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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. Verkündet am:
  5. 10. März 2004
  6. Heinekamp
  7. Justizobersekretär
  8. als Urkundsbeamter
  9. der Geschäftsstelle
  10. IV ZR 123/03
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. _____________________
  16. ZPO § 256 Abs. 1; BGB §§ 2333 ff.
  17. Einer schon zu Lebzeiten des Erblassers gegen ihn erhobenen Klage des Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung, daß die in einer letztwilligen Verfügung des Erblassers unter Bezug auf bestimmte Vorfälle angeordnete Entziehung des Pflichtteils
  18. unwirksam sei, fehlt das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung nicht (Weiterführung von BGHZ 109, 306, 309).
  19. BGH, Urteil vom 10. März 2004 - IV ZR 123/03 - OLG München
  20. LG Traunstein
  21. -2-
  22. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt und
  23. Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2004
  24. für Recht erkannt:
  25. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
  26. 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom
  27. 16. April 2003 aufgehoben.
  28. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
  29. an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  30. Von Rechts wegen
  31. Tatbestand:
  32. Der Kläger, Sohn des Beklagten, begehrt die Feststellung, daß
  33. sein Vater nicht berechtigt sei, wegen der in dessen notariellen Testamenten im einzelnen, nach Ansicht des Klägers aber unzutreffend dargestellten Sachverhalte dem Kläger den Pflichtteil zu entziehen. Beide
  34. Vorinstanzen haben die Klage als unzulässig abgewiesen, weil dem Kläger zu Lebzeiten des Beklagten ein rechtlich geschütztes Interesse an
  35. der beantragten Feststellung fehle.
  36. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision.
  37. -3-
  38. Entscheidungsgründe:
  39. Das Rechtsmittel hat Erfolg; es führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  40. 1. Nach Ansicht der Vorinstanzen kann die Frage, ob Grund zur
  41. Entziehung des Pflichtteils besteht, zwar vom (zukünftigen) Erblasser,
  42. grundsätzlich aber nicht auch vom Pflichtteilsberechtigten zum Gegenstand einer Feststellungsklage gemacht werden. Das Berufungsgericht
  43. meint, der Pflichtteilsberechtigte habe vor dem Erbfall keine Möglichkeit,
  44. über sein Pflichtteilsrecht irgend welche rechtlich erheblichen Verfügungen zu treffen. Er habe auch keinen Einfluß darauf, ob beim Erbfall
  45. überhaupt eine Erbmasse vorhanden sei und ein Pflichtteilsanspruch
  46. durchgesetzt werden könne. Die Ungeduld naher Angehöriger im Hinblick auf Feststellungen, die für sie erst nach dem Erbfall fühlbare rechtliche Folgen haben könnten, reiche nicht aus.
  47. Der vorliegende Fall weise auch keine Besonderheiten auf, die ein
  48. Feststellungsinteresse ausnahmsweise rechtfertigen könnten. Daß die
  49. Parteien zerstritten seien, sei in Fällen dieser Art nichts Besonderes.
  50. Auch wenn der Kläger den Erblasser überlebe und möglicherweise wegen Grundstücksübertragungen des Beklagten Auskunfts- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen seine Schwester geltend machen müsse, genüge dies weder für sich genommen noch unter Berücksichtigung
  51. von Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs. Denn für das Bestehen
  52. eines Pflichtteilsentziehungsgrundes sei nicht der Kläger als Pflichtteils-
  53. -4-
  54. berechtigter beweispflichtig, sondern gemäß § 2336 Abs. 3 BGB derjenige, der die Entziehung geltend mache.
  55. 2. Dem folgt der Senat nicht.
  56. a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt ist
  57. zunächst, daß das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge, des Ehegatten und
  58. der Eltern eines Erblassers (als Quelle, aus der mit dem Erbfall ein
  59. Pflichtteilsanspruch entstehen kann,) ein Rechtsverhältnis ist, das schon
  60. zu Lebzeiten des Erblassers besteht, rechtliche Wirkungen äußert und
  61. gerichtlich festgestellt werden kann. Aus diesem Rechtsverhältnis erwächst unter den in §§ 2333 ff. BGB angeführten Voraussetzungen die
  62. Befugnis des Erblassers, den Pflichtteil zu entziehen. Dieses in § 2337
  63. Satz 1 BGB ausdrücklich als Recht zur Entziehung des Pflichtteils bezeichnete Recht ist ein gegenwärtiges und nicht etwa ein vom Tod des
  64. Erblassers abhängiges zukünftiges Recht. Mit der Klage auf Feststellung
  65. des Bestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 256 Abs. 1 ZPO) kann nicht
  66. nur die Feststellung des Bestehens des Rechtsverhältnisses im ganzen,
  67. sondern auch die Feststellung einzelner, aus dem umfassenden Rechtsverhältnis hervorgehender Berechtigungen verlangt werden wie des
  68. Rechts, den Pflichtteil zu entziehen. Nichts anderes gilt für eine Klage
  69. auf Feststellung des Nichtbestehens eines Pflichtteilsentziehungsrechts,
  70. wie sie hier vorliegt (vgl. BGHZ 28, 177, 178; BGH, Urteil vom 1. März
  71. 1974 - IV ZR 58/72 - NJW 1974, 1085 unter 1; BGHZ 109, 306, 308 f.;
  72. BGH, Urteil vom 20. Januar 1993 - IV ZR 139/91 - NJW-RR 1993, 391
  73. unter 4).
