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9.2 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZB 18/11
  4. vom
  5. 20. Juni 2012
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter
  9. Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller
  10. am 20. Juni 2012
  11. beschlossen:
  12. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss
  13. des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom
  14. 9. September 2011 wird auf ihre Kosten als unzulässig
  15. verworfen.
  16. Beschwerdewert: 15.019,11 €
  17. Gründe:
  18. 1
  19. I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Rückzahlung geleisteter
  20. Versicherungsprämien für zwei fondsgebundene Lebensversicherung sverträge nach Widerspruchserklärung gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG
  21. a.F. sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
  22. 2
  23. Gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts hat die Klägerin rechtzeitig Berufung eingelegt. Innerhalb der bis zum 12. Mai 2011
  24. verlängerten Berufungsbegründungsfrist ging beim Oberlandesgericht
  25. am 26. April 2011 per Telefax und am 27. April 2011 per Post ein als Berufungsbegründung bezeichneter Schriftsatz ein, der handschriftlich mit
  26. -3-
  27. "i.A. J. U.
  28. " unterzeichnet ist. Die Unterschrift stammt von der in der
  29. Rechtsanwaltskanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin damals
  30. angestellten Rechtsanwältin J.
  31. lich vermerkt: "C.
  32. 3
  33. S.
  34. U.
  35. . Darunter ist maschinenschrift-
  36. Rechtsanwalt".
  37. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen,
  38. weil die Berufungsbegründung nicht von den beauftragten Proze ssbevollmächtigten der Klägerin unterschrieben sei. Zwar sei die Unterzeichnung einer Rechtsmittelschrift durch einen Vertreter zulässig. Dieser
  39. müsse jedoch die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes
  40. übernehmen. Dafür reiche eine Unterschrift "i.A." ("im Auftrag") nicht
  41. aus, weil der Unterzeichnende zu erkennen gebe, dass er dem Gericht
  42. gegenüber nur als Erklärungsbote auftrete. Etwas anderes gelte, wenn
  43. aus weiteren Umständen ersichtlich sei, dass der Unterzeichner in
  44. Wahrnehmung eines auch ihm erteilten Mandats tätig geworden sei. Dies
  45. könne angenommen werden, wenn der Unterzeichner im Briefkopf des
  46. Schriftsatzes als Sozietätsmitglied aufgeführt sei. Das sei hier nicht der
  47. Fall, weil Rechtsanwältin U.
  48. in der Sozietät der Prozessbevollmäch-
  49. tigten der Klägerin angestellt und kein Sozietätsmitglied gewesen sei.
  50. 4
  51. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
  52. 5
  53. II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach den §§ 574 Abs. 1 Nr. 1,
  54. 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, jedoch nicht im Übrigen zulässig, weil
  55. die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
  56. Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht. Das Berufungsgericht hat nicht die Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf Gewährung
  57. -4-
  58. wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
  59. Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es ihre Berufung mit der Begründung, die Berufungsbegrü ndungsschrift sei nicht ordnungsgemäß unterschrieben, verworfen hat.
  60. 6
  61. 1. Die Unterzeichnung der Berufungsbegründung mit "i.A. J. U.
  62. "
  63. hat das Berufungsgericht zutreffend als unzureichend gewertet.
  64. 7
  65. a)
  66. Die
  67. Berufungsbegründungsschrift
  68. muss
  69. als
  70. bestimmender
  71. Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem beim Berufung sgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben
  72. sein (§§ 130 Nr. 6, 519 Abs. 4 ZPO). Mit diesem Erfordernis soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen
  73. Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechti gten dem Gericht zugeleitet worden ist. Insbesondere soll die Unterschrift
  74. die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung e rmöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die
  75. Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen (Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2011 - IV ZB 9/11, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 26. April 2012 - VII ZB 36/10, juris Rn. 7; vom 26. April
  76. 2012 - VII ZB 83/10, juris Rn. 7; vom 22. November 2005 - VI ZB 75/04,
  77. VersR 2006, 387 Rn. 5; Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, VersR
  78. 2006, 427 unter B II 1 a; jeweils m.w.N.).
  79. 8
  80. b) Die Unterschriftsleistung ist unter bestimmten Voraussetzungen
  81. auch durch einen Vertreter zulässig. Dieser muss jedoch die volle Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelschrift übernehmen, was er
  82. etwa mit einer Unterzeichnung "i.V." oder "für Rechtsanwalt …" zum
  83. Ausdruck bringen kann. Die Verwendung des Zusatzes "i.A." ("im Auf-
  84. -5-
  85. trag") reicht für die Übernahme der Verantwortung in diesem Sinne
  86. grundsätzlich nicht aus, weil der Unterzeichnende damit zu erkennen
  87. gibt, dass er dem Gericht gegenüber nur als Erklärungsbote auftritt
  88. (BGH, Beschluss vom 19. Juni 2007 - VI ZB 81/05, FamRZ 2007, 1638
  89. unter II; Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 192/02, VersR 2004, 487 unter
  90. II 2; Beschlüsse vom 27. Mai 1993 - III ZB 9/93, VersR 1994, 368 unter
  91. 1; vom 5. November 1987 - V ZR 139/87, VersR 1988, 497).
