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558 lines
26 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. EnVR 52/09
  4. Verkündet am:
  5. 5. Oktober 2010
  6. Bürk
  7. Justizhauptsekretärin
  8. als Urkundsbeamtin
  9. der Geschäftsstelle
  10. in dem energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren
  11. Nachschlagewerk:
  12. ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. nein
  17. GABi Gas
  18. EnWG § 75 Abs. 2
  19. Ein Gasversorgungsunternehmen, das in dem vor der Bundesnetzagentur
  20. geführten Verfahren zur Festlegung neuer Rahmenbedingungen für
  21. Ausgleichsleistungen im Gassektor keinen Beiladungsantrag gestellt hat, ist im
  22. gerichtlichen Verfahren nicht beschwerdebefugt.
  23. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - EnVR 52/09 - OLG Düsseldorf
  24. -2-
  25. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2010 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
  26. Prof. Dr. Tolksdorf und die Richter Dr. Raum, Dr. Strohn, Dr. Kirchhoff und
  27. Dr. Grüneberg
  28. beschlossen:
  29. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats
  30. des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. September 2009 wird
  31. zurückgewiesen.
  32. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens
  33. und
  34. die
  35. der
  36. Bundesnetzagentur
  37. entstandenen
  38. notwendigen Auslagen.
  39. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
  40. auf 15 Mio. € festgesetzt.
  41. Gründe:
  42. I.
  43. Die Beschwerdeführerin ist ein Gasversorgungsunternehmen. Sie belie-
  44. 1
  45. fert
  46. hauptsächlich
  47. Großkunden
  48. mit
  49. Erdgas.
  50. Als
  51. Transportkundin
  52. Gasnetzbetreibern ist sie teilweise Bilanzkreisverantwortliche.
  53. von
  54. -3-
  55. 2
  56. Die Bundesnetzagentur hatte im Februar 2008 ein Verfahren zur Festlegung neuer Rahmenbedingungen für Ausgleichsleistungen im Gassektor
  57. eingeleitet und dies in ihrem Amtsblatt sowie im Internet veröffentlicht. Im Verlauf dieses Verfahrens, in dem die Bundesnetzagentur ihre Vorstellungen zu
  58. einem Grundmodell im Internet zur Stellungnahme veröffentlichte, äußerte sich
  59. auch die Beschwerdeführerin. Am 28. Mai 2008 erließ die Bundesnetzagentur
  60. die verfahrensgegenständlichen Festlegungen, die zum Beginn des Gaswirtschaftsjahres 2008/2009 am 1. Oktober 2008 in Kraft traten (GABi Gas). Der
  61. Tenor der Verfügung hatte folgenden Inhalt:
  62. 1. Die Bilanzkreisnetzbetreiber sind mit Wirkung zum 1.10.2008 verpflichtet, in
  63. abgeschlossene sowie in neu abzuschließende Bilanzkreisverträge die in
  64. Anlage 1 ("Standardbilanzkreisvertrag Gas") festgelegten Regelungen aufzunehmen.
  65. Hinweis: Die Sonderregelungen für die Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz (Teil 11a GasNZV) bleiben hiervon unberührt.
  66. 2. Der Prozentsatz der Toleranzgrenze wird ab dem 1.10.2008 abweichend
  67. von § 30 Abs. 1 GasNZV auf 0 % festgelegt.
