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373 lines
25 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ (Brfg) 58/11
  4. vom
  5. 23. Juni 2012
  6. in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
  7. wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
  8. -2-
  9. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden
  10. Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter Prof. Dr. König, die Richterin Dr. Fetzer
  11. sowie die Rechtsanwälte Dr. Frey und Dr. Martini
  12. am 23. Juni 2012 beschlossen:
  13. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
  14. Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg
  15. vom 4. August 2011 wird abgelehnt.
  16. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
  17. Der Geschäftswert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 €
  18. festgesetzt.
  19. Gründe:
  20. I.
  21. 1
  22. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 22. Juli 2010 die Zulassung des Klägers mit der Begründung widerrufen, er unterhalte nicht die vorgeschriebene
  23. Berufshaftpflichtversicherung (§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO). Zugleich hat sie den
  24. Sofortvollzug der Widerrufsverfügung angeordnet. Den gegen den Zulassungswiderruf und den Sofortvollzug gerichteten Widerspruch des Klägers hat die
  25. Beklagte mit Bescheid vom 15. November 2010 zurückgewiesen. Die hiergegen
  26. vom Kläger erhobene Klage ist vor dem Anwaltsgerichtshof ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet er sich mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. In
  27. diesem Verfahren vertritt sich der Kläger selbst. Die Beklagte zieht im Hinblick
  28. -3-
  29. auf den angeordneten Sofortvollzug die Postulationsfähigkeit des Klägers in
  30. Zweifel.
  31. II.
  32. 2
  33. Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag
  34. auf Zulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere hat der Kläger, der sich
  35. selbst vertritt, bei Einlegung und Begründung des Antrags auf Zulassung der
  36. Berufung nicht die zur Wirksamkeit dieser Prozesshandlungen erforderliche
  37. Postulationsfähigkeit eingebüßt. Der Kläger konnte sich trotz des angeordneten
  38. Sofortvollzugs der Widerrufsverfügung wirksam selbst vertreten.
  39. 3
  40. 1. Nach § 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 67 Abs. 4 Satz 1,
  41. 2 VwGO müssen sich die Beteiligten in einem vor dem Bundesgerichtshof geführten Berufungsverfahren und in einem diesem vorgeschalteten Zulassungsverfahren (§ 124a Abs. 4 VwGO) durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen.
  42. Ein Beteiligter, der selbst Rechtsanwalt ist, kann sich dabei auch selbst vertreten (§ 112e Satz 2 BRAO, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 67 Abs. 4 Satz 3, 8, Abs. 2
  43. Satz 1 VwGO). Der Kläger ist noch als Rechtsanwalt zugelassen, weil die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erst dann erlischt, wenn der Widerruf bestandskräftig geworden ist (§ 13 BRAO). Die Postulationsfähigkeit des Klägers,
  44. also die Fähigkeit, im eigenen Namen rechtswirksam prozessual handeln zu
  45. können (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., Vor § 50 Rn. 16), ist - anders als die
  46. Beklagte meint - auch nicht deswegen entfallen, weil die sofortige Vollziehung
  47. der Widerrufsverfügung von der Beklagten angeordnet und vom Anwaltsgerichtshof bestätigt worden ist.
  48. 4
  49. 2. Die Anordnung des Sofortvollzugs des Zulassungswiderrufs hat zwar
  50. gemäß § 14 Abs. 4 BRAO zur Folge, dass die für die Verhängung eines vorläufigen Berufs- oder Vertretungsverbots (§ 150 BRAO) geltenden Bestimmungen
  51. -4-
  52. der § 155 Abs. 2, 4 und 5, § 156 Abs. 2 BRAO entsprechend anzuwenden sind.
  53. Dies bedeutet, dass der Kläger nicht mehr befugt ist, seine Rechtsanwaltstätigkeit auszuüben (§ 155 Abs. 2 BRAO). Auch eine Vertretung in eigenen Angelegenheiten ist ihm verwehrt, soweit es sich um ein Verfahren handelt, in dem
  54. eine Vertretung durch Anwälte geboten ist (§ 155 Abs. 4 BRAO). Anders als der
  55. Kläger meint, unterliegt auch die Einlegung und Begründung eines Antrags auf
  56. Zulassung der Berufung dem Anwaltszwang (vgl. etwa Senatsbeschluss vom
  57. 6. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 25/11, juris Rn. 8, 9). Dass § 67 Abs. 4 Satz 4
  58. bis 7, Abs. 2 Satz 1 VwGO in bestimmten Fällen eine Vertretung durch Personen erlaubt, die nicht als Anwälte zugelassen sind, ändert nichts daran, dass
  59. außerhalb der dort genannten Fallgestaltungen stets eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten ist, also Anwaltszwang herrscht.
