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418 lines
25 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. I ZR 26/14
  5. Verkündet am:
  6. 18. Juni 2015
  7. Führinger
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. BGHZ:
  14. BGHR:
  15. ja
  16. nein
  17. ja
  18. Zuweisung von Verschreibungen
  19. ZPO § 308 Abs. 1; UWG §§ 3, 4 Nr. 11; ApoG § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3; SGB V
  20. § 39 Abs. 1 Satz 4 bis 6
  21. a) Eine Verurteilung zur Unterlassung ist von Amts wegen aufzuheben, wenn
  22. ein im Unterlassungsantrag enthaltenes Merkmal der zu verbietenden Handlung im Urteilsausspruch fehlt und das vom Gericht ausgesprochene Unterlassungsgebot daher weiter reicht als der Unterlassungsantrag.
  23. b) Die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG ist grundsätzlich auch
  24. bei Arzneimitteln zu beachten, die in der Arztpraxis am Patienten angewendet werden sollen (sogenannten Applikationsarzneimitteln) und daher zum
  25. Zeitpunkt der in Aussicht genommenen Behandlung in der Arztpraxis vorhanden sein müssen, sowie speziell bei Medikamenten, die für die Ersteinstellung und Ersteinweisung von Hepatitis-C-Patienten benötigt werden.
  26. BGH, Urteil vom 18. Juni 2015 - I ZR 26/14 - OLG Nürnberg
  27. LG Regensburg
  28. -2-
  29. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher, die
  30. Richter Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Prof. Dr. Koch und Feddersen
  31. für Recht erkannt:
  32. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg -3. Zivilsenat- vom 27. Dezember 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
  33. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  34. und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  35. Von Rechts wegen
  36. Tatbestand:
  37. 1
  38. Der Kläger und der Beklagte sind Apotheker; sie betreiben in R.
  39. jeweils eine Apotheke.
  40. 2
  41. Der Beklagte gab am 25. Oktober und am 22. November 2012 jeweils die
  42. drei verschreibungspflichtigen Medikamente "Incivo 375 mg Filmtabletten",
  43. "Copegus 200 mg Filmtabletten/Ribarin 200 mg Filmtabletten" und "Pegasys
  44. 180 IG Fertogüem 4 Stück Fertigspritzen" für in der Arztpraxis Dres. W.
  45. und B.
  46. in R.
  47. behandelte Hepatitis-C-Patienten ab. In beiden
  48. Fällen wurde das in der Arztpraxis ausgestellte Rezept nicht den Patienten
  49. ausgehändigt, sondern wurden Rezept und Medikamente direkt zwischen der
  50. Arztpraxis und der Apotheke des Beklagten ausgetauscht. Die Patienten, die
  51. -3-
  52. mit dieser Vorgehensweise des Beklagten und der Arztpraxis einverstanden
  53. waren, wurden zu keinem Zeitpunkt in der Apotheke des Beklagten vorstellig.
  54. 3
  55. Die in der Arztpraxis Dres. W.
  56. und B.
  57. durchgeführte Be-
  58. handlung der an Hepatitis C erkrankten Patienten lief regelmäßig so ab, dass
  59. die Patienten in einem ersten Termin untersucht und nach der Diagnose einer
  60. Hepatitis-C-Erkrankung zu einem weiteren Termin einbestellt wurden. In diesem
  61. zweiten Termin klärte der behandelnde Arzt über die durchzuführende Behandlung und die zu verabreichenden Medikamente sowie deren Nebenwirkungen
  62. auf. In einem dritten Termin wurden die Patienten durch eine Arzthelferin in der
  63. Arztpraxis in die Anwendung der vom Beklagten zu diesem Zeitpunkt dort bereitgestellten Medikamente und in die Selbstverabreichung der Pegasys-Fertigspritzen eingewiesen.
  64. 4
  65. Der Kläger sieht in der beschriebenen Vorgehensweise einen wettbewerbsrechtlich relevanten Verstoß des Beklagten gegen das apothekenrechtliche Verbot von Absprachen über die Zuweisung von (Patienten mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke. Er hat beantragt, den Beklagten
  66. unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen,
  67. rezeptpflichtige Arzneimittel unter Umgehung des Rechts des Patienten auf
  68. freie Apothekenwahl sowie unter direkter Entgegennahme ärztlicher Rezepte an
  69. deren Aussteller abzugeben oder abgeben zu lassen.
