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534 lines
30 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. I ZR 19/07
  5. Verkündet am:
  6. 22. Januar 2009
  7. Bott
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Motezuma
  19. UrhG § 6 Abs. 2 Satz 1, § 71
  20. a) Derjenige, der einen auf das ausschließliche Verwertungsrecht des Herausgebers der Erstausgabe eines Werkes nach § 71 UrhG gestützten Anspruch
  21. geltend macht, trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür,
  22. dass das Werk im Sinne dieser Bestimmung "nicht erschienen" ist. Er kann
  23. sich allerdings zunächst auf die Behauptung beschränken, das Werk sei bislang nicht erschienen. Es ist dann Sache der Gegenseite, die Umstände
  24. darzulegen, die dafür sprechen, dass das Werk doch schon erschienen ist.
  25. b) Wird ein Werk nach seiner Art dem interessierten Publikum durch sogenannte Werkvermittler zugänglich gemacht, kann bereits die Übergabe einiger weniger Werkstücke oder sogar nur eines einzigen Werkstücks ausreichen, den voraussichtlichen Publikumsbedarf zu decken und damit im Sinne
  26. des § 6 Abs. 2 Satz 1 UrhG ein Erscheinen des Werkes zu bewirken. Entscheidend ist, ob der Berechtigte mit der Übergabe des Werkes an den
  27. Werkvermittler alles seinerseits Erforderliche getan hat und es nur noch von
  28. der Leistung des Vermittlers und dem Interesse des Publikums abhängt,
  29. dass das Werk in der angesprochenen Öffentlichkeit bekannt wird.
  30. BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 19/07 - OLG Düsseldorf
  31. LG Düsseldorf
  32. -2-
  33. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
  34. und die Richter Prof. Dr. Büscher, Dr. Bergmann, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
  35. für Recht erkannt:
  36. Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Januar 2007 wird auf Kosten der
  37. Klägerin zurückgewiesen.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. 1
  41. Im Jahre 2002 entdeckte der Musikwissenschaftler Dr.
  42. V.
  43. im
  44. Handschriftenarchiv der Klägerin, der 1791 gegründeten Sing-Akademie zu
  45. Berlin, die - nicht ganz vollständige - Partitur der Oper "Motezuma" des 1741
  46. verstorbenen Komponisten Antonio Vivaldi. Die Oper war im Jahre 1733 unter
  47. Leitung Vivaldis am Teatro S. Angelo in Venedig öffentlich uraufgeführt worden.
  48. Während das von Giusti verfasste Libretto erhalten blieb, galt die Komposition
  49. Vivaldis lange als verschollen. Die Klägerin erstellte im Januar 2005 fünfzig gebundene Faksimilekopien der Handschrift und bot diese über ihre Internetseite
  50. zum Kauf an. Seit Herbst 2005 vertreibt sie die Noten über einen Verlag.
  51. 2
  52. Nachdem der Musikwissenschaftler F.
  53. mit Dr. V.
  54. M.
  55. S.
  56. gemeinsam
  57. die für eine Aufführung des Werkes notwendigen Ergänzungen
  58. -3-
  59. vorgenommen hatte, wurde die Oper unter Leitung S.
  60. mit Zustimmung
  61. der Klägerin am 11. Juni 2005 in Rotterdam konzertant aufgeführt. Die Beklagte
  62. plante in Zusammenarbeit mit S.
  63. weitere szenische Aufführungen der
  64. Oper im Rahmen des von ihr veranstalteten Düsseldorfer Kulturfestivals "Altstadtherbst". Diese Aufführungen wurden ihr zunächst auf Antrag der Klägerin
  65. im Wege der einstweiligen Verfügung durch das Landgericht untersagt. Nachdem das Berufungsgericht dieses Verbot aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt hatte (OLG Düsseldorf GRUR
  66. 2006, 673), führte die Beklagte die Oper an vier Tagen im September 2005 in
  67. Düsseldorf auf.
  68. 3
  69. Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe als Herausgeberin der Erstausgabe des Werkes ("editio princeps") nach § 71 UrhG das ausschließliche Recht
  70. zur Verwertung der Komposition zur Oper "Motezuma" erworben. Die Beklagte
  71. habe dieses Verwertungsrecht mit ihren Aufführungen verletzt.
  72. 4
  73. Die Klägerin nimmt die Beklagte im Wege der Stufenklage auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung hinsichtlich der durch die Aufführungen
  74. erzielten Einnahmen, eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der zu erteilenden Auskünfte sowie Zahlung von Schadensersatz in Anspruch.
