Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

207 lines
12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. II ZR 202/07
  4. vom
  5. 14. Juli 2008
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. GmbHG § 43 Abs. 2; ZPO §§ 544 Abs. 7, 531 Abs. 2 Nr. 2
  14. a) Eine Haftungsprivilegierung eines Geschäftsführers einer GmbH im Rahmen des
  15. ihm zustehenden unternehmerischen Ermessens setzt voraus, dass das unternehmerische Handeln auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruht; das erfordert, dass er in der konkreten Entscheidungssituation alle
  16. verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpft und
  17. auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen
  18. sorgfältig abschätzt und den erkennbaren Risiken Rechnung trägt.
  19. b) Schneidet das Gericht der ersten Instanz einer Partei unter Verstoß gegen
  20. Art. 103 Abs. 1 GG weiteren Sachvortrag ab, in dem es vor Ablauf einer - der Partei gewährten - Schriftsatzfrist sein Urteil verkündet, setzt das Berufungsgericht
  21. - wenn es gleichwohl neues Vorbringen der Partei in der Berufungsinstanz entgegen § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zurückweist - den Verfahrensverstoß des Erstgerichts fort und verletzt damit selbst den Anspruch der Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
  22. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2008 - II ZR 202/07 - OLG München
  23. LG München I
  24. -2-
  25. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 14. Juli 2008 durch
  26. den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Dr. Strohn,
  27. Caliebe und Dr. Reichart
  28. gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
  29. beschlossen:
  30. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerinnen wird das Urteil
  31. des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. August
  32. 2007 aufgehoben.
  33. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
  34. die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 13. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
  35. Streitwert: 2.000.000,00 €
  36. Gründe:
  37. 1
  38. Die Beschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO unter
  39. Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
  40. 2
  41. 1. Das Berufungsgericht hat eine Haftung des Beklagten nach § 43
  42. Abs. 2 GmbHG verneint, weil der Beklagte bei der Umfinanzierung der Kredite
  43. der Klägerin zu 1 seine Pflichten als Geschäftsführer nicht verletzt habe; die
  44. vom Beklagten angestellten Berechnungen und der erstellte Maßnahmeplan
  45. -3-
  46. seien als Entscheidungsgrundlage für die Umfinanzierungsmaßnahme ausreichend gewesen. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht - das über keine eigene Sachkunde verfügte bzw. eine solche nicht dargelegt hat - im Widerspruch zu dieser Feststellung selbst davon ausgeht, dass "möglicherweise" detailliertere Planungen, regelmäßige Kontrollrechnungen und auch die frühzeitige
  47. Erstellung eines Tranchenplans notwendig gewesen wären, hat es mit dieser
  48. Begründung den - unter Sachverständigenbeweis gestellten - Vortrag der Klägerinnen übergangen, dass zur
  49. Beurteilung der Risiken einer Umfinanzie-
  50. rungsmaßnahme in der vom Beklagten durchgeführten Größenordnung nach
  51. den anerkannten betriebswirtschaftlichen Grundsätzen eine detaillierte finanzwirtschaftliche Plan(-ergebnis)rechnung zu den Vor- und Nachteilen der Umfinanzierung hätte aufgestellt werden müssen, dass der vom Beklagten erstellte
  52. Maßnahmenplan diesen Grundsätzen nicht entspreche, dass eine detaillierte
  53. Planrechnung auch erforderlich gewesen wäre, um auf Änderungen der Marktbedingungen reagieren zu können und dass es betriebswirtschaftlich unvertretbar gewesen sei, langfristige Darlehen unter Inkaufnahme von Vorfälligkeitsentschädigungen zu kündigen und in Zeiten volativer Zinsen ohne gesicherte Refinanzierung durch fortlaufend prolongierte kurzfristige Mittel zu ersetzen (z.B.
  54. GA III, 660 f., 672, 675 ff., 683, 684).
  55. 3
  56. Das Berufungsgericht hat weiterhin den ebenfalls beweisunterlegten Vortrag der Klägerinnen übergangen, dass die - nach ihrer Behauptung ohnehin
  57. unzureichende - Berechnung des Beklagten zudem fehlerhaft war (GA III, 677).