  68. 3. Die Bilanzkreisnetzbetreiber sind verpflichtet, die folgenden Informationen
  69. in einem für die elektronische Weiterverarbeitung durch Standardsoftware
  70. nutzbaren Format im Internet zu veröffentlichen:
  71. a) die täglich aktualisierten Ausgleichsenergiepreise einschließlich der als
  72. Basis für die Preisbildung dienenden Referenzpreise für den jeweiligen
  73. Gastag und zumindest für die letzten zwölf Monate;
  74. b) im Falle der Erhebung von variablen Strukturierungsbeiträgen die für
  75. die verschiedenen Stunden eines Gastages festgesetzten Höhen der
  76. -4-
  77. Strukturierungsbeiträge getrennt nach Über- und Unterspeisungen einschließlich einer Begründung der festgesetzten Höhen;
  78. c) Informationen zu Umfang und Preis der eingesetzten Regelenergie, für
  79. externe Regelenergie unterschieden nach Dienstleistungen zur untertägigen Strukturierung und der Beschaffung oder Veräußerung von
  80. Gasmengen. Diese Informationen sind möglichst am Folgetag des Einsatzes der Regelenergie und mindestens für die letzten zwölf Monate
  81. zu veröffentlichen. Außerdem ist zu veröffentlichen, welcher Anteil der
  82. externen Regelenergie aufgrund lokaler oder räumlich begrenzter Ungleichgewichte eingesetzt wurde;
  83. d) monatlich den Saldo des Kontos für die Regel- und Ausgleichsenergieumlage zum Schluss des Vormonats;
  84. e) eine Liste derjenigen Ausspeisenetzbetreiber des jeweiligen Marktgebiets, die dem Bilanzkreisnetzbetreiber die für die Bilanzkreisabrechnung erforderlichen Daten nicht, nicht fristgerecht, unvollständig
  85. oder in unzureichender Qualität zur Verfügung stellen.
  86. Die Verpflichtungen nach lit. a) bis d) gelten ab dem 01.10.2008, die Verpflichtung nach lit. e) ab dem 01.04.2009.
  87. 4. Ein Widerruf bleibt vorbehalten.
  88. 3
  89. In einer der Festlegung beigefügten Anlage 2 wird das Grundmodell der
  90. Ausgleichs- und Bilanzierungsregelungen im Gassektor beschrieben, wobei die
  91. Bundesnetzagentur einleitend feststellt, dass Vorgaben zur Beschaffung und
  92. zum Einsatz von Regelenergie nicht ex ante durch die Beschlusskammer angeordnet werden können.
  93. -5-
  94. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Festlegungen Beschwerde ein-
  95. 4
  96. gelegt. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen.
  97. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit der (vom Beschwerdegericht zugelassenen) Rechtsbeschwerde.
  98. II.
  99. 5
  100. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
  101. 6
  102. 1. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde als nicht statthaft angesehen, soweit sie sich gegen das in Anlage 2 beschriebene Vertragsmodell
  103. richtet; im Übrigen fehle der Beschwerdeführerin die Beschwerdebefugnis. Zur
  104. Begründung hat es folgendes ausgeführt:
  105. 7
  106. Den in Anlage 2 festgelegten Bestimmungen, in denen die Beschwerdeführerin die Entscheidung für ein Modell der zentralen Beschaffung von
  107. Ausgleichsenergie sehe, komme keine Regelungswirkung zu. Wie die Bundesnetzagentur darlege, hätten die in Anlage 2 aufgeführten Bestimmungen
  108. lediglich Modellcharakter und könnten allenfalls für die ex post stattfindende
  109. Missbrauchskontrolle Bedeutung erlangen. Diese Bestimmungen stellten deshalb bloße Empfehlungen dar, denen der von § 35 VwVfG vorausgesetzte
  110. Regelungscharakter fehle. Auch eine Leistungsbeschwerde scheide aus. Das
  111. mit diesen Empfehlungen der Bundesnetzagentur konforme Verhalten der übrigen Marktteilnehmer habe für die Beschwerdeführerin allenfalls reflexartige
  112. Auswirkungen, die zu faktisch mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen führen
  113. könnten.
  114. Dies
  115. reiche
  116. nicht
  117. aus.
  118. Ebenso
  119. wenig
  120. könne
  121. die
  122. Beschwerdeführerin hieraus ein nach der Rechtsprechung erforderliches besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine vorbeugende Unterlassungsklage
  123. herleiten. Der Beschwerdeführerin sei es nämlich zumutbar, die von ihr ange-
  124. -6-
  125. sprochenen Fragen im Wege einer Anfechtungsbeschwerde gegen eine Missbrauchsverfügung rechtlich klären zu lassen.
