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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 289/00
  5. Verkündet am:
  6. 24. September 2001
  7. Boppel
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:ja
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. BGHR:
  16. ja
  17. GenG § 68 Abs. 4
  18. a) § 68 Abs. 4 Halbsatz 2 GenG findet auf den Ausschluß eines Genossen, der
  19. Mitglied der Vertreterversammlung ist, keine Anwendung.
  20. b) Bis zur rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschlusses
  21. aus der Genossenschaft ruht das Vertreteramt. Es lebt gemäß § 68 Abs. 4
  22. Halbsatz 1 GenG anschließend wieder auf.
  23. BGH, Urteil vom 24. September 2001 - II ZR 289/00 - Kammergericht
  24. LG Berlin
  25. -2-
  26. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom
  28. 24. September
  29. 2001
  30. durch
  31. den
  32. Vorsitzenden
  33. Richter
  34. Dr. h.c. Röhricht, die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Kraemer und
  35. die Richterin Münke
  36. für Recht erkannt:
  37. Die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 17. August 2000 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. Der Kläger ist Mitglied der Beklagten, einer eingetragenen Genossenschaft, und wurde im Mai 1996 als Vertreter in die Vertreterversammlung gewählt. Im August 1997 beschloß der Vorstand der Beklagten den Ausschluß
  41. des Klägers aus der Genossenschaft mit Wirkung zum 31. Dezember 1997 und
  42. teilte ihm dies im September 1997 schriftlich mit. Die Unwirksamkeit des Ausschlusses wurde durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Mai 1999
  43. rechtskräftig festgestellt. Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Beklagten informierten den Kläger, daß dadurch lediglich die Mitgliedschaft in der Genos-
  44. -3-
  45. senschaft, nicht aber das Vertreteramt fortbestehe, und luden ihn auch nach
  46. Rechtskraft der Feststellung nicht mehr zu den Vertreterversammlungen ein.
  47. Der Kläger ist der Auffassung, daß durch die rechtskräftige Feststellung der
  48. Unwirksamkeit seines Ausschlusses sein Vertreteramt fortbestehe bzw. wieder
  49. aufgelebt sei, und begehrt mit seiner Klage, dies festzustellen. Aufgrund vorgezogener Vertreterwahl im Mai 2000 wurde der Kläger erneut als Vertreter in die
  50. Vertreterversammlung gewählt, die sich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen
  51. Verhandlung in der Vorinstanz noch nicht konstituiert hatte. Das Landgericht
  52. hat der Feststellungsklage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt
  53. die Beklagte ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
  54. Entscheidungsgründe:
  55. Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
  56. I. Da sich die neue Vertreterversammlung im Zeitpunkt der letzten
  57. mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen noch nicht konstituiert
  58. hatte, läßt sich entgegen der Ansicht der Revision das Feststellungsinteresse
  59. des Klägers nicht mit dem Hinweis auf die vorgezogene Vertreterwahl im Mai
  60. 2000 in Frage stellen.
  61. II. Der im Mai 1996 in das Vertreteramt gewählte Kläger hat dieses Amt
  62. durch die im September 1997 erfolgte Mitteilung des Vorstandsbeschlusses
  63. über seinen Ausschluß aus der Genossenschaft nicht verloren; es hat vielmehr
  64. von diesem Zeitpunkt an bis zur rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit
  65. des Ausschlusses nur geruht und ist dann wieder aufgelebt.
  66. -4-
  67. 1. Entgegen den Darlegungen der Revision kann die für Vorstands- und
  68. Aufsichtsratsmitglieder nach überwiegender Ansicht geltende Regelung des
  69. § 68 Abs. 4 Halbsatz 2 GenG (RGZ 128, 87, 90; BGHZ 31, 192, 195; OGHZ 1,
  70. 370, 375 f.; Bauer in: Schubert/Steder/Bauer, Genossenschaftshandbuch Bd. 2
  71. 1973, § 68 Rdn. 18; Beuthien, GenG 13. Aufl. § 68 Rdn. 19; Pöhlmann in:
  72. Hettrich/Pöhlmann,
  73. GenG
  74. 2. Aufl.