  60. 5
  61. 3. Die vom Kläger gleichwohl vorgenommenen Rechtshandlungen sind
  62. jedoch als wirksam zu behandeln.
  63. 6
  64. a) Dies folgt aus § 155 Abs. 5 Satz 1, § 14 Abs. 4 BRAO. Darin hat der
  65. Gesetzgeber bestimmt, dass verbotswidrig vorgenommene Rechtshandlungen
  66. zur Wahrung der Rechtssicherheit als wirksam zu gelten haben, es sei denn, es
  67. ist eine Zurückweisung des Rechtsanwalts nach § 156 Abs. 2 BRAO erfolgt.
  68. Dies gilt auch in den Fällen, in denen sich der Rechtsanwalt bewusst über das
  69. Berufs-/Tätigkeitsverbot hinwegsetzt (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010
  70. - II ZB 8/09, WM 2010, 777 Rn. 13 ff.). Die Postulationsfähigkeit eines Rechtsanwalts wird also nicht dadurch beeinträchtigt, dass gegen ihn ein vorläufiges
  71. Berufsverbot verhängt (§ 150 Abs. 1 BRAO) oder seine Zulassung sofort vollziehbar (vgl. § 14 Abs. 4 BRAO) widerrufen worden ist (Feuerich/Weyland,
  72. BRAO, 8. Aufl., § 156 Rn. 7). Ein dem Anwaltszwang unterliegendes Rechtsmittel ist daher nicht deswegen als unzulässig zu verwerfen, weil es von dem sich
  73. selbst vertretenden Rechtsanwalt unter Verstoß gegen § 155 Abs. 2, Abs. 4
  74. -5-
  75. BRAO eingelegt worden ist (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010 - II ZB
  76. 8/09, aaO Rn. 8, 13 ff.).
  77. 7
  78. b) Allerdings will der sächsische Anwaltsgerichtshof im Einklang mit
  79. Stimmen im Schrifttum und in der Instanzrechtsprechung den Anwendungsbereich des § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO dahin einschränken, dass diese Bestimmung nicht gelten soll, wenn durch das verbotswidrige Handeln des Rechtsanwalts schutzwürdige Interessen Dritter oder die Rechtssicherheit nicht oder nur
  80. unerheblich tangiert werden (AGH Dresden, BRAK-Mitt. 2010, 173 f.; AGH
  81. Dresden, Beschluss vom 15. August 2011 - AGH 12/11 (I), juris Rn. 13; OLG
  82. Karlsruhe, AnwBl. 1996, 584; ähnlich Feuerich/Weyland, aaO, § 155 Rn. 17;
  83. Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2010, § 155 BRAO
  84. Rn. 11 f.). Eine solche Fallgestaltung liege vor, wenn sich der betroffene
  85. Rechtsanwalt im Streit über die Wirksamkeit des Berufsverbots/des Zulassungswiderrufs selbst vertrete. Der Gesetzgeber wolle durch § 155 Abs. 5
  86. Satz 1 BRAO aus Gründen der Rechtssicherheit verhindern, dass der Rechtsverkehr mit der Prüfung belastet werde, ob gegen den Rechtsanwalt ein Tätigkeitsverbot bestehe. Im Streit über die Wirksamkeit eines solchen Verbots sei
  87. aber eine solche Prüfung gerade Gegenstand des Verfahrens, so dass es das
  88. öffentliche Bedürfnis nach Rechtssicherheit nicht gebiete, Rechtshandlungen,
  89. die ein verbotswidrig tätiger Rechtsanwalt in einem solchen Verfahren vornehme, bis zu einer gesonderten Zurückweisungsentscheidung nach § 156 Abs. 2
  90. BRAO als wirksam zu behandeln (AGH Dresden, BRAK-Mitt. 2010, aaO; ähnlich AGH Dresden, Beschluss vom 15. August 2011 - AGH 12/11 (I), aaO;
