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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. III ZR 102/00
  5. Verkündet am:
  6. 26. April 2001
  7. Freitag
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ------------------------------------
  19. HaftpflG 1978 § 2
  20. Zur Haftung der Gemeinde nach § 2 HPflG, wenn bei Starkregen
  21. aus der Regenwasserkanalisation austretendes Wasser oder
  22. - möglicherweise auch nur zu einem wesentlichen Teil - von der
  23. Kanalisation nicht aufgenommenes Oberflächenwasser ein anliegendes Grundstück überschwemmt.
  24. BGH, Urteil vom 26. April 2001 - III ZR 102/00 - OLG Düsseldorf
  25. LG Mönchengladbac
  26. - 2 -
  27. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  28. vom 26. April 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter
  29. Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke
  30. für Recht erkannt:
  31. Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Grundurteil des
  32. 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. März
  33. 2000 im Kostenpunkt - mit Ausnahme der Entscheidung über die
  34. außergerichtlichen Kosten des früheren Beklagten zu 2 - und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 1 erkannt
  35. worden ist.
  36. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten
  37. Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  38. Von Rechts wegen
  39. - 3 -
  40. Tatbestand
  41. Die Kläger waren Eigentümer des Hanggrundstücks L. 143 in Sch. Das
  42. mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück liegt unterhalb der quer zum Hang
  43. verlaufenden Straße L. (Kreisstraße 146) im Bereich eines früheren Hohlwegs.
  44. Etwa gegenüber mündet von oben in die Kreisstraße ein im Eigentum der Ortsgemeinde stehender geteerter Wirtschaftsweg ein, neben dem im oberen
  45. Bereich bis ca. 85 m vor der Einmündung ein offener Graben verläuft. Von dort
  46. fließt das im Seitengraben gesammelte Niederschlagswasser unterirdisch
  47. durch Rohre und einen weiteren offenen Graben in die Schwalm. An die Verrohrung ist auch die Entwässerung der Straße L. angeschlossen.
  48. Am 13. und 14. Juli 1997 kam es in Sch. zu starken Regenfällen, in deren Folge der Keller im Haus der Kläger überschwemmt wurde. Die Kläger haben den Schaden auf einen Rückstau innerhalb des Rohrnetzes zurückgeführt
  49. und behauptet, im Einmündungsbereich des Wirtschaftswegs seien infolge des
  50. Überdrucks die Kanaldeckel aus ihren Verankerungen gedrückt worden, so
  51. daß das aus den Gullys hochschießende Wasser über die Straße L. auf ihr
  52. Grundstück geflossen sei. Wegen ihres auf 78.427,78 DM bezifferten Schadens haben die Kläger die erstbeklagte Gemeinde als Betreiberin der Abwasserkanalisation und den für die Unterhaltung des Grabens unterhalb der Verrohrung verantwortlichen zweitbeklagten Wasserverband gesamtschuldnerisch
  53. auf Zahlung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage insgesamt
  54. abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat nach Rücknahme der Klage gegen
  55. den Wasserverband die gegen die Beklagte zu 1 (künftig: die Beklagte) gerichtete Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und zur Entscheidung
  56. - 4 -
  57. über die Höhe des Anspruchs den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.
  58. Entscheidungsgründe
  59. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es zum
  60. Nachteil der Beklagten ergangen ist, und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
  61. I.
  62. Nach Ansicht des Berufungsgerichts haftet die Gemeinde den Klägern
  63. nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG. Das gemeindliche Kanalisationsnetz gehöre zu
  64. den unter § 2 HPflG fallenden Rohrleitungsanlagen. Der geltend gemachte
  65. Schaden sei nach dem unstreitigen Parteivortrag auch durch die Wirkungen
  66. des von der Rohrleitung ausgehenden Wassers entstanden. Dem Klagevorbringen über die Ursachen der Überschwemmung sei die Beklagte nämlich bis
  67. zur mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht nicht, jedenfalls nicht
  68. hinreichend, entgegengetreten. Auf einen Hinweis des Berufungsgerichts, es
  69. sehe als unstreitig an, daß das Wasser aus der Kanalisation ausgetreten und
  70. von dort in den Keller der Kläger gelangt sei, habe die Beklagte die Darstellung
  71. der Kläger zwar im Verhandlungstermin erstmals bestritten. Dieses Vorbringen
  72. sei jedoch als verspätet zurückzuweisen. Ebensowenig könne sich die Be-
  73. - 5 -
  74. klagte auf höhere Gewalt im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG berufen. Sie habe allerdings mehrfach von "der schlimmsten Flut seit 30 Jahren" und einem
  75. "Jahrhunderthochwasser" gesprochen.
  76. Konkrete Angaben über Nieder-
  77. schlagsmenge und -intensität und die statistische Wiederkehrzeit ließen sich
  78. diesem Vortrag jedoch nicht entnehmen. Erst auf einer solchen Grundlage wäre, meint das Berufungsgericht, eine Prüfung möglich, ob ein katastrophenartiges Unwetter hier "höherer Gewalt" gleichgestellt werden könnte.
