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23 KiB

  1. Schreibfehlerberichtigung
  2. vom 6. August 2010
  3. auf der letzten Seite
  4. Führinger
  5. Justizangestellte
  6. als Urkundsbeamtin
  7. der Geschäftsstelle
  8. BUNDESGERICHTSHOF
  9. IM NAMEN DES VOLKES
  10. URTEIL
  11. I ZR 182/08
  12. Verkündet am:
  13. 24. Juni 2010
  14. Bürk
  15. Justizhauptsekretärin
  16. als Urkundsbeamtin
  17. der Geschäftsstelle
  18. in dem Rechtsstreit
  19. Nachschlagewerk:
  20. ja
  21. BGHZ:
  22. nein
  23. BGHR:
  24. ja
  25. Brillenversorgung II
  26. UWG § 4 Nr. 1; BOÄ § 3 Abs. 2, § 34 Abs. 5
  27. Es stellt eine unangemessene unsachliche Einflussnahme auf die ärztliche Behandlungstätigkeit dar, wenn durch das Gewähren oder Inaussichtstellen eines
  28. finanziellen Vorteils darauf hingewirkt wird, dass Ärzte entgegen ihren Pflichten
  29. aus dem Behandlungsvertrag und dem Berufsrecht nicht allein anhand des Patienteninteresses entscheiden, ob sie einen Patienten an bestimmte Anbieter
  30. gesundheitlicher Leistungen verweisen.
  31. BGH, Urteil vom 24. Juni 2010 - I ZR 182/08 - OLG Stuttgart
  32. LG Stuttgart
  33. -2-
  34. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2010 durch die Richter Dr. Bergmann, Prof. Dr. Büscher,
  35. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
  36. für Recht erkannt:
  37. Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. Oktober 2008 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  38. Von Rechts wegen
  39. Tatbestand:
  40. 1
  41. Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.
  42. Sie wendet sich gegen eine Werbung der Beklagten für den Vertrieb ihrer Brillen durch Augenärzte.
  43. 2
  44. Die Beklagte stellt Augenärzten ihr E.
  45. das aus einem E.
  46. -System zur Verfügung,
  47. -Brillensortiment (in der Anfangsphase ca. 100, spä-
  48. ter ca. 40 Musterbrillengestelle) und einem E.
  49. -Computersystem zur
  50. individuellen Brillenanpassung besteht. Nach Eingabe der Patientendaten und
  51. Auswahl eines bestimmten Brillengestells in der Augenarztpraxis werden diese
  52. -3-
  53. Informationen an die Beklagte übermittelt. Bestellt der Patient bei der Beklagten
  54. eine Brille, erhält der Augenarzt eine Vergütung von 80 €, bei Mehrstärkenbrillen von 160 €.
  55. 3
  56. Die Klägerin hält das Verhalten der Beklagten für wettbewerbswidrig, weil
  57. es gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 34 Abs. 5 und § 3 Abs. 2 der inhaltlich
  58. übereinstimmenden Berufsordnungen der Landesärztekammern (BOÄ) und
  59. gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG verstoße. Sie wendet sich dabei gegen bestimmte
  60. Werbemaßnahmen der Beklagten gegenüber Augenärzten. Die Klägerin hat,
  61. soweit der Rechtsstreit in die Revisionsinstanz gelangt ist, beantragt,
  62. es der Beklagten zu untersagen, im Wettbewerb handelnd
  63. a) im Internet und/oder durch in Deutschland verbreitete Printwerbung gegenüber Augenärzten das E.
  64. -Brillensystem und/oder das E.
  65. System, durch welches die Augenärzte in die Lage versetzt werden, in ihrer
  66. Augenarztpraxis von der Beklagten hergestellte Fassungen und Gläser anzupassen und zu vertreiben, mit den Angaben zu bewerben,
  67. aa) es offeriere die computergestützte Brillenabgabe in der Augenarztpraxis
  68. und/oder
  69. bb) mit ihm sei eine Brillenwahl beim Augenarzt möglich und/oder
  70. cc) dieses optimiere Ihr Angebot für die Brille aus der Augenarztpraxis und/
  71. oder
  72. dd) noch nie sei es so einfach gewesen, computergestützt die Brillenwahl in
  73. der Augenarztpraxis durchzuführen und/oder
  74. ee) dieses System fände in jeder Augenarztpraxis Platz und/oder
  75. ff)
  76. es sei das Brillenwahl- und Anpassungssystem für die Augenarztpraxis
  77. und/oder
  78. gg) es könne ohne großen Aufwand als ideale Abrundung in das augenärztliche Leistungsprogramm integriert werden,
  79. wie dies in im Einzelnen bezeichneten Werbeunterlagen geschieht;
  80. b) Ärzten das in der Klageschrift abgebildete Faltblatt zur Weitergabe an Patienten zur Verfügung zu stellen, in dem für E.