  70. 5
  71. Darüber hinaus hat der Kläger die Feststellung der Schadensersatzpflicht
  72. des Beklagten und seine Verurteilung zur Erteilung von Auskünften über entsprechende Handlungen begehrt.
  73. 6
  74. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, es
  75. müsse gewährleistet sein, dass die betreffenden Medikamente für die Ersteinstellung der Hepatitis-C-Patienten in der Arztpraxis vollständig und in der richtigen Verabreichungsform vorhanden seien. Es sei daher unabdingbar, dass der
  76. -4-
  77. Beklagte die Medikamente jeweils zeitgerecht zu den Einstellungsterminen in
  78. die Arztpraxis liefere.
  79. 7
  80. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
  81. 8
  82. Im zweiten Rechtszug hat der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag
  83. weiterverfolgt und der Kläger die Zurückweisung der Berufung beantragt. Hinsichtlich der Unterlassung hat der Kläger hilfsweise beantragt, den Beklagten
  84. unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen,
  85. rezeptpflichtige Arzneimittel nach ärztlicher Verordnung des Herrn Dr. med. J.
  86. B.
  87. ,
  88. H.
  89. -Straße ,
  90. R.
  91. ,
  92. in
  93. dessen
  94. Praxis zu bringen, bringen oder aushändigen zu lassen, ohne dass die in der
  95. Verordnung namentlich bezeichnete Person nach Aushändigung der Verordnung selbst oder durch von ihr bevollmächtigte Dritte die Belieferung oder Aushändigung derselben ausdrücklich anordnet,
  96. ausgenommen hiervon, solche Verordnungen, welche Zytostatikazubereitungen
  97. enthalten, oder aber Arzneimittel, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen im Falle einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3c des Arzneimittelgesetzes
  98. bevorratet oder nach § 21 Abs. 2 Nr. 1c des Arzneimittelgesetzes hergestellt
  99. wurden,
  100. und weiter hilfsweise, es zu unterlassen,
  101. in Absprache mit dem in Berufungsausübungsgemeinschaft tätigen Arzt
  102. Dr. med. J.
  103. B.
  104. eine nicht genehmigte Rezeptsammelstelle in
  105. dessen Arztpraxis bzw. Gemeinschaftspraxis zu unterhalten.
  106. 9
  107. Das Berufungsgericht hat den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen,
  108. rezeptpflichtige Arzneimittel unter direkter Entgegennahme ärztlicher Rezepte
  109. an deren Aussteller abzugeben oder abgeben zu lassen mit Ausnahme anwendungsfertiger Zytostatikazubereitungen, die im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt worden sind, und/oder von Arzneimitteln, die von den
  110. Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten
  111. Stellen im Falle einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung
  112. eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung
  113. von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, nach § 47 Abs. 1 Satz 1
  114. Nr. 3c des Arzneimittelgesetzes bevorratet oder nach § 21 Abs. 2 Nr. 1c des
  115. Arzneimittelgesetzes hergestellt wurden.
  116. -5-
  117. 10
  118. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht den Beklagten bezogen auf die
  119. vorstehend bezeichneten Handlungen zur Auskunftserteilung verurteilt und die
  120. Schadensersatzpflicht festgestellt. Die weitergehende Berufung des Beklagten
  121. hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.
