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146 lines
7.0 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZB 27/11
  4. vom
  5. 27. Juni 2012
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
  9. Richterin
  10. Mayen,
  11. die
  12. Richter
  13. Wendt,
  14. Felsch,
  15. die
  16. Richterin
  17. Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski
  18. am 27. Juni 2012
  19. beschlossen:
  20. Der von der Antragstellerin zu den ordentlichen Gerichten
  21. beschrittene Rechtsweg ist unzulässig.
  22. Die Sache wird an das Gericht des zulässigen Rechtsweges - das Verwaltungsgericht Köln - verwiesen.
  23. Gründe:
  24. 1
  25. I. Die Antragstellerin erteilte am 7. Juli 2011 der Gerichtsvollzieherverteilerstelle in Bonn den Auftrag zur Zustellung eines in kyrillischer
  26. Schrift geschriebenen Schriftstücks an das Generalkonsulat der Russischen Föderation in Bonn. Sie trug dazu vor, dass sie und ihre beiden
  27. Kinder sich seit Jahren darum bemühten, die russische Staatsbürge rschaft aufzugeben, um sich in der Bundesrepublik Deutschland einbü rgern zu lassen, die zuständigen russischen Behörden jedoch jede Ko mmunikation hierüber verweigerten. Ihrem Bevollmächtigten sei es seit
  28. über zwei Jahren nicht gelungen, mit dem russischen Generalkonsulat in
  29. Bonn in Kontakt zu kommen. Sie sei daher auf die Zustellung über einen
  30. Gerichtsvollzieher angewiesen.
  31. -3-
  32. 2
  33. Der zuständige Obergerichtsvollzieher lehnte die Übernahme des
  34. Auftrags unter Hinweis auf Art. 22 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens
  35. vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen ab. Hiergegen legte
  36. die Antragstellerin Erinnerung, hilfsweise sofortige Beschwerde ein. Das
  37. Amtsgericht Bonn hat die Erinnerung unter Hinweis auf die Befreiung
  38. ausländischer Missionen von der deutschen Gerichtsbarkeit gemäß
  39. §§ 18 bis 20 GVG zurückgewiesen. Die hiergegen von der Antragstellerin
  40. eingelegte sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Rechtsbehelf der Erinnerung gemäß § 766 ZPO nicht zulässig, da es sich nicht um vom Gerichtsvollzi eher vorzunehmende Zustellungen im Rahmen der Zwangsvollstreckung
  41. handele. Vielmehr werde der Gerichtsvollzieher als Justizbe hörde i.S.
  42. von § 23 EGGVG tätig, so dass der dort vorgesehene Rechtsweg eröf fnet sei. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich die A ntragstellerin gegen diese Auffassung des Beschwerdegerichts und meint,
  43. gemäß §§ 766, 573 ZPO seien die von ihr gewählten Rechtsmittel der Erinnerung und der sofortigen Beschwerde gegeben.
  44. 3
  45. II. Der von der Antragstellerin beschrittene Rechtsweg zu den o rdentlichen Gerichten ist nicht eröffnet. Vielmehr handelt es sich um eine
  46. öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 VwGO, so dass die
  47. Sache gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen ist.
  48. 4
  49. 1. Die rechtliche Einordnung von Maßnahmen des Gerichtsvollzi ehers, die nicht unmittelbar die Art und Weise der Zwangsvollstreckung
  50. betreffen, wird nicht einheitlich beurteilt. Teilweise wird die Auffassung
  51. vertreten, dass eine Tätigkeit des Gerichtsvollziehers außerhalb der
  52. -4-
  53. Zwangsvollstreckung generell nicht unter § 766 ZPO falle, sondern er als
  54. Justizbehörde i.S. des § 23 EGGVG tätig werde (OLG Hamm Rpfleger
  55. 2011, 93; OLG Düsseldorf MDR 2008, 1365; OLG Frankfurt OLGR 1998,
  56. 234; 235; OLG Karlsruhe MDR 1976, 54; Baumbach/Lauterbach/Albers/
  57. Hartmann, ZPO 70. Aufl. § 23 EGGVG Rn. 4; Musielak/Lackmann, ZPO
  58. 9. Aufl. § 766 Rn. 8; Zöller/Stöber, ZPO 29. Aufl. § 766 Rn. 5; § 23
  59. EGGVG Rn. 10; MünchKomm-ZPO/Rauscher/Pabst, ZPO 3. Aufl. § 23
  60. EGGVG Rn. 45). Andere nehmen demgegenüber an, dass in diesen Fällen der Rechtsweg nach § 23 EGGVG nicht eröffnet sei, sondern es naheliege, das Vollstreckungsgericht als zuständiges Gericht anzusehen
  61. (KG MDR 1984, 856; OLG Frankfurt Rpfleger 1976, 367).
