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196 lines
9.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 57/09
  5. Verkündet am:
  6. 19. Juli 2010
  7. Vondrasek
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 199 Abs. 1, 739
  19. a) Das Fehlen einer Abfindungsbilanz hindert den Eintritt der Fälligkeit des Verlustausgleichsanspruchs der BGB-Gesellschaft nicht.
  20. b) Für die subjektiven Voraussetzungen des Beginns der Verjährungsfrist genügt es,
  21. wenn die Gesellschaft - neben der Kenntnis des Ausscheidens - auch ohne exakte Berechnung in einer Auseinandersetzungsbilanz wusste oder ohne grobe
  22. Fahrlässigkeit hätte wissen müssen, dass das Gesellschaftsvermögen zur Deckung der gemeinschaftlichen Schulden und der Einlagen nicht ausreicht.
  23. BGH, Urteil vom 19. Juli 2010 - II ZR 57/09 - LG Berlin
  24. AG Berlin-Charlottenburg
  25. -2-
  26. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
  27. und die Richter Dr. Reichart, Dr. Drescher, Dr. Löffler und Born
  28. für Recht erkannt:
  29. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 51
  30. des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2009 aufgehoben.
  31. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
  32. über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. 1
  36. Die Beklagten waren Gesellschafter der Klägerin, eines geschlossenen
  37. Immobilienfonds in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, und kündigten den Gesellschaftsvertrag zum 31. Dezember 2000. Nach dem Gesellschaftsvertrag wird bei Ausscheiden eines Gesellschafters die Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortgeführt. Zur Auseinandersetzung bestimmt
  38. § 17 des Gesellschaftsvertrages u.a.:
  39. "1. Der Geschäftsbesorger hat bei Ausscheiden eines Gesellschafters eine Auseinandersetzungsbilanz aufzustellen, in
  40. der sämtliche Wirtschaftsgüter unter Auflösung stiller Reserven mit ihrem Verkehrswert einzustellen sind. Etwaige
  41. immaterielle Werte bleiben außer Betracht.
  42. -3-
  43. 4. Die Auseinandersetzungsbilanz der Gesellschaft wird mit
  44. Ablauf von zwei Monaten seit Absendung an den ausscheidenden Gesellschafter verbindlich, es sei denn, der Gesellschafter verlangt binnen der Zweimonatsfrist die Einleitung
  45. des unter Abs. 3 vorgeschriebenen Verfahrens mittels eines an den Geschäftsbesorger gerichteten Briefes.
  46. 5. Das Auseinandersetzungsguthaben ist in fünf gleichen Jahresraten auszuzahlen. Die erste Rate ist zwölf Monate nach
  47. dem Ausscheiden fällig. …
  48. 7. Bei negativem Abfindungsanspruch ist der ausscheidende
  49. Gesellschafter verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten
  50. nach seinem Ausscheiden den erforderlichen Betrag einzuzahlen. Erst mit erfolgter Zahlung wird der Gesellschafter
  51. von den Verbindlichkeiten freigestellt. …"
  52. 2
  53. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2002 übersandte die Klägerin den Beklagten und anderen ausgeschiedenen Mitgliedern eine Auseinandersetzungsbilanz. Unter dem 21. Juli 2003 erstellte die Klägerin eine überarbeitete Auseinandersetzungsbilanz, die einen negativen anteiligen Verlust zum Zeitpunkt des
  54. Ausscheidens in Höhe von 7.454,34 € ergab. Diese Auseinandersetzungsbilanz
  55. wurde mit Schreiben vom 25. Juli 2003 den Beklagten übersandt. Ein ebenfalls
  56. ausgeschiedener Gesellschafter legte gegen die Auseinandersetzungsbilanz
  57. Widerspruch ein, den er am 6. Januar 2004 begründete und zusätzlich vermerkte, dass sich auch die Beklagten dem Widerspruch anschließen.