  75. 5
  76. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin
  77. ist ohne Erfolg geblieben (OLG Düsseldorf ZUM 2007, 386). Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
  78. -4-
  79. Entscheidungsgründe:
  80. 6
  81. I. Das Berufungsgericht hat die Stufenklage insgesamt abgewiesen, weil
  82. der Klägerin kein Leistungsschutzrecht aus § 71 UrhG und damit weder ein
  83. Schadensersatzanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG noch die Hilfsansprüche auf
  84. Auskunftserteilung, Rechnungslegung und eidesstattliche Versicherung zustünden. Zur Begründung hat es ausgeführt:
  85. 7
  86. Die Klägerin trage die Beweislast dafür, dass es sich bei der Oper "Motezuma" um ein "nicht erschienenes" Werk im Sinne des § 71 UrhG handele.
  87. Diesen Beweis habe sie im Hinblick auf die konkreten Anzeichen für das Gegenteil nicht geführt. Die Beklagte habe dargelegt, dass es zur damaligen Zeit
  88. in venezianischen Opernhäusern bei Auftragsarbeiten üblich gewesen sei, auf
  89. Anforderung Kopien von den bei den Opernhäusern verbliebenen "originali"
  90. durch gewerbliche Kopisten zu erstellen und in hinreichender Anzahl an Interessenten zu versenden. Sie habe weiter dargelegt, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass im Falle der Oper "Motezuma" genauso verfahren
  91. worden sei. Die Anforderungen an die Anzahl der für ein Erscheinen der Oper
  92. erforderlichen Kopien könnten wegen des beschränkten Interessentenkreises
  93. und der geringen Nachfrage jedenfalls nicht sehr hoch angesetzt werden. Es
  94. liege jedenfalls nahe, dass es sich bei der im Archiv des Klägers aufgefundenen
  95. Abschrift nicht um die einzige Kopie handele. Da die Klägerin zu dem Weg, den
  96. die Partitur in ihr Archiv genommen habe, nichts habe vortragen können, könne
  97. hieraus auch nicht darauf geschlossen werden, dass es sich dabei lediglich um
  98. ein Einzelexemplar handele.
  99. 8
  100. II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Klä-
  101. -5-
  102. gerin kein Leistungsschutzrecht an Vivaldis Komposition zur Oper "Motezuma"
  103. aus § 71 Abs. 1 UrhG zusteht und sie wegen der von der Beklagten veranstalteten Aufführungen dieser Oper daher weder Schadensersatz noch Auskunftserteilung, Rechnungslegung oder die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung
  104. beanspruchen kann.
  105. 9
  106. 1. Wer ein nicht erschienenes Werk nach Erlöschen des Urheberrechts
  107. erlaubterweise erstmals erscheinen lässt oder erstmals öffentlich wiedergibt,
  108. hat gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 UrhG das ausschließliche Recht, das Werk zu
  109. verwerten. Das gleiche gilt gemäß § 71 Abs. 1 Satz 2 UrhG für nicht erschienene Werke, die im Geltungsbereich des Urheberrechtsgesetzes niemals geschützt waren, deren Urheber aber schon länger als siebzig Jahre tot ist.
  110. 10
  111. 2. Die Klägerin hat durch die Herausgabe der Komposition zur Oper
  112. "Motezuma" nicht deshalb ein Leistungsschutzrecht aus § 71 UrhG erworben,
  113. weil die Musik zu dieser Oper lange als verschollen galt. Die Bestimmung des
  114. § 71 UrhG kann auch mit Blick auf ihren Sinn und Zweck nicht dahin ausgelegt
  115. werden, dass ein ausschließliches Verwertungsrecht an einem zwar möglicherweise bereits erschienenen, jedenfalls aber als verschollen geltenden Werk begründet werden kann (so aber Ekrutt, UFITA 84 [1979], S. 45, 49 ff.; A. Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 71 UrhG Rdn. 17).
  116. 11
  117. Mit dem Leistungsschutzrecht nach § 71 UrhG soll dem Herausgeber eine Entschädigung dafür gewährt werden, dass das Auffinden und die Herausgabe eines bisher unbekannten oder nur durch mündliche Überlieferung bekannten Werkes oft einen erheblichen Aufwand an Arbeit und Kosten erfordert;
  118. darüber hinaus soll das Schutzrecht eine Belohnung und ein Anreiz für die Herausgabe des Werkes sein, die der Allgemeinheit dessen bleibenden Besitz
  119. vermittelt
  120. (vgl.
  121. Begründung
  122. des
  123. Regierungsentwurfs
  124. BT-Drucks. IV/270,
  125. -6-
  126. S. 87 f.). Mit dieser Begründung könnte allerdings auch dem Herausgeber eines
  127. als verschollen angesehenen Werkes ein Leistungsschutzrecht gewährt werden.
