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27 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AK 28/16
  4. vom
  5. 2. Juni 2016
  6. in dem Ermittlungsverfahren
  7. gegen
  8. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u.a.
  9. ECLI:DE:BGH:2016:020616BAK28.16.0
  10. -2-
  11. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers am 2. Juni 2016
  12. gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
  13. Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
  14. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
  15. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.
  16. Gründe:
  17. I.
  18. 1
  19. Der Beschuldigte wurde am 5. November 2015 vorläufig festgenommen
  20. und befindet sich seit dem 6. November 2015 - zunächst aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden von diesem Tag (Az.: 272 Gs 4181/15) - in Untersuchungshaft. Diesen Haftbefehl hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs durch Beschluss vom 28. April 2016 - 3 BGs 152/16 - aufgehoben
  21. und ihn durch Haftbefehl vom selben Tag - 3 BGs 153/16 - ersetzt.
  22. 2
  23. Gegenstand des nunmehrigen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich von Juli bis November 2015 in fünf Fällen als Rädelsführer an
  24. der "Gruppe Freital" beteiligt und damit an einer Vereinigung, deren Zwecke
  25. und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag
  26. -3-
  27. (§ 212 StGB) bzw. gemeingefährliche Straftaten insbesondere in den Fällen
  28. des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1,
  29. Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 StGB). In vier der fünf Fälle habe er jeweils tateinheitlich
  30. - am 20. September 2015 in Freital eine Sprengstoffexplosion (§ 308
  31. Abs. 1 StGB) herbeigeführt, eine fremde Sache beschädigt (§ 303 StGB) und
  32. unmittelbar dazu angesetzt, mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mittels
  33. einer das Leben gefährdenden Behandlung eine andere Person zu verletzen
  34. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB);
  35. - in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015 in Dresden gemeinschaftlich mit anderen Beschuldigten eine Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1
  36. StGB) herbeigeführt, eine fremde Sache beschädigt (§ 303 StGB) und unmittelbar dazu angesetzt, mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mit anderen
  37. Beteiligten gemeinschaftlich eine andere Person zu verletzen (§ 224 Abs. 1
  38. Nr. 2 und 4, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB);
  39. - am 1. November 2015 in Freital gemeinschaftlich mit anderen Beschuldigten eine Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1 StGB) herbeigeführt und
  40. unmittelbar dazu angesetzt, vier Menschen aus niedrigen Beweggründen und
  41. heimtückisch zu töten (§§ 211, 22, 23 StGB), wobei er einen Menschen mittels
  42. eines gefährlichen Werkzeugs, mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich und
  43. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung verletzt (§ 224 Abs. 1 Nr. 2,
  44. 4 und 5 StGB) sowie eine fremde Sache beschädigt habe (§ 303 StGB);
  45. - im Zeitraum zwischen Juli und November 2015 gemeinschaftlich mit
  46. anderen Beschuldigten in Freital und an anderen Orten Explosionsverbrechen
  47. vorbereitet (§ 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
  48. -4-
  49. II.
  50. 3
  51. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über
  52. sechs Monate hinaus liegen vor.
  53. 4
  54. 1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des
  55. Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.
  56. 5
  57. a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden
  58. Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
  59. 6
  60. aa) Der Beschuldigte, sieben Mitbeschuldigte und weitere Personen bildeten spätestens im Juli 2015 die "Gruppe Freital". Diese Personenvereinigung
  61. war auf längere Zeit angelegt und darauf ausgerichtet, ihre rechtsextremistische Ideologie durch die Begehung von Anschlägen gewaltsam durchzusetzen.
  62. Die fortlaufenden Anschlagsplanungen sahen insbesondere Sprengstoffanschläge auf von Asylbewerbern bewohnte Unterkünfte und Wohnungen politisch Andersdenkender vor, die mittels pyrotechnischer Sprengkörper begangen werden sollten und in mehreren Fällen auch begangen wurden. Dabei wurden die Sprengkörper teilweise von außen an Fensterscheiben platziert,
  63. wodurch sie wie (Glas-)Splitterbomben wirkten. Insoweit nahmen die Mitglieder
  64. der Vereinigung - jedenfalls in einem der Fälle - die Tötung von Menschen, die
  65. sich in den angegriffenen Räumlichkeiten aufhielten, billigend in Kauf. Mit diesen Taten sollten politisch Andersdenkende eingeschüchtert und Asylbewerber
  66. zur Ausreise aus Deutschland veranlasst werden.