  126. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die übrigen Festlegungen der
  127. 8
  128. GABi Gas wende, fehle ihr die Beschwerdebefugnis. Sie habe im Verwaltungsverfahren keinen Beiladungsantrag gestellt. Deshalb sei sie nach § 75 Abs. 2
  129. i.V.m. § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG nicht beschwerdebefugt. Die Festlegungen enthielten auch keinen unmittelbaren Eingriff in die individuellen Rechtspositionen
  130. der Beschwerdeführerin. Dies gelte insbesondere für die Absenkung der Toleranzgrenze auf null Prozent (Ziff. 2 der Festlegungen). Damit sei zwar auch der
  131. Basisbilanzausgleich nach § 26 Abs. 2 Satz 1 GasNZV faktisch abgeschafft.
  132. § 26 Abs. 2 GasNZV stelle jedoch keine drittschützende Vorschrift dar. Vielmehr
  133. seien
  134. hierdurch
  135. nur
  136. die
  137. wirtschaftlichen
  138. Interessen
  139. der
  140. Beschwerdeführerin betroffen. Dies reiche nicht aus, um eine unmittelbare Beschwerdebefugnis nach Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. § 75 Abs. 2 EnWG analog zu
  141. erlangen.
  142. 9
  143. 2. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben im
  144. Ergebnis ohne Erfolg.
  145. 10
  146. a) Die Beschwerdeführerin kann die Bestimmungen der Festlegungen
  147. zur Beschaffung der Ausgleichsenergie nicht mit der Beschwerde angreifen.
  148. 11
  149. aa) Unzutreffend ist indes die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass
  150. die zentrale Beschaffung von Ausgleichsenergie durch den Bilanzkreisnetzbetreiber nur (unverbindlich) in der Anlage 2 der Festlegungen ihren
  151. Niederschlag gefunden habe. Die Beschwerdeführerin weist vielmehr zutreffend
  152. darauf hin, dass sich aus einer Gesamtschau der in Anlage 1 genannten Vertragsbestimmungen, die nach Nummer 1 des Entscheidungstenors verbindlich
  153. -7-
  154. sind, im Ergebnis die Regelung einer zentralen Beschaffung von Ausgleichsenergie durch den Bilanzkreisnetzbetreiber ergibt. So enthält § 9 Nr. 2
  155. Standardbilanzkreisvertrag Gas (SBKV) die Vorgabe, dass die Differenz der
  156. während der Bilanzierungsperiode ein- und ausgespeisten bilanzerheblichen
  157. Gasmengen durch den Bilanzkreisnetzbetreiber als Ausgleichsenergie abgerechnet wird. Dieser führt auch das Umlagekonto, das die Kosten bzw. Erlöse
  158. der Ausgleichsenergie sowie die Kosten der Beschaffung externer Regelenergie umfasst (§ 15 Nr. 2 SBKV). Hierin lässt sich mittelbar die Festlegung einer
  159. zentralen Beschaffung von Ausgleichsenergie durch den Bilanzkreisnetzbetreiber erblicken, zumal auch in den Gründen der Festlegung ein solches Ergebnis
  160. nahe gelegt wird. So wird dort (S. 12, 13) jeweils von einem Einkauf der Regelenergie durch den Bilanzkreisnetzbetreiber ausgegangen.
  161. Demgegenüber enthält zwar Anlage 2 die ausdrückliche Aussage, dass
  162. 12
  163. Vorgaben zur Beschaffung und zum Einsatz von Regelenergie nicht ex ante
  164. durch die Beschlusskammer geregelt werden können. Dieser Umstand führt jedoch in einer Gesamtschau sämtlicher Regelungen nicht zu einem anderen
  165. Ergebnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
  166. ist es anerkannt, dass für die Auslegung von Willensäußerungen der Verwaltung
  167. gemäß
  168. der
  169. im
  170. öffentlichen
  171. Recht
  172. entsprechend
  173. anwendbaren
  174. Auslegungsregel des § 133 BGB nicht der innere, sondern allein der erklärte
  175. Wille maßgebend ist, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (BVerwGE 60, 223, 228 f.; 41, 305, 306). Unklarheiten gehen
  176. hierbei zu Lasten der Verwaltung (BVerwG aaO). Jedenfalls deshalb muss den
  177. Festlegungen insoweit eine Regelungswirkung zuerkannt werden, zumal sich
  178. aus dem Zusammenhang der Vorschriften weitere Gesichtspunkte ergeben, die
  179. das Regelungsmodell einer zentralen Beschaffung von Ausgleichsenergie voraussetzen. Die hiervon Betroffenen konnten die Festlegungen in dem Sinne
  180. -8-
  181. verstehen, dass hierdurch die zentrale Beschaffung von Ausgleichsenergie
  182. durch den Bilanzkreisnetzbetreiber verbindlich geregelt werden sollte.
