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36 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 402/02
  5. Verkündet am:
  6. 19. Juli 2004
  7. Vondrasek
  8. Justizangstellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. ja (nur zu III., IV.)
  15. BGHR:
  16. ja
  17. BGB § 826 C, E, Gb
  18. Zur persönlichen Haftung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft nach
  19. § 826 BGB für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen.
  20. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02 - OLG München
  21. LG Augsburg
  22. -2-
  23. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
  24. Verhandlung
  25. vom
  26. 12. Juli
  27. 2004
  28. durch
  29. den
  30. Vorsitzenden
  31. Richter
  32. Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Münke und
  33. Dr. Gehrlein
  34. für Recht erkannt:
  35. I.
  36. Auf
  37. die
  38. Revision
  39. des
  40. Klägers
  41. wird
  42. das
  43. Urteil
  44. des
  45. 30. Zivilsenats - zugleich Familiensenat - des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 1. Oktober 2002
  46. aufgehoben.
  47. II. Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Landgerichts Augsburg - 3. Zivilkammer - wird zurückgewiesen.
  48. III. Die erstinstanzlichen Kosten werden wie folgt verteilt:
  49. Die Gerichtskosten werden dem Kläger zu 1/3 und den Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldnern zu 2/3 auferlegt.
  50. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten
  51. zu 1. Die Beklagten zu 2 und 3 tragen gesamtschuldnerisch
  52. 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
  53. IV. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens werden den Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldnern auf-
  54. -3-
  55. erlegt. Der Streithelfer der Beklagten hat die Kosten der
  56. Nebenintervention zu tragen.
  57. Von Rechts wegen
  58. Tatbestand:
  59. Der Kläger, ein Rechtsanwalt, macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht mit der Begründung geltend, der
  60. Zedent sei durch unzutreffende Angaben in einer Ad-hoc-Mitteilung der
  61. I. AG (frühere Beklagte zu 1, im folgenden: I. AG) dazu veranlaßt worden,
  62. - mittlerweile wertlos gewordene - Aktien dieser Gesellschaft zu erwerben. Der
  63. Beklagte zu 2 war Vorstandsvorsitzender, der Beklagte zu 3 stellvertretender
  64. Vorstandsvorsitzender der I. AG. Der Kläger hat die gegen die Gesellschaft gerichtete Klage nach Erlaß des Landgerichtsurteils zurückgenommen, nachdem
  65. am 1. Juli 2001 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet worden war.
  66. Die Aktien der I. AG wurden im Juli 1998 zum geregelten Markt
  67. mit Handel im Neuen Markt bei einem Emissionskurs von 27,10 € zugelassen
  68. und erreichten nach starkem Kursanstieg bereits im Februar 1999 ihren
  69. Höchststand von 318,00 €. Nach zwischenzeitlicher Halbierung dieses Wertes
  70. und schwankendem Kurs erfolgte im August 1999 ein Aktiensplit im Verhältnis
  71. 1 : 5. Nach weiterhin uneinheitlichem Verlauf stieg der Kurs im Zusammenhang
  72. mit der Cebit im Februar 2000 nochmals kurzfristig bis auf 51,00 € an, um dann
  73. -4-
  74. nach und nach wieder abzufallen; derzeit bewegt er sich bei wenigen Cent pro
  75. Aktie.
  76. Die
  77. I. AG
  78. veröffentlichte
  79. eine
  80. Vielzahl
  81. von
  82. Ad-hoc-Mitteilungen,
  83. u.a. am 20. Mai und am 13. September 1999. Am 20. Mai 1999 gab sie bekannt, der Mobilfunkanbieter M. habe bei ihr "per Rahmenabkommen
  84. Surfstations und die zugehörigen JNT-Lizenzen geordert"; das Auftragsvolumen
  85. betrage mindestens ca. 55 Mio. DM, wobei die Abwicklung in mehreren
  86. Chargen erfolge. Diese Ad-hoc-Mitteilung, die vom Beklagten zu 3 veranlaßt
  87. und vom Beklagten zu 2 gebilligt worden war, gab den mit der M. abgeschlossenen Vertrag nicht richtig wieder: Tatsächlich enthielt er nur eine verbindliche Bestellung über 14.000 Surfstationen mit einem Gesamtvolumen von
  88. ca. 9,8 Mio. DM; ergänzend war von M. lediglich für den Fall einer
  89. erfolgreichen Testphase die Erhöhung des Auftrags von 14.000 auf
  90. 100.000 Stationen in Aussicht gestellt worden. Erst mit dieser Folgebestellung
  91. - die allerdings nicht erfolgte - wäre das in der Ad-hoc-Meldung vom 20. Mai
  92. 1999 mitgeteilte Auftragsvolumen von 55 Mio. DM erreicht worden. Auf der
  93. Hauptversammlung der I. AG vom 24. Juni 1999 wurde der Inhalt der
  94. Meldung - freilich ohne Kenntnis des Klägers - auf entsprechende Nachfrage
  95. einer Aktionärin von den Beklagten zwar richtig gestellt, jedoch wurde die falsche Mitteilung vom 20. Mai 1999 später in der Ad-hoc-Mitteilung vom
  96. 30. August 1999 wieder bestätigt. Erst durch Ad-hoc-Mitteilung vom 22. August
  97. 2000 wurde die ursprüngliche Meldung - zum Teil - widerrufen.
