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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. III ZR 358/04
  5. Verkündet am:
  6. 2. Juni 2005
  7. Freitag
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 823 Ea, J; § 839 Fe, J
  19. Stürzt ein Fußgänger in unmittelbarer Nähe einer Gefahrenstelle, so liegt
  20. nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises der Schluß nahe, daß die
  21. Gefahrenstelle Ursache des Sturzes war (im Anschluß an BGH, Urt. vom
  22. 13. Februar 1962 - VI ZR 81/61 - VersR 1962, 449).
  23. BGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - III ZR 358/04 - OLG München
  24. LG Oldenburg
  25. - 2 -
  26. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 2. Juni 2005 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
  28. Streck, Dr. Kapsa, Dörr und Dr. Herrmann
  29. für Recht erkannt:
  30. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats
  31. des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 23. Juli 2004 aufgehoben.
  32. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  33. über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand
  36. Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde wegen Verletzung ihrer Straßenverkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz in Anspruch. Am Morgen
  37. des 14. Januar 2003 stürzte der Kläger bei Dunkelheit auf dem Gehweg der
  38. verkehrsberuhigten B.
  39. straße in G.
  40. . Nach seinem erstinstanzlichen
  41. Vortrag war dort um einen im Boden verlegten Absperrhahn herum die Pflasterung
  42. herausgerissen. Über diese losen Steine sei er gestolpert, in eine Bodenöff-
  43. - 3 -
  44. nung gerutscht und umgeknickt. Dabei habe er sich erheblich verletzt und sei
  45. jetzt noch arbeitsunfähig. Die Mosaik-Basaltsteine an dieser Stelle seien nicht
  46. vorschriftsmäßig befestigt gewesen, da sie nicht entsprechend der Ausschreibung in Mörtel, sondern lose in Sand verlegt worden seien. Außerdem sei die
  47. Beklagte von Anwohnern darüber informiert worden, daß sich Steine aus dem
  48. Pflaster gelöst hätten.
  49. Die Vorinstanzen haben die auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, mindestens 5.500 €, sowie auf Feststellung einer Ersatzpflicht der
  50. Beklagten für alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden des Klägers
  51. gerichtete Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen
  52. Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
  53. Entscheidungsgründe
  54. Die Revision hat Erfolg.
  55. I.
  56. Das Berufungsgericht hat sich aufgrund der Unfallschilderung des Klägers in der mündlichen Berufungsverhandlung nicht davon überzeugt gesehen,
  57. daß das in der Straße befindliche Loch ursächlich für den Sturz des Klägers
  58. gewesen sei. Als der Kläger gefallen sei, habe er nach seiner Darstellung die
  59. Ursache dafür nicht bemerkt. Er habe nur das Gefühl gehabt, daß jemand sein
  60. Bein festhalte. Am Nachmittag habe er die Unfallstelle besichtigt und das Loch
  61. - 4 -
  62. in der Pflasterung bemerkt. Es sei daher naheliegend, daß er daraufhin die
  63. Schlußfolgerung gezogen habe, mit dem Schuh in das Loch getreten und dadurch zu Fall gekommen zu sein. Das sei indes nur eine Möglichkeit, ohne daß
  64. dadurch andere unfallursächliche Möglichkeiten ausgeschlossen wären. Wenn
  65. die Straßenlaterne zwei Meter von der Unfallstelle entfernt nicht gebrannt habe, wie es nach dem Klagevorbringen in Betracht komme, müsse der Kläger in
  66. eine dunkle Zone getreten sein. Dies hätte ihm auffallen müssen. Zudem habe
  67. er in der Klageschrift den Unfallhergang noch anders geschildert. Danach wolle
  68. er auf lose auf dem Fußweg liegende Basaltsteine getreten, über diese in die
  69. Bodenöffnung gerutscht und dann umgeknickt sein. Diese Beschreibung des
  70. Unfallhergangs sei aber mit seiner Schilderung in der mündlichen Verhandlung
  71. vor dem Berufungssenat nicht in Übereinstimmung zu bringen.
  72. II.
  73. Das hält den Angriffen der Revision nicht stand.
  74. 1.
  75. Das Berufungsgericht hat sich mit der Frage, ob der Beklagten eine Ver-
  76. letzung ihrer in Niedersachsen hoheitlich ausgestalteten (§ 10 Abs. 1 NStrG)
  77. Straßenverkehrssicherungspflicht zur Last fällt, insbesondere, ob ihr der gefährliche Zustand des Fußwegs vor dem Unfall bekannt war, nicht befaßt. Für
  78. die Revisionsinstanz ist dies demnach zugunsten des Klägers zu unterstellen.
  79. 2.
  80. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger in unmit-
  81. telbarer Nähe der Gefahrenstelle, wie sie sich aus dem Loch in der Pflasterung
  82. des Gehwegs und den lose darum herumliegenden Pflastersteinen ergab, ge-
  83. - 5 -
  84. stürzt. Ein solcher Geschehensablauf legt aber, was das Berufungsgericht verkennt, nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises den Schluß nahe, daß
  85. die verkehrswidrige Gefahrenquelle Ursache des Sturzes war (BGH, Urteil vom
  86. 13. Februar 1962 - VI ZR 81/61 - VersR 1962, 449, 450; Senatsbeschluß vom
  87. 17. September 1987 - III ZR 138/86 - Umdruck S. 3; s. auch BGH, Urteil vom
  88. 26. Mai 1954 - VI ZR 186/53 - VersR 1954, 401, 402). Das verkürzt zugleich
  89. die Darlegungslast des Klägers. Er muß somit weder vortragen noch beim
  90. Bestreiten der Beklagten zur Überzeugung des Gerichts beweisen, wie im einzelnen es zu dem Unfall gekommen ist. Den für ihn streitenden Beweis des
  91. ersten Anscheins für eine Unfallursächlichkeit der Gefahrenstelle zu erschüttern, ist vielmehr Sache der Beklagten. Sie hat daher zumindest die ernsthafte
  92. Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs, d.h. eines nicht auf die Gefahrenstelle zurückgehenden Unfallhergangs, darzutun und gegebenenfalls
  93. nachzuweisen.
  94. Mit Rücksicht darauf überspannt das Berufungsgericht hier die Anforderungen an einen schlüssigen Klagevortrag. Es genügt, daß der Kläger, wie er
  95. es im Kern stets behauptet hat, wegen des gefährlichen Lochs im Fußweg oder
  96. der herumliegenden, ähnlich gefährlichen Pflastersteine zu Fall gekommen
  97. sein will. Andere realistisch in Frage kommende Möglichkeiten, die den sich
  98. anbietenden Schluß auf die Unfallursächlichkeit entkräften könnten, zeigt das
  99. Berufungsgericht nicht auf; auch die Beklagte hat hierzu nichts vorgetragen.
  100. III.
  101. - 6 -
  102. Auf dieser Grundlage kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben.
  103. Eine eigene Sachentscheidung des Senats - auch nur zum Anspruchsgrund scheidet mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen aus. Das angefochtene Urteil ist deswegen aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die fehlenden Feststellungen nachholen
  104. kann. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß es überzogen wäre, dem
  105. Kläger mit dem Landgericht im Rahmen der Prüfung eines etwaigen Mitverschuldens vorzuhalten, er hätte sich nur mit einer Taschenlampe auf die Straße begeben dürfen, falls die Straßenlaterne nahe der Unfallstelle nicht gebrannt haben sollte.
  106. Schlick
  107. Streck
  108. Dörr
  109. Kapsa
  110. Hermann