  183. 13
  184. bb) Die Beschwerdeführerin ist aber nicht beschwerdebefugt.
  185. 14
  186. (1) Beschwerdebefugt ist nach § 75 Abs. 2 i.V.m. § 66 Abs. 2 Nr. 3
  187. EnWG jeder Dritte, der an dem Verfahren beteiligt ist. In erweiternder Auslegung dieser Vorschriften ist ein Dritter auch dann befugt, gegen die in der
  188. Hauptsache ergangene Entscheidung Beschwerde einzulegen, wenn in seiner
  189. Person die subjektiven Voraussetzungen für eine Beiladung vorliegen, sein Beiladungsantrag allein aus verfahrensökonomischen Gründen abgelehnt worden
  190. ist und er geltend machen kann, durch die Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen zu sein. Hierfür reichen erhebliche wirtschaftliche Interessen aus
  191. (BGH, Beschluss vom 11. November 2008 - EnVR 1/08, WuW/E DE-R 2535
  192. Rn. 14 ff. - citiworks; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. November 2006
  193. - KVR 37/05, BGHZ 169, 370 Rn. 11, 18 ff. - pepcom, für das Kartellverwaltungsverfahren). Ist der Beschwerdeführer durch die Regulierungsbehörde nicht
  194. beteiligt worden, hat er aber unverschuldet versäumt, den Beiladungsantrag
  195. rechtzeitig zu stellen, ist er gleichfalls beschwerdebefugt (BGH, WuW/E DE-R
  196. 2535 Rn. 16 - citiworks).
  197. 15
  198. Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Beschwerdeführerin nicht vor,
  199. weil sie im Verfahren über den Erlass der streitgegenständlichen GABi Gas keine Beiladung beantragt hat. Dass sie sich im Verwaltungsverfahren
  200. schriftsätzlich geäußert hat, genügt hierfür nicht.
  201. 16
  202. (2) Darüber hinaus ist auch derjenige beschwerdebefugt, der durch den
  203. angegriffenen Verwaltungsakt unmittelbar in seinen Rechten berührt wird (BGH,
  204. Beschluss vom 22. Februar 2005 - KVZ 20/04, WuW/E DE-R 1544, 1545
  205. -9-
  206. - Zeiss/Leica). Denn in diesem Falle entfaltet der Verwaltungsakt ihm gegenüber eine Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG. Ein in diesem
  207. Sinne Drittbetroffener ist deshalb im gerichtlichen Verfahren notwendig beizuladen (ebenso nachfolgend vgl. § 65 Abs. 2 VwGO). Erforderlich ist hierfür aber,
  208. dass nicht nur eine Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen vorliegt. Der
  209. Beschwerdeführer muss durch die gegenüber einem oder mehreren Dritten ergangene Verfügung in seinem geschützten Rechtskreis unmittelbar betroffen
  210. sein (BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, WuW/E DE-R 2728
  211. Rn. 20 - Versicherergemeinschaft).
  212. 17
  213. Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur kann in den Fällen der
  214. notwendigen Beiladung - weil es insoweit an einer gesetzlichen Grundlage
  215. fehlt - der von der Entscheidung Betroffene nicht auf einen vorherigen Beiladungsantrag im Verwaltungsverfahren verwiesen werden (vgl. BGH aaO Rn. 16
  216. - Versicherergemeinschaft).
  217. 18
  218. (a) Eine rechtliche Betroffenheit lässt sich nicht schon daraus ableiten,
  219. dass die Beschwerdeführerin aktueller und potenzieller Vertragspartner der Bilanzkreisnetzbetreiber ist. Die Festlegungen der Bundesnetzagentur greifen
  220. nämlich nicht unmittelbar regelnd in die bestehende Privatrechtslage ein. Sie
  221. bedürfen vielmehr einer Umsetzung durch den Adressaten, hier der Bilanzkreisnetzbetreiber, die verpflichtet sind, ihre Verträge entsprechend anzupassen
  222. bzw. neue Verträge entsprechend den Vorgaben der Festlegungen abzuschließen. Auch wenn damit für den (potenziellen) Vertragspartner des Adressaten
  223. absehbare Auswirkungen des Verwaltungsakts entstehen, begründet das in der
  224. Person des Vertragspartners keine eigene unmittelbare Rechtsbetroffenheit
  225. (BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 34/08, WuW/E DE-R 2728 Rn. 19
  226. - Versicherergemeinschaft; vgl. auch BVerwG, MMR 2003, 241, 242). Die Beschwerdeführerin zeigt auch nicht auf, durch welche der Vertragsbestimmungen
  227. - 10 -
  228. des Standardbilanzkreisvertrags, die in Nr. 1 des Tenors der Festlegungen für
  229. verbindlich erklärt wurden, sie in ihrem Rechtskreis berührt sein könnte.