  98. In einer weiteren Ad-hoc-Mitteilung vom 13. September 1999 gab
  99. die
  100. I. AG
  101. bekannt,
  102. daß
  103. die
  104. G.
  105. bei
  106. ihr
  107. per
  108. Rahmenabkommen
  109. JNT-Lizenzen und Surfstationen im Wert von rund 55 Mio. DM geordert habe.
  110. Auch diese Mitteilung war unzutreffend, da es sich insoweit nicht um einen
  111. -5-
  112. neuen Auftrag, sondern lediglich um eine gemeinsame Vertriebsvereinbarung
  113. handelte. Dies wurde von der I. AG erst mit Ad-hoc-Mitteilung vom
  114. 29. August 2000 berichtigt.
  115. Der Kurs der Aktie stieg unmittelbar nach der Ad-hoc-Mitteilung vom
  116. 20. Mai 1999 um ca. 20 % auf 40,80 €. Nachdem sich der Kurs - nach weiteren
  117. uneinheitlichen Ausschlägen - wieder beruhigt hatte, erwarb der Zedent am
  118. 28. Juli 1999 - unter Inanspruchnahme von Kontokorrentkredit - 230 Stückaktien der I. AG zum Kurs von 40,00 € (Gesamtaufwand incl. Nebenkosten: 90.945,70 DM).
  119. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Teilurteil der Klage auf
  120. Zahlung von 90.945,70 DM nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Abtretung von
  121. 1.150 Aktien der I. AG stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten
  122. hat das Oberlandesgericht (ZIP 2002, 1889) nach erneuter Beweisaufnahme
  123. die Klage abgewiesen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision
  124. verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
  125. Entscheidungsgründe:
  126. Die Revision des Klägers ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung
  127. (§§ 562, 563 Abs. 3 ZPO n.F.).
  128. Das Berufungsgericht hat zwar zu Recht Schadensersatzansprüche des
  129. Klägers sowohl aus (allgemeiner) Prospekthaftung (dazu unter I.) als auch aus
  130. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der Verletzung eines Schutzgesetzes (dazu unter II.)
  131. verneint. Dennoch ist die Klage begründet, weil der Kläger - wie bereits das
  132. -6-
  133. Landgericht zutreffend erkannt hat - gegen die Beklagten einen Ersatzanspruch
  134. aus § 826 BGB hat (dazu unter III.).
  135. I. Schadensersatz aus Prospekthaftung
  136. Das Berufungsgericht hat Prospekthaftungsansprüche mit der Begründung
  137. verneint,
  138. die
  139. Ad-hoc-Mitteilungen
  140. vom
  141. 20. Mai
  142. 1999
  143. und
  144. vom
  145. 13. September 1999 seien nicht als "Prospekte" i.S. der allgemeinen Prospekthaftung anzusehen, weil sie keine vollständige Unternehmensdarstellung - wie
  146. ein Emissions- oder sonstiger (Wertpapier-)Verkaufsprospekt - enthielten. Das
  147. ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
  148. 1. Allerdings ist schon im Ansatz zweifelhaft, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Prospekthaftungsgrundsätze, die an ein typisiertes Vertrauen des Anlegers auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der von den Prospektverantwortlichen gemachten Angaben anknüpfen (vgl. BGHZ 71, 284 u.
  149. st.Rspr.), hier überhaupt auf die Haftung der Beklagten für die von ihnen veranlaßten
  150. fehlerhaften
  151. Ad-hoc-Mitteilungen
  152. (§ 15
  153. WpHG
  154. a.F.)
  155. der
  156. I. AG
  157. - eines Unternehmens des Neuen Marktes, der ein Segment des geregelten
  158. Marktes ist (vgl. dazu Potthoff/Stuhlfauth, WM 1997, Sonderbeilage Nr. 3,
  159. S. 6 ff.) - Anwendung finden könnten. Der Senat hat bislang - anders als die
  160. Revision meint - lediglich entschieden (BGHZ 123, 106), daß die Prospekthaftungsgrundsätze auch für Prospekte gelten, mit denen für den Erwerb von
  161. Aktien außerhalb der geregelten Aktienmärkte geworben wird (vgl. aber für den
  162. Bereich der nicht zum Handel an einer inländischen Börse zugelassenen Wertpapiererstemissionen nunmehr die spezialgesetzliche Haftungsregelung nach
  163. § 13 VerkaufsprospektG (v. 13. Dezember 1990, BGBl. I, 2749) i.V.m. §§ 45 bis
  164. 48 BörsG).
  165. -7-
  166. 2. Letztlich kann dies aber offen bleiben, weil die Ad-hoc-Mitteilungen der
  167. I. AG vom 20. Mai 1999 und vom 13. September 1999 jedenfalls nicht
  168. die an einen "Prospekt" im Sinne der Prospekthaftungsgrundsätze zu stellenden Anforderungen erfüllen.
  169. a) Ein Prospekt stellt in der Regel die für den Anlageinteressenten wichtigste und häufigste Informationsquelle dar und bildet im allgemeinen die
  170. Grundlage seiner Anlageentscheidung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes darf ein Anleger erwarten, daß er ein zutreffendes Bild über das
  171. Beteiligungsobjekt erhält, d.h. daß der Prospekt ihn über alle Umstände, die für
  172. seine Entschließung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, sachlich richtig und vollständig unterrichtet (vgl. BGHZ 123, 106, 109 f.; Sen.Urt. v.
  173. 29. Mai 2000 - II ZR 280/98, NJW 2000, 3346 - jew. m.w.N.).
