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321 lines
25 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ 3/03
  4. vom
  5. 18. Februar 2005
  6. in dem Verfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. ja
  11. BGHR:
  12. ja
  13. BRAO §§ 164 bis 170
  14. Die Bestimmungen in §§ 164 ff. BRAO über die besonderen Voraussetzungen für die
  15. Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof sind nicht verfassungswidrig.
  16. BGH, Beschluß vom 18. Februar 2005 - AnwZ 3/03 -
  17. wegen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof
  18. -2-
  19. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
  20. des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, den Richter Basdorf, die Richterin
  21. Dr. Otten, den Richter Dr. Frellesen, die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt und
  22. Dr. Wüllrich sowie die Rechtsanwältin Kappelhoff
  23. am 18. Februar 2005
  24. beschlossen:
  25. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
  26. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen und
  27. dem Antragsgegner die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
  28. Der Geschäftswert wird auf 25.000 € festgesetzt.
  29. Gründe:
  30. A.
  31. Der Antragsteller ist als Rechtsanwalt beim Landgericht K.
  32. und seit
  33. dem 1. Juli 2002 auch als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht D.
  34. zugelassen. Seinen ursprünglich gestellten Antrag auf Simultanzulassung als
  35. Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof lehnte der Antragsgegner ab. Den
  36. dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Senat mit
  37. Beschluß vom 14. Juli 2003 (AnwZ 1/02, nicht veröffentlicht) zurückgewiesen,
  38. nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 31. Oktober 2002
  39. (BVerfGE 106, 216) die Verfassungsbeschwerde gegen den - in einem Parallel-
  40. -3-
  41. verfahren ergangenen - Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 4. März 2002
  42. (BGHZ 150, 70) nicht zur Entscheidung angenommen hatte.
  43. Mit Schreiben vom 2. September 2003 beantragte der Antragsteller sodann, unter Aufgabe seiner bisherigen Zulassung beim Oberlandesgericht D.
  44. außerhalb des Verfahrens nach §§ 164 ff. BRAO als Rechtsanwalt bei
  45. dem Bundesgerichtshof zugelassen zu werden. Der Antragsgegner lehnte auch
  46. diesen Antrag mit Bescheid vom 4. November 2003 ab. Dagegen richtet sich
  47. der Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Die Beteiligten haben auf mündliche
  48. Verhandlung verzichtet.
  49. B.
  50. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem der Antragsteller sein
  51. Begehren auf Singularzulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof
  52. weiterverfolgt, ist zulässig (§§ 162, 163, 170, 21 Abs. 2, §§ 37, 39 BRAO). Er
  53. hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
  54. I.
  55. Der Antragsteller erfüllt nicht die förmlichen Voraussetzungen, von denen
  56. nach §§ 164 ff. BRAO die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof abhängig ist. Nach § 170 Abs. 1 in Verbindung mit § 164 BRAO kann
  57. das Bundesministerium der Justiz nur solche Bewerber als Rechtsanwälte bei
  58. dem Bundesgerichtshof zulassen, die ihm durch den Wahlausschluß für
  59. Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof benannt worden sind. Eine solche
  60. Benennung des Antragstellers durch den Wahlausschuß ist im vorliegenden
  61. Fall nicht erfolgt. Der Antragsteller begehrt, außerhalb des Wahlverfahrens
  62. -4-
  63. nach §§ 164 ff. BRAO als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof zugelassen
  64. zu werden.
  65. Das Bundesministerium der Justiz kann Bewerber nicht unabhängig von
  66. deren Benennung durch den Wahlausschuß als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof zulassen. Soweit § 170 BRAO dem Bundesministerium der Justiz bei der Entscheidung über die Zulassung ein Ermessen bzw. Prüfungsrecht
  67. einräumt, bezieht sich dieses nur auf die fachliche und persönliche Eignung des
  68. zu ernennenden Bewerbers aus dem Kreis der vom Wahlausschuß benannten
  69. Bewerber (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § 170 Rdnr. 5). Dem Bundesministerium der Justiz wird damit nicht die Befugnis eingeräumt, Bewerber
  70. außerhalb des Wahlverfahrens nach §§ 164 ff. BRAO zur Rechtsanwaltschaft
  71. bei dem Bundesgerichtshof zuzulassen.
