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9.7 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. III ZB 43/16
  4. vom
  5. 30. März 2017
  6. in dem Rechtsstreit
  7. ECLI:DE:BGH:2017:300317BIIIZB43.16.0
  8. - 2 -
  9. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. März 2017 durch den
  10. Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die Richter Seiters und Reiter sowie die
  11. Richterinnen Dr. Liebert und Dr. Arend
  12. beschlossen:
  13. Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2 wird der Beschluss
  14. des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. Mai
  15. 2016 aufgehoben.
  16. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten
  17. des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  18. Gegenstandswert: 4.200 €
  19. Gründe:
  20. I.
  21. 1
  22. Die Beklagte zu 2 (im Folgenden nur: Beklagte) wendet sich gegen die
  23. unter Versagung der Wiedereinsetzung erfolgte Verwerfung ihrer Berufung wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist.
  24. 2
  25. Das Teilurteil des Landgerichts vom 29. Januar 2016 ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zusammen mit zwei Urteilen in Parallelverfahren
  26. am 8. Februar 2016 zugestellt worden. In dem Verfahren 5 U 225/16 ist die Be-
  27. - 3 -
  28. rufungsschrift vom 16. Februar 2016 rechtzeitig beim Oberlandesgericht eingegangen. Im hiesigen Verfahren (5 U 511/16) und im Rechtsstreit 5 U 512/16 (III
  29. ZB 44/16) hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom
  30. 8. April 2016 Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand,
  31. zugleich Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Wiedereinsetzung hat er im Wesentlichen darauf verwiesen, dass er am 16. Februar
  32. 2016 insgesamt drei Berufungsschriften in den drei Parallelverfahren verfasst
  33. und alle drei Schriftsätze durch eine Mitarbeiterin per Post an das Oberlandesgericht versandt habe. Dort sei aber nur eine Berufung eingegangen. Die Beklagte habe sich auf die Zuverlässigkeit der Post verlassen dürfen.
  34. 3
  35. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht - unter
  36. Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung - die Berufung als unzulässig
  37. verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
  38. II.
  39. 4
  40. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Oberlandesgericht.
  41. 5
  42. 1.
  43. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, nach § 233 Satz 1 ZPO komme
  44. eine Wiedereinsetzung nur in Betracht, wenn die Partei ohne ihr Verschulden
  45. gehindert gewesen sei, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung
  46. liege jedoch nicht vor. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Versäumung auf einem Organisationsverschulden - unzureichende Ausgangskontrolle - des Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruhe, das sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Die Kausalität dieses Ver-
  47. - 4 -
  48. schuldens könne nicht deswegen verneint werden, weil der Prozessbevollmächtigte vorgetragen habe, alle drei Berufungen seien durch eine Mitarbeiterin in
  49. den Briefkasten eingeworfen worden. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seien ungeeignet, einen tatsächlichen Einwurf glaubhaft zu machen.
  50. Die Mitarbeiterin habe in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 18. April 2016
  51. erklärt, sie habe die drei Berufungsschriften am 16. Februar 2016 nach Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten in Kuverts verpackt, ausreichend frankiert und persönlich in den Briefkasten eingeworfen. Hieran könne
  52. sie sich noch erinnern, da sie an diesem Tag für den Postdienst eingeteilt gewesen sei. Diese Angaben stünden jedoch in Widerspruch zur eidesstattlichen
  53. Versicherung vom 8. April 2016. Denn dort habe die Mitarbeiterin erklärt, nicht
  54. mehr genau sagen zu können, ob für den Versand ein einheitlicher großer
  55. Briefumschlag oder drei getrennte Briefumschläge verwendet worden seien.
  56. Wenn die Mitarbeiterin aber tatsächlich eine so spezifische Erinnerung an den
  57. Einwurf der Berufungsschriften in den Briefkasten hätte, müsste sie auch wissen, ob diese in einem einheitlichen, großen Umschlag oder drei getrennten
  58. Umschlägen von ihr persönlich in den Briefkasten eingeworfen worden seien.
  59. 6
  60. 7
  61. 2.
  62. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
  63. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2
  64. Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer
  65. einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Kausalität des anwaltlichen Organisationsverschuldens beru-
  66. - 5 -
  67. hen auf einem Verfahrensfehler und verletzen die Beklagte in ihrem Grundrecht
  68. auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG). Das Rechtsmittel ist auch
  69. begründet.
  70. 8
  71. a) Zu Unrecht beanstandet die Beklagte allerdings, dass das Oberlandesgericht von der Versäumung der Berufungsfrist ausgegangen ist und in verfassungswidriger Weise "die naheliegende Möglichkeit, dass die Berufungsschrift abgesandt und beim Berufungsgericht eingegangen ist, nicht ernsthaft
  72. erwogen hat, obwohl der unterbreitete Prozessstoff dazu jeden Anlass bot". Insoweit kommt es nicht darauf an, dass - siehe die Ausführungen zu b) - dem
  73. Oberlandesgericht, das den Einwurf der Berufungsschrift in den Briefkasten als
  74. nicht glaubhaft gemacht angesehen hat, bei der diesbezüglichen Würdigung ein
  75. Verfahrensfehler unterlaufen ist. Denn es konnte, selbst wenn man den Vortrag
  76. der Beklagten als wahr unterstellen würde, rechtsfehlerfrei davon ausgehen,
  77. dass die Berufungsfrist nicht gewahrt worden ist.