  174. Diese Anforderungen kann eine Ad-hoc-Mitteilung i.S. des § 15 Abs. 1
  175. WpHG a.F. in der Regel nicht erfüllen. Sie ist anlaßbezogen auf neue, bislang
  176. nicht veröffentlichte gewichtige Einzeltatsachen, die lediglich die bereits bekannten Informationen für den Sekundärmarkt ergänzen. Dabei erhebt die Bekanntgabe einer solchen kapitalmarktbezogenen Einzelinformation - anders als
  177. die den Primärmarkt betreffende Publizität eines (Emissions-)Prospekts - erkennbar nicht den Anspruch, eine das Publikum des Sekundärmarktes umfassend informierende Beschreibung zu sein.
  178. b) So lag es jedenfalls hier bezüglich der beiden Ad-hoc-Mitteilungen der
  179. I. AG vom 20. Mai 1999 und 13. September 1999. Sie betrafen jeweils
  180. einzelne Geschäftsabschlüsse, die ein vollständiges Bild über sämtliche für den
  181. Aktienkauf wesentlichen Umstände der Gesellschaft und die etwa damit ver-
  182. -8-
  183. bundenen Risiken ersichtlich nicht vermittelten; ebensowenig ließen die vermittelten Einzeltatsachen verläßliche Rückschlüsse über die Entwicklung der Aktie
  184. zu.
  185. II. Schadensersatz aus Verletzung von Schutzgesetzen
  186. Zu Recht hat das Berufungsgericht Ansprüche des Klägers aus § 823
  187. Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Verletzung etwaiger Schutzgesetze verneint.
  188. 1. Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15 WpHG a.F. besteht nicht.
  189. § 15 WpHG a.F. ist kein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB. Normzweck des § 15 WpHG a.F. ist nach den Gesetzesmaterialien nicht der Schutz
  190. der Individualinteressen der Anleger, sondern ausschließlich die im öffentlichen
  191. Interesse liegende Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes (vgl.
  192. insbesondere: BT-Drucks. 12/7918, S. 96, 102). Dementsprechend stellt § 15
  193. Abs. 6 Satz 1 WpHG a.F. ausdrücklich klar, daß Verstöße gegen § 15 Abs. 1
  194. bis 3 WpHG a.F. keine Schadensersatzpflicht des Emittenten auslösen. Das
  195. schließt eine Schutzgesetzeigenschaft des § 15 WpHG a.F. aus (h.M., vgl.
  196. BVerfG, Urt. v. 24. September 2002 - 2 BvR 742/02, ZIP 2002, 1986, 1988;
  197. Kümpel in Assmann/Schneider, WpHG 2. Aufl. § 15 Rdn. 188; Rützel, AG 2003,
  198. 69, 72; Thümmel, BB 2001, 2331, 2332; Groß, WM 2002, 477, 482; Horn,
  199. Festschrift Ulmer 2003, S. 817, 819; zur Gegenansicht: Möllers/Rotter, Ad-hocPublizität 2003, § 16 Rdn. 55).
  200. 2. Auch § 88 BörsG a.F ist - entgegen der Ansicht der Revision - kein
  201. Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB.
  202. -9-
  203. Der Senat hat bislang die Frage, ob § 88 Abs. 1 Nr. 1 BörsG a.F.
  204. Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB ist, offengelassen (vgl. Urt. v.
  205. 11. November 1985 - II ZR 109/84, NJW 1986, 837, 840). Er verneint sie nunmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Meinung (vgl. BVerfG ZIP 2002, 1986, 1988 mit
  206. umfangreichen Nachw. z. Meinungsstand). Nach den Gesetzesmaterialien
  207. (BT-Drucks. 10/318, S.44) ist über § 88 BörsG a.F. ein Schutz des einzelnen
  208. Anlegers nicht gewollt.
  209. Schutzgesetz ist eine Rechtsnorm nur dann, wenn sie - sei es auch
  210. neben dem Schutz der Allgemeinheit - gerade dazu dienen soll, den einzelnen
  211. oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines Rechtsguts zu schützen. Dabei kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des
  212. Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlaß des Gesetzes gerade
  213. einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder zumindest mitgewollt hat (Sen.Urt. v. 21. Oktober 1991
  214. - II ZR 204/90, NJW 1992, 241, 242 m.w.N.). Der Tatbestand des § 88 BörsG
  215. a.F. erfordert ein Handeln in der Absicht, auf den Börsen- oder Marktpreis von
  216. Wertpapieren einzuwirken. Wie bereits in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommt (BT-Drucks. 10/318, S. 45), steht bei § 88 BörsG a.F. allgemein
  217. die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an Börsen und Märkten mit
  218. ihrer für das gesamte Wirtschaftsleben weitreichenden Bedeutung im Vordergrund. § 88 BörsG a.F. bezweckt deshalb nach dem Willen des Gesetzgebers
  219. in erster Linie den Schutz der Allgemeinheit. Zwar wirkt sich der Schutz der Allgemeinheit mittelbar auch zugunsten des einzelnen Kapitalanlegers aus (vgl.
  220. BT-Drucks. aaO S. 46). Damit erstrebt das Gesetz aber noch nicht einen be-
  221. - 10 -
  222. sonderen Schadensersatzanspruch zum Schutze (auch) der Individualinteressen des einzelnen (vgl. dazu: BGHZ 84, 312, 314; 125, 366, 374). Der dem einzelnen zustatten kommende mittelbare Schutz ist vielmehr nur eine Reflexwirkung des Gesetzes, die die zivilrechtliche Haftung nicht begründen kann (vgl.
