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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 346/00
  5. Verkündet am:
  6. 25. Februar 2002
  7. Boppel
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. ZPO a.F. §§ 139, 278 Abs. 3
  18. Erkennbar mehrdeutigen Parteivortrag muß das Gericht zum Anlaß nehmen,
  19. sein Fragerecht auszuüben, damit der Partei eine Klarstellung ihres Vorbringens ermöglicht wird.
  20. BGH, Urteil vom 25. Februar 2002 - II ZR 346/00 -
  21. OLG Oldenburg
  22. LG Oldenburg
  23. -2-
  24. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 25. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die
  26. Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Kraemer und die Richterin Münke
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats
  29. des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 20. Oktober 2000 aufgehoben.
  30. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
  31. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. Der Geschäftsführer der Klägerin schuldet der Beklagten gemäß notariellem Schuldanerkenntnis vom 5. Januar 1996 900.000,00 DM. Die Beklagte
  35. betreibt daraus gegen ihn die Zwangsvollstreckung. Sie hat unter anderem am
  36. 7. Februar
  37. 2000
  38. auf
  39. Pferde pfänden lassen.
  40. dem
  41. Reiterhof
  42. K.
  43. in
  44. L.
  45. 16
  46. untergestellte
  47. -3-
  48. Die Klägerin hat Widerspruchsklage erhoben mit der Behauptung, die
  49. gepfändeten Pferde seien ihr Eigentum. Das Landgericht hat durch Teilurteil
  50. hinsichtlich
  51. des
  52. Pferdes
  53. G.
  54. (Vater
  55. Gr./Muttervater
  56. A.)
  57. ent-
  58. schieden und die Zwangsvollstreckung insoweit für unzulässig erklärt. Auf die
  59. Berufung der Beklagten ist die Klage hinsichtlich des Pferdes G. abgewiesen
  60. worden. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des
  61. landgerichtlichen Urteils.
  62. Entscheidungsgründe:
  63. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
  64. Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
  65. I. 1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet angenommen, daß die Klägerin ihr Eigentum an dem Pferd durch
  66. Vorlage von Abstammungsnachweis und Zuchtbuch nicht nachgewiesen habe
  67. und die Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht für sie streite, weil zureichende Anhaltspunkte dafür fehlten, daß sie im Zeitpunkt der Pfändung mittelbare Besitzerin des Tieres gewesen sei.
  68. 2. Zu Recht rügt die Revision jedoch, das Berufungsgericht sei verfahrensfehlerhaft zu der Auffassung gelangt, daß die Klägerin auch zu einem früheren Zeitpunkt keinen mittelbaren Besitz an dem Pferd gehabt habe, § 1006
  69. Abs. 2 BGB. Das Berufungsgericht hätte den nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz der Klägerin vom 12. Oktober 2000 zum
  70. Anlaß nehmen müssen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.
  71. -4-
  72. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Gericht zur Wiedereröffnung der bereits geschlossenen mündlichen Verhandlung
  73. verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen einer Partei ergibt, daß die
  74. bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte (vgl. Sen.Urt. v. 8. Februar 1999 - II ZR 261/97, NJW
  75. 1999, 2123, 2124 m.w.N.). So lag es hier.
  76. Das Berufungsgericht hat auf Grund der Berufungserwiderung der Klägerin angenommen, daß R. W., dem die Züchterin das von ihr am
  77. 15. Mai 1996 auf dem Versteigerungswege veräußerte Tier am 13. Oktober
  78. 1996 anlieferte, nicht als Besitzmittler für die Klägerin tätig war, weil der Unterstellvertrag mit W. nach dem Vortrag der Klägerin von ihrer - unstreitig nicht
  79. vertretungsbefugten - Gesellschafterin Ri. V. geschlossen worden sei, so
  80. daß W. Besitzmittler nicht für die Klägerin, sondern für deren Gesellschafterin
  81. gewesen sei. Diese Annahme beruhte jedoch auf einem zumindest nachträglich
  82. erkennbaren Mißverständnis.