  230. 19
  231. Der Transportkunde wird dadurch nicht rechtlos gestellt. Er hat gemäß
  232. § 20 Abs. 1 EnWG einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu den
  233. Netzen, wobei die Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang angemessen,
  234. diskriminierungsfrei und transparent sein müssen (§ 21 Abs. 1 EnWG). Diesen
  235. Anspruch kann er zivilgerichtlich durchsetzen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni
  236. 2003, BGHZ 155, 141, 159 ff.). Da die Festlegungen ihm gegenüber keine Regelungswirkung entfalten und mithin auch nicht in Bestandskraft erwachsen
  237. können, binden sie ihn im Zivilverfahren nur insoweit, als sie gesetzeskonform
  238. seinen Zugangsanspruch konkretisieren. Der Transportkunde kann deshalb dort
  239. im Verhältnis zum Netzbetreiber die ihn wirtschaftlich berührenden Festlegungen einer Überprüfung unterziehen lassen. Insoweit ist der Gaslieferant auch in
  240. der Lage, die dann in Übereinstimmung mit den Regeln des Standardbilanzkreisvertrags erfolgte Abrechnung anzugreifen und unmittelbar eine höhere
  241. Vergütung im Zivilverfahren gegen den Netzbetreiber durchzusetzen (vgl. BGH,
  242. Urteil vom 11. Juni 2003, BGHZ 155, 141, 159 ff.).
  243. 20
  244. (b) Eine unmittelbare Berührung ihres Rechtskreises ergibt sich für die
  245. Beschwerdeführerin weder aus Art. 12 GG noch aus Art. 14 GG.
  246. 21
  247. Ein Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgte Berufsfreiheit ist nur
  248. dann gegeben, wenn der angegriffene Hoheitsakt berufsregelnde Tendenz aufweist (BVerfGE 98, 218, 258; 95, 267, 302). Dieser Bezug fehlt den
  249. Festlegungen. Sie sind lediglich auf die Marktstrukturen bezogen, indem sie die
  250. Art und Weise des Bezugs von Ausgleichs- und Regelenergie modifizieren.
  251. Damit wirken sie sich zwar auf die berufliche Tätigkeit von Transportkunden der
  252. Netzbetreiber und der Bilanzkreisverantwortlichen aus. Ihrer Zielrichtung nach
  253. - 11 -
  254. sind sie jedoch auf die Gestaltung der Lieferverhältnisse am Markt ausgerichtet.
  255. Gegen solche Veränderungen des Marktgeschehens schützt das Grundrecht
  256. der Berufsfreiheit aber nicht, selbst wenn sie vom Staat ausgehen (BVerfGE 98,
  257. 218, 259; 37, 1, 17 f.).
  258. Ebenso wenig ist das Grundrecht des Art. 14 GG berührt. Dieses enthält
  259. 22
  260. keine allgemeine Wertgarantie vermögenswerter Rechtspositionen (BVerfG,
  261. NJW 2002, 2621, 2625); vielmehr erfasst Art. 14 Abs. 1 GG nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber in der Zukunft
  262. liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten (BVerfGE 68, 193, 222). Nichts
  263. anderes aber stellen die bisherigen Belieferungsmöglichkeiten im Blick auf die
  264. den Netzen zuzuführende Ausgleichsenergie dar. Letztlich zeigt die Beschwerdeführerin insoweit nur tatsächliche Belieferungswege auf. Dies gilt auch für die
  265. bislang erfolgte Einspeisung aus vorgehaltenen Gasspeichern; auch insoweit
  266. handelte es sich nur um eine von der Beschwerdeführerin bislang genutzte
  267. Marktchance. Rechtspositionen sind hiermit nicht verbunden. Verändert werden
  268. lediglich die Bedingungen des Marktzugangs für den Absatz von Ausgleichsenergie, weil diese nunmehr zentral von den Bilanzkreisnetzbetreibern
  269. nachgefragt werden. Diesen gegenüber kann die Beschwerdeführerin diese
  270. Leistungen anbieten. Dass sie diese möglicherweise nicht mehr so auskömmlich vertreiben kann, berührt die grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 12,
  271. 14 GG nicht.