  74. -5-
  75. b) Für die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage ist nach
  76. § 256 Abs. 1 ZPO weiterhin ein rechtliches Interesse des Klägers an alsbaldiger Feststellung erforderlich (vgl. Senatsurteil vom 11. Oktober
  77. 1989 - IVa ZR 208/87 - NJW-RR 1990, 130 f.). Für die positive Feststellungsklage eines Testators gegen einen Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung eines Rechts zur Entziehung des Pflichtteils hat der Senat ein
  78. solches Feststellungsinteresse bejaht, weil die Klärung der Grenzen der
  79. Testierfreiheit im allgemeinen keinen größeren Aufschub vertrage (Urteil
  80. vom 1. März 1974 aaO, BGHZ 109, 306, 309). Für die Klage eines
  81. Pflichtteilsberechtigten
  82. auf
  83. Feststellung
  84. des
  85. Nichtbestehens
  86. eines
  87. Pflichtteilsentziehungsrechts hat der Senat das Bestehen eines Interesses an alsbaldiger Feststellung dagegen grundsätzlich offengelassen,
  88. weil dem Interesse ungeduldiger Angehöriger an der Feststellung einer
  89. Rechtsstellung, die erst nach dem Erbfall für sie fühlbare rechtliche Folgen habe, nicht das gleiche Gewicht zukomme wie dem Interesse des
  90. Erblassers an der Klärung der Grenzen seiner Testierfreiheit. Wenn aber
  91. in demselben Verfahren das Bestehen eines von dem vorverstorbenen
  92. Elternteil entzogenen Pflichtteilsrechts zu klären sei, rechtfertige der Gesichtspunkt der Prozeßökonomie auch die gegenüber dem am Verfahren
  93. beteiligten überlebenden Elternteil und zukünftigen Erblasser beantragte
  94. Feststellung, daß derselbe tatsächliche Vorgang kein Recht zur Pflichtteilsentziehung begründet habe (BGHZ 109, 306, 309 f.; kritisch dazu
  95. Leipold, JZ 1990, 700).
  96. c) Das Fortbestehen eines Pflichtteilsrechts trotz einer Entziehung
  97. des Erblassers ist für den Pflichtteilsberechtigten jedoch nicht nur für die
  98. Zeit nach dem Erbfall von Bedeutung: Der Pflichtteilsberechtigte kann
  99. schon vor dem Erbfall einen Vertrag mit anderen gesetzlichen Erben
  100. -6-
  101. über seinen Pflichtteil abschließen (§ 311b Abs. 5 BGB). Er kann ferner
  102. durch Vertrag mit dem Erblasser, der meist zu Gegenleistungen bereit
  103. ist, auf sein Pflichtteilsrecht verzichten (§ 2346 Abs. 2 BGB). Dies gilt,
  104. obwohl vor Eintritt des Erbfalles nicht ausgeschlossen werden kann, daß
  105. etwa wegen Überschuldung des Nachlasses kein Pflichtteilsanspruch
  106. entsteht. Auch wenn die Feststellungsklage im Einzelfall nicht der Vorbereitung einer derartigen Verfügung über das Pflichtteilsrecht dient, besteht ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung, daß
  107. dieses Recht nicht durch letztwillige Verfügung des Erblassers wirksam
  108. entzogen sei. Erst nach einer solchen Feststellung hat der Pflichtteilsberechtigte wieder konkrete Chancen, seine schon vor dem Erbfall bestehenden Verfügungsmöglichkeiten zu nutzen. Für das Interesse des
  109. Pflichtteilsberechtigten kann hier nichts anderes gelten als sonst bei einer gegenwärtigen Gefahr oder Ungewißheit für die Rechtsposition eines
  110. Klägers, etwa durch deren Verletzung oder auch nur deren ernstliches
  111. Bestreiten (BGH, Urteil vom 7. Februar 1986 - V ZR 201/84 - NJW 1986,
  112. 2507 unter II 1; Urteil vom 10. Oktober 1991 - IX ZR 38/91 - NJW 1992,
  113. 436 unter 1; Urteil vom 22. März 1995 - XII ZR 20/94 - NJW 1995, 2032
  114. unter 3 a). Darauf weist die Revision mit Recht hin. Im vorliegenden Fall
  115. hat der Beklagte das Entziehungsrecht bereits in seinen notariellen Testamenten ausgeübt. Jedenfalls bei einer solchen Sachlage kann das