  128. 12
  129. Einer entsprechenden Auslegung des § 71 UrhG steht jedoch bereits der
  130. eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen, nach dem das ausschließliche
  131. Verwertungsrecht nur an einem nicht erschienenen Werk entstehen kann
  132. (Hertin in Schulze/Mestmäcker/Grünwald, Urheberrecht, Loseblattkommentar,
  133. Stand Dezember 2008, § 71 UrhG Rdn. 9; Rüberg, ZUM 2006, 122, 125; Waitz,
  134. Das Leistungsschutzrecht am nachgelassenen Werk, 2008, S. 88 f.). Gegen
  135. eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Regelung auf für verschollen gehaltene Werke spricht zudem, dass der durch diese Vorschrift in Umsetzung von Art. 4 der Schutzdauer-Richtlinie (Richtlinie 93/98/EWG des Rates
  136. vom 29. Oktober 1993, jetzt [kodifizierte Fassung] Richtlinie 2006/116/EG des
  137. Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006) begründete,
  138. den vermögensrechtlichen Befugnissen des Urhebers entsprechende Werkschutz ohnehin bereits sehr weitgehend und daher nicht unproblematisch ist
  139. (Begründung zum Regierungsentwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des
  140. Urheberrechtsgesetzes BT-Drucks. 13/781, S. 10 f.; vgl. Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 3. Aufl., § 71 UrhG Rdn. 3) und eine Ausnahme vom
  141. Grundsatz der Benutzungsfreiheit gemeinfreier Werke bildet (vgl. v. Gamm,
  142. UrhG, § 71 Rdn. 2; vgl. auch Rüberg, ZUM 2006, 122, 127).
  143. 3. Der Klägerin steht ein ausschließliches Verwertungsrecht aus § 71
  144. 13
  145. UrhG nicht zu, weil sie nicht hinreichend dargelegt hat, dass die Komposition
  146. Vivaldis zur Oper "Motezuma" im Sinne dieser Bestimmung "nicht erschienen"
  147. ist.
  148. -7-
  149. 14
  150. a) Derjenige, der - wie die Klägerin - einen auf das ausschließliche Verwertungsrecht des Herausgebers der Erstausgabe eines Werkes nach § 71
  151. UrhG gestützten Anspruch geltend macht, trägt, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür,
  152. dass das Werk im Sinne dieser Bestimmung "nicht erschienen" ist. Da es in
  153. aller Regel schwierig ist, darzulegen und nachzuweisen, dass ein Werk nicht
  154. erschienen ist, kann er sich allerdings zunächst auf die Behauptung beschränken, das Werk sei bislang nicht erschienen. Es ist dann Sache der Gegenseite,
  155. die Umstände darzulegen, die dafür sprechen, dass das Werk doch schon erschienen ist. Der Anspruchsteller genügt seiner Darlegungs- und Beweislast,
  156. wenn er diese Umstände widerlegt.
  157. 15
  158. aa) Der Umstand, dass das Werk "nicht erschienen" ist, ist eine Voraussetzung für die Entstehung des Leistungsschutzrechts aus § 71 Abs. 1 UrhG
  159. und damit für das Bestehen des auf eine Verletzung dieses Rechts gestützten
  160. Schadensersatzanspruchs aus § 97 Abs. 1 UrhG. Nach dem auch im Urheberrecht geltenden Grundsatz, dass jede Prozesspartei die tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm darzulegen und zu beweisen hat
  161. (BGH, Urt. v. 28.10.1987 - I ZR 164/85, GRUR 1988, 373, 375 - Schallplattenimport III; Urt. v. 11.5.2000 - I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 880 = WRP
  162. 2000, 1280 - stüssy), trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast dafür,
  163. dass diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt ist.
  164. 16
  165. Die Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. IV/270, S. 87 f.)
  166. bietet, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, keine Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruchsgegner nach dem Willen des Gesetzgebers
  167. im Hinblick auf die bestehenden Beweisschwierigkeiten des Anspruchstellers
  168. die Beweislast für das Erschienensein des Werkes tragen soll. In der Begründung heißt es zwar, "das Erscheinen eines Werkes ist dagegen in der Regel
  169. -8-
  170. leicht nachweisbar." Dies ist aber, wie sich aus dem Zusammenhang dieser
  171. Äußerung ergibt, nur die Begründung dafür, weshalb eine - bei alten Werken
  172. kaum jemals feststellbare - vorherige Veröffentlichung (anders als ein vorheriges Erscheinen) für die Entstehung des Schutzrechts unschädlich sein soll.
  173. Damit ist nicht gesagt, dass der Anspruchsteller nicht die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Entstehung des Leistungsschutzrechts tragen soll.
