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10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. II ZR 222/99
  4. URTEIL
  5. in dem Rechtsstreit
  6. Verkündet am:
  7. 17. Dezember 2001
  8. Boppel
  9. Justizamtsinspektor
  10. als Urkundsbeamter
  11. der Geschäftsstelle
  12. -2-
  13. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom
  15. Dr. h.c. Röhricht
  16. 3. Dezember
  17. und
  18. die
  19. 2001
  20. Richter
  21. durch
  22. Prof.
  23. den
  24. Vorsitzenden
  25. Dr. Henze,
  26. Prof.
  27. Richter
  28. Dr. Goette,
  29. Dr. Kurzwelly und die Richterin Münke
  30. für Recht erkannt:
  31. Auf die Revision des Beklagten zu 1 wird das Urteil des
  32. 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
  33. 18. Februar 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
  34. das Berufungsgericht festgestellt hat, daß die Versorgungszusage zu Gunsten des Beklagten zu 1 über die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung vom 13. Juli 1989 von der Klägerin
  35. mit Schreiben vom 22. April 1996 wirksam widerrufen wurde. Insoweit wird die Berufung der Klägerin gegen die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts zurückgewiesen.
  36. Die Gerichtskosten der ersten und zweiten Instanz und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin der ersten und zweiten Instanz haben zu 80 % die Beklagten zu 1 - 6 als Gesamtschuldner, zu 20 % die Klägerin zu tragen. Die Klägerin hat ferner
  37. 20 % der außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 der ersten und zweiten Instanz zu tragen, während die in diesen beiden Instanzen im übrigen angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten diesen selbst zur Last fallen.
  38. Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin
  39. -3-
  40. zu 53 %, 12 % tragen die Beklagten zu 1 - 6 als Gesamtschuldner und zu weiteren 35 % die Beklagten zu 1 - 3 und 6 ebenfalls
  41. als Gesamtschuldner. Von den außergerichtlichen Kosten des
  42. Revisionsverfahrens - soweit über sie nicht zu Lasten der Beklagten zu 2, 3 und 6 bereits durch den Beschluß des Senats
  43. vom 12. Februar 2001 entschieden worden ist - tragen: Die Klägerin jeweils 47 % ihrer eigenen und derjenigen des Beklagten
  44. zu 1, der Beklagte zu 1 53 % seiner eigenen, die Beklagten zu 1
  45. - 6 als Gesamtschuldner 53 % derjenigen der Klägerin, während
  46. die Beklagten zu 4 und zu 5 ihre außergerichtlichen Kosten des
  47. Revisionsverfahrens selbst zu tragen haben.
  48. Von Rechts wegen
  49. Tatbestand:
  50. Der Beklagte zu 1 (im folgenden: Beklagter) stand bis Ende 1990 in den
  51. Diensten der V.
  52. GmbH. Mit ihr schloß er am 13. Juli 1989 einen als
  53. "Versorgungszusage" bezeichneten Alters- und Hinterbliebenenversorgungsvertrag. Mit Wirkung ab 1. Januar 1991 hat die Klägerin, ein Tochterunternehmen des schwedischen LKW-Herstellers V.
  54. V.
  55. T.
  56. C.
  57. , den Vertrieb der
  58. Nutzfahrzeuge in Deutschland übernommen. Der Beklagte war ihr Ge-
  59. schäftsführer. Ihm gegenüber übernahm unter dem 25. März 1991 die Klägerin
  60. die von der früheren Arbeitgeberin des Beklagten erteilte "Versorgungszusage"
  61. als "vertraglich unverfallbar".
  62. -4-
  63. Der Beklagte hatte als Geschäftsführer der Klägerin u.a. für die Errichtung eines neuen Verwaltungsgebäudes der Klägerin zu sorgen und hat - gemeinschaftlich mit dem früheren Beklagten zu 2 und Herrn R. , dem Erblasser
  64. der Beklagten zu 3 und zu 6, handelnd - einen überteuerten Auftrag für die
  65. Planung und die Errichtung des Gebäudes an den früheren Beklagten zu 4 und
  66. die Beklagte zu 5 erteilt. Der Beklagte und seine beiden Mittäter haben im Zusammenhang mit der Erteilung dieses Auftrages von den Beklagten zu 4 und
  67. zu 5 insgesamt 1.987.715,28 DM als "Provisionen" erhalten. Es war geplant,
  68. alle V.
