97. arglistig
  98. täuscht (Senatsbeschlüsse vom 15. März 2006 - IV ZA 26/05, VersR
  99. 2007, 96; vom 4. Juli 2007 - IV ZR 170/04, VersR 2007, 1256 unter 2
  100. -6-
  101. m.w.N.). Seine früher anderslautende Rechtsprechung (BGHZ 117, 385,
  102. 387) hat der Senat aufgegeben.
  103. 9
  104. Ist der Versicherer bei Vertragsschluss infolge des arg listigen Verhaltens des Versicherungsnehmers nicht gehalten nachzufragen, so
  105. kann auch ein erst nachträglich in den Schutzbereich des mittels Arglist
  106. erschlichenen Versicherungsvertrages eintretender Dritter (Versicherter)
  107. nicht mehr geltend machen, der Versicherer habe seine Nachfrageobliegenheit verletzt. Ob eine Nachfrageobliegenheit besteht und der Versicherer dagegen verstößt, richtet sich allein nach der Sachlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
  108. 10
  109. d) Die Angriffe der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die - für die
  110. Anwendbarkeit des § 123 Abs. 1 BGB entscheidende - Feststellung des
  111. Berufungsgerichts, es sei mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2001 zum
  112. Neuabschluss des Versicherungsvertrages (Police Nr. 7509) und nicht
  113. lediglich zu einer Änderung des seinerzeit schon bestehenden Vertrages
  114. (Police Nr. 7265) gekommen, erfordern ebenfalls nicht die Zulassung der
  115. Revision. Der Senat hat insbesondere die damit in Zusammenhang st ehenden Rügen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten (Art. 103
  116. Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG) geprüft und für nicht durchgreifend erachtet.
  117. Dazu weist er ergänzend auf folgendes hin:
  118. 11
  119. aa) Ein neuer Vertrag liegt vor, wenn der aus den gesamten Fal lumständen zu ermittelnde Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet
  120. war, die vertraglichen Beziehungen auf eine selbständige neue Grundlage zu stellen und nicht lediglich einzelne Regelungen des bestehenden
  121. Vertrages zu modifizieren. Für einen neuen Vertrag spricht die Veränd erung wesentlicher Vertragsinhalte, etwa des versicherten Risikos, de s
  122. -7-
  123. versicherten Objekts, der Vertragsdauer, der Vertragsparteien und der
  124. Gesamtversicherungssumme (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September
  125. 2011 - IV ZR 38/09 aaO Rn. 21; Senatsurteil vom 19. Oktober 1988 - IVa
  126. ZR 111/87, r+s 1989, 22, 23; OLG Saarbrücken VersR 2007, 1681, 1682;
  127. OLG Köln VersR 2002, 1225; BK/Riedler, VVG § 38 Rn. 9; Knappmann in
  128. Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 37 Rn. 5; Römer in Römer/Langheid, VVG
  129. 2. Aufl. § 38 Rn. 6).
  130. 12
  131. bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe und Heranziehung der den
  132. Einzelfall prägenden Umstände ist das Berufungsgericht ohne durchgre ifenden Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die Police Nr. 7509 sei als
  133. neuer, zum 1. Dezember 2001 in Kraft getretener Vertrag anzusehen.
  134. Entscheidungserheblichen Vortrag oder relevante Beweisan gebote der
  135. Klägerin hat es - entgegen dem Vorwurf der Beschwerde - nicht übergangen. Vielmehr hat es sich mit den Tatsachen, die als Indizien gegen
  136. einen Neuabschluss des Versicherungsvertrages vorgetragen und unter
  137. Beweis gestellt worden sind, im Rahmen seiner Abwägung der Fallumstände befasst, ohne jedoch daraus die von der Klägerin gewünschten
  138. Schlüsse zu ziehen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Beschwerde
  139. erschöpfen sich im Wesentlichen in dem revisionsrechtlich unbehelfl ichen Versuch, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts unter abweichender Bewertung einzelner Indizien durch eine vermeintlich bessere
  140. eigene Würdigung zu ersetzen. Die Beschwerdeführerin verkennt insbesondere, dass ihr Einwand, zahlreiche vom Berufungsgericht als Indiz für
  141. den Neuabschluss herangezogene Änderungen des Vertragswerkes se ien ihrer Art nach auch schon bei anderer Gelegenheit im Rahmen des
  142. laufenden Vertrages vorgekommen, eine indizielle Wirkung dieser U mstände für einen Neuabschluss im Rahmen der gebotenen Gesamtb etrachtung nicht entfallen lässt.
