Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

305 lines
18 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. I ZR 222/11
  5. Verkündet am:
  6. 17. Juli 2013
  7. Führinger
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Meisterpräsenz
  19. UWG § 4 Nr. 11, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1; HwO §§ 1, 7, Anlage A Nr. 34
  20. a) Werden in einem Geschäftslokal Dienstleistungen angeboten, erwartet der
  21. Verkehr nicht unbedingt, dass diese Leistungen sofort bei Erscheinen des
  22. Kunden im Geschäftslokal erbracht werden können. Vielmehr geht der Verbraucher in vielen Fällen davon aus, dass die angebotene Dienstleistung
  23. auch dann, wenn das Geschäftslokal geöffnet ist, nur nach vorheriger Terminvereinbarung erbracht wird.
  24. b) Die Vorschriften der Handwerksordnung stellen, soweit sie eine bestimmte
  25. Qualität, Sicherheit oder Unbedenklichkeit der hergestellten Waren oder
  26. angebotenen Dienstleistungen gewährleisten sollen, Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG dar.
  27. c) Es verstößt nicht gegen das Gebot der Meisterpräsenz, wenn ein Hörgeräteakustiker-Meister zwei Betriebe in benachbarten Städten betreut und jeweils einen halben Tag in dem einen und den anderen halben Tag in dem
  28. anderen Geschäft anwesend ist. Die Geschäfte dürfen in einem solchen
  29. Fall auch in der Zeit der Abwesenheit des Meisters offengehalten werden,
  30. um beispielsweise Termine mit in das Ladenlokal kommenden Kunden zu
  31. vereinbaren, Ersatz- und Verschleißteile wie etwa Batterien für Hörgeräte
  32. abzugeben und ähnliche Leistungen zu erbringen, die nicht notwendig die
  33. Anwesenheit eines Meisters erfordern.
  34. BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - I ZR 222/11 - OLG München
  35. LG Augsburg
  36. -2-
  37. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
  38. und die Richter Prof. Dr. Büscher, Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und
  39. Dr. Löffler
  40. für Recht erkannt:
  41. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 29. Zivilsenats
  42. des Oberlandesgerichts München vom 10. November 2011 aufgehoben.
  43. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts
  44. Augsburg - 1. Kammer für Handelssachen - vom 31. März 2011
  45. abgeändert.
  46. Die Klage wird abgewiesen.
  47. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  48. Von Rechts wegen
  49. Tatbestand:
  50. 1
  51. Die Klägerin und die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte
  52. zu 2 ist, sind jeweils auf dem Gebiet der Hörgeräteakustik tätig, bei dem es sich
  53. nach der Nr. 34 der Anlage A zur Handwerksordnung um ein zulassungspflichtiges Handwerk handelt. Die Klägerin unterhält in Süddeutschland 33 Filialen,
  54. darunter eine in Günzburg, wo auch eine Schwestergesellschaft der Beklagten
  55. zu 1 (im Weiteren nur: Beklagte) geschäftsansässig ist. Im Jahr 2009 war der
  56. Hörgeräteakustik-Meister Tobias M. sowohl für die Beklagte, die in Dillingen
  57. -3-
  58. geschäftsansässig ist, als auch für deren Schwestergesellschaft in Günzburg,
  59. das von Dillingen 26 Straßenkilometer entfernt ist, als Betriebsleiter in der
  60. Handwerksrolle eingetragen und eingesetzt.
  61. 2
  62. Nach Ansicht der Klägerin ist die Einsetzung eines gemeinsamen Betriebsleiters für die beiden Betriebe wegen Verstoßes gegen die Handwerksordnung und wegen Irreführung der Kundschaft wettbewerbsrechtlich unzulässig. Die Beklagte sei zur ständigen Meisterpräsenz in ihrem Betrieb verpflichtet,
  63. die bei der beworbenen zeitgleichen Öffnung der Geschäfte in Dillingen und
  64. Günzburg nicht gewährleistet sei. Testkunden hätten festgestellt, dass in dem
  65. Geschäft in Dillingen während der Abwesenheit des Meisters M. diesem vorbehaltene Tätigkeiten durchgeführt oder angeboten worden seien.