  72. II.
  73. Der Antragsteller meint, ihm sei außerhalb des in §§ 164 ff. BRAO vorgesehenen Verfahrens die Singularzulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof zu erteilen, weil das in den §§ 164 bis 170 BRAO geregelte Verfahren, das die Aufnahme des Bewerbers in Vorschlagslisten, dessen Wahl
  74. durch den Wahlausschuß und die abschließende Auswahl durch das Bundesministerium der Justiz vorsieht, mit Art. 12 Abs. 1, Art. 3, Art. 20 Abs. 3 GG
  75. nicht vereinbar sei. Damit hat der Antragsteller keinen Erfolg. Die Bestimmungen in §§ 164 bis 170 BRAO über das Auswahlverfahren für die Zulassung als
  76. Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof sind nicht verfassungswidrig.
  77. 1. Durch § 170 Abs. 1 in Verbindung mit § 164 BRAO wird in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts (Art. 12 Abs. 1 GG) eingegriffen. Als Rechtsanwalt
  78. bei dem Bundesgerichtshof kann nur zugelassen werden, wer das in §§ 164 ff.
  79. BRAO vorgesehene Wahlverfahren durchlaufen hat. Diese Einschränkung der
  80. -5-
  81. Berufsfreiheit des Rechtsanwalts betrifft nicht die Berufswahl, sondern sie enthält nach der vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Rechtsprechung des
  82. Senats nur eine Berufsausübungsregelung, mag sie auch Elemente enthalten,
  83. die einer Beschränkung der Berufswahl nahekommen (BVerfG, Beschluß vom
  84. 24. März 1982, 1 BvR 278/75, nicht veröffentlicht, unter B I 1; BGH, Beschlüsse
  85. vom 14. Mai 1975 - AnwZ 7/75, 10. Mai 1978 - AnwZ 11/78 und 23. Juni 1980
  86. - AnwZ 2/80, jeweils nicht veröffentlicht; ferner BGH, Beschluß vom 28. Februar
  87. 1983 - AnwZ 37/82, BRAK-Mitt. 1983, 135, 136 unter II 2 b).
  88. Das Verfahren nach §§ 164 ff. BRAO schränkt nicht die Freiheit ein, den
  89. Beruf des Rechtsanwalts zu wählen, sondern setzt lediglich der Ausübung dieses Berufs mit Bezug auf einen speziellen Bereich der einem Rechtsanwalt eröffneten Tätigkeiten Grenzen. Um eine Einschränkung des Grundrechts auf
  90. freie Berufswahl handelt es sich hierbei nicht, weil die Tätigkeit als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof kein eigenständiges Berufsbild begründet.
  91. Zwar trifft der Rechtsanwalt, der als bei dem Bundesgerichtshof zugelassener
  92. Rechtsanwalt tätig wird, eine grundlegende und auf Dauer ausgerichtete Entscheidung, eine - in beruflicher Hinsicht - "Lebensentscheidung" (vgl. BVerfGE
  93. 33, 125, 161 zum Facharzt). Nach seiner Zulassung muß er seine bisherigen
  94. Mandate aufgeben. Er ist darauf angewiesen, neue Mandanten zu gewinnen,
  95. die ihn mit der Vertretung in Revisionen oder Beschwerden in Zivilsachen betrauen, und muß auch eine bisherige Sozietät aufgeben (§ 172 a BRAO). Zudem ist seine Postulationsfähigkeit auf das Auftreten vor dem Bundesgerichtshof, den anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes, dem gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe und dem Bundesverfassungsgericht beschränkt
  96. (§ 172 BRAO). Auch benötigt der als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof
  97. zugelassene Anwalt spezielles Fachwissen für das Revisions- und Beschwerdeverfahren.