  143. -8-
  144. 13
  145. cc) Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht vorgenommenen
  146. Gesamtschau der entscheidungserheblichen Umstände, die sich insb esondere nicht als willkürlich i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG erweist, schließt
  147. der Senat weiter aus, dass einzelne von der Beschwerde herausgegriffene Aspekte das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung vera nlasst hätten, mögen sie auch - für sich betrachtet - auf eine Verlängerung
  148. der früheren Police hindeuten.
  149. 14
  150. (1) Das gilt zum einen, soweit das Berufungsgericht übersehen
  151. hat, dass Werttransporte von und zu einer Bank in Dänemark bereits seit
  152. 1996 auf der Grundlage einer Zusatzvereinbarung von der Police
  153. Nr. 7265 umfasst waren, weshalb seine Annahme, die in Ziffer 4.1.11 der
  154. Police Nr. 7509 getroffene "Sondervereinbarung Dänemark" spreche für
  155. eine Neuregelung, nicht trägt. Es gilt zum anderen, soweit das Ber ufungsgericht - ebenfalls nicht ganz unbedenklich - angenommen hat, die
  156. anlässlich der Währungsumstellung von DM zu Euro abgeschlossenen
  157. zusätzlichen Versicherungsverträge hätten das mit dieser Währungsu mstellung verbundene Versicherungsrisiko nur unzureichend abgedeckt.
  158. Es gilt schließlich für die Frage, ob die Erweiterung des Versicherung sschutzes auf Subunternehmer der HEROS-Gruppe bereits zur Zeit der
  159. Geltung der Police Nr. 7265 vereinbart worden war. Der Senat schließt
  160. aus, dass das Berufungsgericht, hätte es die genannten Punkte anders
  161. behandelt, auch insgesamt zu einer anderen Bewertung der Police
  162. Nr. 7509 gelangt wäre.
  163. 15
  164. (2) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde in diesem Zusammenhang
  165. mehrfach, es sei angebotener Zeugenbeweis übergangen worden. Von
  166. -9-
  167. einer näheren Begründung sieht der Senat insoweit nach § 564 Satz 1
  168. ZPO ab.
  169. 16
  170. e) Die Erörterungen des Berufungsgerichts zum arglistigen Verhalten des HEROS-Geschäftsführers W.
  171. und dazu, dass es nach § 166
  172. Abs. 2 BGB für die Arglistanfechtung nicht auf eine etwaige Unkenntnis
  173. der Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin vom Schneeballsystem a nkommt, setzen sich erkennbar mit dem dazu gehaltenen Vortrag der Klägerin auseinander. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt insoweit
  174. nicht vor.
  175. 17
  176. f) Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht weiter an, die
  177. HEROS-Gruppe habe der Beklagten bei Abschluss der Police Nr. 7509
  178. ihr bis dahin praktiziertes Schneeballsystem offenbaren müssen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - IV ZR 38/09 aaO Rn. 3540).
  179. 18
  180. g) Im Ergebnis ohne Erfolg bleiben die Angriffe der Beschwerde
  181. gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe En de
  182. 2001 von dem Schneeballsystem der HEROS-Gruppe nichts gewusst
  183. und ihre Vertragserklärung sei durch diesen Irrtum verursacht. Ein Revisionszulassungsgrund ist damit nicht dargetan.
  184. 19
  185. aa) Allerdings durfte das Berufungsgericht den Irrtum der Bekla gten nicht im Wege des Anscheinsbeweises feststellen, weil der dafür
  186. vorausgesetzte typische Geschehensablauf hier nicht vorliegt, vielmehr
  187. die in Rede stehenden außergewöhnlichen Vorgänge einer Typisierung
  188. nicht zugänglich sind (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1995 - II ZR
  189. 209/94, NJW 1996, 1051 unter 2 m.w.N.).
