Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

153 lines
9.4 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ (B) 99/09
  4. vom
  5. 20. August 2010
  6. in dem Verfahren
  7. wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
  8. - 2 -
  9. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden
  10. Richter Dr. Ganter, die Richterinnen Lohmann und Dr. Fetzer, die Rechtsanwälte Dr. Martini und Prof. Dr. Quaas
  11. am 20. August 2010
  12. beschlossen:
  13. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 1. Senats des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs vom
  14. 24. September 2009 aufgehoben.
  15. Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben. Der Antragsteller
  16. hat der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
  17. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
  18. 50.000 € festgesetzt.
  19. Gründe:
  20. I.
  21. 1
  22. Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und Mitglied der Antragsgegnerin. Mit
  23. Bescheid vom 8. Juli 2009 hat die Antragsgegnerin die Zulassung wegen Vermögensverfalls widerrufen und die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheides angeordnet. Der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Bescheid ist
  24. dem Antragsteller am 9. Juli 2009 zugestellt worden.
  25. - 3 -
  26. 2
  27. Am 29. Juli 2009 ging bei der Antragsgegnerin ein Telefax seiner jetzigen
  28. Verfahrensbevollmächtigten ein, die sich für den Antragsteller legitimierten,
  29. "Widerspruch" gegen den Bescheid vom 8. Juli 2009 einlegten und Akteneinsicht in ihrer Kanzlei beantragten. Außerdem baten sie unter Bezugnahme auf
  30. ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 22. Juli 2009 um Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage der Bestellung eines Vertreters bis zum 10. August 2009;
  31. eine Vertreterbestellung sei nicht erforderlich, weil der Antragsteller keine Mandate mehr bearbeite. Die Antragsgegnerin lehnte mit Schreiben vom 30. Juli
  32. 2009 eine Verlängerung der Frist zur Stellungnahme hinsichtlich der aus ihrer
  33. Sicht eilbedürftigen Vertreterbestellung ab. Die Akten würden nicht übersandt,
  34. sondern könnten in den Räumen der Antragsgegnerin eingesehen werden; weder hinsichtlich der Vertreterbestellung noch zur Begründung des Rechtsmittels
  35. sei im Übrigen Akteneinsicht erforderlich.
  36. 3
  37. Mit Schreiben vom 12. August 2009 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, er sei mit Wirkung vom 11. August 2009 aus dem bei ihr geführten Rechtsanwaltsverzeichnis gelöscht worden.
  38. 4
  39. Am 19. August 2009 stellte der Antragsteller, weiterhin vertreten durch
  40. seine jetzigen Verfahrensbevollmächtigten, Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er beanstandete, dass die Antragsgegnerin ihn weder darauf hingewiesen habe,
  41. dass der Widerspruch nicht das richtige Rechtsmittel sei, noch seinen Schriftsatz an den Anwaltsgerichtshof weitergeleitet habe. Kenntnis von ihrem Fehler
  42. hätten seine Verfahrensbevollmächtigten erst durch die Mitteilung der Antragsgegnerin über seine Löschung aus dem Rechtsanwaltsverzeichnis erhalten.
  43. - 4 -
  44. Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Anwaltsgerichtshof dem An-
  45. 5
  46. tragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Hiergegen hat die
  47. Antragsgegnerin sofortige Beschwerde eingelegt. Am 24. März 2010 ist die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen des Antragstellers angeordnet
  48. worden. Mit Schreiben vom 6. April 2010 hat der Antragsteller gegenüber der
  49. Antragsgegnerin auf seine Zulassung verzichtet. Der Antragsteller hat das Beschwerdeverfahren für erledigt erklärt. Die Antragsgegnerin hat keine entsprechende Erklärung abgegeben und auch nicht (erneut) die Zulassung des Antragstellers widerrufen. Sie vertritt weiterhin die Ansicht, dass die Zulassung des
  50. Antragstellers durch den Bescheid vom 8. Juli 2009 bestandskräftig widerrufen
  51. worden ist.
  52. II.
  53. Das gerichtliche Verfahren richtet sich dem bis zum 31. August 2009 gel-
  54. 6
  55. tenden Recht (§ 215 Abs. 3 BRAO). Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 42
  56. Abs. 6 Satz 3 BRAO a.F., § 22 Abs. 2 Satz 3 FGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
  57. 1. Der Antragsteller war nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist des
  58. 7
  59. § 16 Abs. 5 BRAO a.F. für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung einzuhalten (§ 22 FGG). Er muss sich das Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen, die nicht den statthaften Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Anwaltsgerichtshof gestellt, sondern einen unstatthaften Widerspruch bei der Antragsgegnerin eingelegt haben (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 2
  60. FGG).
  61. - 5 -
  62. 8
  63. 2. Dieses Verschulden ist nicht deshalb unbeachtlich, weil die Antragsgegnerin den Schriftsatz nicht innerhalb der noch laufenden Frist an den Anwaltsgerichtshof weitergeleitet hat. Vergeblich beruft sich der Antragsteller insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs in Fällen, in denen die Rechtsmittelschrift an ein unzuständiges
  64. Gericht gerichtet war. Nach dieser Rechtsprechung hat ein Gericht, das erstinstanzlich mit der Sache befasst war, einen bei ihm eingereichten fristgebundenen Schriftsatz für das Rechtsmittelverfahren aufgrund seiner aus Art. 2 Abs. 1
  65. GG und dem Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Pflicht zu einer fairen Verfahrensgestaltung im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an
  66. das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geht der Schriftsatz so zeitig bei dem
  67. Ausgangsgericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige
  68. Gericht im üblichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf
  69. die Partei darauf vertrauen, dass der Schriftsatz rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Ein Verschulden der Partei oder ihres Bevollmächtigten wirkt
  70. sich dann nicht mehr aus (BVerfGE 93, 99, 115 f.; BVerfG, NJW 2005, 2137,
  71. 2138; BGH, Beschl. v. 29. Mai 2002 - V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 44). Diese
  72. Grundsätze gelten auch, wenn eine leicht und einwandfrei als fehlgeleitet erkennbare Rechtsbehelfsschrift bei einem bisher nicht befasst gewesenen Gericht eingeht und dessen Unzuständigkeit deshalb offensichtlich ist (BVerfG,