  116. Feststellungsinteresse des Pflichtteilsberechtigten nicht zweifelhaft sein.
  117. d) Demgegenüber überzeugt das Argument nicht, der Erblasser
  118. müsse zu seinen Lebzeiten vor einer Auseinandersetzung über seinen
  119. Nachlaß
  120. geschützt
  121. werden
  122. (so
  123. etwa
  124. AnwK-BGB/Herzog,
  125. § 2333
  126. Rdn. 27). Das mag wünschenswert und dem Pflichtteilsberechtigten etwa
  127. dann zu empfehlen sein, wenn zu hoffen ist, daß der Erblasser die Vor-
  128. -7-
  129. fälle, die er zum Anlaß einer Pflichtteilsentziehung genommen hat, nach
  130. Ablauf einer gewissen Zeit gelassener beurteilen wird. Andererseits
  131. greift der Erblasser durch die Pflichtteilsentziehung in eine schon zu seinen Lebzeiten bestehende Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten
  132. ein. Dessen Abwehr muß der Erblasser hinnehmen. Er ist zur Verteidigung seines Standpunkts aufgrund seiner Sachkenntnis oft besser in der
  133. Lage als der Erbe nach Eintritt des Erbfalles.
  134. Daß der Pflichtteilsberechtigte nicht die Beweislast für das Vorliegen von Entziehungsgründen trägt (§ 2336 Abs. 3 BGB), ändert grundsätzlich nichts an der Gefahr, daß ihm günstige Gegenbeweismittel durch
  135. Zeitablauf verloren gehen oder entwertet werden können. Soweit die
  136. persönliche Glaubwürdigkeit von Zeugen eine Rolle spielt oder eine Parteivernehmung in Betracht kommt, können später verwertbare Feststellungen selbst in einem Beweissicherungsverfahren nicht getroffen werden. Hier hat sich der Kläger für seine Gegendarstellung der Vorgänge,
  137. die der Pflichtteilsentziehung zugrunde liegen, unter anderem auf das
  138. Zeugnis seiner Lebensgefährtin und seiner Schwester sowie auf eine
  139. Vernehmung des Beklagten als Partei bezogen. Die infolge des Zeitablaufs bis zum Erbfall möglicherweise drohenden Beweisschwierigkeiten
  140. rechtfertigen ebenfalls das Interesse an alsbaldiger Feststellung (BGH,
  141. Urteil vom 9. März 1961 - VII ZR 145/60 - NJW 1961, 1165 unter II 1 b
  142. cc).
  143. e) Danach ist das rechtliche Interesse auch des Pflichtteilsberechtigten an einer alsbaldigen negativen Feststellung noch zu Lebzeiten des
  144. Erblassers, daß ein Recht zur Pflichtteilsentziehung nicht bestehe, in aller Regel zu bejahen (so auch OLG Saarbrücken NJW 1986, 1182; Lan-
  145. -8-
  146. ge/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 37 III 1 b S. 871 f.; MünchKomm/
  147. Leipold, BGB 3. Aufl. § 1922 Rdn. 80; MünchKomm/Frank, aaO § 2333
  148. Rdn. 2a;
  149. Palandt/Edenhofer,
  150. BGB
  151. 63. Aufl.
  152. § 2336
  153. Rdn. 1;
  154. Zöller/
  155. Greger, ZPO 24. Aufl. § 256 Rdn. 11; Schneider, ZEV 1996, 56, 57; a.A.
  156. Staudinger/Olshausen, BGB [1998] vor § 2333 Rdn. 19; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. vor § 2333 Rdn. 4). Auch dem Kläger des vorliegenden Verfahrens kommt ein berechtigtes Interesse an der begehrten
  157. Feststellung zu.
  158. Terno
  159. Dr. Schlichting
  160. Wendt
  161. Seiffert
  162. Felsch