  91. Feuerich/Weyland, aaO; Johnigk, aaO Rn. 13).
  92. 8
  93. c) Diese einschränkende Auslegung, die zur Konsequenz hätte, dass
  94. Prozesshandlungen eines Rechtsanwalts gerade in den Fällen, in denen er die
  95. gegen ihn ergriffenen berufsrechtlichen Maßnahmen gerichtlich angreift, nicht
  96. -6-
  97. wirksam wären, wohl aber in allen anderen Fällen der ausgeschlossenen
  98. Selbstvertretung, findet im Gesetz keine Stütze.
  99. 9
  100. aa) Der Gesetzgeber hat in § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO angeordnet, dass
  101. Rechtshandlungen, die von einem Rechtsanwalt entgegen einem Vertretungsoder Tätigkeitsverbot vorgenommen werden, auch in den Fällen der unerlaubten Eigenvertretung nach § 155 Abs. 4 BRAO als wirksam zu behandeln sind.
  102. Die genannte Vorschrift, die gemäß § 14 Abs. 4 BRAO bei einem sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf sinngemäß anzuwenden ist, gilt nach ihrem
  103. Wortlaut uneingeschränkt für alle Rechtshandlungen (vgl. BGH, Beschluss vom
  104. 22. Februar 2010 - II ZB 8/09, aaO Rn. 15). Sie findet damit auch dann Anwendung, wenn sich der Rechtsanwalt in einem anwaltsgerichtlichen Verfahren gegen ein verhängtes Berufsverbot wendet (Senatsbeschluss vom 10. Mai 1971
  105. - AnwSt (R) 8/70, NJW 1971, 1373 unter B I 2 zur Wirksamkeit einer vom Anwalt selbst eingereichten Revisionsbegründung) oder wenn er gerichtlich gegen
  106. einen sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf vorgeht.
  107. 10
  108. bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem mit dieser Bestimmung verfolgten Schutzzweck. Zwar trifft es zu, dass § 155 Abs. 5 Satz 1
  109. BRAO im Interesse der Rechtssicherheit in die Bundesrechtsanwaltsordnung
  110. aufgenommen wurde (BR-Drucks. Nr. 461/57, S. 108 - Erläuterung zu § 169
  111. Abs. 5 BRAO-E). Die genannte Regelung will den Rechtsverkehr mit einem
  112. Rechtsanwalt generell von der Prüfung freihalten, ob gegen ihn ein Berufs- oder
  113. Vertretungsverbot besteht (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010 - II ZB 8/09,
  114. aaO Rn. 14 m.w.N.; vgl. auch Beschluss vom 29. März 1990 - III ZB 39/89,
  115. BGHZ 111, 104, 106; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 626, 627). Hieraus folgt
  116. aber nicht, dass verbotswidrige Prozesshandlungen des betroffenen Rechtsanwalts dann wirkungslos bleiben, wenn sie in gerichtlichen Verfahren vorgenommen werden, in denen die Wirksamkeit des Berufs-/Tätigkeitsverbots oder
  117. -7-
  118. des sofort vollziehbaren Zulassungswiderrufs Verfahrensgegenstand ist. Der
  119. Gesetzgeber hat durch nichts zu erkennen gegeben, dass er die Wirksamkeit
  120. der verbotswidrig vorgenommen Rechtshandlungen des betroffenen Anwalts
  121. von einer konkreten Beeinträchtigung der Rechtssicherheit abhängig machen
  122. wollte. Er hat im Gegenteil eine generalisierende Betrachtung angestellt (vgl.
  123. auch BGH, Beschluss vom 22. Februar 2010 - II ZB 8/09, aaO Rn. 14 ff.; Jessnitzer/Blumberg, BRAO, 9. Aufl., § 155 Rn. 3) und auf Differenzierungen verzichtet.