  83. Die klagende GmbH hatte in der Berufungserwiderung im Hinblick auf
  84. das Schreiben vom 8. Oktober 1996, in dem die Züchterin gebeten wurde, das
  85. von ihr veräußerte Pferd am 13. Oktober 1996 bei R. W. anzuliefern,
  86. wörtlich vorgetragen: "Der Geschäftsführer der Klägerin hat auf Weisung der
  87. Alleingesellschafterin das Schreiben verfaßt, da sie mit Herrn W. einen Unterstellvertrag abgeschlossen hatte." Das Berufungsgericht bezog das Pronomen
  88. "sie" im letzten Halbsatz auf das Substantiv "Alleingesellschafterin" und entnahm daraus, die Klägerin habe vorgetragen, daß ihre Alleingesellschafterin
  89. den Unterstellvertrag mit W. geschlossen habe. Es mag dahinstehen, ob diese
  90. -5-
  91. Auslegung zunächst noch entgegen der Ansicht der Revision ohne Verstoß
  92. gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze möglich gewesen wäre. Jedenfalls
  93. war es ebenso gut möglich, daß sich das Pronomen "sie" auf das Substantiv
  94. "Klägerin" beziehen sollte. In diesem Falle wäre der Vortrag in der Berufungserwiderung dahingehend zu verstehen gewesen, daß die klagende GmbH den
  95. Unterstellvertrag
  96. mit
  97. W.
  98. geschlossen
  99. habe,
  100. so
  101. daß
  102. W.
  103. ihr
  104. den
  105. Besitz vermittelte. Schon diese unschwer zu erkennende Mehrdeutigkeit des
  106. Vorbringens der Klägerin in der Berufungserwiderung hätte dem Berufungsgericht Anlaß zur Ausübung seines Fragerechts geben müssen.
  107. Hinzu kommt, daß die Klägerin mit ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12. Oktober 2000 klargestellt hat, daß ihr Vorbringen anders gemeint
  108. war, als es das Berufungsgericht verstanden hatte. Sie hat dort ausdrücklich
  109. ausgeführt: "Mittelbarer Besitzer ist die Klägerin dadurch geworden, daß Frau
  110. Ric. das Pferd dem Besitzmittler, Herrn R. W. als Geheißperson der Klägerin
  111. ausgehändigt hat, der den Besitz auf Grund eines Unterstellvertrages für die
  112. Klägerin ausübte." Dieses Vorbringen ließ keinen Zweifel daran zu, daß die
  113. Klägerin einen zwischen ihr und W. zustande gekommenen Unterstellvertrag
  114. behaupten wollte und das Berufungsgericht sie mißverstanden hatte. So verstand auch das Berufungsgericht den neuen Vortrag der Klägerin. Aus ihm ergab sich, daß die bisherige Verhandlung des Berufungsgerichts lückenhaft
  115. war, weil sie die Differenz zwischen seinem Verständnis der klägerischen Darstellung zum Unterstellvertrag und dem Verständnis der Klägerin trotz erkennbarer Mehrdeutigkeit des Vortrags nicht aufgedeckt hatte, und das bisherige
  116. Verfahren fehlerhaft war, weil das Berufungsgericht die erforderliche Klärung
  117. der erkennbaren Mehrdeutigkeit des klägerischen Vorbringens unterlassen
  118. hatte.
  119. -6-
  120. b) Das Berufungsgericht war seiner demnach gegebenen Wiederöffnungspflicht weder wegen der Erörterung der mit dem Eigentumserwerb im Zusammenhang stehenden Tatsachen in der Berufungsverhandlung enthoben
  121. noch wegen der Erklärung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, er könne
  122. über den schriftsätzlichen Vortrag hinausgehende Angaben nicht machen.
  123. Nach §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO hätte das Oberlandesgericht die Klägerin auf
  124. sein Verständnis der Berufungserwiderung unmißverständlich hinweisen müssen, um ihr eine sachdienliche Klarstellung ihres Vortrags zu ermöglichen (vgl.
  125. Senat aaO). Die Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen ebenso wenig wie das Protokoll der Berufungsverhandlung erkennen, daß ein solcher
  126. Hinweis erfolgt ist. Damit geht auch die Auffassung der Revisionserwiderung
  127. fehl, die Klägerin hätte bei sorgfältiger Prozeßführung vorsorglich einen Antrag
  128. nach § 283 ZPO stellen müssen, der den Verfahrensfehler des Berufungsgerichtes kompensiert hätte.