  174. 17
  175. bb) Den Schwierigkeiten, denen sich die mit der Darlegung und dem
  176. Beweis des Nichtvorliegens einer Tatsache belastete Partei gegenübersieht, ist
  177. nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings im Rahmen des
  178. Zumutbaren dadurch zu begegnen, dass der Prozessgegner sich nicht mit dem
  179. bloßen Bestreiten einer entsprechenden Behauptung der Partei begnügen darf,
  180. sondern substantiiert darlegen muss, welche Umstände für das Vorliegen dieser Tatsache sprechen (vgl. BGH, Urt. v. 19.5.1958 - II ZR 53/57, NJW 1958,
  181. 1189; Urt. v. 8.10.1992 - I ZR 220/90, GRUR 1993, 572, 573 f. - Fehlende Lieferfähigkeit; Urt. v. 16.12.1993 - I ZR 231/91, GRUR 1994, 288, 289 f. = WRP
  182. 1994, 252 - Malibu; Beschl. v. 21.12.2006 - I ZB 17/06, GRUR 2007, 629 Tz. 12
  183. = WRP 2007, 781 - Zugang des Abmahnschreibens; Urt. v. 22.11.2007
  184. - I ZR 77/05, GRUR 2008, 625 Tz. 19 = WRP 2008, 924 - Fruchtextrakt).
  185. 18
  186. Die besonderen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, dass - wie die
  187. Revision geltend macht - beim klassischen Anwendungsfall des § 71 UrhG der
  188. Nachweis für das Nicht-Erschienensein eines jahrhundertealten Werks zu erbringen ist, rechtfertigen es nicht, dem Anspruchsteller weitergehende Erleichterungen bei der Beweisführung zu gewähren (Dreier in Dreier/Schulze, UrhG,
  189. 3. Aufl., § 71 Rdn. 15; Meckel in Dreyer/Kotthoff/Meckel, HK-Urheberrecht,
  190. 2. Aufl., § 71 UrhG Rdn. 7; Schricker/Loewenheim aaO § 71 UrhG Rdn. 7;
  191. Hertin aaO § 71 UrhG Rdn. 13; Rüberg, ZUM 2006, 122, 125 ff.; v. Linstow in
  192. -9-
  193. Festschrift für Ullmann, 2006, S. 297, 307; Jayme in Weller/Kemle/Lynen, Des
  194. Künstlers Rechte - die Kunst des Rechts, 2008, S. 65, 70; vgl. auch Eberl,
  195. GRUR 2006, 1009; für eine Umkehr der Beweislast Wandtke/Bullinger/Thum,
  196. UrhG, 3. Aufl., § 71 UrhG Rdn. 10a; Pielsticker in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 71 UrhG Rdn. 5; M. Büscher in Festschrift für Raue, 2006, S. 363, 372 f.; für eine Reduzierung des
  197. Beweismaßes Götting/Lauber-Rönsberg, GRUR 2006, 638, 644; dies., Der
  198. Schutz nachgelassener Werke, 2006, 44; vgl. auch LG Magdeburg ZUM 2004,
  199. 672, 674). Die von der Revision hervorgehobenen Schwierigkeiten treffen in
  200. erster Linie den Anspruchsgegner, der substantiiert darlegen muss, welche
  201. Umstände für das Erschienensein des Werkes sprechen. Da der Anspruchsteller seiner Darlegungs- und Beweislast bereits genügt, wenn er diese Umstände
  202. widerlegt, wird ihm - entgegen der Annahme der Revision - kein vollständiger
  203. Negativbeweis aufgebürdet, der bei einem jahrhundertealten Werk aufgrund
  204. des Zeitablaufs nahezu unmöglich wäre. Es ist daher nicht zu befürchten, dass
  205. dem Anspruchsteller bei einer Anwendung der von der Rechtsprechung zum
  206. Nachweis negativer Tatbestandsmerkmale entwickelten Grundsätze eine Beweisführung praktisch unmöglich wäre und die Norm faktisch "leerliefe".
  207. 19
  208. b) Die Klägerin hat nach diesen Grundsätzen nicht hinreichend dargelegt, dass Vivaldis Komposition zur Oper "Motezuma" im Sinne des § 71 UrhG
  209. "nicht erschienen" ist.
  210. 20
  211. Für den Begriff des Erscheinens im Sinne des § 71 UrhG ist die Begriffsbestimmung in § 6 Abs. 2 Satz 1 UrhG maßgebend (vgl. Begründung des
  212. Regierungsentwurfs, BT-Drucks. IV/270, S. 40; vgl. BGH, Urt. v. 23.1.1981
  213. - I ZR 170/78, GRUR 1981, 360, 361 - Erscheinen von Tonträgern zu §§ 86, 78
  214. Abs. 2 [§ 76 Abs. 2 a.F.] UrhG). Danach ist ein Werk erschienen, wenn mit Zustimmung des Berechtigten Vervielfältigungsstücke des Werkes nach ihrer Her-
  215. - 10 -
  216. stellung in genügender Anzahl der Öffentlichkeit angeboten oder in Verkehr gebracht worden sind.