  58. 3
  59. Am 20. September 2004 beantragte die Klägerin für einen Teilbetrag in
  60. Höhe von 1.864,07 € aus der Auseinandersetzungsbilanz den Erlass eines
  61. Mahnbescheids, der den Beklagten am 5./6. November 2004 zugestellt wurde.
  62. Nach Eingang ihres Widerspruchs forderte das Mahngericht die Klägerin am
  63. -4-
  64. 23. November 2004 zur Einzahlung der weiteren Gerichtskosten auf. Die Klägerin zahlte diese am 2. Januar 2007 ein.
  65. 4
  66. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat
  67. sie auf die Berufung der Beklagten wegen Verjährung abgewiesen. Dagegen
  68. richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
  69. Entscheidungsgründe:
  70. 5
  71. Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
  72. und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  73. 6
  74. I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Anspruch sei nach §§ 195,
  75. 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB verjährt. Der Verlustausgleichsanspruch sei mit dem
  76. Ausscheiden der Beklagten mit Ablauf des 31. Dezember 2000 fällig geworden,
  77. so dass die dreijährige Verjährungsfrist nach Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB am
  78. 1. Januar 2002 begonnen habe. Die Verjährung sei durch den Antrag auf Erlass
  79. eines Mahnbescheids, der am 20. September 2004 eingegangen sei, gehemmt
  80. worden; die Hemmung habe aber sechs Monate nach der Widerspruchsnachricht des Gerichts mit der Aufforderung zur Einzahlung der weiteren Gerichtskosten am 23. November 2004 geendet. Die Verjährungsfrist sei bei Einzahlung
  81. am 2. Januar 2007 bereits abgelaufen gewesen.
  82. 7
  83. II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die
  84. vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Klagabweisung wegen Verjährung nicht. Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB
  85. -5-
  86. i.d.F. des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1,
  87. Abs. 4 Satz 1 EGBGB) begann am 1. Januar 2002 zu laufen, wenn der Anspruch zu diesem Zeitpunkt entstanden war (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und die
  88. subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns nach § 199 Abs. 1 Nr. 2
  89. BGB - Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Anspruchsvoraussetzungen - vorlagen (BGHZ 171, 1 Tz. 23; Urt. v. 7. März 2007 - VIII ZR 218/06,
  90. NJW 2007, 2034 Tz. 15; v. 25. Oktober 2007 - VII ZR 205/06, NJW-RR 2008,
  91. 258 Tz. 23; v. 9. November 2007 - V ZR 25/07, WM 2008, 89 Tz. 8; v. 3. Juni
  92. 2008 - XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576 Tz. 23).
  93. 8
  94. 1. Der Anspruch ist vor dem 1. Januar 2002 entstanden. Ein Anspruch ist
  95. nach § 199 Abs. 1 BGB entstanden, sobald er erstmals vom Gläubiger geltend
  96. gemacht und mit einer Klage durchgesetzt werden kann (BGH Urt. v. 8. Juli
  97. 2008 - XI ZR 230/07, ZIP 2008, 1762 Tz. 17; v. 18. Juni 2009 - VII ZR 167/08,
  98. ZIP 2009, 1821 Tz. 19). Der Anspruch auf Zahlung eines Auseinandersetzungsguthabens entsteht - ebenso wie der Verlustausgleichsanspruch - grundsätzlich mit dem Ausscheiden des Gesellschafters (Senat, BGHZ 88, 205, 206;
  99. Urt. v. 11. Juli 1988 - II ZR 281/87, ZIP 1988, 1545; v. 14. Juli 1997
  100. - II ZR 122/96, ZIP 1997, 1589) und kann nach seiner Fälligkeit geltend gemacht bzw. mit Klage durchgesetzt werden (§ 271 Abs. 2 BGB). Da die Beklagten zum 31. Dezember 2000 ausgeschieden sind, wurde der Verlustausgleichsanspruch Anfang Juli 2001 fällig. Die Fälligkeit des Verlustausgleichsanspruchs
  101. ist - was das Berufungsgericht übersehen hat - in § 17 Abs. 7 des Gesellschaftsvertrags geregelt. Danach war der Verlustausgleichsanspruch innerhalb
  102. von sechs Monaten nach dem Ausscheiden einzuzahlen. Das Fehlen einer Abfindungsbilanz hindert den Eintritt der Fälligkeit nicht. Um eine Forderung mit
  103. Klage geltend machen zu können, reicht es aus, dass eine Feststellungsklage
  104. erhoben werden kann. Der Eintritt der Fälligkeit hängt nicht davon ab, dass eine
  105. -6-
  106. Forderung auch beziffert werden kann (BGH, Urt. v. 18. Juni 2009
  107. - VII ZR 167/08, ZIP 2009, 1821 Tz. 19).