  58. Mit der Feststellung, der Beklagte habe den Maßnahmeplan fortgeschrieben,
  59. hat das Berufungsgericht außerdem den Vortrag außer Acht gelassen, der Beklagte habe gerade nicht auf Zinsentwicklungen, beispielsweise den im Mai einsetzenden Zinsanstieg reagiert, sondern die Umschuldungsmaßnahmen fortgesetzt (GA III, 662).
  60. -4-
  61. 4
  62. Nach den maßgeblichen Beweislastgrundsätzen (BGHZ 152, 280 ff.) hat
  63. zudem der Beklagte zu beweisen, dass die Umschuldungsmaßnahme auf einer
  64. sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen und ausreichender Information beruhte. Indem das Berufungsgericht - ohne den von den Klägerinnen
  65. mehrfach angebotenen Sachverständigenbeweis zu erheben - allein auf der
  66. Grundlage des Beklagtenvortrags angenommen hat, der Beklagte habe die Umfinanzierungsentscheidung sorgfältig vorbereitet und umgesetzt, hat es das
  67. Grundrecht der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs missachtet.
  68. 5
  69. 2. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Denn auch die weitere für die Klageabweisung gegebene Begründung verletzt in mehrfacher Weise den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
  70. 6
  71. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Klägerinnen zur Schadenshöhe für unsubstantiiert erachtet und das zur weiteren Substantiierung vorgelegte
  72. Gutachten nicht mehr berücksichtigt, weil dieser Vortrag verspätet sei. Damit
  73. hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung verfahrensfehlerhaft überspannt und sich der Erkenntnis verschlossen, dass nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Partei ihrer Darlegungslast genügt,
  74. wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet
  75. sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu
  76. lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (vgl. nur
  77. Sen.Beschl. v. 21. Mai 2007 - II ZR 266/04, ZIP 2007, 1524; Sen.Urt. v. 25. Juli
  78. 2005 - II ZR 199/03, ZIP 2005, 1738, 1740 m.w.Nachw.). Es ist vielmehr Sache
  79. des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten, dabei ggf. die benannten
  80. Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen bzw. einem Sachverständigen
  81. die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.
  82. -5-
  83. 7
  84. Nach diesen Maßstäben war schon der in der ersten Instanz gehaltene
  85. Vortrag der Klägerinnen zur Schadenshöhe angesichts der Komplexität der
  86. Schadensberechnung zweifelsfrei hinreichend substantiiert. Die Klägerinnen
  87. hatten dargelegt, dass der Klägerin zu 1 durch die pflichtwidrige vorzeitige Ablösung von Finanzierungsdarlehen durch den Beklagten - um welche Darlehen
  88. es sich handelte, wie lange die Zinsbindung bestand und wann die Darlehen
  89. zurückgezahlt wurden, ergab sich aus den Anlagen zu dem als Anlage K 27
  90. vorgelegten Gutachten und der Anlage K 21 - ein Zinsvorteil in Höhe von
  91. 4.292.700,00 €,
  92. jedoch
  93. Vorfälligkeitsentschädigungen
  94. in
  95. Höhe
  96. von
  97. 5.320.200,00 €, Umfinanzierungskosten in Höhe von 592.600,00 € und Mietnachteile in Höhe von 658.000,00 €, somit ein Schaden in Höhe von
  98. 2.278.100,00 € entstanden sei, und hatten für die Richtigkeit des Gutachtens
  99. Sachverständigenbeweis angeboten (GA I, 20/21). Soweit das Berufungsgericht
  100. gemeint haben sollte, dieser Vortrag und das vorgelegte Gutachten seien als
  101. Grundlage für die Erstellung des beantragten Sachverständigengutachtens unzureichend, würde dies eine - unzulässige, ebenfalls gegen Art. 103 Abs. 1 GG
  102. verstoßende - vorweggenommene Beweiswürdigung darstellen.