  124. 11
  125. cc) Auch der Umstand, dass die Regelung über den Fortbestand der
  126. Postulationsfähigkeit in der Bundesrechtsanwaltsordnung selbst und nicht in
  127. einzelnen Verfahrensordnungen (etwa ZPO oder StPO) geregelt worden ist,
  128. belegt, dass der Gesetzgeber generell und unterschiedslos vermeiden wollte,
  129. dass die Postulationsfähigkeit eines entgegen § 155 Abs. 2, 4 BRAO, § 14
  130. Abs. 4 BRAO tätigen Rechtsanwalts in Zweifel gezogen wird und daher gerichtlich geklärt werden muss. Diese Zielsetzung greift auch dann ein, wenn ein betroffener Anwalt gerichtlich gegen ein Berufs-/Tätigkeitsverbot oder einen sofort
  131. vollziehbaren Widerruf seiner Zulassung vorgeht. Zwar ist in diesen Fällen die
  132. Rechtmäßigkeit des Zulassungswiderrufs oder des Verbots im Rahmen der Begründetheit des Rechtsschutzbegehrens zu prüfen. Durch § 155 Abs. 5 Satz 1
  133. BRAO wird aber vermieden, dass diese Prüfung - unter dem Gesichtspunkt einer eventuellen Nichtigkeit des Widerrufsbescheids nach § 32 Abs. 1 BRAO,
  134. § 44 VwVfG - schon bei der Frage der Postulationsfähigkeit anzustellen ist.
  135. 12
  136. dd) Dementsprechend hat der Senat schon in seiner länger zurückliegenden, vom sächsischen Anwaltsgerichtshof nicht berücksichtigten Entscheidung aus dem Jahr 1971 ausgesprochen, dass die Wirksamkeit einer von einem Rechtsanwalt eingereichten Revisionsbegründung, mit der sich dieser gegen ein im ehrengerichtlichen Verfahren verhängtes Berufsverbot wendet, ge-
  137. -8-
  138. mäß § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO von dem Berufsverbot unberührt bleibt (Senatsbeschluss vom 10. Mai 1971 - AnwSt (R) 8/70, aaO). Diese Grundsätze
  139. lassen sich auf den hier zu beurteilenden Fall einer Anfechtungsklage gegen
  140. einen sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf ohne weiteres übertragen. Folglich wird auch in diesen Fällen die Postulationsfähigkeit des betroffenen
  141. Rechtsanwalts gemäß § 155 Abs. 5 Satz 1, § 14 Abs. 4 BRAO nicht beeinträchtigt.
  142. III.
  143. 13
  144. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil kein Zulassungsgrund im Sinne von § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.
  145. 14
  146. 1. Der Kläger misst der Frage, ob ein Anwalt, der sich nach einem sofort
  147. vollziehbaren Widerruf seiner Anwaltszulassung im Klageverfahren vor dem
  148. Anwaltsgerichtshof selbst vertritt (§ 112c Abs. 1 Satz 1, 2 BRAO, § 67 Abs. 4
  149. Satz 1, 3, 8, Abs. 2 Satz 1 VwGO), wirksam Prozesshandlungen vornehmen
  150. kann, rechtsgrundsätzliche Bedeutung bei (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat eine Frage dann, wenn es sich um eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handelt, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Senatsbeschluss vom 6. September
  151. 2011 - AnwZ (Brfg) 5/11, juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 27. März 2003
  152. - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; BVerfG, NVwZ 2009, 515, 518; BVerwG,
  153. NVwZ 2005, 709). Die im Streitfall aufgeworfene Frage der Postulationsfähigkeit eines Rechtsanwalts, der sich gegen einen sofort vollziehbaren Zulassungswiderruf wendet und sich im gerichtlichen Verfahren selbst vertritt, ist jedoch nicht mehr klärungsbedürftig. Der Senat hatte diese Frage bei der - vor-
  154. -9-
  155. rangig anzustellenden - Prüfung der Zulässigkeit des vom Kläger gestellten Zulassungsantrags zu klären (unter II). Die vom Senat für das Zulassungs- und
  156. Berufungsverfahren aufgestellten Grundsätze gelten in gleicher Weise für das
  157. erstinstanzliche Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof.