  79. II.
  80. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis nicht
  81. stand.
  82. 1.
  83. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Zu
  84. den in § 2 Abs. 1 HPflG genannten Rohrleitungsanlagen rechnet der Senat in
  85. ständiger Rechtsprechung auch die gemeindliche Abwasserkanalisation
  86. (BGHZ 109, 8, 12; 115, 141, 142; jew. m.w.N.). Inhaberin der Anlage war im
  87. Streitfall zumindest auch die Beklagte, ungeachtet dessen, daß das Kanalsystem zugleich dem Abfluß des im Seitengraben des Wirtschaftswegs gesammelten Niederschlagswassers und damit möglicherweise eines Gewässers
  88. diente, für das das Berufungsgericht eine Verantwortlichkeit der Gemeinde
  89. nicht festgestellt hat (vgl. hierzu Senatsurteil vom 27. Januar 1983 - III ZR
  90. 70/81 - LM § 839 [Fe] BGB Nr. 74 = DVBl. 1983, 1055 f.). Soweit Regenwasser
  91. aus dem Kanalnetz ausgetreten und von dort auf das Grundstück der Kläger
  92. geflossen sein sollte, wäre der Schaden ferner auf die Wirkungen der transportierten Flüssigkeit zurückzuführen (s. Senatsurteile BGHZ 109, 8, 12 f.; 115,
  93. - 6 -
  94. 141 f.; Urteil vom 14. Juli 1988 - III ZR 225/87 - NJW 1989, 104 f.). Anders läge
  95. es dagegen bei Niederschlagswasser, das ungefaßt schon nicht in die Kanalisation gelangt ist (BGHZ 114, 380, 381 ff.; 115, 141, 143; 140, 380, 390). Insoweit käme eine Ersatzpflicht der beklagten Gemeinde allenfalls nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB, Art. 34 GG) oder wegen enteignungsgleichen Eingriffs in Betracht (vgl. etwa BGHZ 109, 8, 10; 115, 141,147 f.; 125, 19,
  96. 20 f.; 140, 380, 384 ff.).
  97. 2.
  98. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Kläger, das Nieder-
  99. schlagswasser sei im Schadensfall fontänenartig aus den Gullys der Kanalisation herausgeschossen und habe anschließend ihr Grundstück überflutet, als
  100. bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungssenat unstreitig angesehen
  101. und das ausdrückliche Bestreiten eines solchen Verlaufs im Verhandlungstermin als verspätet zurückgewiesen. Das rügt die Revision mit Recht als verfahrensfehlerhaft.
  102. a) Dem Berufungsgericht ist schon nicht darin zuzustimmen, daß die
  103. Beklagte den Klagevortrag über die Ursachen der Überschwemmung bis dahin
  104. unbestritten gelassen hat. Die Beklagte hatte die Behauptung, das Regenwasser sei aus den Kanalöffnungen wieder ausgetreten, zwar nicht ausdrücklich
  105. bestritten. Sie hatte ihr jedoch einen abweichenden, mit der Schilderung der
  106. Kläger unvereinbaren Sachverhalt entgegengesetzt, demzufolge der Niederschlag als Oberflächenwasser - d.h. entgegen dem Verständnis des Berufungsgerichts ungefaßt - höchstwahrscheinlich vom Hang her über den Wirtschaftsweg zunächst die Kreisstraße und sodann das Grundstück der Kläger
  107. überflutet habe. Nach § 138 ZPO genügt es, daß die Absicht, die vom Gegner
  108. vorgetragenen Tatsachen bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen
  109. - 7 -
  110. der Partei hervorgeht. Angesichts der beiderseitigen gegensätzlichen Sachdarstellungen kann daran hier kein vernünftiger Zweifel bestehen.
  111. b) Selbst wenn aber etwa verbleibende Unklarheiten, inwieweit die Beklagte den Behauptungen der Kläger über die Schadensursachen entgegentreten wollte, dadurch nicht ausgeräumt gewesen sein sollten, hätte das Berufungsgericht die Klarstellung seitens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht als verspätet zurückweisen dürfen. Mit Recht hat das Oberlandesgericht dann einen Aufklärungsbedarf gesehen und deswegen einen richterlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO für geboten erachtet. Ein solcher Hinweis
  112. erfüllt seinen Zweck jedoch nur dann, wenn der Partei anschließend die Möglichkeit eröffnet wird, ihren Sachvortrag unter Berücksichtigung des Hinweises
  113. zu ergänzen (BGHZ 127, 254, 260; 140, 365, 371; BGH, Urteil vom 8. Februar
  114. 1999 - II ZR 261/97 - NJW 1999, 2123, 2124). Die Verfahrensweise des Berufungsgerichts, die Präzisierung des Beklagtenvorbringens nunmehr wegen
  115. Verspätung unbeachtet zu lassen, verfehlt diesen Zweck und läßt seinen erst
  116. in der mündlichen Verhandlung gegebenen Hinweis sinnlos erscheinen; sie
  117. verstößt damit zugleich gegen das Verbot von Überraschungsentscheidungen
  118. (§ 278 Abs. 3 ZPO).
