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9.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ (Brfg) 3/17
  4. vom
  5. 21. März 2017
  6. in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
  7. wegen belehrenden Hinweises
  8. ECLI:DE:BGH:2017:210317BANWZ.BRFG.3.17.0
  9. -2-
  10. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden
  11. Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Dr. Bünger und Dr. Remmert sowie die
  12. Rechtsanwältin Schäfer und den Rechtsanwalt Dr. Wolf
  13. am 21. März 2017
  14. beschlossen:
  15. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das
  16. am 24. Oktober 2016 verkündete Urteil des 4. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs wird abgelehnt.
  17. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
  18. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
  19. Gründe:
  20. I.
  21. 1
  22. Der Kläger wendet sich gegen einen von der Beklagten ausgesprochenen belehrenden Hinweis vom 31. März 2016. Darin wird beanstandet, der Kläger verstoße gegen die in § 27 Abs. 1 BRAO verankerte Kanzleipflicht, weil seine Rechtsanwaltssozietät in ihren Kanzleiräumen eine Immobilienverwaltung
  23. beherberge, die unter Nutzung der gleichen Anschrift und der gleichen Kommunikationsverbindungen vom Kläger als namensgebendem Sozius der Rechtsanwaltssozietät betrieben werde.
  24. -3-
  25. 2
  26. Der Anwaltsgerichtshof hat den belehrenden Hinweis aufgehoben. Die
  27. Beklagte beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
  28. II.
  29. 3
  30. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von der Beklagten geltend
  31. gemachten Zulassungsgründe (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3
  32. VwGO) liegen nicht vor.
  33. 4
  34. 1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine
  35. erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt
  36. wird (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg)
  37. 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Daran fehlt es. Ein Verstoß des Klägers
  38. gegen die Kanzleipflicht gemäß § 27 Abs. 1 BRAO liegt nicht vor.
  39. 5
  40. a) Nach § 27 Abs. 1 BRAO muss der Rechtsanwalt im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, eine Kanzlei einrichten und unterhalten.
  41. Die Kanzlei dient dazu, die Erreichbarkeit des Anwalts für das rechtsuchende
  42. Publikum, Berufskollegen, Gerichte und Behörden sicherzustellen. Von einer
  43. Kanzlei im Rechtssinne kann daher nur bei Vorhandensein organisatorischer
  44. Maßnahmen gesprochen werden, die der Öffentlichkeit den Willen des Anwalts
  45. offenbaren, anwaltliche Dienstleistungen bereitzustellen (Senat, Beschlüsse
  46. vom 20. Oktober 2014 - AnwZ (Brfg) 32/13, BeckRS 2014, 20924 Rn. 11 und
  47. vom 6. Juli 2009 - AnwZ (B) 26/09, NJW-RR 2009, 1577 Rn. 5). Der Rechtsanwalt muss dem rechtsuchenden Publikum in den Praxisräumen zu angemesse-
  48. -4-
  49. nen Zeiten für anwaltliche Dienste zur Verfügung stehen (Senat, Beschluss vom
  50. 6. Juli 2009 aaO). Letzteres erscheint fraglich, wenn die Praxisräume zur Wahrung anwaltlicher Pflichten - wie der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 43a
  51. Abs. 2 BRAO - ungeeignet sind (vgl. hierzu Siegmund in Gaier/Wolf/Göcken,
  52. Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 27 BRAO Rn. 19).
  53. 6
  54. b) Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen. Denn der Anwaltsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Ausübung der Immobilienverwaltung durch den Kläger in den Räumen seiner Rechtsanwaltssozietät nicht
  55. die Gefahr einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 43a Abs. 2
  56. BRAO birgt.
  57. 7
  58. aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten erfordert die Sicherung der
  59. strafprozessualen Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1
  60. Nr. 2 und 3 StPO) nicht eine räumliche Trennung von Kanzlei und Immobilienverwaltung.
  61. 8
  62. Der Anwaltsgerichtshof hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Gegenstände i.S.v. § 97 Abs. 1 StPO, die sich im Mitgewahrsam eines Rechtsanwalts
  63. in dessen Kanzleiräumen befinden, auch dann vor einem staatlichen Zugriff
  64. geschützt sind, wenn der nichtanwaltliche Sozius an ihnen unmittelbaren Besitz
  65. hat (vgl. BVerfG, NJW 2016, 700 Rn. 76). Der Schutz vor staatlichem Zugriff
  66. besteht bei solchen Gewahrsamsverhältnissen unabhängig davon, ob es sich
  67. bei demjenigen, der neben dem Rechtsanwalt Besitz oder Mitbesitz an den betreffenden Gegenständen hat, um einen Sozius des Rechtsanwalts oder einen
  68. Berufsträger handelt, der sich seinerseits auf ein Zeugnisverweigerungsrecht
  69. gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 StPO berufen kann. Eine derartige Begrenzung des
  70. Schutzes vor staatlichem Zugriff ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des
  71. -5-
  72. Bundesverfassungsgerichts vom 12. Januar 2016 (aaO). Dort wird - nach Erörterung des Schutzes bestimmter nichtanwaltlicher Berufsgruppen vor einer Beschlagnahme - ausgeführt, dass sich unabhängig hiervon ("zudem") der Schutz
  73. vor einem staatlichen Zugriff auch aus dem Gewahrsam des Rechtsanwalts
  74. ergebe, der kein Alleingewahrsam sein müsse. Die Erwähnung des nichtanwaltlichen "Sozius" dient dabei nicht der Begrenzung des (Mit-)Besitz ausübenden
  75. Personenkreises. Sie folgt allein aus dem Zusammenhang der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage eines Sozietätsverbots nach § 59a Abs. 1 Satz 1
  76. BRAO. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird vielmehr auf
  77. strafprozessuale Rechtsprechung verwiesen, in der - ohne eine weitere Begrenzung des Kreises der nichtanwaltlichen Mitgewahrsamsinhaber - zur Begründung des Beschlagnahmeverbots gemäß § 97 Abs. 1 StPO der Mitgewahrsam des Rechtsanwalts als ausreichend erachtet wird, sofern nicht der Beschuldigte Mitgewahrsam inne hat (BVerfG aaO unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 4. August 1964 - 3 StB 12/63, BGHSt 19, 374 und Urteil vom
  78. 28. März 1973 - 3 StR 385/72, BGHSt 25, 168, 169; LG Aachen, MDR 1981,
  79. 603).