  190. - 10 -
  191. 20
  192. Im Ergebnis hat sich dieser Rechtsfehler des Berufungsgerichts
  193. aber nicht ausgewirkt; das Berufungsurteil beruht darauf nicht.
  194. 21
  195. (1) Es ist tatrichterliche Aufgabe festzustellen, ob die Beklagte Ende 2001 wusste, dass sie mit dem Abschluss der Police ein Geldtran sportunternehmen versicherte, das schon seit Jahren systematisch auf
  196. Kundengelder zugriff und hierdurch eine ungedeckte Finanzlücke in drei stelliger Millionenhöhe verursacht hatte. Insoweit obliegt der Beklagten,
  197. wie das Berufungsgericht im Ansatz noch zutreffend angenommen hat,
  198. der Beweis für ihren behaupteten Irrtum.
  199. 22
  200. Verübt der Erklärungsgegner seine Täuschung durch Verschwe igen, besteht der Irrtum des Erklärenden in einem Nichtwissen. Will er
  201. sich auf die Unkenntnis der verschwiegenen Umstände berufen, muss er
  202. mithin darlegen und unter Beweis stellen, er habe diese Umstände nicht
  203. gekannt. Hierfür gelten die Regeln über Darlegung und Beweis von N egativtatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2000 - V ZR 285/99,
  204. NJW 2001, 64 unter III; Palandt/Ellenberger, BGB 71. Aufl. § 123
  205. Rn. 30). Dabei genügt der Anfechtende seiner Darlegungslast zunächst
  206. mit der Behauptung, die betreffenden Umstände seien ihm vom Erkl ärungsgegner verschwiegen worden und auch nicht auf andere Weise zur
  207. Kenntnis gelangt. Sodann ist es Aufgabe des Gegners, Umstände darz ulegen, aus denen sich das Wissen des Anfechtenden um die verschwi egenen Tatsachen ergibt. Diese in erster Linie den Erklärungsgegner,
  208. mithin die Versicherungsnehmerin (HEROS), treffende sekundäre Darl egungslast trifft auch denjenigen Versicherten, der - wie die Klägerin - an
  209. Stelle der Versicherungsnehmerin Rechte aus dem angefochtenen Ve rtrag herleiten will.
  210. - 11 -
  211. 23
  212. (2) Das Berufungsgericht hätte, nachdem sich die Beklagte auf einen durch Verschweigen des Schneeballsystems hervorgerufenen Irrtum
  213. berufen hatte, prüfen müssen, ob der Klagvortrag insoweit geeignet war,
  214. substantiiert und schlüssig darzulegen, dass die Beklagte entgegen ihrer
  215. Behauptung Wesen und Ausmaß des von HEROS im Jahre 2001 unterhaltenen Schneeballsystems kannte.
  216. 24
  217. (3) Das Berufungsgericht hat bei seiner rechtsirrtümlichen Prüfung,
  218. ob der von ihm herangezogene Anscheinsbeweis erschüttert sei, den
  219. Vortrag der Klägerin zu den behaupteten Indizien als wahr unterstellt und
  220. anschließend unter Abwägung der Gesamtumstände zugrunde gelegt,
  221. dass selbst dann, wenn sich alle Behauptungen der Klägerin beweisen
  222. ließen, daraus nicht folge, dass die Beklagte Ende 2001 vom Schne eballsystem der HEROS-Gruppe in seiner tatsächlichen Dimension positive Kenntnis gehabt habe. Es hat damit im Ergebnis festgestellt, der Vo rtrag der Klägerin reiche letztlich nicht aus, um die Irrtumsbehauptung der
  223. Beklagten ernstlich zu erschüttern. Der Senat schließt a us, dass es
  224. - hätte es erkannt, dass die Klägerin nicht lediglich einen Anscheinsb eweis erschüttern, sondern eine sekundäre Darlegungslast erfüllen mus ste - zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Eine Verletzung von Ve rfahrensgrundrechten der Klägerin liegt darin nicht. Misst der Tatrichter
  225. dem Parteivortrag nach Würdigung aller Umstände keine ausreichende
  226. Indizwirkung für das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Tatsache
  227. bei, ist der Vortrag damit nicht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG
  228. übergangen; er kann vielmehr analog § 244 Abs. 3 StPO davon absehen,
  229. Beweis über die dann bedeutungslosen Indiztatsachen zu erheben (vgl.
  230. BGH, Urteil vom 10. Februar 1993 - XII ZR 241/91, BGHZ 121, 266,
  231. 270 f.).