  119. III.
  120. Für eine Sachentscheidung des Senats fehlt es bislang an verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen. Aus diesem Grund ist das Berufungsurteil
  121. aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
  122. - 8 -
  123. das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der
  124. Senat auf folgendes hin:
  125. 1.
  126. Sollte sich die Behauptung der Kläger, die auf ihr Grundstück geflosse-
  127. nen Wassermassen entstammten der Kanalisation der Beklagten, ganz oder zu
  128. wesentlichen Teilen als richtig erweisen, käme es insoweit auf die im angefochtenen Urteil verneinte Frage an, ob der von der Beklagten behauptete Katastrophenregen zum Ausschluß ihrer Haftung wegen höherer Gewalt im Sinne
  129. des § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG führen kann. Der Senat hat bisher offengelassen,
  130. ob sich in derartigen Fällen die Annahme höherer Gewalt schon deshalb verbietet, weil die Schadensfolge nicht einem betriebsfremden "Drittereignis" zuzurechnen, sondern Ausfluß des mit dem Betrieb der Anlage verbundenen besonderen Risikos ist (BGHZ 109, 8, 14 f.; eine Berufung auf höhere Gewalt
  131. lassen dagegen bei katastrophenartigen Unwettern zu: OLG Düsseldorf ZMR
  132. 1994, 326, 328; OLG München OLG-Report 2000, 62; OLG Zweibrücken
  133. BADK-Inf. 1991, 53, 54; Filthaut, HPflG, 5. Aufl., § 2 Rn. 74; verneinend für
  134. Regenfälle mit einer Wiederkehrzeit von zehn Jahren OLG Karlsruhe NVwZRR 2001, 147, 148; die hiergegen eingelegte Revision hat der Senat mit Beschluß vom 19. Oktober 2000 - III ZR 322/99 - nicht angenommen). Beim gegenwärtigen Verfahrensstand ist dies auch hier nicht zu entscheiden. Voraussetzung wäre jedenfalls ein ganz ungewöhnlicher und seltener Starkregen
  135. (Katastrophenregen), auf den die Beklagte ihre Kanalisation auch unter dem
  136. Gesichtspunkt der durch den konzentrierten Transport von Wasser erhöhten
  137. Gefährdung Dritter wirtschaftlich zumutbar nicht auslegen mußte und konnte
  138. (vgl. BGHZ 109, 8, 15).
  139. - 9 -
  140. Das Berufungsgericht wird unter Berücksichtigung dieser Mindestanforderungen gegebenenfalls erneut zu prüfen haben, ob der Hinweis der Beklagten auf einen Katastrophenregen insoweit erheblich ist. Mangelnde Substantiierung wird es deren Vorbringen dabei allerdings nicht entgegenhalten können,
  141. wie die Revision ebenfalls mit Recht rügt. Ein Parteivorbringen ist grundsätzlich
  142. schon dann schlüssig (oder - als Einwendung - erheblich), wenn die behauptete Tatsache das gesetzliche Tatbestandsmerkmal ausfüllt; zur Darstellung
  143. weiterer Einzelheiten ist die Partei grundsätzlich nicht verpflichtet, insbesondere dann nicht, wenn ihr dies mangels eigener Kenntnisse nicht möglich ist
  144. (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 25. November 1998 - VIII ZR 345/97 NJW-RR 1999, 360; vom 11. September 2000 - II ZR 34/99 - NJW 2001, 144,
  145. 145 m.w.N.). Da die Beklagte in bezug auf Regenmenge und -intensität über
  146. keine erkennbar erhöhte Sachkunde verfügt, kann von ihr der vom Berufungsgericht geforderte Vortrag konkreter Meßergebnisse für das fragliche Gebiet
  147. oder die exakte Darlegung der statistischen Wiederkehrzeit nicht verlangt werden.
  148. 2.
  149. Stellt sich demgegenüber heraus, daß das Kanalnetz der Beklagten das
  150. wild abfließende Oberflächenwasser zumindest in wesentlichen Teilen schon
  151. nicht aufgenommen hat und diese Wassermassen sodann auf das Grundstück
  152. der Kläger gelangt sind, wird das Berufungsgericht den Behauptungen der Kläger nachzugehen haben, die gemeindliche Abwasserkanalisation sei unterdimensioniert und sei zudem jahrelang nicht gereinigt worden.
  153. 3.
  154. Haftet die Beklagte hiernach nur für einen Teil der schadensursächli-
  155. chen Wassermengen, insbesondere nur für das aus der Kanalisation ausgetretene Wasser, sofern auch nicht gefaßtes Oberflächenwasser in erheblichem
  156. - 10 -
  157. Umfang auf das Grundstück geflossen ist und bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat, wird das Berufungsgericht - gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe - den darauf entfallenden Haftungsanteil gemäß § 287 ZPO zu
  158. schätzen haben.
  159. Rinne
  160. Wurm
  161. Dörr
  162. Kapsa
  163. Galke