  98. -6-
  99. Diese Besonderheiten der Tätigkeit als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof rechtfertigen es aber nicht, die Entscheidung, sich dieser Tätigkeit zu
  100. widmen, einer Berufswahl gleichzusetzen und die in §§ 164 ff. BRAO geregelten Zulassungsvoraussetzungen nach den Maßstäben für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Einschränkungen der Berufswahlfreiheit zu beurteilen. Da
  101. die Zulassungsbeschränkungen für die Vertretung in zivilrechtlichen Revisionsund Beschwerdeverfahren nur einen Teil der anwaltlichen Berufsausübung betreffen und da dieser Teil infolge Einschränkung des Revisionszugangs - vor
  102. der Reform des Revisionsrechts: § 554 b ZPO a.F.; seit Einführung der Zulassungsrevision: §§ 543, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 und 9 EGZPO - seinerseits begrenzt ist, können die Zulassungsbeschränkungen nach §§ 164 ff. BRAO, wie
  103. das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, nicht den gleichen strengen Anforderungen unterliegen wie in den Fällen, in denen qualifizierten Bewerbern
  104. der Zugang zu einem Beruf aufgrund von Bedürfnisprüfungen schlechthin versperrt wird (Beschluß vom 24. März 1982, aaO unter B I 1).
  105. Auch nach den Gesetzesmaterialien liegt den Zulassungsbeschränkungen in §§ 164 ff. BRAO kein eigenständiges Berufsbild des Rechtsanwalts bei
  106. dem Bundesgerichtshof zugrunde. Die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem
  107. Bundesgerichtshof ist nicht als originäre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
  108. ausgestaltet, sondern als bloßer Zulassungswechsel innerhalb der - als Einheit
  109. verstandenen - Rechtsanwaltschaft (BT-Drucks. 3/120, S. 110 zu § 178). Die
  110. besondere Stellung der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof ist (nur)
  111. durch ihren Wirkungskreis bedingt; diese bleibt aber "ein Teil der gesamten
  112. Anwaltschaft" (BT-Drucks. 3/120, S. 110 zu § 176).
  113. 2. Gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur dann
  114. mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie - unter Beachtung des Gebotes der
  115. Verhältnismäßigkeit - durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfer-
  116. -7-
  117. tigt sind (BVerfGE 106, 216, 219 im Anschluß an BVerfGE 93, 362, 369 und
  118. BVerfGE 103, 1, 10). Diesen Anforderungen genügt das in §§ 164 ff. BRAO
  119. geregelte Auswahlverfahren für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei dem
  120. Bundesgerichtshof. Es gibt jedem Bewerber eine faire Chance, entsprechend
  121. seiner Eignung berücksichtigt zu werden (vgl. BVerfG, Beschluß vom 3. August
  122. 2004, 1 BvR 135/00, noch nicht veröffentlicht, Rdnr. 27).
  123. a) Gründe des Gemeinwohls, die eine Einschränkung der anwaltlichen
  124. Berufsausübungsfreiheit hinsichtlich der Tätigkeit als Rechtsanwalt bei dem
  125. Bundesgerichtshof rechtfertigen, liegen vor. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24. März 1982 ausgeführt, daß angesichts der für die anwaltliche Berufsausübung verbleibenden vielfältigen Möglichkeiten weder Rechtsanwälte unverhältnismäßig beeinträchtigt werden, noch
  126. im übrigen die durch Art. 12 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen der gesetzgeberischen Regelungsbefugnis überschritten werden, wenn der Gesetzgeber für einen speziellen Teil der anwaltlichen Tätigkeit aus schwerwiegenden Gemeinschaftsbelangen (Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof als eines wichtigen Organs der Rechtspflege) Berufsausübungsbeschränkungen als unerläßlich betrachtet (aaO unter
  127. B I 1).
  128. Diese Erwägungen haben weiterhin Gültigkeit. Die Besonderheiten des
  129. zivilrechtlichen Revisionsrechts stellen hohe Anforderungen an den bei dem
  130. Bundesgerichtshof tätigen Rechtsanwalt. Sie rechtfertigen es, nur solche Bewerber als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof zuzulassen, die für diese
  131. Tätigkeit besonders qualifiziert sind (Senatsbeschluß vom 28. Februar 1983,
  132. aaO S. 136 unter II 2 b aa). Auch in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Gebots der Singularzulassung der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof (§ 171 BRAO) hat das Bundesverfassungsgericht das überkomme-
  133. -8-
  134. ne Gemeinwohlinteresse an einer Stärkung der Rechtspflege durch eine leistungsfähige und in Revisionssachen besonders qualifizierte Anwaltschaft als
  135. legitim anerkannt (BVerfGE 106, 216, 220).
  136. b) Die gesetzliche Ausgestaltung des Auswahlverfahrens genügt den
  137. verfassungsrechtlichen Anforderungen. Mit den Bestimmungen in §§ 164 ff.