  92. 9
  93. Die Unterzeichnung einer Rechtsmittelschrift mit dem Zusatz "i.A."
  94. ist nur dann unschädlich, wenn der unterzeichnende Rechtsanwalt als
  95. Sozietätsmitglied zum Kreis der beim Berufungsgericht zugelassenen
  96. Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers zählt und damit unmitte lbar in Ausführung des auch ihm selbst erteilten Mandats tätig geworden
  97. ist (BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2007 aaO; vom 27. Mai 1993 aaO unter 2).
  98. 10
  99. Darauf kann sich die Klägerin - wie das Berufungsgericht richtig
  100. ausgeführt hat - nicht stützen. Rechtsanwältin U.
  101. war, wie die Kläge-
  102. rin vorträgt und aus dem Briefkopf der Berufungsbegründungsschrift ersichtlich ist, zur Zeit der Unterzeichnung der Berufungsbegründung in
  103. der Sozietät der Prozessbevollmächtigten der Klägerin angestellt und
  104. kein Sozietätsmitglied. Dieses Anstellungsverhältnis wollte Rechtsanwältin U.
  105. , wie sie in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben hat,
  106. durch den Zusatz "i.A." (= "in Anstellung") auch zum Ausdruck bringen.
  107. 11
  108. Aus dieser eidesstattlichen Versicherung kann die Klägerin auch
  109. im Übrigen nichts zu ihren Gunsten herleiten. Dies folgt schon daraus,
  110. dass die Berufungsbegründungsfrist bei Eingang der eidesstattlichen
  111. Versicherung am 6. September 2011 längst abgelaufen und eine Heilung
  112. -6-
  113. des die wirksame Begründung eines Rechtsmittels betreffende n Mangels
  114. nach Ablauf der Begründungsfrist nicht mehr möglich war (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1987 aaO m.w.N.).
  115. 12
  116. 2. Das Berufungsgericht hat das Recht der Klägerin auf Gewä hrung rechtlichen Gehörs nicht dadurch verletzt, dass es ihren Vortrag in
  117. ihrem Schriftsatz vom 31. August 2011 und die beigefügte eidesstattliche
  118. Versicherung der Rechtsanwältin U.
  119. nicht berücksichtigt hat. Es
  120. musste nicht, wie die Beschwerde meint, in der Zeit zwischen dem Eingang der Berufungsbegründung und dem Ablauf der bis zum 12. Mai
  121. 2011 verlängerten Berufungsbegründungsfrist die Klägerin auf die B edenken hinsichtlich der Unterschrift hinweisen.
  122. 13
  123. Im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz sind der gerichtl ichen Fürsorgepflicht enge Grenzen gesetzt. Nur unter besonderen Umständen kann ein Gericht gehalten sein, einer drohenden Fristversäu mnis seitens der Partei entgegenzuwirken. So darf es nicht sehenden A uges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleidet (BGH, Beschluss
  124. vom 15. Juni 2004 - VI ZB 9/04, VersR 2005, 136 unter 2 a m.w.N.). So
  125. liegt der Fall hier nicht. Das Berufungsgericht hatte vor Ablauf der Ber ufungsbegründungsfrist nicht bemerkt, dass die Berufungsbegründung
  126. nicht ordnungsgemäß unterzeichnet war, und somit nicht sehenden Auges die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist in Kauf genommen.
  127. Indem das Berufungsgericht am 28. April 2011 der Beklagten eine Frist
  128. zur Erwiderung auf die Berufungsbegründung gesetzt und die Prozes sbevollmächtigten der Parteien darüber informiert hatte, dass am 24 . Juni
  129. 2011 über die Sache beraten werde, hat es der Klägerin nicht das Ve rtrauen vermittelt, zumindest die Prozessvoraussetzungen seien in Or dnung.
  130. -7-
  131. 14
  132. Im Hinblick auf den übrigen Geschäftsanfall ist es nicht zu bea nstanden, wenn der Richter erst bei Bearbeitung des Falles und damit
  133. nach Ablauf der Fristen die Zulässigkeit der Berufung und dabei auch die
  134. Einhaltung der Form überprüft (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 aaO).
  135. Allerdings gebietet es die gerichtliche Fürsorgepflicht, die Partei auf e inen leicht erkennbaren Formmangel - wie das vollständige Fehlen einer
  136. zur Fristwahrung erforderlichen Unterschrift - hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben
  137. (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - VI ZB 37/08, VersR 2009,
  138. 699 Rn. 10; BVerfG VersR 2004, 1585). Ein offensichtlicher formaler
  139. Mangel war die hier in Rede stehende Unterzeichnung "i.A." nicht, weil
  140. -8-
  141. sie anders als eine gänzlich fehlende Unterschrift nicht sogleich auffallen
  142. musste und zudem weitere Gesichtspunkte - wie die Zugehörigkeit des
  143. Unterzeichners zur Sozietät - zu prüfen waren.
  144. Mayen
  145. Harsdorf-Gebhardt
  146. Lehmann
  147. Dr. Brockmöller
  148. Vorinstanzen:
  149. LG Aachen, Entscheidung vom 11.02.2011 - 9 O 247/10 OLG Köln, Entscheidung vom 09.09.2011 - 20 U 52/11 -
  150. Dr. Karczewski