  80. 9
  81. Auch im strafprozessualen Schrifttum wird einhellig die Auffassung vertreten, dass für das Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 StPO der Mitgewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten genügt, soweit nicht der weitere Mitgewahrsam dem Beschuldigten zusteht. Eine darüber hinausgehende
  82. Begrenzung des Kreises der nichtanwaltlichen (Mit-)Gewahrsamsinhaber erfolgt
  83. ebenfalls nicht (vgl. Menges in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 97 Rn. 29;
  84. MüKoStPO/Hauschild, 1. Aufl., § 97 Rn. 20; BeckOKStPO/Ritzert, § 97 Rn. 6b
  85. [Stand: 01.01.2017]).
  86. -6-
  87. 10
  88. Greift aber das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 StPO im Fall eines Rechtsanwalts, der neben einem anderen in den Kanzleiräumen tätigen,
  89. selbst nicht zeugnisverweigerungsberechtigten Gewahrsamsinhaber Mitgewahrsam ausübt, so gilt das Beschlagnahmeverbot erst recht in dem vorliegenden Fall eines Rechtsanwalts, der Mit- oder Alleingewahrsam an den von einem
  90. Beschlagnahmeverbot betroffenen Gegenständen innehat und zugleich in seinen Kanzleiräumen einen Beruf ausübt, der nicht zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt (vgl. zum Gewahrsam eines Syndikusanwalts, der seine Verteidigungsunterlagen im Büro des Unternehmens aufbewahrt: LG Frankfurt,
  91. WM 1995, 47, 48; Menges in Löwe-Rosenberg aaO).
  92. 11
  93. Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt aus der - zutreffenden Auffassung des Anwaltsgerichtshofs nicht, dass der Rechtsanwalt Beschlagnahmeschutz für alle Unterlagen und sonstigen Gegenstände erlangt, die nicht
  94. seiner anwaltlichen Tätigkeit, sondern einem beliebigen Zweitberuf zuzuordnen
  95. sind. Geschützt sind stets nur die in § 97 Abs. 1 StPO genannten Gegenstände,
  96. die dem Gewahrsam des Rechtsanwalts als gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 StPO
  97. Zeugnisverweigerungsberechtigtem unterliegen. Dieser Schutz wird dadurch,
  98. dass der Rechtsanwalt in seinen Kanzleiräumen einen weiteren, nicht zur
  99. Zeugnisverweigerung berechtigenden Beruf ausübt, weder erweitert noch beeinträchtigt.
  100. 12
  101. bb) Zu Recht ist der Anwaltsgerichtshof davon ausgegangen, dass auch
  102. eine etwaige im Hinblick auf die Immobilienverwaltung des Klägers durchgeführte Telefonüberwachung nicht die Gefahr einer Verletzung seiner anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht begründet. Erkenntnisse, die durch eine Ermittlungsmaßnahme erlangt werden, die sich nicht gegen den zeugnisverweigerungsberechtigten Rechtsanwalt richtet, über die letzterer jedoch das Zeugnis
  103. -7-
  104. verweigern dürfte, dürfen gemäß § 160a Abs. 1 Satz 2 und 5 StPO nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind gemäß § 160a Abs. 1 Satz 3
  105. und 5 StPO unverzüglich zu löschen. Damit dürfen aber auch Erkenntnisse
  106. nicht verwendet werden, die aus einer sich gegen den Rechtsanwalt als Immobilienverwalter richtenden Telefonüberwachung erlangt werden, indes seine
  107. Tätigkeit als Rechtsanwalt betreffen und deswegen gemäß § 53 Abs. 1 StPO
  108. seinem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen. Hierdurch wird der Gefahr einer Verletzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht hinreichend vorgebeugt.
  109. 13
  110. 2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e
  111. Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben,
  112. wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und
  113. klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von
  114. Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an
  115. einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur
  116. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2012 - AnwZ (Brfg) 42/11, juris Rn. 25 mwN).
  117. 14
  118. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die von der Beklagten zur Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung formulierte Rechtsfrage ist,
  119. soweit sie sich in vorliegendem Zusammenhang konkret stellt und entscheidungserheblich ist, eindeutig zu verneinen und nicht klärungsbedürftig. Auf die
  120. vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen.
  121. -8-
  122. III.
  123. 15
  124. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
  125. Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 2
  126. GKG.
  127. Kayser
  128. Bünger
  129. Schäfer
  130. Remmert
  131. Wolf
  132. Vorinstanz:
  133. AGH München, Entscheidung vom 24.10.2016 - BayAGH III - 4 - 1/16 -