  81. -Brillen und/oder eine
  82. Brillenanpassung mit dem E.
  83. -Computer geworben wird,
  84. -4-
  85. und/oder
  86. c) Augenärzten eine Musterkollektion von E.
  87. -Brillenfassungen und/
  88. oder des E.
  89. -Computers in deren Praxis zur Verfügung zu stellen zur
  90. Unterstützung des Verkaufs bzw. Vertriebs von E.
  91. -Brillen.
  92. 4
  93. Außerdem hat die Klägerin Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von
  94. 189 € begehrt.
  95. Die Anträge zu 1 a und b hat die Klägerin hilfsweise mit dem Zusatz ge-
  96. 5
  97. stellt,
  98. dass die angegriffenen Handlungen erfolgen, ohne die Augenärzte zugleich darauf hinzuweisen, dass sie aus standesrechtlichen Gründen an der Brillenabgabe
  99. im E.
  100. -System nur mitwirken dürfen, wenn sie wegen im Einzelfall vorliegender Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie ist bzw.
  101. dass das im Antrag zu 1b erwähnte Faltblatt Ärzten nur zur Weitergabe an Patienten zur Verfügung gestellt wird, wenn für eine Empfehlung von E.
  102. Brillen im Einzelfall ein hinreichender Grund besteht.
  103. 6
  104. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die
  105. Beklagte nach den Hauptanträgen verurteilt (OLG Stuttgart GRUR-RR 2008,
  106. 429 = WRP 2009, 2209). Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
  107. Entscheidungsgründe:
  108. 7
  109. I. Das Berufungsgericht hat einen Verstoß der Beklagten durch die beanstandeten Werbeschreiben und die Überlassung von Musterbrillen und Computersystem gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 34 Abs. 5 und § 3 Abs. 2 BOÄ
  110. -5-
  111. sowie gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG angenommen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
  112. 8
  113. Die Beklagte stifte mit den streitgegenständlichen Wettbewerbshandlungen die angesprochenen Ärzte zu einem berufswidrigen Verhalten an. Sie fordere die Augenärzte auf, das E.
  114. -System auch in Fällen einzusetzen, in
  115. denen dies gegen § 3 Abs. 2 BOÄ und § 34 Abs. 5 BOÄ verstoße. Trotz der im
  116. Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) gebotenen engen
  117. Auslegung des § 3 Abs. 2 BOÄ verstoße der Arzt in allen Fällen gegen diese
  118. Vorschrift, in denen er an der Beschaffung einer Brille mitwirke, ohne dass hierfür ein besonderer Grund vorliege. Die beanstandete Werbung ziele ferner auf
  119. ein nach § 34 Abs. 5 BOÄ berufswidriges Verhalten des Augenarztes, da die
  120. Anpassung und Beschaffung von Brillen, namentlich Standardbrillen, regelmäßig keinen unmittelbaren medizinischen Zusammenhang aufweise. Um möglichst viele Aufträge zu erlangen, nehme die Beklagte billigend in Kauf, dass der
  121. mit ihr zusammenarbeitende Arzt ihr Computersystem auch und sogar überwiegend in Fällen verwende, in denen es hierfür keinen nach § 34 Abs. 5 BOÄ tragenden Grund gebe oder er gegen § 3 Abs. 2 BOÄ verstieße. Dafür spreche
  122. schon die als Erfolgshonorar ausgestaltete Vermittlungsgebühr für den Arzt.