  217. 21
  218. Allerdings gewährt § 71 UrhG auch demjenigen ein Leistungsschutzrecht, der ein nicht erschienenes Werk "erstmals öffentlich wiedergibt". Zudem
  219. setzt die Entstehung des Schutzrechts nach der durch § 71 UrhG umgesetzten
  220. Bestimmung des Art. 4 der Schutzdauer-Richtlinie voraus, dass es sich um ein
  221. "zuvor unveröffentlichtes Werk" handelt. Ob daraus zu schließen ist, dass nicht
  222. nur ein vorheriges Erscheinen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 UrhG), sondern auch eine frühere Veröffentlichung (§ 6 Abs. 1 UrhG) des Werkes einem Erwerb des Leistungsschutzrechts entgegensteht (vgl. Dreier in Dreier/Schulze aaO § 71
  223. Rdn. 5; Schricker/Loewenheim aaO § 71 UrhG Rdn. 6; Wandtke/Bullinger/Thum
  224. aaO § 71 UrhG Rdn. 14 ff.; jeweils m.w.N.), oder ob die Bestimmung der Richtlinie (so Walter/Walter, Europ. Urheberrecht, Art. 4 Schutzdauer-RL Rdn. 16)
  225. und möglicherweise auch die ihrer Umsetzung dienende nationale Regelung
  226. des § 71 UrhG einer korrigierenden Auslegung bedürfen, um dem eigentlichen
  227. Zweck dieser Regelung zu genügen, bislang nicht erschienene Werke der Öffentlichkeit nachhaltig zugänglich zu machen, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass
  228. das fragliche Werk zum Zeitpunkt der Uraufführung nicht auch erschienen ist.
  229. 22
  230. Die von der Beklagten substantiiert dargelegten und von der Klägerin
  231. nicht widerlegten Umstände sprechen dafür, dass die Komposition zur Oper
  232. "Motezuma" bereits im Jahre 1733 mit der Verteilung des Notenmaterials an die
  233. Beteiligten der Uraufführung und der Hinterlegung eines "originale" bei dem
  234. Opernhaus im Sinne des § 6 Abs. 2 UrhG erschienen ist, weil damit Vervielfältigungsstücke der Komposition nach ihrer Herstellung in genügender Anzahl in
  235. Verkehr gebracht worden sind. Damit steht jedenfalls das frühere Erscheinen
  236. des Werkes einem Erwerb des Leistungsschutzrechts aus § 71 UrhG entgegen.
  237. - 11 -
  238. 23
  239. aa) An die Beteiligten der Uraufführung im Jahre 1733 wurde zweifellos
  240. das zur Aufführung der Oper erforderliche Notenmaterial verteilt. Aus den von
  241. den Parteien vorgelegten Stellungnahmen namhafter Musikwissenschaftler geht
  242. nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ferner hervor, dass es damals
  243. in Venedig üblich war, ein "originale" - bei dem es sich um die Urschrift oder
  244. eine Abschrift der Oper handelte - bei dem Opernhaus zu hinterlegen, von dem
  245. Interessenten durch gewerbliche Kopisten Abschriften anfertigen lassen konnten. Da die Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen von dieser
  246. Übung abweichenden Ablauf vorgetragen hat, ist davon auszugehen, dass
  247. dementsprechend auch ein "originale" der Oper "Motezuma" beim Teatro S.
  248. Angelo hinterlegt wurde.
  249. 24
  250. bb) Bei dem an die Beteiligten der Uraufführung verteilten und dem - damit möglicherweise identischen - beim Opernhaus hinterlegten Notenmaterial
  251. handelte es sich um zumindest ein Vervielfältigungsstück der Komposition zur
  252. Oper "Motezuma".
  253. 25
  254. Vervielfältigungsstück ist jede körperliche Festlegung eines Werkes, die
  255. geeignet ist, das Werk den menschlichen Sinnen auf irgendeine Art und Weise
  256. unmittelbar oder mittelbar wahrnehmbar zu machen (BGHZ 17, 266, 269 f.
  257. - Grundig Reporter). Das bei der Uraufführung verwendete und beim Opernhaus hinterlegte Notenmaterial ist eine körperliche Festlegung der Komposition
  258. zur Oper "Motezuma", die es ermöglicht, das Werk lesend oder hörend wahrzunehmen. Das gilt auch hinsichtlich der für die Instrumentalisten und Sänger bestimmten Einzelstimmen, die für sich genommen zwar jeweils nur einen Auszug
  259. aus der vollständigen Partitur darstellen, in ihrer Gesamtheit aber eine Festlegung des vollständigen Werkes bilden.