  69. Nutzfahrzeughändler in Deutschland dazu zu veranlassen, die Neuge-
  70. staltung ihrer Einrichtungen, die einem einheitlichen Muster folgen sollte, den
  71. früheren Beklagten zu 4 und zu 5 zu übertragen. Hierzu ist es indessen nur in
  72. dem Fall des Händlers K. gekommen. Einer von ihr gegebenen Zusage folgend hat die Klägerin das Firmengebäude dieses zwischenzeitlich in Konkurs
  73. gefallenen Händlers zum Preis von 6,75 Mio. DM kaufen und die dort entstandenen Architektenkosten von 120.000,00 DM übernehmen müssen.
  74. Sie hat den Beklagten nicht nur auf Ersatz des ihr durch die "Provisionszahlung" entstandenen Schadens in Anspruch genommen, sondern mit Schreiben vom 22. April 1996 auch die ihm erteilte Versorgungszusage widerrufen.
  75. Daß dieser "Widerruf" rechtswirksam ist, ist - neben dem Schadenersatzverlangen - Gegenstand ihres Feststellungsbegehrens. Das Berufungsgericht hat
  76. in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils alle Beklagten zur Leistung von
  77. Schadenersatz verurteilt und zu Lasten des Beklagten die angetragene Feststellung getroffen. Durch Nichtannahme der Revisionen bzw. Revisionsrücknahme nach Verweigerung der nachgesuchten Prozeßkostenhilfe ist das Berufungsurteil hinsichtlich der Verurteilung zum Schadenersatz rechtskräftig geworden. Angenommen hat der Senat allein das Rechtsmittel des Beklagten,
  78. soweit er sich gegen den Feststellungsausspruch des Berufungsurteils wendet.
  79. -5-
  80. -6-
  81. Entscheidungsgründe:
  82. Im Umfang der Annahme ist die Revision begründet und führt zur Abweisung des Feststellungsantrags. Der von der Klägerin ausgesprochene "Widerruf" der Versorgungszusage entfaltet zu Lasten des Beklagten keine Rechtswirkungen.
  83. Das Berufungsgericht hat - revisionsrechtlich einwandfrei und auch von
  84. der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellt - aus der Erklärung der Klägerin, sie übernehme die dem Beklagten früher erteilte Versorgungszusage als
  85. "vertraglich unverfallbar", hergeleitet, sie wolle den Beklagten versorgungsrechtlich so behandeln, als fänden die zwingenden (§ 17 Abs. 3 Satz 3
  86. BetrAVG) Vorschriften des BetrAVG auf diese Versorgungszusage Anwendung. Eine solche aus freien Stücken, oftmals mit dem Ziel, eine bestimmte
  87. Person für die Gesellschaft als Leitungsorgan zu gewinnen, gewährte Besserstellung eines Versorgungsberechtigten, der - wie der Beklagte - die gesetzlichen Voraussetzungen für einen unverfallbaren Versorgungsanspruch nicht
  88. erfüllt, ist, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ohne weiteres zulässig (Sen.Urt. v. 18. Mai 1998 - II ZR 19/97, WM 1998, 1535; Sen.Urt. v.
  89. 3. Juli
  90. 2000
  91. - II ZR 381/98, ZIP 2000, 1452). Da sich die Klägerin freiwillig der Geltung des
  92. BetrAVG zugunsten des Beklagten unterworfen und damit jedenfalls auch zum
  93. Ausdruck gebracht hat, daß sie seine - zuvor gegenüber ihrer Schwestergesellschaft bewiesene - Betriebstreue honorieren wolle, genoß er von Anfang an
  94. den Schutz von dessen Regeln, ohne daß die Klägerin hernach damit gehört
  95. werden könnte, der Beklagte habe nur kurze Zeit in ihren Diensten gestanden,
  96. sei deswegen nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie bei Eintritt der gesetzli-
  97. -7-
  98. chen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen und müsse dies deswegen bei der
  99. Durchsetzung seines Versorgungsanspruchs gegen sich gelten lassen. Nicht
  100. durchdringen kann die Klägerin aus dem gleichen Grund mit ihrem Einwand,
  101. der Beklagte habe den Eintritt der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen erschlichen; wie sie selbst geltend gemacht hat, liegt das pflichtwidrige, zur Entlassung des Beklagten und zu seiner Verurteilung zur Schadenersatzleistung führende Verhalten mehr als zwei Jahre nach der Berufung des Beklagten in das
  102. Geschäftsführeramt und nach der Übernahme des von der Schwestergesellschaft erteilten Versorgungsversprechens als "vertraglich unverfallbar".