  122. 11
  123. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
  124. Entscheidungsgründe:
  125. 12
  126. I. Das Berufungsgericht hat den vom Kläger im ersten Rechtszug gestellten Unterlassungsantrag (im Weiteren: Unterlassungshauptantrag) als zulässig
  127. und mit Einschränkungen als begründet angesehen. Dazu hat es ausgeführt:
  128. 13
  129. Der Unterlassungshauptantrag sei bestimmt genug. Mit ihm solle dem
  130. Beklagten verboten werden, unter direkter Entgegennahme des Rezepts rezeptpflichtige Arzneimittel an den Aussteller eines ärztlichen Rezepts abzugeben oder abgeben zu lassen. Der Antrag reiche zwar zu weit, da er den in § 11
  131. Abs. 2 bis 4 ApoG vorgesehenen Ausnahmen keine Rechnung trage. Er sei
  132. aber ansonsten aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 ApoG
  133. begründet. Die Bestimmung des § 11 Abs. 1 ApoG sei eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Sie schütze das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit des Apothekers. Die Richtlinie
  134. 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken stehe der Anwendung des § 4
  135. Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 ApoG nicht entgegen, weil sie nach ihrem
  136. Artikel 3 Abs. 3 und ihrem Erwägungsgrund 9 die nationalen Vorschriften in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte unberührt lasse. Die zwischen
  137. der Arztpraxis Dres. W.
  138. und B.
  139. und dem Beklagten getroffene
  140. Vereinbarung, nach der dieser rezeptpflichtige Medikamente nach Vorlage der
  141. -6-
  142. Rezepte durch die Arztpraxis direkt an den Arzt liefere, stelle eine nach § 11
  143. Abs. 1 ApoG verbotene Zuweisung von Verschreibungen dar. Es handele sich
  144. bei den streitgegenständlichen Medikamenten weder um Zytostatikazubereitungen noch um Medikamente, die dem § 11 Abs. 4 ApoG unterfielen. Eine weitere
  145. Einschränkung des Verbots sehe das Gesetz nicht vor und sei auch im Streitfall
  146. nicht ausnahmsweise gerechtfertigt, weil hier auf andere Weise gewährleistet
  147. werden könnte, dass die von jeder Apotheke innerhalb eines halben Tages zu
  148. beschaffenden Medikamente bei der Ersteinweisung zur Verfügung stünden,
  149. die frühestens eine Woche nach dem zweiten Arzttermin stattfinde. Da der Beklagte zumindest fahrlässig gehandelt habe, seien die Anträge auf Feststellung
  150. seiner Schadensersatzpflicht und auf Auskunftserteilung ebenfalls begründet.
  151. 14
  152. II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht,
  153. soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
  154. 15
  155. 1. Das vom Berufungsgericht gegen den Beklagten ausgesprochene Unterlassungsgebot hat schon deshalb keinen Bestand, weil die im Unterlassungshauptantrag und im Tenor des landgerichtlichen Urteils enthaltene Wendung "unter Umgehung des Rechts des Patienten auf freie Apothekenwahl" im
  156. Tenor des Berufungsurteils fehlt und das Berufungsgericht dem Kläger damit
  157. mehr zugesprochen hat, als dieser beantragt hat (§ 308 Abs. 1 ZPO; vgl. hierzu
  158. OLG Karlsruhe, GRUR 1982, 169, 171; Musielak in Musielak/Voit, ZPO,
  159. 12. Aufl., § 308 Rn. 13). Das vom Berufungsgericht ausgesprochene Unterlassungsgebot reicht insofern weiter als der vom Kläger gestellte Unterlassungshauptantrag, als das Verbot anders als der Klagenantrag Fälle erfasst, in denen
  160. der Patient nicht vom direkten Kontakt zur Apotheke ausgeschlossen wird (vgl.
  161. zur Frage, ob das Merkmal der Zuweisung erfüllt ist, wenn der Patient sein Einverständnis mit der direkten Zuleitung seines Rezepts an eine bestimmte Apotheke erklärt hat, Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank, ApoG, Stand Februar
  162. -7-
  163. 2015, § 11 Rn. 8 f.). Der vorliegende Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO ist von
  164. Amts wegen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - I ZR 235/03,
  165. BGHZ 168, 179 Rn. 13 - Anschriftenliste, mwN) und erfordert die Aufhebung
  166. des Berufungsurteils.
  167. 16
  168. 2. Nach dem vorstehend Ausgeführten hat auch die Verurteilung des Beklagten nach den auf den Unterlassungshauptantrag bezogenen Anträgen auf
  169. Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht keinen Bestand.