  260. - 12 -
  261. 26
  262. Da der Vervielfältigungsbegriff jede Werkverkörperung umfasst, kommt
  263. es weder darauf an, ob das Notenmaterial gedruckt oder handschriftlich vorlag
  264. noch darauf, ob es sich dabei um eine Abschrift oder die Urschrift der Komposition handelte. Auch das Original ist eine körperliche Festlegung der (persönlichen) geistigen Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG) und damit ein - wenn auch das
  265. erste - Vervielfältigungsstück des Werkes (vgl. Schricker/Loewenheim aaO § 16
  266. UrhG Rdn. 7). Der Gesetzeszweck des § 6 Abs. 2 UrhG, das Werk der Öffentlichkeit mittels einer Werkverkörperung zugänglich zu machen, kann auch durch
  267. das Angebot oder Inverkehrbringen des Originals oder - bei Mehrfachoriginalen - der Originale des Werkes erfüllt werden (Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel
  268. aaO § 6 UrhG Rdn. 60; Möhring/Nicolini/Ahlberg, UrhG, 2. Aufl., § 6 Rdn. 21;
  269. Schricker/Katzenberger aaO § 6 UrhG Rdn. 33; Wandtke/Bullinger/Marquardt
  270. aaO § 6 UrhG Rdn. 26; a.A. Bueb, Der Veröffentlichungsbegriff im deutschen
  271. und internationalen Urheberrecht, 1974, S. 55; vgl. auch Schiefler, UFITA 48
  272. [1966], S. 81, 93). Soweit § 6 Abs. 2 Satz 2 UrhG das Original neben dem Vervielfältigungsstück nennt, dient dies lediglich der Klarstellung, dass das Erscheinen eines Werkes der bildenden Künste - von dem es oft nur ein Werkstück gibt - durch jedes Vervielfältigungsstück einschließlich des Originals bewirkt werden kann (Möhring/Nicolini/Ahlberg aaO § 6 Rdn. 21).
  273. 27
  274. cc) Mit der Übergabe an die Beteiligten der Uraufführung und der Hinterlegung beim Opernhaus wurde das Notenmaterial in Verkehr gebracht.
  275. 28
  276. Inverkehrbringen ist jede Handlung, mit der Werkstücke der Öffentlichkeit - also Dritten, mit denen keine persönliche Verbundenheit besteht - zugeführt werden. Die Überlassung eines einzelnen Werkstücks genügt (BGHZ 113,
  277. 159, 161 f. - Einzelangebot, m.w.N.). Eine Veräußerung ist nicht erforderlich,
  278. jede Besitzüberlassung reicht aus, insbesondere auch ein Vermieten oder Verleihen (BGH, Urt. v. 6.3.1986 - I ZR 208/83, GRUR 1986, 736 - Schallplatten-
  279. - 13 -
  280. vermietung; Urt. v. 10.7.1986 - I ZR 102/84, GRUR 1987, 37, 38 - Videolizenzvertrag).
  281. 29
  282. Das Notenmaterial wurde danach bereits mit der Verteilung an die Beteiligten der Uraufführung in Verkehr gebracht, selbst wenn es nach der Uraufführung wieder eingesammelt worden sein sollte (vgl. BGH, Urt. v. 16.6.1971
  283. - I ZR 120/69, GRUR 1972, 141 - Konzertveranstalter). Mit der Hinterlegung des
  284. "originale" bei dem Teatro S. Angelo wurde - falls es sich dabei nicht um das
  285. Notenmaterial der Uraufführung handelte - ein weiteres Exemplar der Komposition in Verkehr gebracht.
  286. 30
  287. dd) Das Notenmaterial wurde auch mit Zustimmung des Berechtigten in
  288. Verkehr gebracht.
  289. 31
  290. Berechtigt ist in erster Linie der Urheber des Werkes, ferner derjenige,
  291. dem ein die Befugnis zur Veröffentlichung des Werkes einschließendes Nutzungsrecht
  292. eingeräumt
  293. ist
  294. (Begründung
  295. des
  296. Regierungsentwurfs,
  297. BT-
  298. Drucks. IV/270, S. 40). Die Zustimmung Vivaldis zur Verteilung des Notenmaterials an die Beteiligten der Uraufführung ergibt sich bereits daraus, dass er die
  299. Uraufführung selbst dirigierte. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hinterlegte Vivaldi das "originale" in Kenntnis der
  300. gängigen Kopierpraxis beim Inhaber des Opernhauses und erteilte damit auch
  301. insoweit seine Zustimmung zum Inverkehrbringen.
  302. 32
  303. ee) Mit der Übergabe des Notenmaterials an die Beteiligten der Uraufführung und der Hinterlegung eines "originale" beim Opernhaus wurde eine genügende Anzahl von Vervielfältigungsstücken nach ihrer Herstellung in Verkehr
  304. gebracht.