  103. Ist danach aber das dem Beklagten erteilte Versorgungsversprechen
  104. hinsichtlich der Unverfallbarkeitsfolgen genauso zu behandeln, als seien die
  105. gesetzlichen Voraussetzungen für die Unverfallbarkeit bereits erfüllt gewesen,
  106. kann sich die Klägerin im vorliegenden Fall aus den eingegangenen Bindungen
  107. nicht unter Hinweis auf den Rechtsmißbrauchseinwand lösen.
  108. Nach der gefestigten Rechtsprechung sind Versorgungszusagen nur
  109. dann dem durchgreifenden Rechtsmißbrauchseinwand ausgesetzt, wenn der
  110. Pensionsberechtigte seine Pflichten in so grober Weise verletzt hat, daß sich
  111. die in der Vergangenheit bewiesene Betriebstreue nachträglich als wertlos
  112. oder zumindest erheblich entwertet herausstellt (Sen.Urt. v. 13. Dezember
  113. 1999
  114. - II ZR 152/98, ZIP 2000, 380; Sen.Urt. v. 3. Juli 2000 - II ZR 381/98, ZIP 2000,
  115. 1452). Diese mit der Judikatur des Bundesarbeitsgerichts übereinstimmende
  116. Rechtsprechung (vgl. Sen.Urt. v. 13. Dezember 1999 aaO m.w.N.) beruht auf
  117. der Erwägung, daß das Versorgungsversprechen Teil des von dem Dienstberechtigten geschuldeten Entgelts ist. Ebenso, wie durch eine fristlose Kündigung des Dienstverhältnisses die Vergütungspflicht des Dienstherrn nicht
  118. -8-
  119. rückwirkend beseitigt werden kann, kann sich der die Versorgung Zusagende
  120. durch eine entsprechende Erklärung nicht von der Verpflichtung befreien, im
  121. Versorgungsfall diesen Teil der geschuldeten und versprochenen Vergütung zu
  122. leisten. Insofern bewendet es vielmehr dabei, daß das Dienstverhältnis fristlos
  123. beendet und ggfs. Schadenersatz gefordert werden kann. Erst dann, wenn das
  124. pflichtwidrige Verhalten des Dienstverpflichteten sich als eine besonders grobe
  125. Verletzung der Treuepflicht des Leitungsorgans darstellt, kann die Gesellschaft
  126. den Rechtsmißbrauchseinwand erheben. Dazu reicht es nach der gefestigten
  127. Rechtsprechung des Senats nicht aus, daß ein wichtiger Grund für die sofortige Beendigung des Anstellungsverhältnisses besteht oder daß das Leitungsorgan gegen strafrechtliche Vorschriften verstoßen hat; vielmehr hat der Senat
  128. die entsprechende Voraussetzung bisher nur dann bejaht, wenn der Versorgungsberechtigte den Versprechenden in eine seine Existenz bedrohende Lage gebracht hat, weil jedenfalls dann die Grenze überschritten ist, bis zu der
  129. auch der pflichtwidrig Handelnde, ohne sich dem Einwand auszusetzen,
  130. rechtsmißbräuchlich zu handeln, das ihm gegebene Versprechen einfordern
  131. kann. Diese engen Voraussetzungen liegen, wie auch die Klägerin nicht in Abrede stellt, hier offensichtlich nicht vor. Ob auch ohne eine solche Existenzgefährdung der versorgungspflichtigen Gesellschaft sich der Versorgungsberechtigte im Einzelfall wegen der besonderen Umstände seines Verhaltens und der
  132. extremen Höhe des von ihm angerichteten, wenngleich nicht zur Existenzgefährdung
  133. führenden
  134. -9-
  135. Schadens ausnahmsweise den Rechtsmißbrauchseinwand entgegenhalten
  136. lassen muß, bedarf hier keiner Entscheidung, weil solche außerordentlichen
  137. Verhältnisse, die einer Durchsetzung des Versorgungsversprechens ausnahmsweise entgegenstehen können, weder vorgetragen noch festgestellt
  138. sind.
  139. Röhricht
  140. Henze
  141. Kurzwelly
  142. Goette
  143. Frau RinBGH Münke ist wegen
  144. Erkrankung an der Unterschrift
  145. gehindert.
  146. Röhricht