  78. 9
  79. Die Beklagte hat in ihren Schriftsätzen vom 8. und 19. April 2016 durchgängig vorgetragen, die Berufungsschrift sei nicht beim Oberlandesgericht eingegangen. Sie hat insoweit eine eidesstattliche Versicherung einer anwaltlichen
  80. Mitarbeiterin vorgelegt, in der diese erklärt hat, sie habe am 7. April 2016 beim
  81. Berufungsgericht angerufen. Sowohl die Geschäftsstelle des 5. Zivilsenats als
  82. auch die Registratur des Oberlandesgerichts hätten ihr bestätigt, dass lediglich
  83. in einem der drei Verfahren eine Berufungsschrift eingegangen sei. In der Akte
  84. 5 U 225/16 befände sich auch nur die Berufungsschrift zu diesem Verfahren,
  85. nicht etwa seien versehentlich die fehlenden Berufungen in 5 U 511/16 und
  86. 512/16 zu dieser Akte gelangt. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat die Be-
  87. - 6 -
  88. klagte insoweit geltend gemacht, sie habe sich auf die Zuverlässigkeit der Post
  89. verlassen dürfen.
  90. 10
  91. Vor diesem Hintergrund hatte das Berufungsgericht, auch wenn die Zulässigkeit einer Berufung von Amts wegen zu prüfen ist und die Parteien insoweit keine Dispositionsbefugnis haben, keine Veranlassung, die Versäumung
  92. der Berufungsfrist in Frage zu stellen. Insbesondere musste das Oberlandesgericht nicht weiter prüfen, ob entgegen der Auskunft der Geschäftsstelle und der
  93. Registratur der Schriftsatz eventuell doch beim Oberlandesgericht eingegangen
  94. und dort verloren gegangen ist. Die Beklagte trägt die Beweislast dafür, dass
  95. sie rechtzeitig Berufung eingelegt hat (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Oktober
  96. 2013 - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 10 mwN). Nach ihrem eigenen
  97. Vortrag bleibt aber die Möglichkeit, dass der Schriftsatz auf dem Postweg verloren gegangen ist. Das geht im Rahmen der Prüfung der Rechtzeitigkeit der Berufung zu ihren Lasten.
  98. 11
  99. b) Das Oberlandesgericht hat jedoch, wie die Rechtsbeschwerde zu
  100. Recht rügt, den Wiedereinsetzungsantrag verfahrensfehlerhaft zurückgewiesen.
  101. 12
  102. Der Beklagten wäre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die anwaltliche Mitarbeiterin die drei Berufungsschriften in den Briefkasten eingeworfen hätte. Denn einem Rechtsmittelführer können Fehler bei
  103. der Briefbeförderung durch die Post nicht als Verschulden zugerechnet werden
  104. (vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Februar 2010 - XII ZB 129/09, FamRZ 2010,
  105. 726 Rn. 8 mwN). Im Verantwortungsbereich der Partei liegt es allein, das
  106. Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den
  107. - 7 -
  108. organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post den Empfänger
  109. fristgerecht erreichen kann. Bei rechtzeitigem Einwurf käme es deshalb nicht
  110. auf die Organisation der Ausgangskontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten und insoweit darauf an, dass es hierzu nach der - von der
  111. Rechtsbeschwerde zu Recht nicht in Frage gestellten - Auffassung des Berufungsgerichts an ausreichendem Vortrag fehlt. Denn etwaige Mängel bei der
  112. Ausgangskontrolle wären dann nicht kausal (vgl. dazu auch Senat, Beschluss
  113. vom 10. September 2015 - III ZB 56/14, NJW 2015, 3517 Rn. 17).
  114. 13
  115. Wenn ein Gericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der
  116. Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken will, muss es die Partei zuvor darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2010 - XII ZB 129/09, FamRZ
  117. 2010, 726 Rn. 10; siehe auch Beschluss vom 17. Januar 2012 - VIII ZB 42/11,
  118. WuM 2012, 157 Rn. 8; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 236
  119. Rn. 8). Ein Hinweis auf die für das Oberlandesgericht nach dem angefochtenen
  120. Beschluss insoweit maßgeblichen Umstände ist jedoch nicht erfolgt. Unabhängig davon hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob in der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung der
  121. Mitarbeiterin als Zeugin liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2010 aaO
  122. Rn. 11 und vom 17. Januar 2012 aaO; siehe auch Beschluss vom 11. November 2009 - XII ZB 174/08, FamRZ 2010, 122 Rn. 9). Dann liefe die Ablehnung
  123. der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung auf eine unzulässige vor-
  124. - 8 -
  125. weggenommene Beweiswürdigung hinaus (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2010 aaO).
  126. Herrmann
  127. Seiters
  128. Liebert
  129. Reiter
  130. Arend
  131. Vorinstanzen:
  132. LG Görlitz, Entscheidung vom 29.01.2016 - 5 O 3/15 OLG Dresden, Entscheidung vom 19.05.2016 - 5 U 511/16 -