  305. - 14 -
  306. 33
  307. (1) Vervielfältigungsstücke eines Werkes sind "in genügender Anzahl"
  308. hergestellt und verbreitet, wenn die Zahl der Vervielfältigungsstücke "zur Deckung des normalen Bedarfs" ausreicht (Begründung des Regierungsentwurfs,
  309. BT-Drucks. IV/270, S. 40). Der normale Bedarf entspricht der - nach vorsichtiger Schätzung der Marktlage - unmittelbar nach dem Angebot oder dem Inverkehrbringen der Werkstücke zu erwartenden Nachfrage des angesprochenen
  310. Publikums (Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., S. 181 f.). Der normale
  311. Bedarf ist gedeckt, wenn dem interessierten Publikum ausreichend Gelegenheit
  312. zur Kenntnisnahme des Werkes gegeben wird (BGHZ 64, 183, 187 f. - August
  313. Vierzehn). Welche Anzahl von Vervielfältigungsstücken dafür benötigt wird,
  314. hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. RGZ 111, 14, 18 f. - Strindberg). Dabei kommt es wesentlich auf die Art des Werkes und seine Verwertung an (BGH, Urt. v. 23.1.1981 - I ZR 170/78, GRUR 1981, 360, 362 - Erscheinen von Tonträgern).
  315. 34
  316. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Begriff des Erscheinens im
  317. Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 UrhG nicht erfordert, dass die Werkstücke der Öffentlichkeit unmittelbar zur Verfügung gestellt werden (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. IV/270, S. 40). Es reicht vielmehr aus, dass Vervielfältigungsstücke des Werkes in für die Öffentlichkeit genügender Anzahl
  318. hergestellt worden sind und die Öffentlichkeit die Möglichkeit erhält, das Werk
  319. mit Auge oder Ohr wahrzunehmen. Der Gesetzgeber hat auch die Fälle erfassen wollen, in denen ein den Werkgenuss erst vermittelnder Dritter dazwischengeschaltet ist. Dies zeigen die in der Begründung zu § 6 UrhG genannten
  320. Beispiele, wonach ein Film, der für öffentliche Vorführungen in den Verleih gegeben worden ist, ebenso als erschienen gilt wie ein Werk der Musik, dessen
  321. Notenmaterial vom Verlag leihweise für öffentliche Aufführungen zur Verfügung
  322. gestellt worden ist (vgl. BT-Drucks. IV/270, S. 40; BGH GRUR 1981, 360, 361 f.
  323. - Erscheinen von Tonträgern).
  324. - 15 -
  325. 35
  326. Wird ein Werk nach seiner Art dem interessierten Publikum durch sogenannte Werkvermittler zugänglich gemacht, kann daher bereits die Übergabe
  327. einiger weniger Werkstücke oder sogar nur eines einzigen Werkstücks ausreichen, den voraussichtlichen Publikumsbedarf zu decken und damit ein Erscheinen des Werkes zu bewirken (Möhring/Nicolini/Ahlberg aaO § 6 Rdn. 28;
  328. Reimer/Ulmer, GRUR Int. 1967, 431, 438; Hubmann, GRUR 1980, 537, 541;
  329. Sieger, AfP 1983, 349; Süßenberger/Czychowski, GRUR 2003, 489, 490 f.).
  330. Entscheidend ist, ob der Berechtigte mit der Übergabe des Werkes an den
  331. Werkvermittler alles seinerseits Erforderliche getan hat und es nur noch von der
  332. Leistung des Vermittlers und dem Interesse des Publikums abhängt, dass das
  333. Werk der angesprochenen Öffentlichkeit bekannt wird (vgl. BGH GRUR 1981,
  334. 360, 362 - Erscheinen von Tonträgern).
  335. 36
  336. Der Senat hat daher die Bemusterung von Sendeanstalten, Filmproduzenten und Werbeunternehmen mit mehr als 50 Tonträgern als ausreichend für
  337. ein Erscheinen des auf dem Tonträger verkörperten Werkes erachtet (BGH
  338. GRUR 1981, 360, 362 - Erscheinen von Tonträgern). Er ist vom Erscheinen
  339. eines Filmwerkes ausgegangen, das in 8 Kopien zum üblichen Vertrieb freigegeben und damit dem breiten Publikum zugänglich gemacht worden ist (vgl.
  340. BGH, Urt. v. 19.5.1972 - I ZR 42/71, GRUR Int. 1973, 49, 51 - Goldrausch). Er
  341. hat ein Werk für Chor und Orchester im Hinblick darauf als erschienen angesehen, dass in Musikfachzeitschriften und mit einem Rundschreiben an zahlreiche