  272. b) Hinsichtlich der weiteren Festlegungen der GABi Gas ist die Be-
  273. 23
  274. schwerdeführerin ebenfalls nicht beschwerdebefugt. Auch insoweit kommt, weil
  275. sie keinen Beiladungsantrag gestellt hat, eine Beschwerdebefugnis nur dann in
  276. Betracht, wenn die Festlegung sie nicht nur wirtschaftlich trifft, sondern sie in ihrem
  277. eigenen
  278. Rechtskreis
  279. rechtsfehlerfrei verneint.
  280. berührt.
  281. Dies
  282. hat
  283. das
  284. Beschwerdegericht
  285. - 12 -
  286. 24
  287. aa) Dies gilt zum einen für die in Nummer 2 der Festlegung angeordnete
  288. Absenkung der Toleranzgrenze des § 30 Abs. 1 GasNZV von bislang zehn auf
  289. nunmehr null Prozent. Diese Änderung bedingt zugleich, dass der entgeltfreie
  290. Basisbilanzausgleich für Transportkunden nach § 26 Abs. 2 Satz 1 GasNZV
  291. faktisch entfällt.
  292. 25
  293. (1) Die Verfügung enthält in ihrer Nummer 2 eine abstrakte Festlegung
  294. der Änderung der Toleranzgrenze. Regelungen dieser Art dienen dazu, in dem
  295. durch das Energiewirtschaftsgesetz und die Gasnetzzugangsverordnung vorgegebenen Rahmen durch generelle Handlungsanweisungen das Verhalten der
  296. Marktteilnehmer in typischerweise im Rahmen ihrer geschäftlichen Betätigung
  297. häufig wiederkehrenden einzelnen Situationen so zu steuern, dass sich die
  298. Wettbewerbskräfte auf dem Gasmarkt bestmöglich entfalten können (vgl. BGH,
  299. Beschluss vom 29. April 2008 - KVR 28/07, RdE 2008, 362 Rn. 13 - Edifact). Zu
  300. solchen Festlegungen ist die Bundesnetzagentur ermächtigt (§ 42 Abs. 6
  301. GasNZV). Der Gesetzgeber hat nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnWG dem Verordnungsgeber die Möglichkeit eröffnet, der Bundesnetzagentur auch die
  302. allgemeine Festlegung von Netzzugangsbedingungen zu übertragen, die von
  303. der Bundesnetzagentur dann in Form von Allgemeinverfügungen ausgeübt wird
  304. (BGH aaO Rn. 12 - Edifact). Die Bundesnetzagentur kann damit Netzzugangsbedingungen in abstrakt-genereller Form festlegen. Dazu zählt auch eine
  305. Absenkung der Toleranzgrenze durch eine auf § 42 Abs. 6 GasNZV gestützte
  306. Allgemeinverfügung.
  307. 26
  308. Solche abstrakten Festlegungen bedürfen aber der Umsetzung in das
  309. konkrete Leistungsverhältnis, das zwischen dem Netzbetreiber und den durchleitenden Transportkunden besteht. Dies gilt auch für die Bestimmung der
  310. Toleranzgrenze nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GasNZV. Die Toleranzgrenze enthält
  311. kein absolutes Ge- oder Verbot, sie bildet lediglich eine Bezugsgröße für den
  312. - 13 -
  313. Basisbilanzausgleich. Innerhalb der Toleranzgrenze haben die in der Verordnung näher bezeichneten Netzbetreiber einen Ausgleich ohne gesondertes
  314. Entgelt anzubieten (§ 26 Abs. 2 GasNZV). Wie sich die Toleranzgrenze für die
  315. durchleitenden Gasversorger auswirkt, ergibt sich aber letztlich aus der einzelnen Abrechnung zwischen Netzbetreiber und Transportkunden. Erst wenn die
  316. konkrete Abrechnung erfolgt, lässt sich feststellen, ob der Transportkunde im
  317. Einzelfall durch die Änderung der Toleranzgrenze belastet ist. Im Übrigen stehen die vom Netzbetreiber zu tragenden Kosten für die Ausgleichsenergie in
  318. einem unmittelbaren Zusammenhang zu den für die Berechnung der Netznutzungsentgelte maßgeblichen Netzkosten im Sinne des § 5 Abs. 1 i.V.m. § 4
  319. Abs. 3 GasNEV. Ein höherer Bezug von durch den Netzbetreiber zu bezahlender
  320. Ausgleichsenergie
  321. wirkt
  322. sich
  323. dann
  324. nämlich
  325. auf
  326. die
  327. Höhe
  328. der
  329. Netznutzungsentgelte aus. Auch unter diesem Gesichtspunkt bewirkt die Festlegung der Toleranzgrenze auf Null noch keine unmittelbare Beeinträchtigung
  330. rechtlich geschützter Interessen der Beschwerdeführerin.