  138. BRAO wird nicht nur das Gemeinwohlinteresse an der Gewinnung besonders
  139. qualifizierter Bewerber für die Tätigkeit als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof gewahrt, sondern auch der Anspruch der Bewerber auf chancengleichen Zugang zu dieser Tätigkeit.
  140. aa) Die Bundesrechtsanwaltsordnung schreibt für die Zulassung als
  141. Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof ein dreistufiges Verfahren vor.
  142. Die Entscheidung darüber, welche Bewerber dem Wahlausschluß vorgeschlagen werden, obliegt den Rechtsanwaltskammern (§ 166 Abs. 2 BRAO)
  143. nach Maßgabe der in § 166 Abs. 3 BRAO geregelten Zulassungsvoraussetzungen und der persönlichen und fachlichen Eignung der Bewerber (BT-Drucks.
  144. 3/120, S. 110 f. zu § 180 a.E.; BGH, Beschluß vom 28. Februar 1983, aa0
  145. S. 136 unter II 2 b aa). Das Vorschlagsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer
  146. auf der Grundlage der Vorschläge der Rechtsanwaltskammern gewährleistet
  147. eine flächendeckende Einbeziehung aller geeigneten Bewerber und bietet Bewerbern aus allen Rechtsanwaltskammerbezirken die Chance, an der Wahl teilzunehmen. Die Vorstände der Rechtsanwaltskammern beurteilen die Eignung
  148. eines Bewerbers aufgrund ihrer Erfahrungen hinsichtlich dessen bisheriger anwaltlicher Tätigkeit (vgl. BGH, Beschluß vom 28. Februar 1983, aaO). Die Bundesrechtsanwaltskammer vergleicht darüber hinaus die Bewerber aus den verschiedenen Rechtsanwaltskammerbezirken miteinander. Die Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof schließlich bringt die besondere Sachkun-
  149. -9-
  150. de der bei dem Bundesgerichtshof bereits zugelassenen Rechtsanwälte ein,
  151. ohne daß deren Interessen bei dem Vorschlagsrecht oder im Wahlausschuß ein
  152. Übergewicht erlangen können (BVerfG, Beschluß vom 24. März 1982, aaO unter B II 1).
  153. Die anschließende Entscheidung darüber, welche Bewerber dem Bundesministerium der Justiz benannt werden, fällt in einer Wahl, der ebenfalls eine
  154. Prüfung der persönlichen und fachlichen Eignung des Bewerbers zugrunde liegt
  155. (§ 167 Abs. 1 BRAO). Im Wahlausschuß (§ 165 Abs. 1 BRAO) wirken außer
  156. den wahlberechtigten Rechtsanwälten der Präsident und die Vorsitzenden Richter der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs mit, die insbesondere die aus der
  157. richterlichen Sicht zu stellenden Anforderungen an einen zivilrechtlichen Revisionsanwalt zur Geltung bringen.
  158. Auch die abschließende Entscheidung des Bundesministeriums der Justiz darüber, welche Bewerber aus dem Kreis der vom Wahlausschuß benannten zur Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof zugelassen werden, ist
  159. kein Formalakt, sondern beruht nochmals auf einer selbständigen Prüfung, welche der vom Wahlausschuß benannten Bewerber für die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof am besten geeignet sind (Feuerich/Weyland,
  160. aaO, § 170 Rdnr. 5).
  161. Dieses - auf allen drei Stufen dem Prinzip der Bestenauslese verpflichtete - Auswahlverfahren nach §§ 164 ff. BRAO ist geeignet und erforderlich, um
  162. das legitime Gemeinwohlinteresse an einer Stärkung der Rechtspflege durch
  163. eine leistungsfähige und in Revisionssachen besonders qualifizierte Anwaltschaft zu verfolgen. Sachgerechte Verfahrensalternativen für die Auswahl der
  164. am besten qualifizierten Bewerber sind zwar vorstellbar, begründen aber nicht
  165. die Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Regelung.
