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167 lines
8.9 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. I ZR 146/00
  5. Verkündet am:
  6. 13. März 2003
  7. Walz
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann
  14. und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und
  15. Dr. Schaffert
  16. für Recht erkannt:
  17. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats
  18. des Oberlandesgerichts Köln vom 26. Mai 2000 aufgehoben.
  19. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 4. Kammer für
  20. Handelssachen des Landgerichts Köln vom 16. Dezember 1999
  21. abgeändert.
  22. Die Klage wird abgewiesen.
  23. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  24. Von Rechts wegen
  25. -3-
  26. Tatbestand:
  27. Die Beklagte betreibt einen Handel mit Kraftfahrzeugen. Sie bewarb am
  28. 1. September 1998 einen gebrauchten Pkw mit der nachfolgend wiedergegebenen Anzeige:
  29. Der klagende Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe hält die
  30. Werbung für wettbewerbsrechtlich unzulässig, weil die in Aussicht gestellte
  31. Preisreduzierung geeignet sei, den Kunden unsachlich zu beeinflussen. Er
  32. nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.
  33. -4-
  34. Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat die Auffassung vertreten,
  35. die in der Anzeige enthaltene Preisgegenüberstellung sei seit der Abschaffung
  36. des früheren § 6e UWG erlaubt. Nach dem zugrundezulegenden gewandelten
  37. Verbraucherleitbild und vor dem Hintergrund, daß gleichartige Verkaufsaktionen
  38. auch von anderen Händlern durchgeführt würden, könne eine unsachliche Beeinflussung des angesprochenen Verkehrs durch die angegriffene Werbemethode nicht mehr angenommen werden.
  39. Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt,
  40. 1. es (unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel) zu unterlassen,
  41. in der an den Endverbraucher gerichteten Werbung, wie nachstehend wiedergegeben, beim Angebot eines Kraftfahrzeuges
  42. anzukündigen:
  43. "Autoversteigerung
  44. Dieses Auto kommt unter den 'Hammer'. In jeder Woche, in
  45. der das Auto nicht verkauft wird, fällt der Preis um 300,- DM.
  46. Aber warten sollten Sie nicht zu lange." (Es folgt die oben
  47. wiedergegebene Anzeige),
  48. 2. an den Kläger 250,56 DM nebst Zinsen zu zahlen.
  49. Die dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben (OLG Köln VRS
  50. 101 [2001], 415).
  51. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die
  52. Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
  53. -5-
  54. Entscheidungsgründe:
  55. I. Das Berufungsgericht hat in der angegriffenen Anzeige wegen der in
  56. ihr enthaltenen Verbindung von aleatorischen Elementen mit solchen der Wertreklame einen Verstoß gegen § 1 UWG erblickt. Dazu hat es ausgeführt:
  57. Der Bundesgerichtshof habe in seiner Entscheidung "Umgekehrte Versteigerung I" (Urt. v. 20.3.1986 - I ZR 228/83, GRUR 1986, 622 = WRP 1986,
  58. 381), der ein weitgehend gleichgelagerter Fall zugrunde gelegen habe, überzeugend dargelegt, daß der Kunde ohne echte Gegenleistung eine durch bloßes Zuwarten erspielbare Vorteilszuwendung (Preisreduzierung) erhalte und
  59. daß dieses System schließlich zu Kaufentschlüssen führen könne, die nicht auf
  60. sachlichen Überlegungen beruhten. Im Falle der Zulässigkeit der angegriffenen
  61. Werbung drohe zudem die "Verwilderung der Wettbewerbssitten" durch unseriöse Nachahmer, die zunächst überhöhte Preise ("Mondpreise") verlangen
  62. und/oder bei Unterschreiten der Gewinnschwelle die Aktion abbrechen könnten.
  63. Die von der Beklagten angeführte angebliche Veränderung des Verbraucherleitbildes gebe keinen Anlaß zu einer abweichenden Beurteilung, da auch der
  64. durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Verbraucher den
  65. dargestellten Gefährdungen ausgesetzt sei.
  66. II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
  67. Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung
  68. der Klage. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts verstößt die angegriffene Werbung der Beklagten nicht gegen § 1 UWG.
  69. -6-
  70. 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist im rechtlichen
  71. Ansatz davon auszugehen, daß weder der Einsatz von Wertreklameelementen
  72. im Rahmen einer Werbeanzeige noch der hiervon möglicherweise ausgehende
  73. sogenannte aleatorische Reiz für sich allein ausreichen, um eine Werbemaßnahme als unlauter i.S. von § 1 UWG erscheinen zu lassen. Es müssen vielmehr zusätzliche besondere Umstände vorliegen, die den Vorwurf der Sittenwidrigkeit i.S. von § 1 UWG rechtfertigen (vgl. BGH, Urt. v. 17.2.2000
  74. - I ZR 239/97, GRUR 2000, 820, 821 = WRP 2000, 724 - Space Fidelity PeepShow). Wettbewerbswidrig ist die Werbung erst dann, wenn der Einsatz aleatorischer Reize dazu führt, die freie Entschließung der angesprochenen Verkehrskreise so nachhaltig zu beeinflussen, daß ein Kaufentschluß nicht mehr
  75. durch sachliche Gesichtspunkte, sondern maßgeblich durch das Streben nach
  76. der in Aussicht gestellten Gewinnchance bestimmt wird (vgl. BGH, Urt. v.