  170. 17
  171. 3. Der Rechtsstreit ist beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens weder
  172. im Sinne der Stattgabe der Klage mit einem der vom Kläger gestellten Unterlassungsanträge und den darauf jeweils bezogenen Folgeanträgen auf Feststellung der Schadensersatzpflicht und Auskunftserteilung (dazu unter II 3 a) noch
  173. im Sinne der Abweisung der Klage gemäß § 563 Abs. 3 ZPO zur Endentscheidung reif (dazu unter II 3 b). Die Sache ist daher nach § 563 Abs. 1 ZPO an das
  174. Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  175. 18
  176. a) Die Klage kann mit den vom Kläger bislang gestellten Anträgen schon
  177. deshalb keinen Erfolg haben, weil der Beklagte nach den getroffenen Feststellungen die Verhaltensweisen, in denen der Kläger einen Verstoß gegen das in
  178. § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG geregelte Verbot der Zuweisung von (Kunden
  179. mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke erblickt, allein im Zusammenhang mit der medikamentösen Ersteinstellung und Ersteinweisung von
  180. Hepatitis-C-Patienten gezeigt und sich zur Rechtfertigung seines Verhaltens auf
  181. die bei einer solchen Ersteinstellung bestehenden besonderen Gegebenheiten
  182. berufen hat. Damit kann nur in diesem Umfang von einer Begehungsgefahr
  183. ausgegangen werden. Die in den Klageanträgen vorgenommene Verallgemeinerung geht demgegenüber zu weit, weil dort nicht mehr das Charakteristische
  184. der nach Ansicht des Klägers vom Beklagten begangenen wettbewerbswidrigen
  185. Verhaltensweise zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2006
  186. - I ZR 27/03, BGHZ 166, 233 Rn. 36 - Parfümtestkäufe; Urteil vom 5. Oktober
  187. -8-
  188. 2010 - I ZR 46/09, GRUR 2011, 433 Rn. 26 = WRP 2011, 576 - Verbotsantrag
  189. bei Telefonwerbung; Urteil vom 20. Juni 2013 - I ZR 55/12, GRUR 2013, 1235
  190. Rn. 18 = WRP 2014, 75 - Restwertbörse II).
  191. 19
  192. b) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann ein wettbewerbswidriges Verhalten des Beklagten nicht verneint werden.
  193. 20
  194. aa) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Beklagte
  195. bei der Lieferung der Medikamente auf der Grundlage einer Absprache tätig
  196. geworden ist, die die Zuweisung von (Kunden mit) Verschreibungen durch einen Arzt an eine Apotheke im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG zum
  197. Gegenstand hatte. Die Regelung soll sicherstellen, dass der Erlaubnisinhaber
  198. einer Apotheke sich bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen wie
  199. insbesondere zu Ärzten, die Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten haben,
  200. nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten
  201. lässt. Sie soll damit Verhaltensweisen der Apotheker entgegenwirken, die die
  202. ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können. Die Vorschrift stellt damit eine Marktverhaltensregelung im Sinne
  203. von § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 - I ZR 120/13,
  204. GRUR 2014, 1009 Rn. 13 = WRP 2014, 1056 - Kooperationsapotheke; Urteil
  205. vom 12. März 2015 - I ZR 84/14, GRUR 2015, 1025 Rn. 15 = WRP 2015, 1085
  206. - TV-Wartezimmer; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013, 470, 471; OLG Frankfurt
  207. am Main, GRUR-RR 2014, 270, 271; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG,
  208. 33. Aufl., § 4 Rn. 11.77; MünchKomm.UWG/Schaffert, 2. Aufl., § 4 Nr. 11
  209. Rn. 147; v. Jagow in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 45; Großkomm.UWG/Metzger, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 84; Sieper in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 11 ApoG Rn. 2; Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11
  210. Rn. 2 und 168 f.). Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken,
  211. die nach ihrem Artikel 4 in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt hat, kennt zwar keinen der
  212. -9-
  213. Bestimmung des § 4 Nr. 11 UWG entsprechenden Unlauterkeitstatbestand.
  214. Dieser Umstand steht der Anwendung der genannten Vorschrift aber nicht entgegen, weil die Rechtsvorschriften der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten, zu
  215. denen die Bestimmung des § 11 ApoG zählt, von der Richtlinie über unlautere
  216. Geschäftspraktiken unberührt bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 2015
  217. - I ZR 123/13, GRUR 2015, 916 Rn. 15 = WRP 2015, 1095 - Abgabe ohne Rezept; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013, 470, 471 f.). Wegen des mit der Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG bezweckten Schutzes der Gesundheit der Verbraucher sind Verstöße gegen sie regelmäßig geeignet, die
  218. Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, GRUR 2015,
  219. 1025 Rn. 15 - TV-Wartezimmer).