  66. 3
  67. Die Klägerin hat beantragt,
  68. es den Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr
  69. a) einen Hörgeräteakustiker-Betrieb als stehendes Gewerbe zu betreiben, ohne
  70. einen in die Handwerksrolle eingetragenen Hörgeräteakustiker als Betriebsleiter zu beschäftigen, der jederzeit unmittelbar im Ladenlokal persönlich erreichbar ist, zumindest aber innerhalb von zehn Minuten, nachdem ein Kunde das Ladenlokal betreten hat, und/oder
  71. b) zeitlich ohne Einschränkung der Öffnungszeiten mit der Erbringung von Leistungen eines Hörgeräteakustikers in Bezug auf einen Betrieb zu werben, in
  72. dem nicht wenigstens ein vollzeitbeschäftigter Betriebsleiter zur Verfügung
  73. steht, der in die Handwerksrolle eingetragen ist und jederzeit unmittelbar im
  74. Ladenlokal persönlich erreichbar ist, zumindest aber innerhalb von zehn Minuten, nachdem ein Kunde das Ladenlokal betreten hat, und/oder
  75. c) gegenüber Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen mit der Erbringung
  76. von Leistungen eines Hörgeräteakustikers in Bezug auf einen Geschäftsbetrieb zu werben oder solche Leistungen in einem Geschäftsbetrieb zu erbringen, in dem entgegen den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber solchen
  77. Kassen nicht in Vollzeit ein Betriebsleiter zur Verfügung steht, der in die
  78. Handwerksrolle eingetragen ist.
  79. -4-
  80. 4
  81. Darüber hinaus hat die Klägerin den Ersatz von Abmahnkosten in Höhe
  82. von 3.452 € und von Detekteikosten in Höhe von 1.250 € - jeweils nebst Zinsen - begehrt.
  83. 5
  84. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten
  85. ist ohne Erfolg geblieben (OLG München, WRP 2012, 579). Mit ihrer vom Senat
  86. zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstreben
  87. die Beklagten weiterhin die Abweisung der Klage.
  88. Entscheidungsgründe:
  89. 6
  90. I. Das Berufungsgericht hat die Klage unter dem Gesichtspunkt einer Irreführung über die Verfügbarkeit der von der Beklagten angebotenen Dienstleistungen als begründet angesehen und hierzu ausgeführt:
  91. 7
  92. Der Unterlassungsantrag zu a) sei dahin auszulegen, dass die Klägerin
  93. die Unterlassung des Offenhaltens des Gewerbebetriebs der Beklagten für den
  94. Fall begehre, dass kein in die Handwerksrolle eingetragener Hörgeräteakustiker
  95. als Betriebsleiter beschäftigt werde, der innerhalb von zehn Minuten, nachdem
  96. ein Kunde das Ladenlokal betreten habe, dort persönlich erreichbar sei. Der
  97. Antrag sei mit diesem Inhalt hinreichend bestimmt und auch begründet, weil der
  98. Durchschnittsverbraucher, der das geöffnete Ladengeschäft eines Hörgeräteakustiker-Betriebs sehe, davon ausgehe, dass der zur Ausübung des Hörgeräteakustiker-Handwerks Berechtigte grundsätzlich unmittelbar vor Ort verfügbar sei. Es entspreche dabei noch seinem Verständnis, dass der Ausübungsberechtigte etwa aus einem nahegelegenen Büro oder einer wenige Minuten entfernten Werkstatt herbeigerufen werden müsse, nicht aber, dass der Berechtigte lediglich mittelbar über ein EDV-Netzwerk kontaktiert werden oder eingreifen
  99. -5-
  100. könne oder erst aus einer anderen Stadt herbeigerufen werden müsse und bis
  101. zu seinem Eintreffen im Ladengeschäft länger gewartet werden müsse. Einer
  102. Irreführung der Verbraucher stehe nicht entgegen, dass Tobias M. sowohl als
  103. Betriebsleiter des Dillinger als auch des Günzburger Betriebs in die Handwerksrolle eingetragen sei. Denn die Verbraucher hätten hiervon keine Kenntnis; außerdem enthalte die Handwerksrolle im Streitfall keine konkreten Festlegungen
  104. hinsichtlich der Betriebsführung und insbesondere zu den Ladenöffnungszeiten.