  223. BGHZ 89, 383, 401). Die Funktion, den Anleger vor Täuschungen und Vermögensverlusten zu schützen, wurde von § 264 a StGB übernommen; diese Norm
  224. ist aufgrund ihres drittschützenden Charakters Schutzgesetz i.S. von § 823
  225. Abs. 2 BGB (Sen.Urt. v. 21. Oktober 1991 aaO; vgl. dazu noch unten unter 5.).
  226. 3. Entgegen der Ansicht der Revision müssen weder § 15 WpHG a.F.
  227. noch § 88 BörsG a.F. aufgrund europarechtlicher Vorgaben in berichtigender
  228. Auslegung als Schutzgesetze ausgelegt werden. Der EG-Insider-Richtlinie
  229. 89/592/EWG vom 13. November 1989 (ABl Nr. L 334/30, Einleitung und Art. 13;
  230. sowie die in Art. 7 in Bezug genommene Richtlinie 79/279/EWG) oder der EGTransparenz-Richtlinie
  231. 88/627/EWG
  232. vom
  233. 12. Dezember
  234. 1988
  235. (ABl
  236. Nr. L 348/62) läßt sich kein Gebot entnehmen, § 15 WpHG a.F. oder § 88
  237. Abs. 1 Nr. 1 BörsG a.F. als Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB auszugestalten (BVerfG ZIP 2002, 1986, 1989).
  238. 4. Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG
  239. hat das Berufungsgericht zutreffend verneint, weil die unrichtigen Ad-hocMitteilungen vom 20. Mai 1999 und 13. September 1999 nicht den Tatbestand
  240. des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG erfüllen.
  241. a) Zwar ist die Strafvorschrift des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG Schutzgesetz
  242. i.S. von § 823 Abs. 2 BGB (einhellige Meinung: vgl. z.B. BGHZ 149, 10, 20;
  243. Otto in Großkomm./AktG, 4. Aufl. 1997, § 400 Rdn. 2 m.w.N.). § 400 Abs. 1
  244. Nr. 1 AktG soll das Vertrauen potentieller Anleger und gegenwärtiger Aktionäre
  245. - 11 -
  246. der Gesellschaft in die Richtigkeit und Vollständigkeit bestimmter Angaben über
  247. die Geschäftsverhältnisse schützen.
  248. b) Die Beklagten haben jedoch durch die beiden Ad-hoc-Mitteilungen
  249. nicht die Verhältnisse der Gesellschaft "in Darstellungen oder Übersichten über
  250. den Vermögensstand" (§ 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG) unrichtig wiedergegeben.
  251. Unter "Übersichten über den Vermögensstand" sind alle Zusammenstellungen von Zahlenmaterialien, insbesondere alle Arten von Bilanzen zu verstehen, die einen Gesamtüberblick über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens ermöglichen (vgl. Otto aaO § 400 Rdn. 33). Darunter fallen ersichtlich
  252. nicht Ad-hoc-Mitteilungen, die - wie im vorliegenden Fall - nur jeweils einen einzelnen Geschäftsabschluß bekanntgeben.
  253. Als "Darstellungen über den Vermögensstand" gelten nur solche Berichte, die den Vermögensstand des Unternehmens so umfassend wiedergeben,
  254. daß sie ein Gesamtbild über die wirtschaftliche Lage der Aktiengesellschaft ermöglichen und den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. Auch das ist bei den
  255. Ad-hoc-Mitteilungen vom 20. Mai 1999 und 13. September 1999 offensichtlich
  256. nicht der Fall.
  257. Soweit in der Literatur vereinzelt die Ansicht vertreten wird, daß sich die
  258. "Darstellungen" i.S. von § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG nicht auf den Vermögensstand
  259. beziehen müßten (Baums, Bericht der Regierungskommission "Corporate
  260. Governance" vom 10. Juli 2001, BT-Drucks. 14/7515 Rdn. 184; Möllers,
  261. Ad-hoc-Publizität 2003, § 12 Rdn. 85 ff.), kann dem nicht gefolgt werden. Bereits aus dem eindeutigen, einer (derartigen) Auslegung nicht zugänglichen
  262. Wortlaut der Vorschrift (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG; dazu: BVerfGE 47, 109,
  263. - 12 -
  264. 120 f.,124; 64, 389, 393 f.) ergibt sich, daß Darstellungen - genau wie in § 264 a
  265. StGB - auch den Vermögensstand betreffen müssen und nicht isoliert betrachtet werden können.
  266. 5. Auch eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m.
  267. § 264 a StGB hat das Berufungsgericht zu Recht verneint.
  268. Zwar hat die Strafnorm drittschützenden Charakter (vgl. Sen.Urt. v.
  269. 21. Oktober 1991 - II ZR 204/90, NJW 1992, 241 f.) und ist damit Schutzgesetz
  270. i.S. von § 823 Abs. 2 BGB. Um den Tatbestand des § 264 a StGB zu erfüllen,
  271. muß u.a. die fehlerhafte Information "in Prospekten" oder "in Darstellungen oder
  272. Übersichten" über den Vermögensstand erfolgen. Die Ad-hoc-Mitteilungen der
  273. I. AG vom 20. Mai 1999 bzw. 13. September 1999 sind jedoch - wie
  274. bereits an anderer Stelle ausgeführt - weder "Prospekte" (siehe oben I. 2.) noch
  275. "Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand" (siehe oben II. 4.).
  276. Unabhängig davon fehlte es hier an dem außerdem in § 264 a Abs. 1 StGB
  277. vorausgesetzten Zusammenhang der Tathandlung mit dem "Vertrieb von Anteilen" (Nr. 1) oder mit einem Erhöhungsangebot (Nr. 2) (vgl. dazu: Lackner, StGB
  278. 24. Aufl. § 264 a Rdn. 6).