  67. 7
  68. Ihre rechtsextreme und fremdenfeindliche Gesinnung dokumentierten
  69. die Mitglieder der Vereinigung bei gemeinsamen persönlichen - häufig an einer
  70. Tankstelle in Freital abgehaltenen - Treffen, in sozialen Netzwerken,
  71. -5-
  72. aber auch in Internet-Chatgruppen. Letzterer bediente sich die Vereinigung
  73. auch zu Anschlagsplanungen/-verabredungen, wobei sie einen InstantMessaging-Dienst verwendete, der die Einrichtung geheimer, verschlüsselter
  74. Chatgruppen ermöglichte; von dieser Möglichkeit machten sie mit dem sogenannten schwarzen Chat, in dem "ausschließlich heftige Aktionen besprochen"
  75. wurden und dessen Teilnehmer "ausschließlich die Terroristen" waren, auch
  76. Gebrauch.
  77. 8
  78. Innerhalb der Organisation waren der Beschuldigte und der Mitbeschuldigte S.
  79. maßgeblich für die Planung und Organisation der Anschläge ver-
  80. antwortlich, wobei der Beschuldigte auch anderen Mitgliedern die ihnen bei der
  81. Ausführung von Anschlägen zukommenden Rollen zuwies und mit Explosivstoffen experimentierte, etwa um eine verzögerte Explosionszeit oder allgemein die
  82. Wirkung pyrotechnischer Sprengkörper zu testen. Der innerhalb der Vereinigung ebenfalls als treibende Kraft agierende Mitbeschuldigte S.
  83. war zudem
  84. in der Lage, gleichgesinnte Personen zu mobilisieren, sofern sie zu Zwecken
  85. der Vereinigung benötigt wurden. Der Mitbeschuldigte W.
  86. hatte hingegen
  87. als "Internet-Spezialist" die Aufgabe übernommen, Informationen über die linke
  88. Szene zu sammeln.
  89. 9
  90. Die Mitglieder der Vereinigung agierten konspirativ, indem sie nicht nur
  91. die Verschlüsselungs- und Löschungsfunktionen des verwendeten InstantMessaging-Dienstes bewusst einsetzten, sondern sich darüber hinaus auch
  92. einer codierten Sprache bedienten, etwa indem sie Sprengkörper als "Obst"
  93. bezeichneten oder Kurzbezeichnungen (z.B. "BS" für Buttersäure) benutzten.
  94. Die Gruppentreffen an öffentlichen Orten, etwa an der genannten Tankstelle,
  95. dienten der Besprechung der gemeinsamen Ziele im persönlichen Rahmen.
  96. -6-
  97. 10
  98. Innerhalb der Gruppierung wurde deren Vorgehen von allen Mitgliedern
  99. diskutiert; Entscheidungen wurden gemeinsam - gegebenenfalls durch Abstimmungen - getroffen, wobei den Auffassungen des Beschuldigten und des
  100. Mitbeschuldigten S.
  101. entsprechend ihrer Funktion als Initiatoren und Orga-
  102. nisatoren von Anschlägen ein großes Gewicht zukam. Im Verlauf der Diskussionen entwickelte sich eine gruppenspezifische Eigendynamik, die zur wechselseitigen Bestärkung der Gruppenmitglieder in ihren Auffassungen und ihrer Bereitschaft beitrug, sich auch an den Anschlägen der Vereinigung zu beteiligen.
  103. Folglich sahen sie sich als gegenseitig verpflichtet an, sich an den gemeinsamen Aktionen der Gruppierung zu beteiligen und erwarteten auch von anderen
  104. Mitgliedern, dass diese sich beteiligten; einer der Mitbeschuldigten erklärte seine Mitwirkung an einem der Anschläge gar mit "Gruppenzwang", dem er sich
  105. ausgesetzt gesehen habe.