  108. 9
  109. 2. Das Berufungsgericht hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob
  110. die Klägerin vor dem 1. Januar 2002 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hatte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte haben müssen. Für
  111. die Kenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen oder
  112. ihre grobfahrlässige Unkenntnis beim Verlustausgleich genügt es nicht, dass sie
  113. vom Ausscheiden der Beklagten aus der Gesellschaft Kenntnis hatte. Anspruchsbegründender Umstand für den Verlustausgleichsanspruch ist neben
  114. dem Ausscheiden, dass der Wert des Gesellschaftsvermögens zur Deckung
  115. der gemeinschaftlichen Schulden und der Einlagen nicht ausreicht (§ 739 BGB).
  116. Die erforderliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn die
  117. Klägerin auch ohne exakte Berechnung in einer Auseinandersetzungsbilanz
  118. wusste oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte wissen müssen, dass das Gesellschaftsvermögen zur Deckung der gemeinschaftlichen Schulden und der Einlagen nicht ausreicht. Dazu haben weder das Amts- noch das Landgericht Feststellungen getroffen noch die Parteien bisher etwas vorgetragen.
  119. 10
  120. III. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil sie nicht
  121. zur Endentscheidung reif ist (§ 563 ZPO). Für das weitere Verfahren weist er
  122. auf folgendes hin:
  123. 11
  124. 1. Die Kenntnis der Klägerin von einem Verlustausgleichsanspruch ist jedenfalls dann vorhanden, wenn bereits beim Ausscheiden der Beklagten am
  125. 31. Dezember 2000 klar war, dass das vorhandene Gesellschaftsvermögen zur
  126. Deckung der Gesellschaftsschulden nicht ausreicht, etwa weil mit den Banken
  127. Sanierungsverhandlungen geführt werden mussten.
  128. -7-
  129. 12
  130. 2. In Frage kommt auch, dass die Klägerin aufgrund der mit Schreiben
  131. vom 27. Dezember 2002 übersandten vorläufigen Bilanz wusste, dass der Wert
  132. des Gesellschaftsvermögens zur Deckung der gemeinschaftlichen Schulden
  133. und der Einlagen nicht ausreicht. Feststellungen dazu, ob diese Bilanz bereits
  134. einen Verlustausgleichsanspruch auswies, der diese Kenntnis vermitteln konnte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Die unterbliebenen Feststellungen
  135. kann der Senat nach Vorlage eines Entwurfs der Bilanz im Revisionsverfahren
  136. nicht nachholen (§ 559 Abs. 1 ZPO).
  137. 13
  138. 3. Schließlich kommt bei verzögerter Bilanzaufstellung durch die Klägerin
  139. in Frage, dass sie grob fahrlässig von den anspruchsbegründenden Tatsachen
  140. keine Kenntnis hatte.
  141. Goette
  142. Reichart
  143. Löffler
  144. Drescher
  145. Born
  146. Vorinstanzen:
  147. AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 24.04.2008 - 223 C 73/07 LG Berlin, Entscheidung vom 08.01.2009 - 51 S 126/08 -