  279. 6. Ein Anspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263
  280. Abs. 1 StGB scheidet nach den zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichts bereits deshalb aus, weil hier eine Absicht der Beklagten, sich oder einem
  281. Dritten "stoffgleich" zu Lasten des Vermögens des Zedenten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, nicht feststellbar ist. Gemäß § 263 StGB muß der Täter
  282. einen Vermögensvorteil unmittelbar aus dem Vermögen des Geschädigten in
  283. der Weise anstreben, daß dieser Vorteil "die Kehrseite des Schadens" ist
  284. (BGHSt 6,115,116; Tiedemann in Leipziger Komm., StGB 11. Aufl. 2000, § 263
  285. - 13 -
  286. Rdn. 256). Eine - lediglich mittelbare - Begünstigung der I. AG oder der
  287. Beklagten selbst durch einen infolge der falschen Ad-hoc-Mitteilung steigenden
  288. Aktienkurs reicht nicht aus (Möllers, Ad-hoc-Publizität, § 12 Rdn. 104; Rützel,
  289. AG 2003, 69, 73; Rodewald/Siems, BB 2001, 2437, 2440). Hinsichtlich der an
  290. dem Aktienkauf des Zedenten beteiligten unbekannten Verkäufer liegt eine Bereicherungsabsicht der Beklagten fern.
  291. III. Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB
  292. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht allerdings einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB verneint.
  293. 1. Zur Begründung hat es ausgeführt:
  294. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stünden zwar die Unrichtigkeit
  295. der Ad-hoc-Mitteilungen vom 20. Mai 1999 und 13. September 1999, die
  296. Kenntnis der Beklagten hiervon und der Kausalzusammenhang zwischen der
  297. unrichtigen Meldung vom 20. Mai 1999 und der Anlageentscheidung des
  298. Zedenten P. fest. Auch wenn dieser bei wahrheitsgemäßer Information
  299. die Aktien nicht gekauft hätte, könne er schon nicht im Wege des Schadensersatzes "Rückgängigmachung" des Erwerbs verlangen, weil er bewußt in ein
  300. hochspekulatives Marktsegment investiert habe. Jedenfalls hätten die Beklagten insoweit nicht vorsätzlich gehandelt, weil sie weder vorausgesehen noch
  301. billigend in Kauf genommen hätten, daß Anleger in I.-Aktien wegen des
  302. Vertrauens in die Richtigkeit der Darstellung der Ad-hoc-Mitteilungen einen
  303. Schaden, insbesondere in Form der Beeinträchtigung ihres wirtschaftlichen
  304. Selbstbestimmungsrechts, erleiden könnten. Selbst wenn die von P. erworbenen Mitgliedschaftsrechte, was naheliege, wegen des fehlenden Auftrags
  305. - 14 -
  306. der M. AG einen geringeren Wert gehabt hätten, hätten die Beklagten
  307. nicht vorwerfbar in Verfolgung eigensüchtiger Interessen und in dem Bewußtsein einer möglichen Schädigung potentieller Anleger gehandelt. Denn sie hätten sich aufgrund des - wenn auch in erheblich geringerem Umfang - erteilten
  308. Auftrags
  309. der
  310. M.
  311. in
  312. euphorischer
  313. Stimmung
  314. bezüglich
  315. der
  316. weiteren
  317. Unternehmensentwicklung befunden und seien überzeugt gewesen, die Zielvorstellungen zu dem erwarteten umfangreichen Auftrag erfüllen zu können.
  318. Diese Bewertung hält in wesentlichen Punkten revisionsrechtlicher
  319. Nachprüfung nicht stand.
  320. 2. Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters, an
  321. dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 ZPO n.F. gebunden
  322. ist. Revisionsrechtlich ist seine Würdigung jedoch darauf zu überprüfen, ob er
  323. sich mit dem Prozeßstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (st.Rspr.,
  324. vgl. z.B. BGH, Urt. v. 11. Februar 1987 - IV b ZR 23/86, BGHR ZPO § 286
  325. Abs. 1 Revisionsrüge 1).
  326. Danach liegt schon den - teilweise im Widerspruch zu den getroffenen
  327. Feststellungen stehenden - Ausführungen des Berufungsgerichts zum Schaden
  328. offenbar ein unzutreffendes Verständnis des Schadensbegriffs i.S. der §§ 826,
  329. 249 ff. BGB zugrunde; darüber hinaus beruht die Verneinung der subjektiven
  330. Voraussetzungen des § 826 BGB auf einer zum Teil widersprüchlichen und unvollständigen Bewertung der objektiven Tatumstände sowie auf einer Überspannung der Anforderungen an den Vorsatz (§ 286 ZPO).