  105. Eine geschäftliche Handlung sei auch dann irreführend, wenn sie keine unmittelbare Relevanz für die Marktentscheidung habe, sondern von ihr lediglich eine
  106. Anlockwirkung ausgehe. Ob der Unterlassungsanspruch zu a) auch unter dem
  107. Gesichtspunkt des Rechtsbruchs begründet sei, könne danach dahinstehen.
  108. 8
  109. Nach diesen Grundsätzen seien auch der Unterlassungsantrag zu b),
  110. wonach den Beklagten eine entsprechende Werbung verboten werden solle,
  111. und der Unterlassungsantrag zu c), der darauf abstelle, dass die Beklagten mit
  112. ihrem beanstandeten Verhalten ihre vertraglichen Pflichten gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen verletzten, unter dem Gesichtspunkt der Irreführung
  113. über die angebotenen Dienstleistungen begründet.
  114. 9
  115. II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Abweisung der Klage.
  116. 10
  117. 1. Die Revision rügt allerdings ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe
  118. der Klägerin unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO etwas zugesprochen, was
  119. sie nicht beantragt habe, da es den allein auf den Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit §§ 1, 7 HwO gestützten
  120. Unterlassungsantrag zu a) unter dem Gesichtspunkt der Irreführung als begründet angesehen habe. Die Klägerin hat auch diesen Klageantrag, wenn
  121. -6-
  122. nicht von vornherein, so doch jedenfalls im weiteren Verlauf des Rechtsstreits
  123. ersichtlich mit darauf gestützt, dass Verbraucher insoweit irregeführt würden.
  124. 11
  125. 2. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber gegen die Beurteilung des
  126. Berufungsgerichts, der Unterlassungsantrag zu a) sei unter dem Gesichtspunkt
  127. der Irreführung begründet.
  128. 12
  129. a) Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz allerdings zutreffend
  130. davon ausgegangen, dass ein Unternehmen, das eine Dienstleistung anbietet,
  131. dem Werbeadressaten damit grundsätzlich - nicht anders als ein Warenhandelsunternehmen beim Angebot von Waren (vgl. dazu Bornkamm in Köhler/
  132. Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 5 Rn. 8.9 mwN) - den Eindruck vermittelt, dass
  133. die Dienstleistung in seinem Geschäftslokal während der Geschäftszeiten den
  134. Kunden, die an ihrer Inanspruchnahme interessiert sind, unmittelbar erbracht
  135. werden kann. Die Verfügbarkeit stellt ein wesentliches Merkmal eines Produkts
  136. dar, über das gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG keine unwahren oder sonst
  137. zur Täuschung geeigneten Angaben gemacht werden dürfen. Soweit es sich
  138. bei der angebotenen Dienstleistung - wie im Streitfall - um eine Beratungsleistung handelt, muss daher während der Öffnungszeiten des Geschäftslokals
  139. grundsätzlich (wenigstens) eine Person dort anwesend oder zumindest unmittelbar erreichbar sein, die dazu befähigt und berechtigt ist, die Dienstleistung zu
  140. erbringen. Der Verbraucher, der sich in ein Geschäftslokal begibt, um sich dort
  141. beraten zu lassen, rechnet zwar damit, gegebenenfalls warten zu müssen, weil
  142. zunächst vor ihm eingetroffene Kunden oder Kunden, die einen Termin vereinbart haben, vor ihm an der Reihe sind. Dagegen rechnet der Verbraucher
  143. grundsätzlich nicht damit, dass seine Beratung an dem betreffenden (Halb-)Tag
  144. nur dann möglich ist, wenn die dazu befähigte und befugte Person sich - wohl
  145. nur im Ausnahmefall - vertretbarerweise von einem anderem Geschäftslokal,
  146. das immerhin 26 (Land-)Straßenkilometer entfernt ist und in dem sie aktuell die
  147. -7-
  148. Betriebsleitung innehat, für die Dauer der nachgefragten Beratung und die für
  149. den doppelten Weg benötigte Zeit entfernen kann.