  103. 8
  104. In gleicher Weise verfahrensfehlerhaft hat das Berufungsgericht zudem
  105. den in der Berufungsinstanz - durch das als Anlage BK 1 vorgelegte Gutachten - ergänzten Vortrag der Klägerinnen zur Schadenshöhe nicht berücksichtigt,
  106. durch den offensichtlich auch nach Auffassung des Berufungsgerichts der Klagevortrag schlüssig wurde. Die Zurückweisung dieses Vortrags durch das Berufungsgericht verstößt nicht nur gegen § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil das Landgericht vor Ablauf der den Klägerinnen eingeräumten und verlängerten Schriftsatzfrist unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG sein Urteil erlassen und hierdurch
  107. den Klägerinnen verfahrensfehlerhaft in erster Instanz weiteren Vortrag abgeschnitten hat, den sie in der Berufungsinstanz mit der Berufungsbegründung
  108. nachgeholt haben. Sie verletzt zugleich den Anspruch der Klägerinnen auf Ge-
  109. -6-
  110. währung rechtlichen Gehörs. Zwar begründet nicht jede, auf der fehlerhaften
  111. Anwendung des Prozessrechts beruhende Zurückweisung von Parteivortrag
  112. einen Verstoß gegen Art. 103 GG. Dies ist jedoch dann der Fall, wenn neues
  113. Vorbringen unter offenkundig fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO
  114. nicht berücksichtigt wird (BGH, Beschl. v. 21. Februar 2006 - VIII ZR 61/04,
  115. NJW-RR 2006, 755; v. 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624).
  116. 9
  117. So verhält es sich hier. Das Berufungsgericht hat den vorangehenden
  118. Verstoß des Landgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG fortgesetzt, indem es, obwohl es den Verfahrensfehler des Landgerichts erkannt hat, gleichwohl den in
  119. der Berufungsinstanz nachgeholten Parteivortrag der Klägerinnen grob verfahrensfehlerhaft als "verspätet" und deshalb unbeachtlich behandelt hat.
  120. 10
  121. 3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
  122. 11
  123. a) Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 152, 280 ff.) ist Voraussetzung einer Haftungsprivilegierung des Geschäftsführers einer GmbH im
  124. Rahmen des unternehmerischen Ermessens, dass sein unternehmerisches
  125. Handeln auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruht.
  126. Danach hat der Geschäftsführer in der konkreten Entscheidungssituation alle
  127. verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung
  128. zu tragen (Goette, Festschrift 50 Jahre BGH, S. 123, 140 f. m.w.Nachw.). Nur
  129. wenn diese Anforderungen erfüllt sind, ist Raum für die Zubilligung unternehmerischen Ermessens.
  130. 12
  131. b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts tragen die bisher getroffenen Feststellungen nicht die Annahme, dass der mit der - am 30. Dezember 2004 eingegangenen (GA II, 304) - Klageerweiterung geltend gemachte
  132. -7-
  133. weitere Teilbetrag von 1.000.000,00 € verjährt ist (§ 43 Abs. 4 GmbHG). Nach
  134. den - insoweit rechtsfehlerfreien - tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts beruhte die Umfinanzierungsmaßnahme auf einem einheitlichen
  135. Tatplan. Dies hat zur Folge, dass die Verjährung nach allgemeinen Grundsätzen nicht vor Abschluss der - als einheitliches Geschehen zu betrachtenden schädigenden Handlung beginnt (Palandt/Heinrichs, BGB 67. Aufl. § 199
  136. Rdn. 31; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG 18. Aufl. § 43 Rdn. 57;
  137. OLG Düsseldorf GmbHR 2000, 666, 670). Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist danach der Zeitpunkt, in dem durch den letzten Akt der Umschuldungsmaßnahme der Anspruch der Klägerin zu 1 entstanden, d.h. der Schaden
  138. dem Grunde nach eingetreten ist (BGHZ 100, 228, 231; Sen.Urt. v. 21. Februar
  139. 2005 - II ZR 112/03, ZIP 2005, 852 f.). Hierfür genügt jede Verschlechterung
  140. der Vermögenslage der Klägerin zu 1, die schon durch die Begründung der Verpflichtung zur Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung eintreten kann.
  141. 13
  142. Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass die (schädigenden)
  143. Handlungen im Jahr 1999 beendet waren. Zu welchem Zeitpunkt im Jahr 1999
  144. dies der Fall war, insbesondere wann im Zuge der Umfinanzierungsmaßnahme
  145. -8-
  146. das letzte Darlehen gekündigt bzw. abgelöst und die Klägerin zu 1 zur Zahlung
  147. einer Vorfälligkeitsentschädigung verpflichtet wurde, ist bisher nicht festgestellt.
  148. Goette
  149. Kraemer
  150. Caliebe
  151. Strohn
  152. Reichart
  153. Vorinstanzen:
  154. LG München I, Entscheidung vom 11.09.2006 - 14 HKO 18483/03 OLG München, Entscheidung vom 08.08.2007 - 7 U 1917/07 -