  123. Auch der Inhalt des beanstandeten Faltblatts zeige, dass es der Beklagten darum gehe, mit ihrem Vertriebssystem gerade in einfach gelagerten Fällen den
  124. traditionellen Versorgungsweg über den Optiker zu ersetzen. Das Faltblatt solle
  125. die Patienten dazu veranlassen, ihren Augenarzt auf den Bezug einer Brille von
  126. der Beklagten anzusprechen. Diese Werbung sei geeignet und ersichtlich dazu
  127. bestimmt, Verbraucher zu erreichen, bei denen kein sachlicher Grund für eine
  128. Verweisung durch den Arzt an die Beklagte gegeben sei. Die Beklagte wolle
  129. den Arzt mit technischen Vorgaben faktisch an sich binden und beeinträchtige
  130. so andere Leistungsanbieter.
  131. -6-
  132. 9
  133. Daneben liege auch eine Anstiftung zu einem nach §§ 3, 4 Nr. 1 UWG
  134. unlauteren Verhalten vor. Der Durchschnittspatient sehe sich unangemessenem Druck ausgesetzt, wenn er von seinem Augenarzt im Zusammenhang mit
  135. einer Untersuchung oder Behandlung darauf angesprochen werde, dass dieser
  136. ihm eine neue Brille mit dem System der Beklagten beschaffen könne. Die Patienten seien etwa bei künftigen Terminvergaben für sich und ihre Familienangehörigen auf das Wohlwollen des Arztes angewiesen oder wüssten sich ihm
  137. dankbar verbunden, so dass sie ihn nicht enttäuschen wollten.
  138. 10
  139. Die Bereitstellung des E.
  140. -Computers und des Musterkoffers bin-
  141. de den Augenarzt bei Brillenbestellungen an die Beklagte und beschränke dadurch seine Entscheidungsfreiheit.
  142. 11
  143. II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
  144. im Ergebnis keinen Erfolg. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Klägerin die geltend gemachten Unterlassungsansprüche schon deshalb zustehen,
  145. weil die Beklagte die von ihrer Werbung angesprochenen Augenärzte zu einem
  146. berufsrechtswidrigen Verhalten anstiftet (§ 4 Nr. 11 UWG). Denn die Werbung
  147. der Beklagten ist geeignet, die Entscheidungsfreiheit der Augenärzte durch unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen (§§ 3, 4 Nr. 1 UWG).
  148. 12
  149. 1. Auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch sind die Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung anzuwenden. Der im Streitfall auf
  150. Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch besteht allerdings nur,
  151. wenn das beanstandete Verhalten auch schon zum Zeitpunkt seiner Begehung
  152. wettbewerbswidrig war (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2005 - I ZR 96/02,
  153. GRUR 2005, 442 = WRP 2005, 474 - Direkt ab Werk; Urt. v. 28.6.2007
  154. - I ZR 153/04, GRUR 2008, 186 Tz. 17 = WRP 2008, 220 - Telefonaktion). Das
  155. -7-
  156. von der Klägerin beanstandete Verhalten der Beklagten fällt in die Zeit nach
  157. Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004
  158. (BGBl. I S. 1414, im Folgenden: UWG 2004). Der Unterlassungsanspruch setzt
  159. daher voraus, dass das beanstandete Verhalten auch auf der Grundlage des
  160. UWG 2004 wettbewerbswidrig war. Die im Streitfall maßgeblichen Vorschriften
  161. der §§ 3, 4 Nr. 1, § 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 UWG sind jedoch nicht in für die Entscheidung erheblicher Weise geändert worden.
  162. 13
  163. 2. Die beanstandeten Werbemaßnahmen stellen sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt als
  164. unlauter dar, dass die von der Werbung angesprochenen Augenärzte dazu verleitet werden, auf die Entscheidungsfreiheit ihrer Patienten einen unangemessenen unsachlichen Einfluss auszuüben. Die vom Berufungsgericht angeführten möglichen Erwägungen der Patienten, den Arzt nicht enttäuschen oder ihn
  165. - etwa für künftige Terminvergaben - wohlwollend stimmen zu wollen, stellen
  166. keine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Patienten infolge unangemessener unsachlicher Einflussnahme i.S. des § 4 Nr. 1 UWG dar. Die
  167. Grenze zur Unlauterkeit ist nach § 4 Nr. 1 UWG erst dann überschritten, wenn
  168. eine geschäftliche Handlung geeignet ist, die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Marktteilnehmer vollständig in den Hintergrund
  169. treten zu lassen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 8.11.2007 - I ZR 60/05, GRUR
  170. 2008, 530 Tz. 13 = WRP 2008, 777 - Nachlass bei der Selbstbeteiligung,
  171. m.w.N.). Nach geltendem Recht, das im Hinblick auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch zu berücksichtigen ist, liegt eine Beeinträchtigung
  172. der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers i.S. des § 4 Nr. 1 UWG zudem nur
  173. dann vor, wenn der Handelnde diese Freiheit durch Belästigung oder durch unzulässige Beeinflussung i.S. des Art. 2 lit. j der Richtlinie 2005/29/EG erheblich
  174. beeinträchtigt (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2009 - I ZR 180/07, GRUR 2010, 455
  175. Tz. 17 = WRP 2010, 746 - Stumme Verkäufer II, m.w.N.). Die Einwirkung des
  176. -8-
  177. Arztes auf die Patienten erreicht im Streitfall nicht dieses für einen Verstoß gegen § 4 Nr. 1 UWG erforderliche Maß.