  106. 11
  107. Die Anschläge wurden durch koordiniertes, arbeitsteiliges Zusammenwirken der jeweils beteiligten Gruppenmitglieder vorbereitet, etwa indem über
  108. den "schwarzen Chat" Treffpunkt, Uhrzeit, Teilnehmerkreis und mitzubringende
  109. Tatmittel vereinbart wurden. Die Mitbeschuldigte Kl.
  110. leistete zudem Aufklä-
  111. rungsarbeit, ihr und anderen Mitgliedern kamen auch logistische Aufgaben zu,
  112. etwa der Transport von Mittätern zum Tatort oder das Steuern des Fluchtwagens. An den vereinbarten Treffpunkten, die regelmäßig in der Nähe der Tatorte lagen und als Sammelpunkte dienten, fanden zudem weitere Besprechungen zu Details der jeweiligen Tatausführung statt, die der Beschuldigte maßgeblich prägte.
  113. 12
  114. bb) Aus dieser Gruppierung heraus wurden jedenfalls die nachfolgend
  115. beschriebenen Anschläge bzw. weitere Straftaten begangen (nachfolgend (1)
  116. -7-
  117. bis (4)). Ob der Vereinigung noch mehr Anschläge/Straftaten zuzurechnen sind,
  118. bedarf derzeit noch weiterer Ermittlungen.
  119. 13
  120. (1) In der Nacht vom 19. auf den 20. September 2015 gegen Mitternacht
  121. brachte der Beschuldigte einen pyrotechnischen Sprengsatz vom Typ Cobra 12
  122. zur Detonation, den er zuvor von außen am Küchenfenster einer von Asylbewerbern bewohnten Unterkunft, B.
  123. straße
  124. in Freital, angebracht hatte.
  125. Durch die von der Explosion ausgelöste Druckwelle zerbarst die Fensterscheibe, der Fensterrahmen wurde deformiert. Glas- und Kunststoffsplitter flogen
  126. durch die Küche und schlugen in der vier Meter vom Fenster entfernten gegenüberliegenden Wand ein; teilweise flogen die Splitter auch durch die geöffnete
  127. Küchentür in den angrenzenden Flur. Die sich zur Tatzeit in der Wohnung aufhaltenden acht Personen blieben nur deshalb unverletzt, weil sie sich nicht in
  128. der Küche oder im Flur befanden, sondern in den anderen Räumen schliefen.
  129. 14
  130. Dem Beschuldigten war die Wirkung des verwendeten Sprengsatzes bekannt. Er wusste auch, dass die Wohnung von Asylbewerbern genutzt wurde;
  131. darauf kam es ihm gerade an. Die naheliegende Möglichkeit, dass der Küchenraum einer Wohnung auch zur Nachtzeit von Bewohnern der Wohnung betreten werden kann, die alsdann von herumfliegenden Splittern zumindest gravierend verletzt werden könnten, war ihm ebenfalls bewusst.
  132. 15
  133. Es besteht aus den vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes im
  134. Haftbefehl im Einzelnen dargelegten Gründen der dringende Tatverdacht, dass
  135. es sich bei dieser Tat des Beschuldigten um eine Tat der Vereinigung "Gruppe
  136. Freital" handelte. Ob sich bestehende Anhaltspunkte, dass auch andere Mitglieder der Vereinigung an ihrer Ausführung beteiligt waren, im Sinne eines
  137. dringenden Tatverdachts erhärten lassen, bedarf noch weiterer Ermittlungen.
  138. -8-
  139. 16
  140. (2) In der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015 verübten der Beschuldigte und andere Mitglieder der "Gruppe Freital" gemeinsam mit weiteren
  141. Personen einen Sprengstoffanschlag auf Bewohner des von dem linksgerichteten alternativen Wohnprojekt "Mangelwirtschaft" genutzten Wohnhauses
  142. O.
  143. straße
  144. in D.