  331. - 15 -
  332. a) Auf der Grundlage der Feststellungen zur Kausalität zwischen der falschen Ad-hoc-Mitteilung vom 20. Mai 1999 und der Anlageentscheidung des
  333. Zedenten P. kann der Kläger nach § 826 BGB - bei Vorliegen auch der
  334. weiteren Voraussetzungen dieser Norm (vgl. dazu unten) - von den Beklagten
  335. nicht etwa nur, wie das Berufungsgericht offenbar meint, den Differenzschaden
  336. des Zedenten in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem tatsächlichen
  337. Transaktionspreis und dem Preis, der sich bei pflichtgemäßem Publizitätsverhalten gebildet hätte, sondern grundsätzlich Naturalrestitution (§ 249 BGB) in
  338. Form der Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Aktien verlangen (vgl. zu dieser Unterscheidung im Rahmen von § 37 c
  339. WpHG n.F.: Fleischer, BB 2002, 1869, 1870 f.).
  340. § 826 BGB stellt hinsichtlich des Schadens begrifflich nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter ab: Schaden ist danach nicht nur
  341. jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus
  342. jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (vgl. Wagner in Münch.Komm.z.BGB
  343. 4. Aufl. § 826 Rdn. 6 m.w.N.). Der Inhalt der Pflicht zum Ersatz eines solchen
  344. Schadens bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB. Danach ist im vorliegenden
  345. Fall der in seinem Vertrauen in die Richtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung vom
  346. 20. Mai 1999 enttäuschte Anleger P. im Wege der Naturalrestitution so zu
  347. stellen, wie er stehen würde, wenn die für die Veröffentlichung Verantwortlichen
  348. ihrer Pflicht zur wahrheitsgemäßen Mitteilung nachgekommen wären. Da er in
  349. diesem Fall - wie festgestellt - die Aktien nicht erworben hätte, kann er nach
  350. § 249 Abs. 1 BGB Geldersatz in Höhe des für den Aktienerwerb aufgewendeten
  351. Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Rechtspositionen auf die - an
  352. dem Erwerbsgeschäft nicht beteiligten - Schädiger verlangen.
  353. - 16 -
  354. Eine Einschränkung der Schadensersatzpflicht, wie sie das Oberlandesgericht wegen der Investition des Zedenten in ein Papier des "hochspekulativen" Neuen Marktes annimmt, ist nicht berechtigt; sie steht im Widerspruch zu
  355. der festgestellten Überzeugung des Gerichts, daß P. ohne die fehlerhaften Mitteilungen die Aktien der I. AG nicht erworben hätte.
  356. Selbst unter dem Blickwinkel des Rechtswidrigkeitszusammenhangs/
  357. Schutzzwecks der Haftungsnorm ist für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen, die
  358. auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung i.S. des § 826 BGB erfüllen, eine Beschränkung der Rechtsfolgen zugunsten des Schädigers nicht veranlaßt. Zwar hat der Gesetzgeber in
  359. § 15 Abs. 6 Satz 1 WpHG a.F. - wie bereits ausgeführt - eine besondere Schadensersatzhaftung für die Verletzung der Ad-hoc-Publizität i.S. von § 15 Abs. 1
  360. bis 3 WpHG a.F. ausdrücklich ausgeschlossen und damit zugleich klargestellt,
  361. daß jene Norm kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB sein soll. Gemäß
  362. § 15 Abs. 6 Satz 2 WpHG a.F. bleiben jedoch ausdrücklich - schon bezogen auf
  363. den Emittenten - Schadensersatzansprüche, die auf anderen Rechtsgrundlagen
  364. beruhen, unberührt. Unter derartige allgemeine zivilrechtliche Haftungstatbestände fällt insbesondere die sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nach § 826
  365. BGB. Ein Haftungsausschluß in Fällen betrügerischer oder sittenwidriger Schädigung Dritter wäre - wie im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich klargestellt
  366. wurde (vgl. Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages,
  367. BT-Drucks. 12/7918, S. 102) - mit den Grundsätzen der Rechtsordnung nicht
  368. vereinbar. Für die - ohnehin nicht ausgeschlossene - Haftung der die falschen
  369. Ad-hoc-Mitteilungen veranlassenden Vorstände als gesetzliche Vertreter des
  370. Emittenten gelten daher im Bereich des § 826 BGB ebenfalls keine generellen
  371. Beschränkungen hinsichtlich Art und Umfang des Schadensersatzes.
  372. - 17 -
  373. b) Ausgehend hiervon und auf der Grundlage der den Beklagten bekannten objektiven Unrichtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung vom 20. Mai 1999 ist die Verneinung der (weiteren) subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB durch das
  374. Berufungsgericht ebenfalls rechtsfehlerhaft.
  375. Die Veröffentlichung der Mitteilung vom 20. Mai 1999 als Ad-hocMitteilung setzte bereits nach dem Gesetz (§ 15 Abs. 1 WpHG a.F.) voraus,
  376. daß die mitgeteilte neue Tatsache "geeignet ist, den Börsenpreis der zugelassenen Wertpapiere erheblich zu beeinflussen". Da dies ohne Kauf- und Verkaufsentscheidungen von individuellen Marktteilnehmern als zu erwartender
  377. Reaktion auf die Mitteilung der meldepflichtigen Tatsache nicht möglich ist, wissen die verantwortlichen Vorstände, daß es infolge der fehlerhaften Ad-hocInformation zu entsprechenden Anlageentscheidungen kommen wird (so zutreffend Fuchs/Dühn, BKR 2002, 1063, 1067). Kennen sie die Unrichtigkeit der Adhoc-Mitteilung, so wissen sie auch, daß deshalb Wertpapierkäufe auf fehlerhafter Tatsachengrundlage getätigt werden. Da beide Beklagten die Bedeutung der
  378. konkreten Ad-hoc-Mitteilung und deren Unrichtigkeit kannten, ist - wie die Revision zutreffend geltend macht - schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, daß die unrichtige Meldung keinen anderen Zweck hatte, als dem Börsenpublikum einen gestiegenen Unternehmenswert vorzuspiegeln und den Börsenpreis positiv zu beeinflussen. Von einer bloßen Leichtfertigkeit - wie das
  379. Oberlandesgericht meint - kann ersichtlich keine Rede sein. Dagegen sprechen
  380. weitere erhebliche Umstände, die das Berufungsgericht übersehen hat. Unstreitig mußte der Beklagte zu 2 in Anwesenheit des Beklagten zu 3 in der Hauptversammlung der I. AG vom 24. Juni 1999 auf entsprechende Frage
  381. einer Aktionärin klarstellen, daß die M. AG am 19. Mai 1999 lediglich
  382. 14.000 JNT-Surfstationen bestellt hatte; gleichwohl bestätigten die Beklagten
  383. - anstelle einer gebotenen sofortigen Richtigstellung durch Ad-hoc-Meldung -
  384. - 18 -
  385. bereits in der Ad-hoc-Mitteilung vom 30. August 1999 wieder die falsche
  386. Ursprungsmeldung vom 20. Mai 1999. Schließlich hat das Berufungsgericht
  387. auch die bedeutsame Indiztatsache außer Betracht gelassen, daß die Beklagten in der Ad-hoc-Mitteilung vom 13. September 1999 sogar einen in vollem
  388. Umfang frei erfundenen "erneuten Mega-Deal" in Gestalt der angeblichen Order
  389. eines P.er Unternehmens über 55 Mio. DM veröffentlichten. Auch diese
  390. erneute Falschmeldung diente ersichtlich keinem anderen Zweck als der positiven Beeinflussung des Börsenkurses und der Irreführung des Börsenpublikums
  391. über den wirklichen Wert des Unternehmens.