  150. 13
  151. b) Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung allerdings unberücksichtigt gelassen, dass der Verbraucher bei seiner vorstehend dargestellten
  152. generellen Leistungserwartung auch die Art der von ihm nachgefragten Dienstleistung sowie die Üblichkeiten im Geschäftsverkehr in Rechnung stellt. Er berücksichtigt insbesondere, dass sich in bestimmten Bereichen und insbesondere dort, wo die Erbringung der Dienstleistung in Form einer Beratung oder Behandlung einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, häufig die Gewohnheit
  153. herausgebildet hat, dass eine solche Beratung oder Behandlung auch dann,
  154. wenn das Ladenlokal - wie etwa bei Friseuren - oder die Praxis - bei medizinischen Dienstleistungen - geöffnet ist, üblicherweise nur nach vorheriger Terminvereinbarung durchgeführt wird. Entsprechend verhält es sich auf dem hier
  155. in Rede stehenden Gebiet der Hörgeräteakustik. Eine ordnungsgemäß und
  156. dementsprechend mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführte Untersuchung
  157. und Beratung des Kunden erfordert eine fundierte und deshalb nur von einem
  158. Hörgeräteakustik-Meister zu erbringende Leistung. Es handelt sich damit nicht
  159. um eine Ad-hoc-Leistung, zumal sich das Nachlassen des Hörvermögens meist
  160. über einen längeren Zeitraum erstreckt. Patienten, die an einem plötzlich auftretenden Verlust oder einem starken Nachlassen des Hörvermögens (Hörsturz)
  161. leiden, werden einen Facharzt oder eine Krankenhaus-Ambulanz aufsuchen,
  162. nicht dagegen einen Hörgeräteakustiker. Vor diesem Hintergrund wird ein Verbraucher, der sich in das Ladenlokal der Beklagten begibt, um sich von einem
  163. Hörgeräteakustik-Meister untersuchen und beraten zu lassen, nicht getäuscht,
  164. wenn er erfährt, dass die von ihm nachgefragte Dienstleistung nicht sofort erbracht werden kann, weil der zuständige Hörgeräteakustik-Meister an diesem
  165. halben Arbeitstag in einem Schwesterunternehmen tätig und dort grundsätzlich
  166. unabkömmlich ist.
  167. -8-
  168. 14
  169. 3. Die vom Berufungsgericht hinsichtlich des Unterlassungsantrags zu a)
  170. getroffene Entscheidung erweist sich auch nicht deshalb als im Ergebnis richtig,
  171. weil der Anspruch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 4
  172. Nr. 11 UWG in Verbindung mit §§ 1, 7 HwO besteht.
  173. 15
  174. a) Die Vorschriften der Handwerksordnung stellen, soweit sie eine bestimmte Qualität, Sicherheit oder Unbedenklichkeit der hergestellten Waren
  175. oder angebotenen Dienstleistungen gewährleisten sollen, Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. OLG Frankfurt, GRUR 2005,
  176. 695; LG Arnsberg, WRP 2011, 937, 939; Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 4
  177. Rn. 11.79; v. Jagow in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 81; Fezer/Götting, UWG, 2. Aufl., § 4-11 Rn. 135; v. Walter, Rechtsbruch als unlauteres Marktverhalten, 2007, S. 211; Elskamp, Gesetzesverstoß und Wettbewerbsrecht, 2008, S. 162). Der Umstand, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, die keinen den § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG vergleichbaren Verbotstatbestand kennt, in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3 der Richtlinie) nach ihrem Artikel 4 eine vollständige Harmonisierung bezweckt, steht der
  178. Anwendung der nationalen Vorschriften im Streitfall nicht entgegen. Denn bei
  179. den hier in Rede stehenden §§ 1 und 7 HwO handelt es sich um Bestimmungen, die einerseits einen Sicherheits- und - jedenfalls bei Gesundheitshandwerken wie dem des Hörgeräteakustikers - Gesundheitsbezug im Sinne von Art. 3
  180. Abs. 3 und Erwägungsgrund 9 Satz 2 und 3 der Richtlinie 2005/29/EG aufweisen und andererseits auch berufsrechtliche Bestimmungen im Sinne von Art. 3