  178. 14
  179. 3. Die streitgegenständliche Werbung verstößt jedoch deshalb gegen
  180. §§ 3, 4 Nr. 1 UWG, weil sie geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit der angesprochenen Augenärzte unangemessen unsachlich zu beeinflussen.
  181. 15
  182. a) Der Streitfall ist auch insoweit unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen § 4 Nr. 1 UWG zu prüfen. Die rechtliche Würdigung des
  183. vorgetragenen Tatsachenstoffs obliegt allein dem Gericht (vgl. BGH, Urt. v.
  184. 2.6.2005 - I ZR 252/02, GRUR 2006, 184 Tz. 17 = WRP 2006, 84 - Aktivierungskosten II).
  185. 16
  186. b) Die beanstandete Werbung der Beklagten für ihr Brillenabgabesystem
  187. verstößt gegen § 4 Nr. 1 UWG, weil die Beklagte nach den nicht erfahrungswidrigen Feststellungen des Berufungsgerichts durch das Inaussichtstellen einer
  188. zusätzlichen Verdienstmöglichkeit in Höhe von 80 € (bei Mehrstärkenbrillen von
  189. 160 €) je vermittelter Brille einen erheblichen Anreiz setzt, dass Augenärzte entgegen ihren Pflichten aus dem Behandlungsvertrag und dem Berufsrecht nicht
  190. allein anhand des Patienteninteresses entscheiden, ob sie einen Patienten an
  191. bestimmte Anbieter gesundheitlicher Leistungen verweisen (verkürzter Versorgungsweg). Darin liegt eine unsachliche unangemessene Einflussnahme auf
  192. die Behandlungstätigkeit des Arztes.
  193. 17
  194. aa) Haben Marktteilnehmer bei ihren geschäftlichen Entscheidungen
  195. (auch) die Interessen Dritter zu wahren, so ist eine unangemessene unsachliche Einflussnahme i.S. von § 4 Nr. 1 UWG gegeben, wenn sie durch die Gewährung oder das Inaussichtstellen eines finanziellen Vorteils dazu veranlasst
  196. werden können, diese Interessenwahrungspflicht zu verletzen (vgl. BGH, Urt. v.
  197. -9-
  198. 21.4.2005 - I ZR 201/02, GRUR 1059, 1060 f. = WRP 2005, 1508 - Quersubventionierung von Laborgemeinschaften I; BGH GRUR 2008, 530 Tz. 14
  199. - Nachlass bei der Selbstbeteiligung).
  200. 18
  201. bb) Das Berufungsgericht hat durch Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil festgestellt, dass der Augenarzt 80 € (bei Mehrstärkenbrillen 160 €)
  202. für jede Brillenbestellung bei der Beklagten erhält. Die Annahme des Berufungsgerichts, eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit in dieser Höhe reiche aus,
  203. die Augenärzte in ihrem Verhalten gegenüber den Patienten zu beeinflussen, ist
  204. aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Jedenfalls unter Berücksichtigung
  205. des Umstandes, dass es aufgrund ständiger Zusammenarbeit zu wiederholten
  206. Verweisungen kommen wird, handelt es sich dabei um auch für eine Arztpraxis
  207. nicht unerhebliche Beträge. Die Ärzte werden durch diesen Anreiz sowie die
  208. Werbung der Beklagten für ihr E.
  209. -Konzept dazu veranlasst, ihre Pati-
  210. enten regelmäßig auf den verkürzten Versorgungsweg über die Beklagte hinzuweisen.