  342. Orchesterleiter, Rundfunkmitarbeiter und andere Interessenten für die Ausleihe
  343. des Aufführungsmaterials geworben worden ist (BGHZ 64, 164, 168 - TE
  344. DEUM).
  345. 37
  346. Auch die Übergabe des Notenmaterials einer Oper an die Aufführenden
  347. kann danach zu einem "Erscheinen" der Komposition führen, wenn dem interessierten Publikum damit ausreichend Gelegenheit zur Kenntnisnahme des
  348. - 16 -
  349. Werkes gegeben wird (Möhring/Nicolini/Ahlberg aaO § 6 Rdn. 22; Reimer/
  350. Ulmer, GRUR Int. 1967, 431, 438; Hubmann, GRUR 1980, 537, 541; vgl. auch
  351. Rehbinder, FuR 1981, 285, 286; Sieger, FuR 1981, 289, 290 f., 292 f.). Dem
  352. steht - anders als die Revision meint - nicht entgegen, dass das Oberlandesgericht München in einer vom Senat bestätigten Entscheidung die Verteilung von
  353. Werkexemplaren der Oper "Tosca" nur an Veranstalter und Beteiligte der Uraufführung nicht als eine Veröffentlichung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 RBÜ (Fassung Paris) der Komposition Puccinis gewertet hat (OLG München GRUR
  354. 1983, 295, 297; BGHZ 95, 229, 237 - Puccini; der Begriff der Veröffentlichung
  355. im Sinne von Art. 3 Abs. 3 RBÜ entspricht dem Begriff des Erscheinens im Sinne von § 6 Abs. 2 UrhG, vgl. Schricker/Katzenberger aaO § 6 UrhG Rdn. 58).
  356. Das Oberlandesgericht München hat das Einstellen nur je eines Auszugs der
  357. vollständigen Oper in zwei öffentliche Bibliotheken mit Recht nicht als genügend
  358. angesehen, weil an der Oper "Tosca" bereits vor der Uraufführung ein erhebliches internationales Publikumsinteresse bestand. Mit Rücksicht auf dieses Publikumsinteresse konnte auch die Verteilung von Werkexemplaren der Oper
  359. "Tosca" nur an den begrenzten Kreis der Veranstalter der Uraufführung und der
  360. an dieser mitwirkenden Personen nicht als Veröffentlichung angesehen werden.
  361. Soweit das zu erwartende Publikumsinteresse mit Hilfe des übergebenen Aufführungsmaterials gedeckt werden kann, kann dagegen dessen Übergabe an
  362. die Aufführenden zu einem Erscheinen des Werkes führen.
  363. 38
  364. (2) Nach diesen Maßstäben haben die Übergabe des Notenmaterials an
  365. die Beteiligten der Uraufführung und die Hinterlegung des "originale" bei dem
  366. Teatro S. Angelo ein "Erscheinen" der Komposition Vivaldis zur Oper "Motezuma" bewirkt.
  367. 39
  368. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts und den von beiden Parteien vorgelegten - insoweit übereinstimmenden - Stellungnahmen anerkannter
  369. - 17 -
  370. Musikwissenschaftler geht hervor, dass zur damaligen Zeit die für venezianische Opernhäuser angefertigten Auftragswerke - und um ein solches handelte
  371. es sich bei der Oper "Motezuma" - üblicherweise nur während einer Spielzeit an
  372. dem jeweiligen Opernhaus aufgeführt wurden und dass deshalb über das für
  373. diese Aufführungen benötigte Notenmaterial hinaus regelmäßig kein Bedarf an
  374. gedruckten oder handschriftlichen Kopien vollständiger Opernpartituren bestand. Zudem konnten - wie allgemein bekannt war - Interessenten (vor allem
  375. auswärtige Fürstenhöfe oder andere Opernhäuser) von einem bei dem Opernhaus hinterlegten "originale" durch professionelle Kopisten gegen Entgelt Abschriften - sei es der vollständigen Partitur, sei es einzelner Arien - anfertigen
  376. lassen.
  377. 40
  378. Ob es sich auch im Falle der Oper "Motezuma" so verhalten hat, kann
  379. heute nicht mehr festgestellt werden. Da die Klägerin jedoch keine Anhaltspunkte für einen abweichenden Ablauf vorgetragen hat, besteht eine hohe
  380. Wahrscheinlichkeit, dass bereits mit der Übergabe des Notenmaterials an die
  381. Beteiligten der Uraufführung und der Hinterlegung eines "originale" bei dem
  382. Opernhaus alles getan war, um dem venezianischen Opernpublikum und möglichen Interessenten an Partiturabschriften ausreichende Gelegenheit zur
  383. Kenntnisnahme der Komposition zu geben und damit deren Erscheinen zu bewirken. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, ob - wie das Berufungsgericht angenommen hat - insbesondere mit Blick auf die im Archiv der
  384. Klägerin entdeckte Handschrift ausreichend konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass von dem "originale" tatsächlich Abschriften durch Kopisten erstellt
  385. und an Interessenten versandt worden sind.
  386. - 18 -
  387. 41
  388. III. Die Revision des Beklagten ist danach mit der Kostenfolge aus § 97
  389. Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
  390. Bornkamm
  391. Büscher
  392. Kirchhoff
  393. Bergmann
  394. Koch
  395. Vorinstanzen:
  396. LG Düsseldorf, Entscheidung vom 17.05.2006 - 12 O 538/05 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.01.2007 - I-20 U 112/06 -