  145. . Dieser Anschlag war ein "Racheakt" der
  146. Vereinigung an den Bewohnern, die sie für einen vermeintlichen Angriff linksgerichteter Personen auf einen Teilnehmer an der Blockade einer Turnhalle verantwortlich machten, in der eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet werden sollte. Im "schwarzen Chat" verabredeten sich der Beschuldigte, der zuvor noch
  147. ein Abwarten propagiert hatte, weil "der erste Schlag (…) von links erfolgen"
  148. sollte, und die Mitbeschuldigten im Verlauf des 18. Oktober 2015 zum nächtlichen Angriff auf das Gebäude, wobei bereits besprochen wurde, wer welche
  149. Tatmittel - etwa Sprengkörper oder Buttersäure - mitbringen könne. Der Beschuldigte übernahm es, die pyrotechnischen Sprengsätze zusammen zu setzen. Gegen 19 Uhr trafen sich die teilnehmenden Mitglieder der "Gruppe
  150. Freital" zunächst an der Tankstelle in Freital und begaben sich später nach
  151. D.
  152. , wo sie ab 20 Uhr mit einer Dresdner Gruppe von Gleichge-
  153. sinnten an einer Turnhalle zusammentrafen. Der Beschuldigte und ein Teilnehmer aus der Dresdner Gruppe hatten das Grundstück vorher ausgekundschaftet. Unter einer Brücke in der Nähe des Wohnprojekts kam die aus 20-30
  154. Personen bestehende Gruppe der Angreifer zusammen. Es wurden mehrere
  155. Sprengsätze - auch mit Buttersäure versehene - hergestellt. Der Beschuldigte
  156. und der Mitbeschuldigte S.
  157. verteilten weitere nicht in Deutschland zugelas-
  158. sene Sprengmittel und Steine an die Anwesenden und teilten die Tatbeteiligten
  159. in Gruppen ein. Die Dresdner Teilnehmer griffen entsprechend dem von dem
  160. Beschuldigten entwickelten und allen Tatbeteiligten detailliert erläuterten Tatplan ab 23.50 Uhr zusammen mit dem Mitbeschuldigten K.
  161. das Haus
  162. von vorne an, wobei dieses Manöver nur der Ablenkung dienen sollte; den ei-
  163. -9-
  164. gentlichen Angriff führten der Beschuldigte und der Mitbeschuldigte S.
  165. Anführer sowie die Mitbeschuldigten Se.
  166. und Sch.
  167. als
  168. zusammen mit ande-
  169. ren Personen von der Hinterseite des Grundstücks: Sie warfen zahlreiche
  170. Sprengsätze und Steine auf Fensteröffnungen des Hauses, mit denen sie indes
  171. nur Sachschaden anrichteten. Durch die mit Buttersäure versehenen Sprengkörper, die sie im Inneren des Hauses zur Detonation bringen wollten, beabsichtigten sie, das Haus unbewohnbar zu machen. Dies misslang, weil die Mitbeschuldigten die anvisierten Fensteröffnungen nicht trafen.
  172. 17
  173. Der Beschuldigte und die weiteren tatausführenden Mitglieder der Vereinigung, denen die erhebliche Sprengkraft der von ihnen verwendeten, in
  174. Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörper bekannt war,
  175. nahmen auch die gravierende Verletzung der anwesenden Bewohner des Hauses billigend in Kauf; sie hatten von der Raumaufteilung keine Kenntnis und
  176. konnten deshalb nicht ausschließen, dass sich in den Räumen hinter den von
  177. ihnen anvisierten Fenstern Personen aufhalten würden. Aufgrund der bekannten Gefährlichkeit der verwendeten Sprengsätze war den Beschuldigten auch
  178. die mögliche Todesgefahr, in die sie die Bewohner des angegriffenen Hauses
  179. brachten, bewusst.
  180. 18
  181. Nach der Tat flüchteten der Beschuldigte und die weiteren tatausführenden Mitglieder der Vereinigung mit mehreren Pkws vom Tatort.
  182. 19
  183. (3) Im Laufe des 31. Oktobers 2015 planten der Beschuldigte und weitere Mitglieder der Vereinigung einen Anschlag auf die als Asylbewerberunterkunft dienende Wohnung Wi.
  184. Straße
  185. in Freital. Dazu trafen sie sich
  186. gegen 16.30 Uhr an der genannten Tankstelle in Freital und fuhren zunächst
  187. gemeinsam nach Tschechien, wo sie mehrere in Deutschland nicht zugelassene pyrotechnische Sprengkörper erwarben. Schon vorher hatten die Mitbe-
  188. - 10 -
  189. schuldigten Kl.
  190. und S.