  392. Zudem hat das Berufungsgericht die Anforderungen an den Vorsatz
  393. überspannt.
  394. Für den Vorsatz im Rahmen des § 826 BGB genügt ein "Eventualdolus".
  395. Dabei braucht der Täter nicht im einzelnen zu wissen, welche oder wieviele
  396. Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, daß er
  397. die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer
  398. auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (st.Rspr., so
  399. schon RGZ 55, 60; BGH, Urt. v. 20. November 1990 - VI ZR 6/90, BGHR BGB
  400. § 826 Schädigungsvorsatz 2). Angesichts der Gesamtumstände besteht hier an
  401. einer vorsätzlichen Handlungsweise der Beklagten in bezug auf die Mitteilung
  402. vom 20. Mai 1999 kein Zweifel. Den Beklagten war bei einer Parallelwertung in
  403. der (juristischen) Laiensphäre positiv bewußt, daß durch die Falschmeldung
  404. u.a. die Erwerber von I.-Aktien ihre Kaufentscheidungen auf fehlerhafter Tatsachengrundlage trafen, die sie bei der gebotenen richtigen Information
  405. entweder überhaupt nicht oder aber nur zu anderen Konditionen getroffen
  406. hätten. Derartige Schäden als Folgen ihrer - direkt vorsätzlichen - Handlungs-
  407. - 19 -
  408. weise nahmen sie zumindest billigend in Kauf. Ein solcher Eventualvorsatz der
  409. Beklagten hinsichtlich der als Folge ihres Tuns erwarteten, mindestens aber für
  410. möglich gehaltenen Schäden bei den Investoren läßt sich - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht aufgrund einer lediglich euphorischen Stimmung der Beklagten in bloße Fahrlässigkeit "umqualifizieren". Nach der
  411. Lebenserfahrung ist davon auszugehen, daß den Beklagten als u.a. für die zentrale Aufgabe der Publizität verantwortlichen Organen des Unternehmens, die
  412. über die Auswirkungen ihrer unrichtigen Ad-hoc-Information auf den Aktienmarkt Bescheid wußten, nicht durch eine (momentane) Euphorie über vermeintliche Chancen und Zukunftsperspektiven der I. AG der Verstand "vernebelt" wurde. Mit Recht rügt die Revision insoweit, daß nicht einmal nachvollziehbar dargelegt ist, worauf bezüglich des Geschäfts mit M. über die
  413. insoweit nicht ausreichende bloße Hoffnung hinaus bereits eine gesicherte Erwartung hinsichtlich der Zielvorstellung weiterer Aufträge hätte gestützt werden
  414. können; denn ersichtlich war weder die hierfür erforderliche Software bis zur
  415. Serienreife gediehen noch die Lauffähigkeit der Hardware gesichert. Abgesehen davon beträfe die etwaige Hoffnung oder Erwartung der Beklagten, den
  416. falsch gemeldeten "Mega-Deal" zu einem späteren Zeitpunkt noch zustande
  417. bringen zu können, nur die Möglichkeit einer künftigen Minderung oder wirtschaftlichen Beseitigung eines beim Anleger mit dem Aktienkauf bereits eingetretenen Vermögensschadens; das gilt insbesondere für den - wie hier - bereits
  418. dadurch entstandenen Schaden, daß der Anleger infolge der Irreführung Aktien
  419. erworben hat, die er ohne die Falschmeldung nicht erworben hätte. Eine etwaige spätere Schadenskompensation ließe aber die schon eingetretene Vollendung der vorsätzlichen Schädigung unberührt.
  420. c) Die vorsätzliche Veröffentlichung der bewußt unwahren Ad-hocMitteilung ist schließlich auch - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts -
  421. - 20 -
  422. als sittenwidrig i.S. des § 826 BGB, d.h. als "gegen das Anstandsgefühl aller
  423. billig und gerecht Denkenden" verstoßend (st.Rspr. seit RGZ 48, 114, 124), anzusehen.