  77. 29.6.1989 - I ZR 180/87, GRUR 1989, 757 = WRP 1989, 799 - McBacon; Urt. v.
  78. 5.2.1998 - I ZR 151/95, GRUR 1998, 735, 736 = WRP 1998, 724 - Rubbelaktion; BGH GRUR 2000, 820, 821 - Space Fidelity Peep-Show).
  79. 2. Die Revision rügt mit Erfolg, daß das Berufungsgericht in der beanstandeten Werbung einen Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG gesehen hat.
  80. a) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung allerdings mit Recht zugrunde gelegt, daß die in Rede stehende Werbeanzeige aleatorische Elemente enthält. Diese liegen darin, daß bei
  81. der angekündigten "umgekehrten Versteigerung" des gebrauchten Kraftfahrzeugs der Kaufpreis in zuvor bestimmten zeitlichen Abständen um einen ebenfalls vorher bestimmten Betrag sinkt und der Zuschlag demjenigen erteilt wird,
  82. der zuerst den aktuellen Preis akzeptiert. Im Streitfall bedeutet dies eine Verbilligung des Kaufpreises um 300 DM wöchentlich, so daß der von der Anzeige
  83. -7-
  84. ausgehende Anreiz zur näheren Befassung mit dem Angebot der Beklagten mit
  85. jeder ablaufenden Woche stärker wird und mit dem wöchentlichen Anstieg der
  86. "Gewinn"-Chance eine steigende suggestive Wirkung auf den Leser ausübt.
  87. b) Der Annahme des Berufungsgerichts, durch die angegriffene Werbung
  88. werde die freie Entschließung der angesprochenen Verkehrskreise so nachhaltig beeinflußt, daß ein Kaufentschluß nicht mehr von sachlichen Gesichtspunkten, sondern maßgeblich von dem Streben nach der in Aussicht gestellten Gewinnchance bestimmt werde, kann nicht beigetreten werden.
  89. Soweit sich aus dem vom Berufungsgericht angeführten Senatsurteil
  90. vom 20. März 1986 (I ZR 228/83, GRUR 1986, 622 = WRP 1986, 381 - Umgekehrte Versteigerung I) etwas anderes ergeben sollte, wird daran nicht festgehalten.
  91. Der Annahme einer unsachlichen Beeinflussung des Kaufentschlusses
  92. durch die beworbene wöchentliche Preisreduzierung steht vor allem entgegen,
  93. daß die Anschaffungskosten für den angebotenen Gebrauchtwagen eine beträchtliche Investition darstellen. Der angesprochene durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame und verständige Verbraucher, der sich
  94. mit dem Erwerb des beworbenen Pkws befaßt, wird von dem Angebot erfahrungsgemäß nur nach reiflicher Überlegung und Prüfung von Vergleichsangeboten, die im allgemeinen in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen und
  95. unschwer zugänglich sind, Gebrauch machen (vgl. BGH, Urt. v. 26.3.1998
  96. - I ZR 222/95, GRUR 1999, 256, 257 = WRP 1998, 857 - 1.000,-- DM UmweltBonus).
  97. -8-
  98. Die bloße Befürchtung eines potentiellen Kunden, daß ein anderer Kaufinteressent ihm bei einem weiteren Abwarten mit der Kaufentscheidung zuvor
  99. kommen könnte, gehört zum Wesen des Angebots eines bestimmten Gegenstandes.
  100. Der Gewerbetreibende ist im übrigen in seiner Preisgestaltung grundsätzlich frei. Er kann seine allgemein angekündigten Preise zu jedem ihm sinnvoll erscheinenden Zeitpunkt nach Belieben erhöhen oder senken, sofern nicht
  101. Preisvorschriften entgegenstehen oder unlautere Begleitumstände, wie beispielsweise das systematische Herauf- und Heruntersetzen von Preisen zur
  102. Verschleierung von "Mondpreisen" (Preisschaukelei), gegeben sind (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 3 UWG Rdn. 292 f.; Piper in:
  103. Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl., § 1 Rdn. 280). Dabei spielt es keine Rolle, ob der
  104. jeweils geforderte Preis einem objektiven Marktwert entspricht.
  105. c) Die angegriffene Werbemethode ist als solche nicht unlauter. Es sind
  106. keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß sie in ihrer Häufung zu schädlichen,
  107. rechtlich zu mißbilligenden Auswüchsen im Wettbewerb führen könnte und
  108. deshalb vorbeugend unterbunden werden müßte.
  109. d) Ein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten steht dem Kläger mangels
  110. Begründetheit des Unterlassungsbegehrens ebenfalls nicht zu.
  111. -9-
  112. III. Danach war auf die Revision der Beklagten das angefochtene Urteil
  113. aufzuheben, auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
  114. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
  115. Ullmann
  116. v. Ungern-Sternberg
  117. Pokrant
  118. Bornkamm
  119. Schaffert