  232. - 12 -
  233. 25
  234. (4) Zwar hat der Senat in der Sache IV ZR 38/09 (Beschluss vom
  235. 21. September 2011 aaO), in der die Klage einer anderen Versicherten
  236. vom Berufungsgericht ebenfalls mit der Begründung abgewiesen worden
  237. war, die Beklagte habe den Versicherungsvertrag mit der HEROS -Gruppe wirksam angefochten, die Revision zugelassen. Alleiniger Zulassungsgrund war jedoch, dass das Berufungsgericht einen Beweisantritt
  238. auf Vernehmung zweier Zeugen zur Frage der Kenntnis der Beklagten
  239. vom Anfechtungsgrund übergangen und damit gegen Art. 103 Abs. 1 GG
  240. verstoßen hatte (aaO Rn. 12 ff.). Der Senat hat deshalb das dortige Berufungsurteil nach § 544 Abs. 7 ZPO im Beschlusswege aufgehoben und
  241. die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  242. 26
  243. Einen vergleichbaren, zur Zulassung der Revision führenden Ve rfahrensfehler des Berufungsgerichts hat die Beschwerdeführerin hier
  244. nicht in der nach den §§ 544 Abs. 2 Satz 3, 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2b
  245. ZPO gebotenen Form darlegen können.
  246. 27
  247. (a) Nach § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO sind in der Begründung einer
  248. Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassungsgründe darzulegen. Will sich
  249. der Beschwerdeführer darauf stützen, das Gericht habe bei Erlass der
  250. angefochtenen Entscheidung mittels eines Verfahrensfehlers das Recht
  251. auf rechtliches Gehör verletzt, so müssen für die Darlegung die gleichen
  252. Anforderungen gelten, wie sie die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung für eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3
  253. Satz 1 Nr. 2b ZPO aufgestellt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Juli 1954
  254. - IV ZR 67/54, BGHZ 14, 205, 209 f.; BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 101/02, NJW 2003, 831 f. unter II 2 b bb; vom
  255. 11. Februar 2003 - XI ZR 153/02, NJW-RR 2003, 1003 f. unter 1; vom
  256. - 13 -
  257. 2. Dezember 2004 - IX ZR 56/04, juris unter 1 f., jeweils m.w.N.). Demzufolge sind in der Beschwerdebegründung die Tatsachen anzugeben,
  258. aus denen sich der behauptete Verfahrensmangel ergibt. Bei einer Beschwerde, das Gericht habe einen Beweisantritt des Beschwerdeführers
  259. übergangen, ist es nicht nur geboten, das betreffende Beweisthema und
  260. das angebotene Beweismittel genau zu bezeichnen, sondern auch anzugeben, zu welchem Ergebnis die Beweisaufnahme geführt hätte. Eine
  261. nicht näher bestimmte Bezugnahme auf einen übergangenen Beweisa ntritt reicht dazu nicht aus (vgl. BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 - 2 AZR
  262. 666/05, NJW 2008, 540 unter B II 1 c bb (3) (a)).
  263. 28
  264. (b) Soweit es um die Frage der Kenntnis der Beklagten vom A nfechtungsgrund und die Beweisantritte der Klägerin dazu geht, hat die
  265. Nichtzulassungsbeschwerde den genannten Anforderungen nicht gen ügen können.
  266. 29
  267. Die Klägerin hat - in dem von ihrer Gehörsrüge in Bezug genommenen Schriftsatz vom 6. Februar 2008 - über viele Seiten und unter
  268. zahlreichen Beweisantritten vorgetragen. Unter anderem hat sie aus der
  269. Zeit nach 2001 eine Reihe von Vorfällen, insbesondere auch Straftaten
  270. einzelner HEROS-Mitarbeiter angeführt, ferner einzelne Schadensmeldungen von HEROS-Kunden. Damit hat sich das Berufungsgericht auseinandergesetzt und dargelegt, dass selbst dann, wenn man die behau pteten Tatsachen zugrunde legte, daraus kein Wissen der Beklagten um
  271. das HEROS-Schneeballsystem in seinen wahren Ausmaßen bei Vertragsschluss im Jahre 2001 folge. Darin liegt kein Verstoß gegen das
  272. Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör.