  129. 3. Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als
  130. richtig, § 563 ZPO a.F..
  131. Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts spricht vieles dafür,
  132. daß ihr Geschäftsführer das Pferd auf der Auktion vom 15. Mai 1996 für die
  133. Klägerin ersteigerte. Nach den Umständen liegt es nahe, daß der Geschäftsführer der Klägerin, obwohl er Alleingesellschafter und allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Gesellschaft erst am 12. August 1996 wurde, auf
  134. Grund seiner schon damals beherrschenden Stellung in der Gesellschaft - er
  135. hielt vier Fünftel des Stammkapitals der Gesellschaft - in deren Vollmacht und
  136. Vertretung handelte. Er betrieb die Hengstaufzucht und -ausbildung über die
  137. -7-
  138. Klägerin. Angesichts seiner beherrschenden Stellung in der Gesellschaft kann
  139. seine Vollmacht, die Klägerin vertraglich zu verpflichten, nicht ernstlich in
  140. Zweifel gezogen werden. Sein Gebot wurde entweder als solches der Klägerin
  141. verstanden, ohne daß es insoweit einer ausdrücklichen Erklärung bedurft hätte,
  142. weil den beteiligten Verkehrskreisen und damit auch dem Veranstalter der
  143. Auktion,
  144. dem
  145. Verein
  146. zur
  147. Absatzförderung
  148. des
  149. O.
  150. e.V.,
  151. der
  152. die
  153. Tiere im eigenen Namen und für Rechnung der Züchter verkaufte, bekannt war,
  154. daß er Geschäfte über Pferde jeweils für die Klägerin abschloß, oder es ist jedenfalls nach den Grundsätzen des unternehmensbezogenen Geschäfts, um
  155. das es sich bei dem Erwerb des Tieres handelte, der Klägerin zuzurechnen.
  156. Die vorstehende Beurteilung findet Bestätigung zum einen darin, daß die
  157. Rechnung
  158. des
  159. Vereins
  160. zur
  161. Absatzförderung
  162. des
  163. O.
  164. e.V.
  165. vom
  166. 4. Dezember 1996 an die Klägerin gerichtet ist, und zum anderen darin, daß in
  167. den von der Steuerberatungsgesellschaft der Klägerin gefertigten Aufstellungen der Hengst per 31. Dezember 1996 und 31. Dezember 1997 im Anlagevermögen der Klägerin geführt wurde. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht schließlich auch kein Zweifel daran, daß das Schreiben vom
  168. 8. Oktober 1996, mit dem die Züchterin zur Ablieferung des ersteigerten Pferdes bei W. aufgefordert wurde, der Klägerin zugerechnet werden muß. Es ist
  169. auf einem Briefbogen der Klägerin gefertigt; die handschriftlich vorgenommene
  170. Änderung an seinem unteren Rand macht ausdrücklich auf die Eigenschaft des
  171. unterzeichnenden H. V. als Geschäftsführer der Klägerin aufmerksam. Demgegenüber kommt der Tatsache, daß die Bezeichnung der Klägerin und ihre Anschrift auf dem Firmenbriefbogen nur unzureichend an die zuvor anläßlich der
  172. Übernahme des restlichen Fünftels der Gesellschaftsanteile durch den Ge-
  173. -8-
  174. schäftsführer der Klägerin am 12. August 1996 vorgenommenen Änderungen
  175. des Gesellschaftsvertrages angepaßt worden waren, keine Bedeutung zu.
  176. II. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da dem
  177. Senat eine eigene Entscheidung über die Frage, mit wem W. den Unterstellvertrag geschlossen hat, nicht möglich ist. Aus der Erwiderung der Beklagten
  178. vom 13. Oktober 2000 auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin
  179. vom 12. Oktober 2000 ergibt sich, daß die Beklagte den Vortrag der Klägerin
  180. über einen Unterstellvertrag mit W. bestreitet. Das Berufungsgericht wird daher, nachdem die Parteien Gelegenheit zu abschließendem Vortrag zu diesem
  181. Komplex erhalten haben, den Beweisantritten der Klägerin nachzugehen haben.
  182. Röhricht
  183. Hesselberger
  184. Kraemer
  185. Henze
  186. Münke