  62. 5
  63. 2. Hierauf kommt es jedoch schon deshalb nicht an, weil beide
  64. Rechtsmittel voraussetzen, dass der Weg in die ordentliche Gerichtsba rkeit eröffnet ist. Das ist hier nicht der Fall. Die Zivilprozessordnung findet
  65. nach § 3 Abs. 1 EGZPO nur auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten Anwe ndung, welche vor die ordentlichen Gerichte gehören. § 23 EGGVG setzt
  66. Justizverwaltungsakte auf dem Gebiet des bürgerlichen Recht s einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen G erichtsbarkeit oder der Strafrechtspflege voraus. Dieser besonderen
  67. Rechtswegregelung liegt die Annahme zugrunde, dass die ordentlichen
  68. Gerichte den Verwaltungsmaßnahmen in den aufgeführten Gebieten
  69. sachlich näher stehen als die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsg erichtsbarkeit und über die zur Nachprüfung justizmäßiger Verwaltungsa kte erforderlichen zivil- und strafrechtlichen Erkenntnisse und Erfahrungen
  70. verfügen (Senatsbeschluss vom 28. März 2007 - IV AR(VZ) 1/07, VersR
  71. 2008, 376 Rn. 7).
  72. -5-
  73. 6
  74. § 23 EGGVG ist als Ausnahme zu § 40 Abs. 1 VwGO eng auszulegen. Seine Anwendung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich die vom
  75. Gesetz vorausgesetzte Sachnähe der zur Überprüfung berufenen o rdentlichen Gerichtsbarkeit tatsächlich feststellen lässt (Senatsbeschlüsse vom 28. März 2007 aaO; vom 16. Mai 2007 - IV AR(VZ) 5/07, ZIP
  76. 2007, 1379 unter III 3 a; vom 16. Juli 2003 - IV AR(VZ) 1/03, NJW 2003,
  77. 2989 unter 4). Auf dieser Grundlage hat der Senat bereits entschieden,
  78. dass etwa Streitigkeiten über die Streichung aus der bei der Justizve rwaltung geführten Liste vereidigter und ermächtigter Dolmetscher und
  79. Übersetzer (Beschluss vom 28. März 2007 aaO) sowie über Maßnahmen
  80. im Rahmen dienstaufsichtlicher Tätigkeit (Beschluss vom 15. November
  81. 1988 - IVa ARZ (VZ) 5/88, BGHZ 105, 395; 399 f.) nicht unter die
  82. Rechtswegzuständigkeit des § 23 EGGVG fallen. Auch das Bundesverwaltungsgericht legt § 23 EGGVG im Verhältnis zu § 40 Abs. 1 VwGO
  83. eng aus und fordert, die in Rede stehende Amtshandlung müsse in
  84. Wahrnehmung einer Aufgabe vorgenommen werden, die der jeweiligen
  85. Behörde als ihre spezifische Aufgabe auf einem der in § 23 EGGVG aufgeführten Rechtsgebiete zugewiesen sei (NJW 1989, 412, 414: verneint
  86. für Streitigkeiten auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit im Zusamme nhang mit Presseerklärungen der Staatsanwaltschaft).
  87. 7
  88. Im Streitfall handelt es sich weder um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit noch um einen Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts. Die Antragstellerin begehrt die Zustellung eines Schrif tstücks an das Generalkonsulat der Russischen Föderation in Bonn im
  89. Zusammenhang mit der von ihr beabsichtigten Aufgabe der russischen
  90. und dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Es geht mithin um
  91. Fragen des Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts sowie des damit
  92. -6-
  93. im Zusammenhang stehenden Anwendungsbereichs der Wiener Abkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen bei Zustellu ngen. Als öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist hierfür die Zuständigkeit der
  94. Verwaltungsgerichte begründet. Nach Anhörung der Antragstellerin war
  95. die Sache daher gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige
  96. Verwaltungsgericht Köln zu verweisen.
  97. Mayen
  98. Wendt
  99. Harsdorf-Gebhardt
  100. Felsch
  101. Dr. Karczewski
  102. Vorinstanzen:
  103. AG Bonn, Entscheidung vom 10.08.2011 - 24 M 3616/11 LG Bonn, Entscheidung vom 06.09.2011 - 4 T 327/11 -