  211. 19
  212. Die von der Beklagten angebotene Vergütung ist, wovon das Berufungsgericht ebenfalls rechtfehlerfrei ausgegangen ist, für die Augenärzte besonders
  213. in einfach gelagerten Fällen attraktiv. Nach der Lebenserfahrung ist daher davon auszugehen, dass die in das Geschäftsmodell der Beklagten einbezogenen
  214. Augenärzte auch ohne eine entsprechende vertragliche Verpflichtung ihren Patienten die Brillenlieferung durch die Beklagte zumindest als Alternative zum
  215. herkömmlichen Bezug im örtlichen Optikerfachgeschäft anbieten werden. Dafür
  216. sprechen neben den mit dem E.
  217. -Konzept verbundenen zusätzlichen
  218. Verdienstmöglichkeiten des Arztes auch die für den verkürzten Versorgungsweg in der Arztpraxis bereitgehaltenen Einrichtungen, Bestellzettel und Faltblätter, die von der Beklagten zur Verfügung gestellt werden. Die Beklagte bewirbt
  219. ausweislich der dem Berufungsurteil als Anlagen 1 und 2 beigefügten Werbung
  220. - 10 -
  221. ihr Konzept der computergestützten Brillenwahl beim Augenarzt als "ideale Abrundung des Leistungsprogramms in der Praxis", und zwar - gemäß dem als
  222. Anlage 3 dem Berufungsurteil beigefügten Faltblatt ohne jede Einschränkung ganz allgemein "für Damen, Herren und Kinder", also für alle Patienten. Es ist
  223. anzunehmen, dass zumindest ein erheblicher Teil der Augenärzte, die sich zu
  224. einer Zusammenarbeit mit der Beklagten entschließen, das E.
  225. -System
  226. in diesem von der Werbung propagierten weiten Umfang nutzen wird. Abweichendes macht auch die Beklagte nicht geltend. Nach ihrem von der Revision in
  227. Bezug genommenen Vortrag wird der Patient bei den mit der Beklagten zusammenarbeitenden Ärzten über den verkürzten Versorgungsweg aufgeklärt.
  228. Dass diese Aufklärung nur in bestimmten Fällen erfolgt, hat die Beklagte nicht
  229. vorgetragen.
  230. 20
  231. cc) Ist naheliegende Folge des E.
  232. -Konzepts, dass die Ärzte ihre
  233. Patienten regelmäßig auf den verkürzten Versorgungsweg über die Beklagte
  234. hinweisen, so sind infolgedessen auch Verstöße gegen das ärztliche Berufsrecht zu erwarten.
  235. 21
  236. (1) Nach § 34 Abs. 5 BOÄ dürfen Ärzte ihre Patienten nicht ohne hinreichenden Grund an bestimmte Anbieter gesundheitlicher Leistungen, zu denen
  237. auch Optiker gehören, verweisen. Zweck dieser Bestimmung ist es, die unbeeinflusste Wahlfreiheit der Patienten unter den Anbietern gesundheitlicher Leistungen zu gewährleisten. Weist ein Augenarzt seine Patienten regelmäßig
  238. - also auch dann, wenn dafür kein besonderer Grund besteht - auf den verkürzten Versorgungsweg hin, verstößt er gegen diese Vorschrift. Auch bei der im
  239. Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) gebotenen weiten
  240. Auslegung des "hinreichenden Grundes" i.S. von § 34 Abs. 5 BOÄ ist die generelle Verweisung an einen bestimmten Optiker mit dieser Vorschrift unvereinbar.
  241. Vielmehr lässt sie eine solche Verweisung nur im Ausnahmefall zu (BGH, Urt. v.
  242. - 11 -
  243. 9.7.2009
  244. - I ZR 13/07,
  245. GRUR
  246. 2009,
  247. 977
  248. Tz. 24
  249. =
  250. WRP 2009,
  251. 1076
  252. - Brillenversorgung I).