  220. 21
  221. bb) Das vom Kläger als Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG
  222. beanstandete Verhalten des Beklagten stellt kein nach einer der in § 11 Abs. 1
  223. Satz 2, Abs. 2 bis 4 ApoG enthaltenen Regelungen, die die Verbotstatbestände
  224. des § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG einschränken, zulässiges Verhalten dar.
  225. 22
  226. Dies gilt auch im Blick auf die Bestimmung des § 11 Abs. 2 ApoG, wonach der Inhaber einer Erlaubnis zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke aufgrund einer Absprache anwendungsfertige Zytostatikazubereitungen, die im
  227. Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt worden sind, unmittelbar
  228. an den anwendenden Arzt abgeben darf. Dabei kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen, ob diese Regelung analogiefähig ist (so Cyran/Rotta,
  229. Apothekenbetriebsordnung, 5. Aufl., Stand September 2012, § 35 Rn. 10; aA
  230. Rixen in Rixen/Krämer, ApoG, 2014, § 11 Rn. 41). Die Regelung des § 11
  231. Abs. 2 ApoG trägt dem Umstand Rechnung, dass angesichts der an die Herstellung anwendungsfertiger Zytostatika in personeller, räumlicher und apparativer Hinsicht gestellten hohen Anforderungen erfahrungsgemäß nur einzelne
  232. Apotheken Verschreibungen von Zytostatikazubereitungen ordnungsgemäß
  233. - 10 -
  234. ausführen können und die Zubereitungen zudem aus Sicherheitsgründen nicht
  235. den Patienten ausgehändigt werden sollten (Rixen in Rixen/Krämer aaO § 11
  236. Rn. 41 mit Hinweis auf die Begründung des Entwurfs des Bundesrats eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes, BT-Drucks. 14/756, S. 5).
  237. 23
  238. Bei Arzneimitteln, die in der Arztpraxis an dem Patienten angewendet
  239. werden sollen (sogenannten Applikationsarzneimittel) und daher zum Zeitpunkt
  240. der in Aussicht genommenen Behandlung in der Arztpraxis vorhanden sein
  241. müssen, zu denen die hier in Rede stehenden Medikamente für die Ersteinstellung und Ersteinweisung von Hepatitis-C-Patienten rechnen, besteht grundsätzlich keine entsprechende oder immerhin nur annähernd vergleichbare Notwendigkeit oder Vorteilhaftigkeit einer solchen Verkürzung des Versorgungswegs
  242. unter Ausschluss des Patienten. Es gibt regelmäßig Möglichkeiten, ohne Umgehung des Patienten - etwa durch eine telefonische Nachfrage - sicherzustellen, dass die für die Ersteinstellung und Ersteinweisung eines Hepatitis-CPatienten benötigten Medikamente, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von jeder Apotheke innerhalb eines halben Tages beschafft werden können, bei dem vereinbarten Termin in der Arztpraxis vollständig und in
  243. der richtigen Verabreichungsform zur Verfügung stehen. Abweichendes gilt nur,
  244. wenn ein hinreichender medizinischer Grund vorliegt wie etwa dann, wenn infolge Hilfsbedürftigkeit oder Unzuverlässigkeit des Patienten die rechtzeitige
  245. oder die qualitätswahrende Beschaffung eines Applikationsarzneimittels nicht
  246. gewährleistet und deshalb die ärztliche Therapie gefährdet ist (vgl. Wesser in
  247. Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 39 bis 42, 104 und 115; aA Cyran/Rotta
  248. aaO § 17 Rn. 353 bis 358). In einem solchen Fall beruht die Zuweisung der
  249. Verschreibung nicht auf einer nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG verbotenen
  250. Absprache, sondern auf medizinischer Notwendigkeit (Wesser in Kieser/
  251. Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 104). Am Merkmal der Zuweisung fehlt es
  252. möglicherweise auch dann, wenn der Arzt dem Patienten vor der Anwendung
  253. eines Applikationsarzneimittels hierzu neutral verschiedene Auswahlmöglichkei-
  254. - 11 -
  255. ten an die Hand gibt, etwa in Form der Aushändigung des Rezepts an den Patienten oder in Form der Beauftragung des Arztes mit der Einlösung in einer vom
  256. Patienten bestimmten Apotheke oder in einer vom Arzt selbst ausgewählten
  257. Apotheke, und der Patient sich dann für die zuletzt genannte Möglichkeit entscheidet (vgl. Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 9). Dass die
  258. behandelnden Ärzte den Patienten vorliegend die Möglichkeit eröffnet haben,
  259. zwischen diesen Beschaffungsarten auszuwählen, hat das Berufungsgericht
  260. nicht festgestellt.