  166. - 10 -
  167. bb) Es begegnet insbesondere keinen verfassungsrechtlichen Bedenken,
  168. daß der Entscheidung des Bundesministeriums der Justiz über die Zulassung
  169. als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof eine Wahl vorausgeht. In einem
  170. demokratischen Rechtssystem kann nicht zweifelhaft sein, daß Personalentscheidungen auf der Grundlage von Wahlen getroffen werden dürfen (BVerfG,
  171. Beschluß vom 24. März 1982, aaO unter B I 3). Das Grundgesetz sieht für die
  172. Ernennung von Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern ein Wahlverfahren
  173. ausdrücklich vor (vgl. Art. 94 Abs. 1, 95 Abs. 2, 98 Abs. 4 GG). Das Wahlverfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung entspricht weitgehend dem Verfahren zur Richterwahl nach dem Richterwahlgesetz. Der Richterwahlausschuß
  174. hat als Vorbild für den Wahlausschuß für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof gedient (BT-Drucks. 3/120, S. 110 zu § 178).
  175. Die Vorschriften über die Zusammensetzung des Wahlausschusses und
  176. über dessen Verfahren in §§ 165 ff. BRAO verstoßen ebenfalls nicht gegen
  177. Grundrechte des Bewerbers. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24. März 1982 ausgeführt, daß das in § 165 Abs. 1
  178. BRAO vorgesehene Zusammenwirken aller Kräfte, die ein berechtigtes Interesse an der Auswahl haben, Sachverstand und Objektivität bei der Auswahl am
  179. ehesten gewährleiste und auch hinlänglich geeignet erscheine, unterschiedliche
  180. Motivationen auszugleichen (aaO unter B I 3). Im übrigen lasse die gesetzliche
  181. Regelung eine gerichtliche Überprüfung durch den Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs zu, ob in einem konkreten Wahlverfahren der Grundsatz der Wahlund Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt worden sei (aaO).
  182. Auch diese Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts, denen die
  183. ständige Rechtsprechung des Senats zur - nach der Natur der Sache begrenzten - gerichtlichen Überprüfung der im Auswahlverfahren getroffenen Entscheidungen entspricht (Senatsbeschluß vom 28. Februar 1983, aaO unter II 1 und 2
  184. - 11 -
  185. m.Nachw.), sind weiterhin gültig. Entgegen der Auffassung des Antragstellers
  186. verstößt es nicht gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, daß die Eignungsanforderungen für die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof und die
  187. Kriterien für die Auswahl unter mehreren geeigneten Bewerbern vom Gesetzgeber nicht im einzelnen geregelt worden sind. Eine gesetzliche Normierung
  188. der Eignungskriterien ist erforderlich, wenn es um den Zugang zu einem Beruf
  189. geht (vgl. BVerfGE 33, 125, 163 und 75, 295). Die Bestimmungen über die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof stellen jedoch, wie dargelegt, nur eine Berufsausübungsregelung dar (BVerfG, Beschluß vom 24. März
  190. 1982, aaO unter B I 1). Unter diesen Umständen reicht es aus, daß die gesetzlichen Vorschriften Sachverstand und Objektivität im Auswahlverfahren durch
  191. das Zusammenwirken aller Kräfte, die ein berechtigtes Interesse an der Auswahl haben, gewährleisten (BVerfG, aaO unter B I 3).
  192. c) Auch die nicht auf die Eignung des Bewerbers, sondern auf den objektiven Bedarf abstellende Regelung in § 168 Abs. 2 BRAO, nach welcher der
  193. Wahlausschuß aus den Vorschlagslisten die doppelte Anzahl von Rechtsanwälten benennt, die er für die Zulassung bei dem Bundesgerichtshof für angemessen hält, ist nicht verfassungswidrig.
  194. aa) Die Vorschrift des § 168 Abs. 2 BRAO verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG). Zwar hat der Gesetzgeber dem mit der Bedarfsprüfung beauftragten Wahlausschuß in § 168
  195. Abs. 2 BRAO keine Vorgaben zur Bestimmung der Anzahl zuzulassender
  196. Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof gemacht, sondern hierfür den unbestimmten Rechtsbegriff "angemessen" verwandt. Der Umstand, daß das Gesetz
  197. keine Kriterien für die Bemessung der Neuzulassungen vorsieht, wird aber dadurch ausgeglichen, daß über die Anzahl der Neuzulassungen der sachkundig
  198. und gemischt zusammengesetzte Wahlausschuß (§ 165 Abs. 1 BRAO) ent-
  199. - 12 -
  200. scheidet, dessen Zusammensetzung sicherstellt, daß partikulare Motivationen
  201. und Interessen nicht zu Lasten der Objektivität der Auswahlentscheidung gehen
  202. (BVerfG, Beschluß vom 24. März 1982, aaO unter B I 1).