  73. NJW 2006, 1579).
  74. 9
  75. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Die Verfahrensbevollmächtigten
  76. des Antragstellers haben nicht den gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelf - den
  77. Antrag auf gerichtliche Entscheidung - bei einem dafür offensichtlich unzuständigen Gericht eingereicht. Sie haben vielmehr Widerspruch gemäß § 112c
  78. Abs. 1 Satz 1 BRAO in der vom 1. September 2009 an geltenden Fassung,
  79. § 68 VwGO bei der Antragsgegnerin als der für ein Widerspruchsverfahren zu-
  80. - 6 -
  81. ständigen Behörde eingelegt, ohne zu beachten, dass die Neufassung der
  82. Bundesrechtsanwaltsordnung erst am 1. September 2009 in Kraft trat und die
  83. Übergangsregelung des § 215 BRAO für laufende Verfahren die Anwendung
  84. des bis zum 31. August 2009 geltenden Rechts anordnete. Die Antragsgegnerin
  85. konnte den Schriftsatz überdies nicht einfach an den Anwaltsgerichtshof weiterleiten. Der Schriftsatz enthielt neben dem unstatthaften Widerspruch gegen den
  86. Widerrufsbescheid auch einen Antrag auf Akteneinsicht und befasste sich mit
  87. der Frage der Bestellung eines amtlichen Vertreters. Jedenfalls insoweit war er
  88. von der Antragsgegnerin zu bescheiden, nicht vom Anwaltsgerichtshof.
  89. 10
  90. 3. Dass die Antragsgegnerin den Antragsteller und seine Verfahrensbevollmächtigten nicht nochmals darauf hingewiesen hat, dass statthafter Rechtsbehelf gegen den Widerrufsbescheid im vorliegenden Fall noch der beim Anwaltsgerichtshof anzubringende Antrag auf gerichtliche Entscheidung war, ändert im Ergebnis schließlich ebenfalls nichts. Die Antragsgegnerin hatte dem
  91. Antragsteller eine entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung erteilt, die der Widerrufsverfügung beigefügt worden war. Es würde eine Überspannung der Anforderungen an die Fürsorgepflicht der Antragsgegnerin bedeuten, wenn ihren
  92. Mitgliedern und deren Verfahrensbevollmächtigten die Verantwortung für die
  93. Einhaltung der Formalien eines Rechtsbehelfs nach der Erteilung einer zutreffenden und inhaltlich ohne weiteres verständlichen Rechtsbehelfsbelehrung
  94. vollständig abgenommen werden würde. Die Gerichte sind regelmäßig nicht
  95. verpflichtet, die Partei oder ihren Bevollmächtigten telefonisch oder per Telefax
  96. davon zu unterrichten, dass ein fristgebundener Schriftsatz beim unzuständigen
  97. Gericht eingereicht wurde (BVerfG, NJW 2001, 1343; BGH, Beschl. v. 14. Dezember 2005 - IX ZB 138/05, AnwBl. 2006, 213; v. 15. Dezember 2005 - VI ZB
  98. 15/05, AnwBl. 2006, 212). Für die Antragsgegnerin kann nichts anderes gelten.
  99. - 7 -
  100. Einer Wiederholung der Rechtsbehelfsbelehrung bedurfte es nicht, zumal der
  101. Antragsteller - selbst Rechtsanwalt - anwaltlich vertreten war.
  102. 11
  103. Anlass zu Bedenken gibt allenfalls, dass die Antragsgegnerin in ihrem
  104. Antwortschreiben vom 30. Juli 2009 nicht nur auf den Antrag auf Akteneinsicht
  105. sowie die Bitte um Einräumung einer Frist zur Stellungnahme hinsichtlich der
  106. Bestellung eines Vertreters beschieden hat, sondern auch die Frage der Begründung "des Rechtsmittels" angesprochen hat. Dies hat sich im konkreten
  107. Fall jedoch nicht ausgewirkt. Der Antragsteller hat nicht behauptet, seine Verfahrensbevollmächtigten seien durch den Inhalt des Schreibens der Antragsgegnerin davon abgehalten worden, ihr Vorgehen zu überprüfen. Er hat vielmehr die Ansicht vertreten, die Antragsgegnerin hätte von sich aus dafür Sorge
  108. tragen müssen, dass sein "Widerspruch" rechtzeitig beim Anwaltsgerichtshof
  109. einging, indem sie entweder den Schriftsatz weiterleitete oder einen erneuten
  110. rechtlichen Hinweis erteilte. Dies trifft indes nicht zu.
  111. Ganter
  112. Lohmann
  113. Martini
  114. Fetzer
  115. Quaas
  116. Vorinstanz:
  117. AGH Dresden, Entscheidung vom 24.09.2009 - AGH 11/09 (I) -