  253. 22
  254. (2) Nach der zumindest auch das Patienteninteresse schützenden Vorschrift des § 3 Abs. 2 BOÄ ist es Ärzten untersagt, im Zusammenhang mit der
  255. Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit Waren und andere Gegenstände abzugeben oder unter ihrer Mitwirkung abgeben zu lassen sowie gewerbliche
  256. Dienstleistungen zu erbringen oder erbringen zu lassen, soweit nicht die Abgabe des Produkts oder die Dienstleistung wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie sind. Auch gegen diese Vorschrift verstößt ein Augenarzt, wenn er seine Patienten regelmäßig auf die Möglichkeit
  257. der Brillenversorgung im verkürzten Versorgungsweg hinweist.
  258. 23
  259. Die Brillenanpassung und die Abgabe der Brille gehören regelmäßig nicht
  260. ohne weiteres zu den notwendigen Bestandteilen augenärztlicher Therapie. Die
  261. Rechtsprechung zur Zulässigkeit des verkürzten Versorgungswegs bei Hörgeräten lässt sich daher nicht auf die Brillenversorgung übertragen (BGH GRUR
  262. 2009, 977 Tz. 31 - Brillenversorgung I). Nach den für die Senatsentscheidungen
  263. zur Versorgung mit Hörgeräten maßgeblichen Feststellungen war der HNO-Arzt
  264. ohnehin in den Prozess der Abgabe und Anpassung der Hörhilfe eingebunden
  265. (vgl. BGH, Urt. v. 29.6.2000 - I ZR 59/98, GRUR 2000, 1080, 1081 = WRP
  266. 2000, 1121 - Verkürzter Versorgungsweg; Urt. v. 15.11.2001 - I ZR 275/99,
  267. GRUR 2002, 271, 272 = WRP 2002, 211 - Hörgeräteversorgung). Eine entsprechende Aufgabe hat der Augenarzt bei der Abgabe und Anpassung von
  268. Brillen nicht.
  269. 24
  270. Weiterhin ist geklärt, dass die Abgabe und Anpassung einer Brille typische Leistungen des Optikerhandwerks sind, die unabhängig davon gewerbliche Dienstleistungen nach § 3 Abs. 2 BOÄ darstellen, ob der Arzt hierfür vom
  271. - 12 -
  272. Optiker eine Vergütung erhält oder nicht (BGH GRUR 2009, 977 Tz. 28
  273. - Brillenversorgung I). Ebenso hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden,
  274. dass die Vermeidung erneuter Sehschärfenmessungen durch Optiker weder
  275. einen hinreichenden Grund für eine Verweisung gemäß § 34 Abs. 5 BOÄ darstellt noch als notwendiger Bestandteil ärztlicher Therapie betrachtet werden
  276. kann (BGH GRUR 2009, 977 Tz. 23 f., 33 - Brillenversorgung I).
  277. 25
  278. dd) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, dass es in der Entscheidung "Verkürzter Versorgungsweg" (BGH GRUR 2000, 1080) als zulässig angesehen worden ist, Ohrenärzten durch die Zusammenarbeit mit einem Lieferanten von Hörgeräten zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen. Dafür
  279. war maßgeblich, dass es sich um eine angemessene Vergütung für eine erlaubte ärztliche Tätigkeit handelte. Im Gegensatz dazu setzt die Beklagte im Streitfall einen Anreiz dafür, dass die Augenärzte den Brillenbezug bei ihr auch unter
  280. Verletzung berufsrechtlicher Pflichten und unabhängig von bei den Patienten
  281. dafür bestehenden Gründen vorschlagen.
  282. 26
  283. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Vermittlungspauschale als eine
  284. der Höhe nach angemessene Entschädigung für den Aufwand angesehen werden kann, der durch die Mitwirkung des Arztes oder seines Personals bei der
  285. Aufnahme, Eingabe und Weitergabe der für die Brille erforderlichen Werte oder
  286. der Auswahl des Brillengestells entsteht. Auch wenn dies der Fall wäre, änderte