  261. 24
  262. cc) Der Streitfall lässt sich entgegen der Ansicht der Revision auch nicht
  263. mit dem Fall vergleichen, der der Senatsentscheidung "Kooperationsapotheke"
  264. (BGH, GRUR 2014, 1009) zugrunde gelegen hat. Bei dem dort in Rede stehenden Entlassmanagement gemäß § 39 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB V obliegt es den
  265. im Auftrag der Krankenkassen handelnden Krankenhäusern, den Übergang in
  266. den nächsten Versorgungsbereich zu planen und zu organisieren und in diesem
  267. Zusammenhang die weitere Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln sowie mit
  268. Medikamenten zu koordinieren (BGH, GRUR 2014, 1009 Rn. 16 - Kooperationsapotheke). Die Koordinierung der weiteren Versorgung mit Medikamenten
  269. umfasst die Pflicht der mit der Durchführung des Entlassmanagements befassten oder beauftragten Person, den ersten Kontakt mit der vom Versicherten
  270. gewünschten Apotheke oder - wenn kein entsprechender Wunsch geäußert
  271. worden ist - mit einer nach den Umständen als geeignet erscheinenden Apotheke herstellen (BGH, GRUR 2014, 1009 Rn. 17 - Kooperationsapotheke). Eine entsprechende oder auch nur vergleichbare Sach- und Interessenlage liegt
  272. bei in der Praxis eines niedergelassenen Arztes zu verabreichenden Applikationsarzneimitteln grundsätzlich nicht vor.
  273. 25
  274. dd) Angesichts der strengen und im Grundsatz als abschließend anzusehenden Regelung des § 11 ApoG ist entgegen der Ansicht der Revision kein