  203. bb) Ob die konkreten Entscheidungen des Wahlausschusses über die
  204. jeweils erforderlichen Neuzulassungen zu Bedenken Anlaß geben könnten, unterliegt gerichtlicher Kontrolle (vgl. BVerfG, aaO unter B I 1), ist im vorliegenden
  205. Verfahren aber nicht zu prüfen, weil der Antragsteller nur die gesetzliche Regelung selbst angreift, nicht aber eine bestimmte Wahl und die dieser Wahl vorausgegangene Beschlußfassung über die Zahl der Neuzulassungen. Es geht
  206. hier nur um die grundsätzliche Frage, ob eine Beschränkung der Anzahl der bei
  207. dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte, wie sie in § 168 Abs. 2
  208. BRAO geregelt ist, in verfassungsrechtlicher Hinsicht überhaupt zulässig ist.
  209. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Entscheidung vom 24. März
  210. 1982 bejaht, indem es die Regelung in § 168 Abs. 2 BRAO erörtert und gebilligt
  211. hat (aaO unter B I 1). Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigt keine andere Beurteilung.
  212. aaa) Die Bestimmung in § 168 Abs. 2 BRAO räumt dem Wahlausschluß
  213. einen Beurteilungsspielraum bei der Bestimmung der angemessenen Zahl der
  214. bei dem Bundesgerichtshof zuzulassenden Rechtsanwälte ein. Deren Anzahl
  215. hat sich - ebenso wie bei der Bedarfsprüfung für die Bestellung eines Notars
  216. (§ 4 BNotO) - nach den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege zu richten. Bezugspunkt für die Bemessung der Neuzulassungen ist dementsprechend
  217. der Geschäftsanfall bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs. Im Hinblick
  218. darauf hat der Wahlausschuß bei der ihm obliegenden Bedarfsprüfung das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden, die Wahrung einer geordneten Altersstruktur der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof und das Vorhandensein ausreichender Betätigungsmöglichkeiten
  219. - 13 -
  220. für die bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Anwälte zu berücksichtigen
  221. (vgl. Bundesministerium der Justiz, Vorschläge zur Neuregelung des Rechts
  222. der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof, Bericht der Kommission,
  223. 1998, S. 35). Diese Kriterien - auch das zuletzt genannte - sind weiterhin sachgerecht, um das Gemeinwohlinteresse an einer leistungsfähigen und in Revisionssachen besonders qualifizierten Anwaltschaft (BVerfGE 106, 216, 220) zu
  224. verfolgen und auch in Zukunft besonders qualifizierte Bewerber als Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof zu gewinnen (Kommissionsbericht, S. 33).
  225. bbb) In seiner Entscheidung vom 31. Oktober 2002 (BVerfGE 106, 216)
  226. hat das Bundesverfassungsgericht das Festhalten an einer eigenständigen
  227. Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof erneut gebilligt. Es hat das Gebot der Singularzulassung der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof
  228. (§ 171 BRAO) als weiterhin mit dem Verfassungsrecht, insbesondere Art. 12
  229. Abs. 1 GG, vereinbar angesehen (aaO, 222 f.). Zwar folgt daraus nicht ohne
  230. weiteres die Zulässigkeit einer zahlenmäßigen Beschränkung der bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte, wie sie § 168 Abs. 2 BRAO vorsieht. Beide Regelungen hängen aber insofern sachlich eng zusammen, als das
  231. Gebot der Singularzulassung eine zahlenmäßige Beschränkung der ausschließlich bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwaltschaft geradezu
  232. fordert. Ohne eine Bedarfsregelung (§ 168 Abs. 2 BRAO) wäre das Institut einer
  233. besonderen Rechtsanwaltschaft, die ausschließlich bei dem Bundesgerichtshof
  234. zugelassen ist (§ 171 BRAO) und im wesentlichen auch nur vor diesem Gericht
  235. auftreten kann (§ 172 BRAO), nicht aufrechtzuerhalten. Die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß angesehene Einheit von berufsrechtlicher
  236. Lokalisation (§§ 171, 18 BRAO), eingeschränkter Postulationsfähigkeit (§ 172
  237. BRAO) und Kanzleisitz (§ 27 BRAO) der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof (aaO, 223) setzt die fortbestehende Zulässigkeit der Bedarfsprüfung
  238. nach § 168 Abs. 2 BRAO voraus.