  75. § 68
  76. Rdn. 19;
  77. Schaffland:
  78. in
  79. Lang/Weidmüller/
  80. Metz/Schaffland, GenG 33. Aufl. § 68 Rdn. 83, a.A. Müller, GenG § 68 Rdn. 67,
  81. 71 m.w.N.), die im Interesse der Arbeitsfähigkeit dieser Organe ein Wiederaufleben des Amtes auch nach rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit
  82. des Ausschlusses nicht zuläßt, für das Vertreteramt nicht maßgeblich sein.
  83. a) § 68 Abs. 4 Halbsatz 2 GenG ist nicht als generelle, auf jedwedes Amt
  84. innerhalb der Genossenschaft anwendbare Norm gefaßt. Diese Norm nennt
  85. vielmehr ausschließlich den Vorstand und den Aufsichtsrat und erklärt sich aus
  86. den Besonderheiten dieser Organe. Die Mitglieder des Vorstandes tragen im
  87. Bereich der Geschäftsführung und Vertretung, die Mitglieder des Aufsichtsrates
  88. im Bereich der Kontrolle der Geschäftsführung und der Vertretung der Genossenschaft gegenüber dem Vorstand in besonderem Maße Verantwortung für
  89. die Genossenschaft und nehmen insoweit das Vertrauen der Genossen in Anspruch. Zudem sind insbesondere die Vorstandsmitglieder im Regelfalle im
  90. Rahmen eines Dienstvertrages und häufig hauptamtlich tätig. Mit dieser Stellung und mit der Bedeutung der Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat für
  91. die Genossenschaft wäre ein vorübergehendes Ruhen des Amtes für die unter
  92. Umständen jahrelange Dauer des Streits um den Ausschließungsbeschluß und
  93. die in dieser Zeit bestehende Ungewißheit nur schwer zu vereinbaren. Zudem
  94. ergeben sich erhebliche Probleme, wenn in der Zwischenzeit ein neues Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied an Stelle des Ausgeschlossenen bestellt
  95. -5-
  96. worden ist. Auch eine parallele Tätigkeit des alten und des neuen Mitgliedes im
  97. Vorstand oder Aufsichtsrat ab diesem Zeitpunkt ist jedenfalls nicht ohne weiteres und auch nicht in jedem Fall möglich.
  98. b) Die Stellung und die Aufgaben eines Vertreters sind entgegen der
  99. Auffassung der Revision mit den Ämtern im Vorstand oder im Aufsichtsrat auch
  100. nicht in einer Weise vergleichbar, die eine entsprechende Anwendung von
  101. § 68 Abs. 4 Halbsatz 2 GenG insoweit rechtfertigen könnte.
  102. Zwar üben auch die Vertreter innerhalb der Genossenschaft ein Amt
  103. aus; sie unterliegen insoweit bestimmten Amtspflichten; insbesondere sind sie
  104. gehalten, ihr Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Vertreters einer Genossenschaft zu erfüllen, an den Vertreterversammlungen teilzunehmen und dort
  105. mittels ihres Rede-, Auskunfts- und Antragsrechts sachgerecht mitzuarbeiten.
  106. Gleichwohl unterscheidet sich die Tätigkeit des Vertreters wesentlich
  107. von derjenigen der Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder. Das Vertreteramt
  108. wird anders als im Regelfall das Vorstandsamt ehrenamtlich ausgeführt. Es
  109. beinhaltet anders als die Tätigkeit im Vorstand oder im Aufsichtsrat keine exekutiven Aufgaben; es stellt vielmehr eine besondere Form der Wahrnehmung
  110. mitgliedschaftlicher Rechte und Pflichten dar: Vertreterversammlungen sind
  111. lediglich verkleinerte Generalversammlungen; Zweck, Aufgabe und Funktion
  112. der Vertreterversammlung bestehen darin, aus Praktikabilitätsgründen an die
  113. Stelle der infolge ihrer großen Mitgliederzahl zu schwerfälligen und zu einer
  114. Willensbildung nur unter erheblichem Aufwand an Zeit und Geld fähigen Generalversammlung zu treten (BGHZ 83, 228, 232). Die Tätigkeit der Vertreter besteht dementsprechend darin, in der Vertreterversammlung für sich und die
  115. vertretenen Genossen diejenigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen, die bei
  116. -6-
  117. kleineren Genossenschaften im Rahmen der Generalversammlung jeder Genosse selbst und ausschließlich für sich ausübt.
