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108 lines
5.1 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwSt (R) 4/12
  4. vom
  5. 6. Juli 2012
  6. in dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
  7. gegen
  8. wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten
  9. -2-
  10. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
  11. des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter Prof. Dr. König und
  12. Seiters sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Quaas und Dr. Braeuer
  13. am 6. Juli 2012 gemäß § 146 Abs. 3 Satz 1 BRAO i.V.m. § 349 Abs. 4 StPO
  14. beschlossen:
  15. Auf die Revision des Rechtsanwalts wird das Urteil des 2. Senats
  16. des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 22. November 2011 mit
  17. den Feststellungen aufgehoben.
  18. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  19. über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Senat des
  20. Anwaltsgerichtshofs zurückverwiesen.
  21. Gründe:
  22. 1
  23. Das Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer M.
  24. hat gegen den Rechtsanwalt am 21. Juni 2010 wegen schuldhafter Verletzung
  25. anwaltlicher Pflichten einen Verweis und eine Geldbuße von 5.000 € verhängt.
  26. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Generalstaatsanwaltschaft hat der Anwaltsgerichtshof das Urteil des Anwaltsgerichts im
  27. Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und dem Betroffenen verboten, für die
  28. Dauer eines Jahres auf dem Gebiet des Strafrechts tätig zu werden. Die hiergegen gerichtete Revision des Rechtsanwalts hat mit der Sachrüge Erfolg.
  29. 2
  30. Der Rechtsfolgenausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil der Anwaltsgerichtshof die im Hinblick auf § 327 StPO i.V.m. § 143 Abs. 4 Satz 1
  31. -3-
  32. BRAO bestehende Bindung an im Urteil des Anwaltsgerichts getroffene Feststellungen nicht hinreichend beachtet hat, die nicht nur den Rechtsfolgenausspruch, sondern auch den nach der Berufungsbeschränkung rechtskräftig gewordenen Schuldspruch betreffen (vgl. zu § 353 Abs. 2 StPO eingehend BGH,
  33. Urteil vom 14. Januar 1982 - 4 StR 642/81, BGHSt 30, 340, 342 ff. m.w.N.; st.
  34. Rspr.).
  35. 3
  36. 1. Nach den Feststellungen des Anwaltsgerichts behielt der Rechtsanwalt den für die Erfüllung einer gegen seinen Mandanten festgesetzten Bewährungsauflage bestimmten Betrag von 2.250 € ein, um ihn mit offenen Honorarforderungen zu verrechnen. "Die Gefahr des Bewährungswiderrufs und der Inhaftierung seines Mandanten bestand aus Sicht des Betroffenen nicht, da er
  37. aus zwei - für ihn verlässlichen - Quellen wusste, dass kein Bewährungswiderruf erfolgen werde, selbst wenn die Bewährungsauflage nicht erfüllt" würde
  38. (Anwaltsgericht UA S. 4). In bewusster Abweichung von diesen Feststellungen
  39. legt der Anwaltsgerichtshof seinem Urteil hingegen beweiswürdigend zugrunde,
  40. dass der Rechtsanwalt bei seiner Tat den Bewährungswiderruf, mithin die Inhaftierung seines Mandanten zumindest billigend in Kauf genommen hat (Anwaltsgerichtshof UA S. 9 f.).
  41. 4
  42. 2. Damit hat der Anwaltsgerichtshof gegen das Widerspruchsverbot verstoßen. Zwar führt der Generalbundesanwalt zutreffend aus, dass weder dem
  43. strafrechtlichen Vorwurf der Untreue (§ 266 StGB) noch der dem Rechtsanwalt
  44. zur Last gelegten Berufspflichtverletzung (§§ 43, 113 Abs. 1 BRAO) die Grundlage entzogen würde, wenn man die Vorstellung des Rechtsanwalts von einem
  45. drohenden Bewährungswiderruf außer Acht ließe. Darauf kommt es jedoch
  46. nicht entscheidend an. Vielmehr weist die Revision mit Recht darauf hin, dass
  47. auch jene Teile der Sachverhaltsdarstellung als den Schuldspruch tragend an
  48. der Bindungswirkung teilnehmen, die das Tatgeschehen im Sinne eines ge-
  49. -4-
  50. schichtlichen Vorgangs näher beschreiben, etwa die Umstände schildern, die
  51. der Tat das entscheidende Gepräge gegeben haben; der geschichtliche Vorgang, der dem Schuldspruch zugrunde liegt, bildet ein geschlossenes Ganzes,
  52. aus dem nicht Einzelteile herausgegriffen und zum Gegenstand neuer, abweichender Feststellungen gemacht werden dürfen (BGH, aaO S. 344 m.w.N.). Die
  53. Tat ist demnach durch ein in sich widerspruchsfreies, einheitliches Erkenntnis
  54. abzuurteilen; ob über die Schuld- und die Frage der Sanktion gleichzeitig entschieden oder ob nach Rechtskraft des Schuldspruchs die Sanktion gesondert
  55. festgesetzt wird, darf dabei keinen Unterschied machen (vgl. BGH, Urteil vom
  56. 24. September 1987 - 4 StR 413/87, BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 3
  57. m.w.N.).
  58. 5
  59. Nach diesen Maßstäben handelte es sich beim Vorstellungsbild des
  60. Rechtsanwalts in Bezug auf einen drohenden Bewährungswiderruf bei Nichterfüllung der Bewährungsauflage um ein das Geschehen prägendes Moment im
  61. vorgenannten Sinn. Es macht auch für das Maß der Pflichtwidrigkeit (vgl. BGH,
  62. aaO S. 343) einen wesentlichen Unterschied, ob der Rechtsanwalt bei seiner
  63. Untreuehandlung die Inhaftierung seines Mandanten bewusst riskiert oder ob er
  64. - aus welchen Gründen auch immer - sicher ist, dass es zumindest nicht zum
  65. Freiheitsentzug
  66. kommt.
  67. Dementsprechend
  68. hat
  69. der
  70. Anwaltsgerichts-
  71. -5-
  72. hof diesem Umstand auch ersichtlich große Bedeutung beigemessen. Über den
  73. Rechtsfolgenausspruch muss deswegen unter Beachtung der Bindungswirkung
  74. neu entschieden werden.
  75. Tolksdorf
  76. König
  77. Quaas
  78. Seiters
  79. Braeuer
  80. Vorinstanzen:
  81. Anwaltsgericht München, Entscheidung vom 21.06.2010 - AnwG 8/10 AGH München, Entscheidung vom 22.11.2011 - BayAGH II - 18/10 -