  331. 27
  332. Die von der Bundesnetzagentur nach § 42 Abs. 6 GasNZV vorgenommene Absenkung der Toleranzgrenze auf null Prozent berührt mithin den
  333. Transportkunden nicht unmittelbar. Sie wird in dem Vertragsverhältnis zwischen
  334. Netzbetreiber und Transportkunden erst erheblich, soweit Abweichungen von
  335. Einspeise- und Ausspeisemengen konkret ermittelt werden. Damit fehlt der
  336. Festlegung gegenüber der Beschwerdeführerin die Regelungswirkung (vgl.
  337. BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KVR 37/08, WuW/E DE-R 2728 Rn. 19
  338. - Versicherergemeinschaft). Das Privatrechtsverhältnis wird hierdurch nicht unmittelbar gestaltet, weil die Festlegung der Toleranzgrenze lediglich eine
  339. Vorgabe für die Abrechnung innerhalb der Leistungsbeziehung betrifft. Diese
  340. Vorgabe ist dann von dem Netzbetreiber, der den Basisbilanzausgleich unter
  341. - 14 -
  342. Beachtung der Toleranzgrenze zu vollziehen hat, erst in der konkreten Einzelabrechnung umzusetzen.
  343. 28
  344. (2) Hinzu kommt, dass die Festlegung der Toleranzgrenze - worauf das
  345. Beschwerdegericht zutreffend hinweist - gegenüber den einzelnen Transportkunden auch keine unmittelbar drittschützende Wirkung hat.
  346. 29
  347. Maßgeblich ist für die Frage der drittschützenden Wirkung (vgl. hierzu
  348. auch BVerwGE 117, 93 Rn. 16), welchen Schutzinteressen die Toleranzgrenze
  349. dienen soll. Dies beantwortet sich im Wesentlichen danach, unter welchen Voraussetzungen eine Änderung vorgenommen werden darf. Das entscheidende
  350. Kriterium hierfür ist gemäß § 42 Abs. 6 GasNZV die Marktsituation. Diese ist im
  351. Licht der energiewirtschaftsrechtlichen Zielsetzungen (§ 1 EnWG) zu bewerten.
  352. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die Bundesnetzagentur eine Entscheidung über die Toleranzgrenze zu treffen. Damit wird aber deutlich, dass
  353. Schutzgut auch dieser Regelung die Sicherstellung einer leistungsfähigen, kostengünstigen und transparenten Energieversorgung für den Letztverbraucher
  354. ist. Um ein transparentes Abrechnungssystem zu sichern und versteckte Netzkosten zu vermeiden, die dann umgelegt werden müssen, soll die Nominierung
  355. der in Anspruch genommenen Ein- und Ausspeisekapazitäten (§ 27 GasNZV)
  356. möglichst realitätsnah erfolgen. Ein- und Ausspeisungen sind durch die Transportkunden nach § 26 Abs. 1 GasNZV zeitgleich aufeinander anzupassen;
  357. Abweichungen zwischen eingespeisten und zum Verbrauch entnommenen
  358. Gasmengen sollen so möglichst gering gehalten werden (vgl. BR-Drucks.
  359. 256/05 S. 47 f.). Auch dies dient dem strukturpolitischen Ziel transparenter
  360. Netzentgelte (§ 21 Abs. 1 EnWG) und erleichtert es, entsprechend den Vorgaben des § 20 Abs. 1b EnWG in möglichst hohem Umfang miteinander
  361. verbundene Netze ausweisen und entsprechende Verträge anbieten zu können.