  191. telefonisch erörtert, dass sich die Gruppe am
  192. Abend treffen wolle, um ein "bisschen zu eskalieren". Gegen 21.30 Uhr kam
  193. der Beschuldigte erneut mit den Mitbeschuldigten S.
  194. K.
  195. , Kl.
  196. und We.
  197. , Sch.
  198. , W.
  199. ,
  200. sowie dessen Lebensgefährtin an der Tankstelle
  201. zusammen; bei diesem Treffen beschlossen die Anwesenden, den Anschlag
  202. auf die Asylbewerberunterkunft auszuführen und besprachen die Tatmodalitäten, das vorherige Auskundschaften der Tatörtlichkeit sowie die Aufgabenverteilung ausführlich. Nach Abschluss der Planung verließen die Beteiligten zunächst den Bereich der Tankstelle und trafen sich, nachdem der Beschuldigte
  203. im Beisein des Mitbeschuldigten K.
  204. in seiner Wohnung die Sprengsätze
  205. präpariert hatte, gegen 0.30 Uhr an einer Grundschule, von der aus sie mit
  206. mehreren Fahrzeugen zu einem Feld in der Nähe der Asylbewerberunterkunft
  207. fuhren.
  208. 20
  209. In der Nacht auf den 1. November 2015 gegen 0.50 Uhr stellten der Beschuldigte sowie die Mitbeschuldigten Sch.
  210. und W.
  211. sodann an drei
  212. Fenstern der genannten Wohnung jeweils einen in Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörper vom Typ Cobra 12 auf dem Fensterbrett
  213. ab und brachten diese annähernd zeitgleich zur Zündung. Ihnen war bekannt,
  214. dass sich hinter zwei der Fenster Schlafzimmer und hinter dem dritten die Küche der Wohnung befanden. Die Innenscheiben der doppelverglasten Fenster
  215. zerbarsten in teilweise handtellergroße Splitter, die durch die hinter den Fenstern liegenden Innenräume geschleudert wurden. Einer der Bewohner, der zur
  216. Tatzeit in seinem Bett lag, wurde durch die herumfliegenden Splitter im Gesicht
  217. verletzt; er erlitt mehrere Schnittverletzungen an der Stirn. Die drei anderen
  218. Bewohner konnten sich, nachdem einer von ihnen die abbrennende Lunte bemerkt hatte, auf seinen Warnruf hin in den Flur retten, wodurch weitere mögliche gravierende Verletzungen verhindert werden konnten.
  219. - 11 -
  220. 21
  221. Die Mitbeschuldigten Kl.
  222. , S.
  223. , K.
  224. und We.
  225. warteten ab-
  226. redegemäß in der Nähe des Tatorts, von wo aus sie das weitere Geschehen
  227. beobachteten. Nach Ausführung des Anschlags flohen der Beschuldigte und
  228. die beiden tatausführenden Mitbeschuldigten in dem von dem Mitbeschuldigten
  229. We. gesteuerten Fluchtwagen. Auch die anderen Mitbeschuldigten verließen
  230. ihren Beobachtungsposten.
  231. 22
  232. Dem Beschuldigten sowie den weiteren beteiligten Mitgliedern der Vereinigung waren die Sprengwirkung der eingesetzten Sprengkörper und die Gefährlichkeit insbesondere der konkreten Begehungsweise durch die Splitterwirkung der Fensterscheiben bekannt. Sie nahmen den Tod der in der Wohnung
  233. befindlichen Asylbewerber, um deren Anwesenheit sie wussten, gleichwohl in
  234. Kauf, als sie die Tat trotz im Vorfeld aufgekommener Bedenken, dass dabei
  235. Menschen zu Schaden kommen könnten, ausführten; solche Bedenken wurden
  236. von dem Beschuldigten vielmehr ausdrücklich zurückgestellt, indem er auf Verletzungsrisiken angesprochen ausführte: "Ob wir das nicht wollen?" und anschließend lachte.