  273. - 14 -
  274. 30
  275. bb) Keine Bedenken bestehen dagegen, dass das Berufungsgericht die Kausalität des Irrtums der Beklagten für ihre Vertragserklärung
  276. im Wege des Anscheinsbeweises als erwiesen angesehen hat.
  277. 31
  278. (1) Zwar hat der II. Zivilsenat im Urteil vom 20. November 1995
  279. (II ZR 209/94, NJW 1996, 1051 unter 2) darauf hingewiesen, dass der
  280. ursächliche Zusammenhang zwischen Täuschung und Vertragsabschluss
  281. meist nicht mittels Anscheinsbeweises festgestellt werden könne (vgl.
  282. dazu auch BGH, Urteile vom 10. April 1958 - II ZR 324/56, WM 1958,
  283. 991, 992; vom 20. September 1968 - V ZR 137/65, NJW 1968, 2139).
  284. Dies hat seinen Grund darin, dass diese Beweisführung einen typischen
  285. Geschehensablauf voraussetzt, während die einem Vertragsschluss z ugrunde liegende Willensentschließung in der Regel von individuellen
  286. Umständen des Einzelfalles abhängt. Der II. Zivilsenat hat aber nicht in
  287. Abrede gestellt, dass bei bestimmten Rechtsgeschäften und unter b esonderen Umständen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung de nnoch eine ausreichende Typizität gegeben sein kann.
  288. 32
  289. (2) So liegt der Fall hier. Es versteht sich, dass der Versicherer einer Geldtransportfirma nicht bereit ist, Versicherungsschutz zu gewä hren, der unter anderem auch die Unterschlagung von Kundengeldern
  290. durch die Versicherungsnehmerin umfassen soll, wenn er weiß, dass
  291. diese Versicherungsnehmerin bereits seit Jahren durch systematischen
  292. rechtswidrigen Zugriff auf Kundengelder Millionenschäden verursacht
  293. hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, hier sei nach der Lebenserfa hrung die Täuschung geeignet gewesen, die Vertragserklärung der B eklagten zu beeinflussen, ist deshalb nicht zu beanstanden und steht mit
  294. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Einklang (vgl. dazu
  295. - 15 -
  296. BGH, Urteile vom 12. November 1957 - VIII ZR 311/56, NJW 1958, 177;
  297. vom 5. Dezember 1975 - V ZR 34/74, WM 1976, 111; vom 12. Mai 1995
  298. - V ZR 34/94, NJW 1995, 2361).
  299. 33
  300. h) Die Rügen, das Berufungsgericht habe die Indizien für eine
  301. Kenntnis der Beklagten vom Anfechtungsgrund bei der Prüfung des B eginns der Anfechtungsfrist nach § 124 Abs. 1 BGB unzureichend gewürdigt und zu Unrecht eine Bestätigung des anfechtbaren Vertrages nach
  302. § 144 Abs. 1 BGB verneint, zeigen keinen Revisionszulassungsgrund,
  303. insbesondere keinen Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte auf. Insbesondere ergebe die unter Zeugenbeweis gestellte Kenntnis der Beklagten von erheblichen Zahlungsrückständen der HEROS-Gruppe im Jahre
  304. 2005, welche Gegenstand einer Besprechung in H.
  305. gewesen sei-
  306. en, nicht zwingend, dass die Beklagte auch von dem bis zum Jahre 2001
  307. entwickelten Schneeballsystem, seinem Ausmaß und vor allem dem Umstand Kenntnis gehabt hätte, dass HEROS-Verantwortliche der Beklagten all dies schon Ende 2001 wissentlich verschwiegen hatten. Für de n
  308. Beginn des Fristlaufes nach § 124 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nicht entscheidend, ob es bei der HEROS-Gruppe irgendwann Liquiditätslücken, Zahlungsschwierigkeiten, Geldentnahmen und Veruntreuungen gegeben hatte, sondern ob die Beklagte wusste, dass sie bei Abschluss der Police
  309. Nr. 7509 im Jahre 2001 über die Existenz des damals schon für Millionenschäden verantwortlichen Schneeballsystems getäuscht worden war.