  362. Mithin kommt im Hinblick auf ihren vom Normgeber verfolgten Zweck der Fest-
  363. - 15 -
  364. legung der Toleranzgrenze allein eine energiewirtschaftlich steuernde, aber
  365. keine unmittelbar drittschützende Wirkung zu.
  366. 30
  367. bb) Eine rechtliche Betroffenheit kann die Beschwerdeführerin auch aus
  368. den übrigen Regelungen der angegriffenen Festlegungen nicht ableiten. Sie
  369. meint, dass jedenfalls § 10 Nr. 2 Satz 3 SBKV gegen § 10 Abs. 1 EichO verstoße. Ihr könne nicht zugemutet werden, in Befolgung dieser Regelung des
  370. Standardbilanzkreisvertrages Gas mit einem Bußgeldverfahren (§ 74 Nr. 18
  371. EichO) überzogen zu werden.
  372. 31
  373. Es trifft zwar zu, dass die Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit eine rechtliche Betroffenheit begründen kann (BVerfGK 1, 107). Die
  374. vertraglichen Regelungen setzen die Beschwerdeführerin indes keiner solchen
  375. Gefahr aus. Die Vorschriften der §§ 26 ff. GasNVZ und die auf ihrer Grundlage
  376. ergangenen Festlegungen der Bundesnetzagentur im Blick auf den Bilanzausgleich stellen gegenüber den eichrechtlichen Regelungen insoweit die
  377. spezielleren Regelungen dar. Zudem hat die Bundesnetzagentur überzeugend
  378. dargelegt, dass die Bilanzierung in diesem Sinne nur die Feststellung von Zwischenwerten betrifft. Die Umwertung auf thermische Energie im Sinne von § 10
  379. Abs. 2 Nr. 3 EichO erfolgt dann im Verhältnis zum Kunden unter Zugrundelegung eines Abbrennwertes.
  380. 32
  381. c) Die vorstehenden Grundsätze bezüglich der Beschwerdebefugnis solcher Dritter, die durch die Entscheidung der Regulierungsbehörde potenziell
  382. betroffen sein können, bedürfen im Blick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24. April 2008 (C-55/06 - Arcor) keiner Korrektur. Der
  383. Gerichtshof hat - bezüglich einer Anpassungsanordnung im Bereich der Telekommunikationsleistungen - ausgeführt, dass bei Regulierungsentscheidungen,
  384. die Preise betreffen, auch der Vertragspartner des Adressaten der Regulie-
  385. - 16 -
  386. rungsentscheidung in seinen Rechten berührt wird und ihm deshalb Rechtsschutz zu gewähren ist. Es bedürfe nicht einmal einer Vertragsbeziehung, damit
  387. die Rechte eines Begünstigten von einer solchen Entscheidung potenziell betroffen sind (EuGH aaO Rn. 177). Ungeachtet dessen, ob für bloße vertragliche
  388. Abrechnungsregelungen - wie hier gegeben - dieselben Grundsätze gelten, erfüllt das deutsche Recht dieses Erfordernis. Die Beschwerdeführerin hätte
  389. nämlich nur einen Beiladungsantrag stellen müssen, dann wäre sie im Falle einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit beschwerdebefugt, auch wenn
  390. sie von der Regulierungsbehörde nicht beigeladen worden wäre. Mit einer solchen auch hier bestehenden Beschwerdemöglichkeit hat Deutschland das
  391. - 17 -
  392. sich aus der Gasbinnenmarktrichtlinie ergebende Rechtsschutzgebot (Art. 25
  393. Abs. 6 der Richtlinie EG 2003/55/EG, die mittlerweile durch die inhaltsgleiche
  394. Regelung des Art. 41 Abs. 12 der Richtlinie 2009/73/EG abgelöst wurde) in ausreichendem Maße umgesetzt.
  395. Tolksdorf
  396. Raum
  397. Kirchhoff
  398. Strohn
  399. Grüneberg
  400. Vorinstanz:
  401. OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.09.2009 - VI-3 Kart 25/08 (V) -