  275. Raum für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze, die der Senat zur
  276. - 12 -
  277. Frage der Zulässigkeit eines verkürzten Versorgungswegs bei Hörgeräten (vgl.
  278. BGH, Urteil vom 29. Juni 2000 - I ZR 59/98, GRUR 2000, 1080, 1081 bis 1083
  279. = WRP 2000, 1121 - Verkürzter Versorgungsweg; Urteil vom 15. November
  280. 2001 - I ZR 275/99, GRUR 2002, 271, 272 f. = WRP 2002, 211 - Hörgeräteversorgung I; Urteil vom 13. Januar 2011 - I ZR 111/08, GRUR 2011, 345
  281. Rn. 36 bis 48 und 67 = WRP 2011, 451 - Hörgeräteversorgung II; Urteil vom
  282. 24. Juli 2014 - I ZR 68/13, GRUR 2015, 283 Rn. 25 ff. = WRP 2015, 344
  283. - Hörgeräteversorgung III) und bei Brillen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2009
  284. - I ZR 13/07, GRUR 2009, 977 Rn. 14 und 31 = WRP 2009, 1076 - Brillenversorgung I; Urteil vom 24. Juni 2010 - I ZR 182/08, GRUR 2010, 850
  285. Rn. 20 ff. = WRP 2010, 1139 - Brillenversorgung II) entwickelt hat. Nach den für
  286. diese Entscheidungen maßgeblichen Bestimmungen ist die Verkürzung des
  287. Versorgungswegs schon dann zulässig, wenn dafür ein hinreichender Grund
  288. vorliegt (vgl. § 34 Abs. 5 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte und Ärztinnen in der bis zum Jahr 2011 geltenden Fassung [abgedruckt bei Lippert in Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der
  289. deutschen Ärzte (MBO), 5. Aufl., S. 464] und § 31 Abs. 2 der Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte in der seither geltenden Fassung
  290. [abgedruckt bei Ratzel in Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung
  291. der deutschen Ärzte, 6. Aufl., S. 465]; BGH, GRUR 2010, 1080, 1082 - Verkürzter Versorgungsweg; GRUR 2009, 977 Rn. 20 bis 25 und 33 - Brillenversorgung I; GRUR 2010, 850 Rn. 21, 24 und 28 f. - Brillenversorgung II; GRUR
  292. 2011, 345 Rn. 36 ff. - Hörgeräteversorgung II; GRUR 2015, 283 Rn. 35 ff.
  293. - Hörgeräteversorgung III; Wesser in Kieser/Wesser/Saalfrank aaO § 11 Rn. 29
  294. bis 33 mwN). Dagegen gelten die in § 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG geregelten Kooperationsverbote - wie das Verbot der Zuweisung von (Kunden mit) Verschreibungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 ApoG - nur in den in § 11 Abs. 1
  295. Satz 2, Abs. 2 bis 4 ApoG geregelten Fällen und allenfalls noch in damit ver-
  296. - 13 -
  297. gleichbaren Fällen nicht, in denen jeweils triftige Gründe gegen die Geltung der
  298. Kooperationsverbote sprechen.
  299. 26
  300. III. In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das Berufungsgericht
  301. im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit eines
  302. vom Kläger neu formulierten Unterlassungsantrags zu beachten haben, dass
  303. mögliche Einschränkungen aufgrund von gesetzlichen Ausnahmetatbeständen
  304. in den Unterlassungsausspruch aufgenommen werden müssen, damit danach
  305. erlaubte Verhaltensweisen von dem Verbot ausgenommen sind. Wegen des
  306. Bestimmtheitsgebots gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO müssen dabei die Umstände, aus denen sich die Erfüllung des jeweiligen Ausnahmetatbestands
  307. ergibt, so genau umschrieben sein, dass im Vollstreckungsverfahren erkennbar
  308. ist, welche konkreten Handlungen vom Verbot ausgenommen sind. Es genügt
  309. daher grundsätzlich nicht, auf die insoweit einschlägigen gesetzlichen Regelungen zu verweisen, wenn deren Tatbestandsmerkmale nicht eindeutig oder
  310. durch eine gefestigte Auslegung geklärt sind. Abweichendes gilt nur, wenn eine
  311. weitergehende Konkretisierung nicht möglich und die gewählte Antragsformulierung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist (vgl. zum Vorstehenden BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 202/07, GRUR 2010, 749
  312. Rn. 25 bis 27 = WRP 2010, 1030 - Erinnerungswerbung im Internet; Urteil vom
  313. 4. November 2010 - I ZR 118/09, GRUR 2011, 539 Rn. 15 bis 17 = WRP 2011,
  314. 742 - Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker).
  315. - 14 -
  316. 27
  317. Entgegen der Ansicht der Revision braucht im Unterlassungsantrag nicht
  318. danach differenziert zu werden, ob der Arzt die Rezepte für einen Patienten
  319. oder für den Eigenbedarf ausgestellt hat. Ein Verbot, Rezepte für den eigenen
  320. Bedarf auszustellen, steht im Streitfall von vornherein nicht in Rede.
  321. Büscher
  322. Schaffert
  323. Koch
  324. Kirchhoff
  325. Feddersen
  326. Vorinstanzen:
  327. LG Regensburg, Entscheidung vom 12.06.2013 - 2 HKO 224/13 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 27.12.2013 - 3 U 1394/13 -