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7.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. I ZR 4/08
  5. Verkündet am:
  6. 14. Januar 2010
  7. Bürk
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 14. Januar 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die
  15. Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff
  16. für Recht erkannt:
  17. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 14. Zivilsenats des
  18. Oberlandesgerichts Dresden vom 11. Dezember 2007 aufgehoben.
  19. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  20. über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  21. Von Rechts wegen
  22. Tatbestand:
  23. 1
  24. Die Parteien betreiben in G.
  25. Autohäuser. Sie haben gegeneinander
  26. wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche wegen bestimmter Werbemaßnahmen geltend gemacht. Für die Revisionsinstanz ist nur noch die Widerklage
  27. des Beklagten von Interesse.
  28. 2
  29. Am 28. Juni 2006 warb die Klägerin auf ihrer Internetseite für einen PKW
  30. Ford Fiesta mit einem Kilometerstand von 20 km, dessen Erstzulassung am
  31. 30. März 2006 erfolgt ist. Die Abbildung des Fahrzeugs wies an der Stelle des
  32. Nummernschildes die Bezeichnung „Neuwagen“ auf; auf seiner Frontscheibe und
  33. in der Preisauszeichnung an der Seitenscheibe befand sich der Hinweis, dass es
  34. sich um ein deutsches Modell mit Tageszulassung handele.
  35. -3-
  36. 3
  37. Der Beklagte hält diese Werbung für irreführend. Das Landgericht hat die
  38. Klägerin unter Androhung von Ordnungsmitteln dem Antrag des Beklagten gemäß
  39. dazu verurteilt,
  40. in ihrer Werbung die Behauptung zu unterlassen, dass ein PKW Ford Fiesta … mit
  41. einer ca. drei Monate alten Tageszulassung ein Neuwagen ist.
  42. 4
  43. Außerdem hat das Landgericht dem Beklagten gestattet, die in diesem Zusammenhang entstandenen Abmahnkosten in Höhe von 335,90 € gegen einen
  44. Erstattungsanspruch der Klägerin aufzurechnen.
  45. 5
  46. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Abweisung der Widerklage und Zahlung weiterer 335,90 € weiter. Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
  47. Entscheidungsgründe:
  48. 6
  49. I. Das Berufungsgericht hat die beanstandete Werbung als irreführend nach
  50. §§ 3, 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG 2004 angesehen und dazu ausgeführt:
  51. 7
  52. Die durch die Werbung der Klägerin beim Verkehr erweckte Erwartung, in
  53. den Genuss aller Vorteile eines Neuwagens zu kommen, werde beim Kauf des
  54. angebotenen Fahrzeugs nicht erfüllt, und zwar auch dann nicht, wenn es vom
  55. Händler nicht - etwa als Vorführwagen - genutzt worden sei. Bei einer Tageszulassung werde das Fahrzeug im wirtschaftlichen Wert gemindert, da die Zahl der
  56. Halter bzw. Vorbesitzer bei einem späteren Verkauf des Fahrzeugs als Gebrauchtwagen eine erhebliche Rolle spiele. Die durch die Erstzulassung bedingte
  57. Verkürzung der Fristen für Herstellergarantie, Neuwertentschädigung in der Vollkaskoversicherung und die nächste TÜV-Prüfung sei nach der Rechtsprechung
  58. -4-
  59. des Bundesgerichtshofs nur dann unwesentlich, wenn sich die Erstzulassung auf
  60. wenige Tage beschränke und die Herstellergarantie um nicht mehr als zwei Wochen verkürzt werde. Es könne dahinstehen, ob bei dem konkret beworbenen
  61. Fahrzeug die Neuwagengarantie bereits mit der Tageszulassung zu laufen begonnen habe. Eine Zulassung von ca. drei Monaten mindere unabhängig vom
  62. Lauf der Herstellergarantie den Wert des Fahrzeugs. Der durch die Bewerbung als
  63. „Neuwagen“ hervorgerufene irreführende Eindruck werde nicht dadurch ausgeräumt, dass in der Frontscheibe und der an den Seitenscheiben angebrachten
  64. Preisauszeichnung auf die Erstzulassung hingewiesen werde.
  65. 8
  66. II. Die Revision hat Erfolg. Die rechtliche Beurteilung, die Werbung mit der
  67. Angabe, ein Pkw mit einer etwa drei Monate alten Tageszulassung sei ein Neuwagen, sei irreführend, wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen.