  424. Freilich genügt dafür im allgemeinen die bloße Tatsache, daß der Täter
  425. gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hat, ebensowenig wie der Umstand, daß sein Handeln bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muß sich die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens aus dem
  426. verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder
  427. den eingetretenen Folgen ergeben. Hier wird die Verwerflichkeit allerdings bereits durch das Verhalten der Beklagten indiziert: die direkt vorsätzliche unlautere Beeinflussung des Sekundärmarktpublikums durch eine grob unrichtige Adhoc-Mitteilung. Ein solches Handeln verstößt derart gegen die Mindestanforderungen im Rechtsverkehr auf dem Kapitalmarkt, daß ein Ausgleich der durch
  428. sie bei den einzelnen Marktteilnehmern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint. Eine derartige Verhaltensweise ist nicht etwa deshalb in einem
  429. milderen Licht zu sehen, weil Ad-hoc-Mitteilungen wie die vorliegende gerade in
  430. der fraglichen "euphorischen Phase" des Neuen Marktes vielfach zu Werbezwecken veröffentlicht worden sind; denn darin lag - auch im vorliegenden Fall selbst ein Mißbrauch des Rechtsinstituts der Ad-hoc-Publizität. Zudem setzten
  431. sich die Beklagten - was das Oberlandesgericht außer Betracht läßt - bedenkenlos über die Hinweise von Mitarbeitern hinsichtlich der Unrichtigkeit der Meldung ebenso hinweg wie später über den Umstand, daß sogar in der Bereichsöffentlichkeit der Hauptversammlung der Schwindel entdeckt worden war. Mit
  432. der Veröffentlichung der Mitteilung über einen angeblichen Großauftrag - wie
  433. auch durch die weitere Falschmeldung im September 1999 - haben die Beklagten gezeigt, daß ihnen offensichtlich jedes Mittel recht war, um in den potentiellen Anlegern des Marktes positive Vorstellungen über den Wert des Unterneh-
  434. - 21 -
  435. mens hervorzurufen und über die einsetzende Nachfrage den Kurs der
  436. I.-Aktie "zu pushen".
  437. Die Beklagten verfolgten mit den falschen Ad-hoc-Mitteilungen auch in
  438. jedenfalls objektiv unlauterer Weise "eigene Zwecke". Sie waren nämlich - was
  439. das Oberlandesgericht übersehen hat - nicht etwa unbeteiligte "Nur-Vorstände",
  440. sondern
  441. besaßen
  442. als
  443. Gründungsgesellschafter
  444. Aktien
  445. der
  446. I. AG
  447. im
  448. Millionenumfang, so daß sie von dem mit den unrichtigen Meldungen bezweckten "Pushen" der Kurse zumindest mittelbar selbst profitierten. In diesem Zusammenhang weist die Revision zutreffend darauf hin, daß die Beklagten aus
  449. - wenn auch nicht mit den hier inkriminierten Meldungen unmittelbar zusammenhängenden - unstreitigen Verkäufen eigener Aktienpakete Anfang des Jahres 1999 jeweils knapp 29 Mio. DM und im Juli 2000 jeweils ca. 500.000,00 €
  450. erlösten. Bereits daraus läßt sich entnehmen, daß ihnen auch bewußt war, daß
  451. eine durch die unrichtigen Ad-hoc-Mitteilungen bewirkte Kurssteigerung zu
  452. einer Wertsteigerung der eigenen Beteiligung an der I. AG führen würde. Vorrangiges Ziel oder gar Endziel ihrer ungesetzlichen Handlungsweise
  453. mußten solche "eigenen Zwecke" im Rahmen des § 826 BGB nicht sein.
  454. IV. Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler unterliegt das angefochtene
  455. Urteil der Aufhebung. Da eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich
  456. und insbesondere weitergehender entscheidungsrelevanter Vortrag zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB nicht zu erwarten ist, hat der Senat
  457. in der Sache selbst zu entscheiden.
  458. 1. Nach den vorstehenden Ausführungen haften die Beklagten dem Kläger - ohne daß dies noch weiterer Ausführungen bedürfte - für den dem Zedenten
  459. P.
  460. durch
  461. die
  462. sittenwidrige
  463. vorsätzliche
  464. Schädigung
  465. entstandenen
  466. - 22 -
  467. Schaden gemäß § 826 BGB auf Schadensersatz in Höhe des geltend gemachten Bruttoaufwands von 90.945,70 DM nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung von 1.150 Stückaktien der I. AG, wie bereits das Landgericht
  468. zutreffend entschieden hatte.
  469. 2. Eine Kürzung des Ersatzanspruchs des Zedenten des Klägers gemäß
  470. § 254 BGB findet nicht statt. Es kann dahinstehen, ob gegenüber einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung der vorliegenden Art überhaupt unter dem
  471. Blickwinkel des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB dem geschädigten Anleger eine Kursbeobachtungs- und Verkaufspflicht bei sinkenden Kursen aufzuerlegen wäre
  472. (vgl. zur Mitverschuldensfrage im Rahmen von § 37 b, c WpHG n.F.: Fleischer/
  473. Kalls, AG 2002, 329, 334 f.). Denn jedenfalls hätte der Anleger P.
  474. - unabhängig davon, wann er von den erst Ende August 2000 erfolgten Korrekturmeldungen der I. AG Kenntnis erlangte - einer wie auch immer gearteten Schadensminderungspflicht schon durch die rechtzeitige "Anmeldung"
  475. seines Ersatzanspruchs bei den Beklagten mit Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 7. November 2000 genügt.
  476. Röhricht
  477. Goette
  478. Münke
  479. Kurzwelly
  480. Gehrlein