  287. sich nichts an der Beurteilung des gegen die Interessenwahrungspflicht des
  288. Arztes verstoßenden Verhaltens als unzulässig.
  289. 27
  290. ee) Der Klägerin können die geltend gemachten Unterlassungsansprüche
  291. auf der Grundlage von § 4 Nr. 1 UWG zugesprochen werden, auch wenn die
  292. Anträge nach Rücknahme des Klageantrags zu 1 e nicht mehr ausdrücklich auf
  293. die Zahlung einer Vergütung von 80 € (bzw. 160 €) für jede vermittelte Brille
  294. - 13 -
  295. Bezug nehmen. Durch diese teilweise Klagerücknahme hat sich der von der
  296. Klägerin vorgetragene Lebenssachverhalt, der zur Auslegung ihrer Klageanträge heranzuziehen ist, nicht verändert. Er ist nach wie vor dadurch geprägt, dass
  297. den Augenärzten für die erfolgreiche Vermittlung einer Brillenlieferung eine attraktive Vergütung in Aussicht gestellt wird. Die Bezahlung des Arztes gehört
  298. zum Kern des von der Beklagten beworbenen Systems.
  299. 28
  300. (1) Die im Klageantrag zu 1 a enthaltene Bezugnahme auf "das E.
  301. -Brillensystem
  302. und/oder
  303. das
  304. E.
  305. -System"
  306. umfasst
  307. die
  308. konkret
  309. angebotene Vermittlungsvergütung. Im Zusammenhang mit ihr sind die mit dem
  310. Klageantrag zu 1 a beanstandeten Werbeaussagen schon je für sich unlauter,
  311. weil sie die Ärzte auch dann dazu veranlassen, Patienten den Brillenbezug bei
  312. der Beklagten anzubieten, wenn dies berufsrechtlich unzulässig ist. Es wäre
  313. dagegen nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte ihre Werbung so gestaltet,
  314. dass sie sich aus Sicht der Ärzte für die Lieferung von Brillen im verkürzten
  315. Versorgungsweg eindeutig nur in solchen Fällen anbietet, in denen dafür ein
  316. hinreichender Grund nach § 34 Abs. 5 BOÄ besteht und die etwaige Mitwirkung
  317. des Arztes bei der Brillenabgabe und -anpassung notwendiger Bestandteil ärztlicher Therapie nach § 3 Abs. 2 BOÄ ist.
  318. 29
  319. (2) Entsprechendes gilt für die Klageanträge zu 1 b und c, mit denen sich
  320. die Klägerin gegen die Überlassung des zur Weitergabe an Patienten bestimmten Faltblatts (Anlage 5 zum Berufungsurteil) und der Musterkollektion von Brillenfassungen wendet. Auch die Bereitstellung von Faltblatt und Musterkoffer
  321. lässt die notwendige Zweckbeschränkung ihrer Verwendung auf Fälle, in denen
  322. eine Verweisung an die Beklagte und die vorgesehene Mitwirkung des Arztes
  323. berufsrechtlich unbedenklich sind, nicht erkennen. Sie sind jeweils Teil des
  324. durch das Angebot der Vermittlungsvergütung geprägten E.
  325. -Systems.
  326. - 14 -
  327. 30
  328. 4. Da der Klägerin die geltend gemachten Unterlassungsansprüche zustehen, kann sie auch ihre Abmahnkosten ersetzt verlangen.
  329. 31
  330. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
  331. Bergmann
  332. Büscher
  333. Kirchhoff
  334. Schaffert
  335. Koch
  336. Vorinstanzen:
  337. LG Stuttgart, Entscheidung vom 28.12.2007 - 38 O 105/06 KfH OLG Stuttgart, Entscheidung vom 30.10.2008 - 2 U 25/08 -
  338. I ZR 182/08
  339. Schreibfehlerberichtigung
  340. Das Urteil vom 24. Juni 2010 wird wie folgt berichtigt:
  341. - Das Zitat in Tz. 15 a.E. lautet: (vgl. BGH Urt. v. 2.6.2005 - I ZR 252/02,
  342. GRUR 2006, 164 Tz. 17 = WRP 2006, 84 - Aktivierungskosten II)
  343. - Das Zitat in Tz. 17 a.E. lautet: (vgl. BGH, Urt. v. 21.4.2005 - I ZR 201/02,
  344. GRUR 2005, 1059, 1060 f. = WRP 2005, 1508 - Quersubventionierung von
  345. Laborgemeinschaften I; BGH GRUR 2008, 530 Tz. 14 - Nachlass bei der
  346. Selbstbeteiligung).
  347. Karlsruhe, den 6. August 2010
  348. Bundesgerichtshof
  349. Geschäftsstelle des I. Zivilsenats
  350. Führinger, Justizangestellte