  158. 15
  159. 2. Auch der vom Kläger weiter angeführte Zulassungsgrund des § 124
  160. Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) ist nicht gegeben. Zwar hat der Anwaltsgerichtshof die Postulationsfähigkeit des Klägers anders als der sächsische Anwaltsgerichtshof (BRAK-Mitt. 2010, 173 f.; Beschluss vom 15. August 2011
  161. - AGH 12/11 (I), juris Rn. 11 ff.) bejaht. Nicht jede Abweichung stellt aber eine
  162. Divergenz im Sinne dieser Vorschrift dar. Erforderlich ist vielmehr, dass die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als
  163. die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (vgl. Senatsbeschluss vom 6. September 2011 - AnwZ (Brfg)
  164. 5/11, aaO Rn. 12; BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZB 291/02, aaO
  165. S. 292 f. m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend nicht gegeben.
  166. 16
  167. Der Anwaltsgerichtshof meint, in den Fällen der Anfechtung eines sofort
  168. vollziehbaren Zulassungswiderrufs nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO sei - auch unter Berücksichtigung des Grundrechts der Berufsfreiheit - vom Fortbestand der
  169. Postulationsfähigkeit des betroffenen Rechtsanwalts auszugehen, weil der auf
  170. eine fehlende Berufshaftpflichtversicherung gestützte Zulassungswiderruf auf
  171. der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden beruhe, eine solche Gefährdung aber nicht erkennbar sei, wenn der Rechtsanwalt vor dem Anwaltsgerichtshof um die Rechtmäßigkeit seiner Zulassungsentziehung streite. Demgegenüber hat der sächsische Anwaltsgerichtshof den von ihm bejahten Verlust
  172. der Postulationsfähigkeit mit einer einschränkenden Auslegung des § 155
  173. Abs. 5 Satz 1 BRAO begründet, wobei er im Einklang mit der herrschenden
  174. - 10 -
  175. Meinung im Schrifttum angenommen hat, die genannte Bestimmung finde dann
  176. keine Anwendung, wenn schutzwürdige Interessen Dritter oder die Rechtssicherheit nicht oder nur unerheblich tangiert würden (BRAK-Mitt. 2010, aaO; Beschluss vom 15. August 2011 - AGH 12/11 (I), aaO). Der Anwaltsgerichtshof hat
  177. damit keinen von der Rechtsprechung des sächsischen Anwaltsgerichtshofs
  178. abweichenden abstrakten Rechtssatz zu § 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO aufgestellt,
  179. sondern nur bei seiner Rechtsanwendung die Frage der Postulationsfähigkeit
  180. anders beurteilt als der sächsische Anwaltsgerichtshof. Hinzu kommt, dass die
  181. vom sächsischen Anwaltsgerichtshof angestellten Erwägungen ohnehin nicht
  182. tragend waren, weil dieser den vor ihm verfolgten Begehren auch in der Sache
  183. den Erfolg versagt hat.
  184. 17
  185. 3. Weiter misst der Kläger der Sache deswegen rechtsgrundsätzliche
  186. Bedeutung bei, weil sich im Streitfall die in einer Vielzahl von Fällen bedeutsame Frage stelle, ob das Bestehen des erforderlichen Haftpflichtversicherungsschutzes nur durch eine Anzeige der Versicherung nach § 51 Abs. 6 Satz 1
  187. BRAO belegt werden könne oder ob auch andere Nachweise zulässig seien.
  188. Die aufgeworfene Frage ist jedoch nicht entscheidungserheblich geworden,
  189. denn der Kläger konnte weder eine Bestätigung der Versicherung über den
  190. Fortbestand des Versicherungsschutzes noch ein anderes Beweismittel vorlegen, das die Mitteilungen der A.
  191. Versicherungs-AG vom 13. April 2010,
  192. vom 24. Juni 2010, vom 15. Juli 2010 und vom 17. Mai 2011, wonach der Versicherungsschutz am 18. April 2010 erloschen ist, hätte widerlegen können. Die
  193. vom Kläger angeführte Prämienzahlung reichte schon deswegen nicht als Beleg für das Fortbestehen der Versicherung aus, weil der Kläger - wie im Schreiben der Versicherungsgesellschaft vom 15. Juli 2010 ausgeführt - nicht die
  194. nach Umstellung des Versicherungsvertrages geschuldete Prämie, sondern nur
  195. eine Folgenbeitragsrechnung aus dem alten Versicherungsverhältnis beglichen
  196. hatte.