  310. Es stellt keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs.1 GG dar, dass das Ber ufungsgericht die im Berufungsurteil erörterten Beweisantritte der Klägerin
  311. letztlich als nicht entscheidungserheblich angesehen hat.
  312. 34
  313. i) Im Beschluss vom 21. September 2011 (aaO Rn. 53-59) hat der
  314. Senat allerdings im Rahmen eines rechtlichen Hinweises die Begründung
  315. - 16 -
  316. beanstandet, mit der das Berufungsgericht es - wie auch im vorliegenden
  317. Rechtsstreit - verneint hat, dass die Arglistanfechtung über den Abschluss des Versicherungsvertrages Nr. 7509 hinaus auch die zeitgleiche
  318. einvernehmliche Aufhebung der Vorgänger-Police Nr. 7265 erfasst und
  319. im Ergebnis zu deren Wiederaufleben führt. Soweit dem Berufungsg ericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 139 BGB ein Rechtsfehler unterlaufen ist, gebietet dies nicht die Zulassung der Revision.
  320. 35
  321. An einer grundsätzlichen Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1
  322. Nr. 1 ZPO fehlt es schon deshalb, weil die allein auf Umständen des Ei nzelfalles beruhende Entscheidung nur für die beiden zwischen der
  323. HEROS-Gruppe und der Beklagten abgeschlossenen Versicherungspol icen und die dazu erklärte Arglistanfechtung bedeutsam ist. Zwar ist mittelbar eine Reihe Versicherter dieser beiden Verträge nach ihrer Behau ptung mit erheblichen Schäden betroffen, doch handelt es sich insoweit
  324. sämtlich
  325. um
  326. ehemalige
  327. Auftraggeber
  328. der
  329. Versicherungsnehmerin
  330. (HEROS-Gruppe) und damit um einen abgeschlossenen Kreis von G eschädigten,
  331. weshalb
  332. sich
  333. die
  334. vom
  335. Berufungsgericht
  336. entschiedene
  337. Rechtsfrage nicht in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellt
  338. (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152,
  339. 182, 191; vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 223). Einen
  340. verallgemeinerungsfähigen unrichtigen Rechtssatz hat da s Berufungsgericht bei Prüfung der Voraussetzungen des § 139 BGB nicht aufgestellt.
  341. Seine Entscheidung steht deshalb nicht in Divergenz zum Urteil des
  342. Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 16. Mai 2007 (VersR 2007, 1681),
  343. so dass die Zulassung der Revision auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgen muss (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
  344. Alt. 2 ZPO). Dass das Berufungsgericht Verfahrensgrundrechte der Kl ägerin bei der Prüfung des § 139 BGB verletzt hätte, ist nicht ersichtlich.
  345. - 17 -
  346. 36
  347. 2. Soweit das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche der
  348. Klägerin gegen die Beklagte sowohl aus dem angefochtenen Vertrag als
  349. auch der Versicherungsbestätigung verneint hat, zeigt die Beschwerde
  350. keinen Rechtsfehler auf, der die Zulassung der Revision erfordert. E rgänzend verweist der Senat auf das Senatsurteil vom 25. Mai 2011 (IV
  351. ZR 117/09 aaO Rn. 68).
  352. 37
  353. 3. Die Rügen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten hat der
  354. Senat auch im Übrigen geprüft, sie greifen nicht durch. Von einer weit eren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
  355. - 18 -
  356. 38
  357. 4. Da nach allem die Abweisung der Klage infolge der Arglistanfechtung der Prüfung im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde
  358. standhält, kommt es auf Fragen des Versicherungsfalles nicht an.
  359. Wendt
  360. Felsch
  361. Lehmann
  362. Harsdorf -Gebhardt
  363. Dr. Brockmöller
  364. Vorinstanzen:
  365. LG Hannover, Entscheidung vom 27.02.2009 - 13 O 281/06 OLG Celle, Entscheidung vom 10.06.2010 - 8 U 117/09 -