  118. c) Der Auffassung der Revision, nach der das Vertreteramt mit der Mitteilung über den Ausschließungsbeschluß unabhängig von dessen Wirksa mkeit dauerhaft erlischt, kann im übrigen auch deshalb nicht gefolgt werden, weil
  119. damit die Gefahr bestünde, daß die Vertreter faktisch in die Abhängigkeit des
  120. Vorstands geraten.
  121. Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder können nicht durch bloßen Vorstandsbeschluß, sondern nur durch Beschluß der General- bzw. Vertreterve rsammlung ausgeschlossen werden. Dies ist im Hinblick auf den mit der Mitteilung des Ausschließungsbeschlusses unabhängig von seiner Wirksamkeit
  122. zwingend verbundenen endgültigen Amtsverlust zum Schutz des Betroffenen
  123. und insbesondere zur Vermeidung einer Machtverschiebung innerhalb der Genossenschaft zugunsten des Vorstandes unerläßlich (BGHZ 31, 192, 195 f.)
  124. und ist auch in § 11 Abs. 6 der Satzung der Beklagten berücksichtigt. Für Vertreter bestehen solche Kontroll- und Schutzmechanismen nicht. Ebenso wie
  125. jeder Genosse, der kein Amt bekleidet, kann auch ein Vertreter nach den allgemeinen Vertretungsregelungen innerhalb der Genossenschaft durch Beschluß des Vorstandes ausgeschlossen werden. Hätte gleichwohl die Mitteilung des Ausschließungsbeschlusses entsprechend § 68 Abs. 4 Halbsatz 2
  126. GenG zur Folge, daß der Vertreter ebenso wie Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder unabhängig von der Wirksamkeit des Ausschlusses sein Amt verlöre, so führte dies zu einer Erweiterung der Machtstellung des Vorstands gegenüber der Vertreterversammlung, die allein schon im Hinblick auf den genossenschaftlichen Grundsatz der Selbstverwaltung nicht hinnehmbar wäre.
  127. Der Vorstand könnte sich nämlich jedes Vertreters, insbesondere eines sol-
  128. -7-
  129. chen, der sich durch sein Verhalten in der Vertreterversammlung - etwa durch
  130. unerwünschte Auskunftsbegehren oder Anträge - mißliebig gemacht hat, leicht
  131. entledigen. Damit geriete die Tätigkeit insbesondere mißliebiger Vertreter unter
  132. den Einfluß des Vorstands. Im Falle rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses würde zwar die Wählbarkeit des Betroffenen bei der nächsten Wahl zur Vertreterversammlung wieder aufleben.
  133. Zunächst und bis zur nächsten Vertreterwahl und Konstituierung der neuen
  134. Vertreterversammlung aber könnte der Vorstand mißliebige Vertreter ausschalten, ohne daß diese sich hiergegen wehren könnten.
  135. 2. Entgegen der Auffassung der Revision ist es aus diesen Gründen
  136. sachgerecht, die Mitteilung des Ausschließungsbeschlusses an einen Vertreter
  137. entsprechend § 68 Abs. 4 Halbsatz 1 GenG zu behandeln. Diese Bestimmung
  138. schreibt vor, daß ein Genosse von dem Zeitpunkt der Absendung dieses Beschlusses an nicht mehr an der Generalversammlung teilnehmen darf; der Beschluß wirkt damit vorläufig (RGZ 72, 4, 10). Die rechtskräftige Feststellung,
  139. daß der Ausschließungsbeschluß unwirksam ist, entfaltet zwar keine Rückwi rkung, läßt aber das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des Genossen wieder
  140. aufleben. Die Orientierung an dieser Regelung liegt nahe, weil die Tätigkeit der
  141. Vertreter eher der Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Rechte und Pflichten in
  142. der Generalversammlung als der Tätigkeit im Vorstand oder Aufsichtsrat entspricht. Zudem ist es rechtlich und faktisch ohne weiteres möglich, das Vertreteramt für die Zeit des Streits um die Frage der Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses ruhen, in der Zwischenzeit durch einen Ersatzvertreter
  143. -8-
  144. wahrnehmen und mit der rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit der
  145. Ausschließung wieder aufleben zu lassen.
  146. VRiBGH Dr. h.c. Röhricht ist
  147. wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert
  148. Hesselberger
  149. Hesselberger
  150. Kraemer
  151. Henze
  152. Münke