  197. - 11 -
  198. 18
  199. 4. Die Problematik des Fortbestehens des Versicherungsschutzes erfüllt
  200. auch nicht die Anforderungen an den vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit
  201. (§ 112e Satz 2 BRAO; § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Eine Rechtssache weist
  202. dann besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn sie wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder
  203. rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende
  204. Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abhebt (Senatsbeschlüsse vom 23. März 2011
  205. - AnwZ (Brfg) 9/10, juris Rn. 6; vom 6. September 2011- AnwZ (Brfg) 5/11, aaO
  206. Rn. 7; jeweils m.w.N.). Dass diese Voraussetzungen gegeben sind, hat der
  207. Kläger nicht dargelegt. Er begnügt sich mit dem - unzutreffenden - Hinweis, allein der Umstand, dass ein streitiges Rechtsverhältnis zu einem Dritten (Versicherungsunternehmen) zu beurteilen sei, verleihe der Sache eine über das
  208. normale Maß hinausgehende Komplexität.
  209. 19
  210. 5. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger trägt - allerdings ohne Beleg - vor, er habe zwischenzeitlich dafür Sorge
  211. getragen, dass der Beklagten demnächst eine Bestätigung nach § 51 Abs. 6
  212. Satz 1 BRAO über das Bestehen des gesetzlich geforderten Versicherungsschutzes zugehe. Diesen neu hervorgetretenen Umstand müsse der Senat berücksichtigen. Dies trifft nicht zu. Das seit dem 1. September 2009 geltende
  213. neue Verfahrensrecht lässt keinen Raum für die Berücksichtigung eines nachträglichen Wegfalls des Widerrufsgrundes; Entwicklungen, die nach Abschluss
  214. des behördlichen Verfahrens eintreten, sind einem Wiederzulassungsverfahren
  215. vorbehalten (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, NJW
  216. 2011, 3234 Rn. 9 ff.; zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Dies gilt
  217. - 12 -
  218. - anders als der Kläger meint - auch für den Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2
  219. Nr. 9 BRAO. Entscheidend ist, dass der Widerruf einer Berufserlaubnis eine auf
  220. den Abschluss des Verwaltungsverfahrens bezogene rechtsgestaltende Wirkung entfaltet und der Abschluss dieses Verfahrens zugleich eine Zäsur bewirkt
  221. (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, aaO Rn. 15 f.). Diese
  222. Rechtswirkungen gelten unabhängig davon, auf welchen Widerrufsgrund der
  223. Zulassungswiderruf gestützt ist. Art. 12 Abs. 1 GG zwingt nicht dazu, den nachträglichen Wegfall des Widerrufsgrunds bereits im Anfechtungsverfahren zu
  224. berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, aaO
  225. Rn. 17 f.). Davon abgesehen hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass zwischenzeitlich wieder Versicherungsschutz besteht, so dass auch nach alter
  226. Rechtslage der Zulassungswiderruf zu bestätigen gewesen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juni 2001 - AnwZ (B) 49/00, NJW 2001, 3131 unter II 2).
  227. 20
  228. 6. Da die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit eines Zulassungswiderrufs abzustellen ist, durch die grundlegende
  229. Entscheidung des Senats vom 29. Juni 2011 umfassend geklärt ist, kommt dieser Frage entgegen der Auffassung des Klägers keine rechtsgrundsätzliche
  230. Bedeutung zu (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Im Übrigen ist
  231. diese Frage nicht entscheidungserheblich, weil der Kläger einen entsprechenden Nachweis nicht vorgelegt hat.
  232. 21
  233. 7. Dem Anwaltsgerichtshof sind auch keine Verfahrensfehler unterlaufen
  234. (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
  235. 22
  236. a) Der Anwaltsgerichtshof war nicht gehalten, die A.
  237. Versicherungs-
  238. AG nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 65 Abs. 2 VwGO beizuladen, da die
  239. Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nicht vorlagen. Ebenso wenig
  240. musste der Anwaltsgerichtshof dem Kläger aufgeben, binnen einer von ihm ge-
  241. - 13 -
  242. setzten Frist das Bestehen des Versicherungsschutzes anderweitig gerichtlich
  243. klären zu lassen, und das hiesige Verfahren bis zum Abschluss eines solchen
  244. Verfahrens analog § 94 VwGO aussetzen.
  245. 23
  246. b) Der Anwaltsgerichtshof war auch nicht verpflichtet, dem Kläger ein
  247. Erwiderungsrecht auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 26. Juli 2011 einzuräumen. Mit diesem Schriftsatz hat die Beklagte nochmals vorgetragen, dass
  248. der Versicherungsschutz des Klägers am 18. April 2010 geendet habe. Dabei
  249. hat sie die Mitteilungen der Versicherungsgesellschaft über die Beendigung des
  250. Versicherungsverhältnisses als Anlagen beigefügt. Der Kläger macht geltend,
  251. erstmals mit diesem Schriftsatz vom Inhalt der Mitteilungen der A.