  68. Die Ausführungen des Berufungsgerichts hierzu sind widersprüchlich und erlauben dem Senat keine hinreichend sichere rechtliche Beurteilung des Parteivorbringens (§ 545 Abs. 1, § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
  69. 9
  70. 1. Das tatsächliche Vorbringen der Parteien ist in erster Linie dem Tatbestand des Urteils zu entnehmen (§ 314 ZPO). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jedoch anerkannt, dass vom Geltungsbereich des § 314 ZPO
  71. auch diejenigen tatsächlichen Feststellungen erfasst werden, die in den Entscheidungsgründen enthalten sind (BGHZ 139, 36, 39). Die Beweiskraft des Tatbestands und damit auch die Bindung für das Revisionsgericht entfallen aber, soweit
  72. die Feststellungen Widersprüche oder Unklarheiten aufweisen (BGHZ 80, 64, 67;
  73. BGH, Urt. v. 17.5.2000 - VIII ZR 216/99, NJW 2000, 3007). Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen enthalten einen solchen Widerspruch, der von
  74. Amts wegen zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 9.3.1995 - III ZR 44/94, NJW-RR
  75. 1995, 1058, 1060 m.w.N.).
  76. -5-
  77. 10
  78. Das Berufungsgericht hat auf Seite 6 seines Urteils eine „Zulassung von ca.
  79. drei Monaten“ angenommen, also eine ununterbrochene Zulassungsdauer von ca.
  80. drei Monaten. Dazu stehen das vom Berufungsgericht bestätigte Unterlassungsgebot und die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts
  81. in unlösbarem Widerspruch.
  82. 11
  83. Der Klägerin wurde vom Landgericht untersagt, damit zu werben, „dass ein
  84. Ford Fiesta 1.0 Fun mit einer ca. drei Monate alten Tageszulassung ein Neuwagen ist“. Damit bezieht sich der Tenor nach seinem an sich eindeutigen Wortlaut
  85. auf ein Fahrzeug, für das ca. drei Monate zuvor eine Tageszulassung bestand,
  86. also eine Zulassung von grundsätzlich nur einem oder allenfalls einigen wenigen
  87. Tagen. Ein abweichendes Verständnis ergibt sich auch nicht aus den Gründen
  88. des landgerichtlichen Urteils. Dort ist auf den Seiten 6 und 7 von einer „Tageszulassung vom 30.03.2006“ die Rede. Auf Seite 11 heißt es, es liege „bereits eine
  89. drei Monate zurückliegende anderweitige Zulassung auf einen Dritten“ vor. Auf
  90. Seite 16 wird ausgeführt, die Tageszulassung liege drei Monate zurück. Diesen
  91. Formulierungen kann nicht entnommen werden, dass das Landgericht mit dem
  92. Begriff „ca. drei Monate alte Tageszulassung“ eine Zulassung gemeint hat, die drei
  93. Monate ununterbrochen angedauert hat. Wenn in den Entscheidungsgründen des
  94. Berufungsurteils dann von einer „Zulassung von ca. drei Monaten“ die Rede ist, ist
  95. trotz Bestätigung der landgerichtlichen Verurteilung der Klägerin unklar, ob das
  96. Berufungsgericht den Tenor im selben Sinn wie das Landgericht verstanden hat.
  97. Es bleibt offen, ob sich das Verbot auf eine Werbung für ein drei Monate lang zugelassenes Fahrzeug bezieht oder für ein solches, das vor drei Monaten für einen
  98. oder allenfalls einige wenige Tage zugelassen war.
  99. 12
  100. Damit beruht die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts auf widersprüchlichen Feststellungen, die dem Revisionsgericht keine hinreichend sichere
  101. -6-
  102. Beurteilung des Sachverhalts erlauben. Das Berufungsurteil ist schon wegen dieses Mangels aufzuheben (vgl. BGH NJW 2000, 3007).
  103. 13
  104. 2. Zudem fehlt dem Berufungsurteil ein vollstreckungsfähiger Inhalt. Wegen
  105. der Widersprüche zwischen dem Tenor und den Entscheidungsgründen, die nach
  106. ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung des Urteilsausspruchs heranzuziehen sind (BGHZ 34, 337, 339; BGHZ 118, 53, 55 - Professorenbezeichnung in der Arztwerbung II), ist unbestimmt, welche konkrete Werbeform der Klägerin untersagt ist.
  107. 14
  108. 3. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben. Da das Revisionsgericht die
  109. Widersprüchlichkeit nicht selbst beseitigen kann, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das nunmehr widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen hat.
  110. Bornkamm
  111. Pokrant
  112. Bergmann
  113. Büscher
  114. Kirchhoff
  115. Vorinstanzen:
  116. LG Dresden, Entscheidung vom 27.07.2007 - 43 O 221/06 OLG Dresden, Entscheidung vom 11.12.2007 - 14 U 1440/07 -