  237. 23
  238. (4) Der Beschuldigte plante mit den anderen Mitgliedern der Vereinigung
  239. die Herbeiführung weiterer Sprengstoffexplosionen, bei denen Leib oder Leben
  240. anderer Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet
  241. werden sollten. Um diese ausführen zu können, fuhren die Mitglieder der Vereinigung - wie bereits oben dargelegt - nach Tschechien, um sich dort mit in
  242. Deutschland nicht zugelassenen pyrotechnischen Sprengkörpern zu versorgen.
  243. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten wurden 131 solcher
  244. Sprengkörper, mehrere Behältnisse mit Schwarzpulver sowie Zündlunten und
  245. 70 m Zündschnur sichergestellt.
  246. - 12 -
  247. 24
  248. b) Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus der Auswertung der auf dem Mobiltelefon der Mitbeschuldigten Kl.
  249. sichergestellten
  250. Protokolle namentlich des "schwarzen Chats", aus den Ergebnissen von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und aus den Vernehmungen zahlreicher Mitbeschuldigter, die sich teilweise selbst, aber auch andere Vereinigungsmitglieder, unter ihnen den Beschuldigten, erheblich belastet haben. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die ausführliche, mit den Beweisergebnissen belegte Sachverhaltsdarstellung in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs.
  251. 25
  252. c) In rechtlicher Hinsicht ist aufgrund dieses Ermittlungsergebnisses zunächst der dringende Verdacht belegt, dass sich in Freital eine Vereinigung
  253. gegründet hatte, die auf die Begehung von Tötungsdelikten sowie Sprengstoffverbrechen gerichtet war, an der sich der Beschuldigte als Rädelsführer beteiligte, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 StGB.
  254. 26
  255. Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse Dauer
  256. angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens
  257. drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; vgl.
  258. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, JZ 2016, 473,
  259. 474). Eine solche Vereinigung wird zur terroristischen, wenn ihre Zwecke oder
  260. Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gemäß den Katalogen nach § 129a
  261. Abs. 1 und 2 StGB gerichtet sind. Diese Zielsetzung muss durch den internen
  262. Willensbildungsprozess der Mitglieder gedeckt sein; der Gruppenwille erleichtert dem Einzelnen die Begehung von Straftaten und drängt das Gefühl persön-
  263. - 13 -
  264. licher Verantwortung zurück, woraus sich die vereinigungsbezogene Gefährlichkeit im Sinne der in größeren Personenzusammenschlüssen liegenden typischen Eigendynamik ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR
  265. 277/09, BGHSt 54, 216, 229).
  266. 27
  267. Die "Gruppe Freital" erfüllte - entgegen dem Vorbringen des Verteidigers
  268. des Beschuldigten - nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Voraussetzungen. Ihre Zusammensetzung und ihre Ausrichtung ergeben das Vorliegen des personellen, des zeitlichen und des organisatorischen Elements. Auch das Willenselement ist durch das beschriebene
  269. Verhalten bei der Willensbildung (gemeinsame Diskussion und Abstimmung)
  270. belegt.
  271. 28
  272. Die von der Vereinigung begangenen Taten erweisen sich unter Zugrundelegung des bisherigen Ermittlungsergebnisses als Straftaten im Sinne von
  273. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB. Die Sprengstoffanschläge hatten - unabhängig von der Frage eines ohnehin zur Anwendung von § 129a Abs. 1 Nr. 1
  274. StGB führenden Tötungsvorsatzes - das Ziel, politisch Andersdenkende einzuschüchtern und Asylbewerber so zu verängstigen, dass sie die Bundesrepublik
  275. Deutschland wieder verlassen würden. Ein solches Vorgehen gegen politisch
  276. Andersdenkende und Asylbewerber, die sich infolgedessen nicht mehr sicher
  277. und geschützt fühlen könnten, und das so zu einer tiefgreifenden Beeinträchtigung der inneren Sicherheit und des Vertrauens der Bevölkerung in ihre Gewährleistung führt, erfüllt die Voraussetzungen von § 129a Abs. 2 StGB, zumal,
  278. wenn sich die Anschläge in eine Vielzahl ausländerfeindlicher Straftaten im gesamten Bundesgebiet einreihen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006
  279. - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603, 1604 mwN).