  252. Versicherungs-AG vom 17. Mai 2011 und vom 15. Juli 2010 Kenntnis erhalten
  253. zu haben. Dies trifft jedoch hinsichtlich des Schreibens vom 15. Juli 2010, in
  254. dem der maßgebliche Vorgang ausführlich geschildert worden ist, nicht zu. Der
  255. Inhalt dieses Schreibens wird bereits in dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15. November 2010 (dort S. 2) wiedergegeben, der dem Kläger unstreitig zugegangen ist. Das weitere Schreiben der Versicherungsgesellschaft
  256. vom 17. Mai 2011 enthält keine über die im Widerspruchsbescheid referierten
  257. Mitteilungen hinausgehenden Erklärungen. Dementsprechend hat die Beklagte
  258. in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die dem Schriftsatz
  259. vom 26. Juli 2011 beigefügten Unterlagen dem Kläger bekannt seien. Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs
  260. (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nach alledem nicht zu erkennen.
  261. 24
  262. c) Es stellt auch - anders als der Kläger meint - kein verfahrensfehlerhaftes Vorgehen dar, dass der Anwaltsgerichtshof den hilfsweise gestellten Antrag
  263. des Klägers auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft mit der Begründung
  264. als unzulässig abgewiesen hat, der Kläger habe diese Klage erhoben, ohne
  265. zuvor das notwendige Vorverfahren nach § 68 VwGO zu betreiben. Davon ab-
  266. - 14 -
  267. gesehen, dass insoweit allenfalls der Zulassungsgrund nach § 112e Satz 2
  268. BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) und nicht der Zulassungsgrund nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2
  269. Nr. 5 VwGO (Verfahrensfehler) in Betracht kommt, ist die Entscheidung des
  270. Anwaltsgerichtshofs in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
  271. 25
  272. Der Kläger hat den Schriftsatz vom 3. August 2011, in dem er die Stellung des Hilfsantrags angekündigt hat, der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2011 übergeben und zugleich den Hilfsantrag verlesen. Die Beklagte hat hierauf zwar Antrag auf Klagabweisung gestellt. Sie hat
  273. sich damit jedoch - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht rügelos zur
  274. Sache eingelassen, so dass ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht ausnahmsweise entbehrlich geworden ist (vgl. zu diesem Ausnahmetatbestand
  275. VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 1992, 184 f.). Es ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte das Fehlen eines Vorverfahrens unbeanstandet gelassen hat. Das Verhandlungsprotokoll enthält eine entsprechende Erklärung der
  276. Beklagten nicht. Dort ist nur aufgeführt, der Anwaltsgerichtshof habe Bedenken
  277. gegen die Zulässigkeit des Hilfsantrags erhoben und die Notwendigkeit eines
  278. Vorverfahrens mit den Parteien erörtert. Allein der Stellung eines Klagabweisungsantrags kann vorliegend schon deswegen kein Verzicht auf die Durchführung eines Vorverfahrens entnommen werden, weil der Beklagtenvertreter den
  279. Klageerweiterungsschriftsatz vom 3. August 2011 erst in der mündlichen Verhandlung erhalten und damit keine Möglichkeit gehabt hat, den erstmals gestellten Hilfsantrag mit dem zuständigen Entscheidungsgremium zu erörtern. Unklar
  280. ist darüber hinaus, ob der Kläger bei der Beklagten überhaupt einen Antrag auf
  281. Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft gestellt hat, möglicherweise also nicht
  282. nur ein Widerspruchsverfahren (§ 68 VwGO) unterblieben ist, sondern schon
  283. kein behördliches Verfahren eingeleitet worden ist.
  284. - 15 -
  285. IV.
  286. 26
  287. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
  288. Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
  289. Kayser
  290. König
  291. Frey
  292. Fetzer
  293. Martini
  294. Vorinstanz:
  295. AGH Stuttgart, Entscheidung vom 04.08.2011 - AGH 20/10 (I) -