  181. Abs. 8 dieser Richtlinie darstellen (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 4
  182. Rn. 11.6a, 11.h und 11.k mwN).
  183. 16
  184. b) Bei Gesundheitshandwerken, bei denen eine unzureichende Handwerkstätigkeit weitreichende Folgen haben kann, ist allerdings - von ganz engen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. dazu VG Schleswig, GewArch 2000, 426,
  185. -9-
  186. 427) - für jede Betriebsstätte ständige Meisterpräsenz zu verlangen (vgl. Honig/
  187. Knörr, HwO, 4. Aufl., § 7 Rn. 39; Karsten in Schwannecke, HwO, 37. Lfg. III/06,
  188. § 7 Rn. 45; Detterbeck, HwO, 4. Aufl., § 7 Rn. 21; Wiemers, DVBl 2012, 942,
  189. 945, jeweils mwN). Der sich aus diesem Erfordernis ergebende Eingriff in die
  190. durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung ist
  191. im Hinblick auf die dadurch geschützten Gesundheitsinteressen der Bevölkerung gerechtfertigt.
  192. 17
  193. c) Aus dem Erfordernis der Meisterpräsenz folgt jedoch nicht, dass der
  194. Betreiber eines Hörgeräteakustik-Unternehmens sein Ladenlokal nur so lange
  195. offenhalten darf, wie ein Hörgeräteakustik-Meister in diesem anwesend ist oder
  196. jedenfalls kurzfristig erreicht werden kann. Ist das Geschäftslokal geöffnet, können - auch ohne Anwesenheit des Meisters - vom übrigen Personal Termine mit
  197. in das Ladenlokal kommenden Kunden vereinbart, Ersatz- und Verschleißteile
  198. wie etwa Batterien abgegeben und ähnliche Leistungen erbracht werden, bei
  199. denen eine Gefährdung der Gesundheit der Kunden ausgeschlossen ist. Insoweit dient ein solches Offenhalten sogar den gesundheitlichen Interessen der
  200. Kunden an einer - insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht - umfassenden Versorgung mit Hörgeräten. Die nicht ganz auszuschließende abstrakte Gefahr,
  201. dass ein Mitarbeiter dabei eine Dienstleistung erbringt, die dem Hörgeräteakustik-Meister vorbehalten ist, muss ins Verhältnis zu den zuvor erwähnten Vorteilen gesetzt werden, die sich für die Kunden aus der von der Klägerin beanstandeten Praxis der Beklagten etwa im Blick auf die erleichterte Vereinbarung von
  202. Untersuchungs- und Beratungsterminen und die Versorgung mit Batterien und
  203. sonstigen Ersatz- bzw. Verschleißteilen für Hörgeräte ergeben. Bei diesen Gegebenheiten stellte das von der Klägerin erstrebte Verbot eine im Blick auf die
  204. durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Berufsausübung
  205. nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Beklagten dar.
  206. - 10 -
  207. 18
  208. c) Dem Erfordernis der Meisterpräsenz wäre allerdings nicht genügt,
  209. wenn ein Meister nur ganz gelegentlich in dem fraglichen Betrieb zur Verfügung
  210. stünde, etwa weil er eine Vielzahl von Betrieben oder weit voneinander entfernt
  211. liegende Betriebe zu betreuen hätte. So verhält es sich im Streitfall aber nicht.
  212. Nach den getroffenen Feststellungen war der Hörgeräteakustik-Meister Tobias
  213. M. jeden Tag zur Hälfte im Betrieb der Beklagten in Dillingen und im Übrigen im
  214. Betrieb der Schwestergesellschaft in Günzburg tätig und dort ohne weiteres
  215. erreichbar. Unter diesen Umständen steht eine Gefährdung der Gesundheit der
  216. Kunden, die sich daraus ergeben könnte, dass der Meister neben dem Betrieb
  217. in Dillingen noch den Betrieb im benachbarten Günzburg zu betreuen hatte,
  218. nicht in Rede.
  219. 19
  220. 4. Aus diesen Gründen kann auch die Verurteilung der Beklagten gemäß
  221. den Unterlassungsanträgen zu b) und zu c) sowie zur Erstattung der Abmahnund Detekteikosten keinen Bestand haben.
  222. 20
  223. III. Nach allem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben, das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
  224. - 11 -
  225. 21
  226. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
  227. Bornkamm
  228. Büscher
  229. Kirchhoff
  230. Schaffert
  231. Löffler
  232. Vorinstanzen:
  233. LG Augsburg, Entscheidung vom 31.03.2011 - 1 HKO 3514/09 OLG München, Entscheidung vom 10.11.2011 - 29 U 1614/11 -