  239. - 14 -
  240. Der enge sachliche Zusammenhang der Regelungen in § 168 Abs. 2
  241. BRAO einerseits und §§ 171, 172 (sowie § 172 a) BRAO andererseits ergibt
  242. sich daraus, daß dem Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof die - allein ihm
  243. obliegenden - Beschränkungen seiner Berufsausübungsfreiheit in §§ 171 ff.
  244. BRAO im Interesse der Rechtspflege nur auferlegt werden können, wenn dem
  245. im wesentlichen auf die Bearbeitung zivilrechtlicher Revisionsverfahren beschränkten Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof ein ausreichendes Betätigungsfeld offensteht, das ihm auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine berufliche
  246. Existenz ermöglicht. Gerade besonders gute und qualifizierte Rechtsanwälte
  247. sind für eine ausschließliche Tätigkeit bei dem Bundesgerichtshof, die von ihnen die Aufgabe ihrer bisherigen Sozietäten und ihrer bisherigen Mandate verlangt, nur zu gewinnen, wenn ihnen bei dem Bundesgerichtshof eine ausfüllende Beschäftigung mit ausreichendem wirtschaftlichen Ertrag geboten wird
  248. (Kommissionsbericht, S. 33).
  249. ccc) Die vom Bundesverfassungsgericht (aaO, 222 f.) aufgeworfene Frage nach den Auswirkungen der Reform des Zivilprozesses, insbesondere der
  250. Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 ZPO n.F. auf das
  251. Revisionsverfahren, ist gegenwärtig dahin zu beantworten, daß das Gebot der
  252. Singularzulassung nach § 171 BRAO - und damit auch die Bedarfsprüfung nach
  253. § 168 Abs. 2 BRAO - weiterhin sachlich gerechtfertigt sind.
  254. Die Änderung des Revisionsrechts hat nicht zu einer derartigen Veränderung der Geschäftsbelastung der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs geführt,
  255. daß im Hinblick auf das Interesse der Rechtspflege eine Öffnung der Tätigkeit
  256. der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof für eine unbegrenzte Anzahl von
  257. Rechtsanwälten vertretbar oder gar geboten erscheinen ließe. Hinzu kommt,
  258. daß selbst eine Steigerung der Rechtsmitteleingänge bei dem Bundesgerichtshof aufgrund der mit der Reform des Zivilprozesses neu eingeführten Rechts-
  259. - 15 -
  260. mittel - Nichtzulassungsbeschwerde und Rechtsbeschwerde - nicht ohne weiteres zu einer Steigerung des wirtschaftlichen Ertrags der Rechtsanwälte bei dem
  261. Bundesgerichtshof führen würde. Denn aufgrund der streitwertunabhängigen
  262. Statthaftigkeit von zugelassenen Revisionen sowie von Rechtsbeschwerden
  263. und - vorbehaltlich einer Gesetzesänderung - ab 1. Januar 2007 (§ 26 Nr. 8
  264. EGZPO) auch von Nichtzulassungsbeschwerden sowie aufgrund des Umstands, daß Revisionen - anders als nach früherem Recht - sowie Nichtzulassungsbeschwerden und Rechtsbeschwerden auch gegen Rechtsmittelentscheidungen des Landgerichts mit vergleichsweise niedrigem Streitwert statthaft sind, zeichnet sich jetzt bereits ab, daß sich die wirtschaftliche Situation der
  265. bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte durch die Reform des
  266. Zivilprozeßrechts jedenfalls nicht verbessert hat und deshalb - im Interesse der
  267. Rechtspflege an einer leistungsfähigen und in Revisionssachen besonders qualifizierten Anwaltschaft (BVerfGE 106, 216, 220) - ein Wegfall der Beschränkung
  268. des Zugangs zur Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof nicht sachgerecht wäre.
  269. Hirsch
  270. Basdorf
  271. Salditt
  272. Otten
  273. Wüllrich
  274. Frellesen
  275. Kappelhoff