  280. - 14 -
  281. 29
  282. Der Beschuldigte gehörte als derjenige, der die Anschläge im Wesentlichen plante und vorbereitete, der darüber hinaus den Mittätern an den Anschlägen ihre jeweilige Aufgabe zuwies und Zweifel an der Durchführung einzelner Anschläge zu zerstreuen vermochte (siehe oben: "Ob wir das nicht wollen"), zu den Rädelsführern dieser Vereinigung, denn er übte als Mitglied der
  283. Vereinigung maßgeblichen Einfluss auf ihre Tätigkeiten aus. Er nahm an der
  284. Durchführung aller Anschläge teil und beteiligte sich ausweislich der Chatprotokolle auch im Übrigen rege am Verbandsleben.
  285. 30
  286. Im Fall a) bb) (4) begründen bereits die aufgefundenen Sprengkörper im
  287. Zusammenhang mit der übrigen Ausrichtung der Vereinigung, dass der Beschuldigte dringend verdächtig ist - tateinheitlich zu der Rädelsführerschaft in
  288. der terroristischen Vereinigung (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR
  289. 537/14, JZ 2016, 473, 475) -, ein Explosionsverbrechen nach § 308 Abs. 1
  290. StGB vorbereitet zu haben, strafbar gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
  291. 31
  292. In den übrigen Fällen ist der Beschuldigte jeweils dringend verdächtig,
  293. sich als Allein- oder Mittäter an den Anschlägen beteiligt zu haben, wodurch er
  294. - wiederum jeweils tateinheitlich zu der Rädelsführerschaft in der terroristischen
  295. Vereinigung - in allen Fällen eine Sprengstoffexplosion herbeiführte (§ 308
  296. Abs. 1 StGB) und weiter idealkonkurrierend zusätzlich
  297. - im Fall a) bb) (3) versuchte, vier Menschen aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch zu töten (§§ 211, 22, 23 StGB), und dabei einen Menschen mittels eines gefährlichen Werkzeugs, mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung verletzte
  298. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) sowie eine fremde Sache beschädigte
  299. (§ 303 StGB). Der dringende Verdacht, dass bei dem Beschuldigten Tötungsvorsatz vorlag, ergibt sich maßgeblich aus der ihm bekannten besonderen Ge-
  300. - 15 -
  301. fährlichkeit der an den Fensterscheiben angebrachten Sprengladungen. Zudem
  302. war er es, der die Bedenken anderer Mitglieder im Vorfeld des konkreten Anschlags zurückstellte, dabei zum Ausdruck brachte, dass er die Gefährlichkeit
  303. der Tathandlung erkannte und dadurch im Ergebnis dafür sorgte, dass sich
  304. auch die anderen Vereinigungsmitglieder gleichwohl an der weiteren Anschlagsvorbereitung beteiligten. Dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden
  305. den Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht anders bewertet hat, führt zu keiner abweichenden Beurteilung;
  306. - in den Fällen a) bb) (1) und (2) jeweils versuchte, einen anderen Menschen mittels eines gefährlichen Werkzeugs sowie mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (Fall a) bb) (1)) bzw. mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich (Fall a) bb) (2)) zu verletzen und jeweils eine fremde Sache beschädigte.
  307. 32
  308. 2. Es besteht - worauf auch der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zutreffend abgestellt hat - der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2
  309. Nr. 2 StPO: Der Beschuldigte hat im Fall einer Verurteilung eine empfindliche
  310. Freiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Dem
  311. stehen hinreichende persönliche und soziale Bindungen des ledigen Beschuldigten nicht entgegen. Daneben liegt sowohl mit Blick auf § 129a Abs. 1 und 2
  312. StGB als auch mit Blick auf das jedenfalls in einem Fall versuchte Tötungsdelikt
  313. der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO vor. Die genannten
  314. Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere
  315. Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Vorschrift
  316. auch bei ihrer gebotenen restriktiven Auslegung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt,
  317. StPO, 59. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) angewendet werden kann.
  318. - 16 -
  319. 33
  320. Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).
  321. 34
  322. 3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.
  323. 35
  324. Der Umfang des Verfahrens - die Sachakten umfassen bereits jetzt 40
  325. Stehordner, die Ermittlungen sind indes noch nicht abgeschlossen; das Verfahren richtet sich mittlerweile gegen acht Beschuldigte - und seine besondere
  326. Schwierigkeit haben ein Urteil innerhalb von sechs Monaten, nachdem der Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen worden ist, noch nicht zugelassen.
  327. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Umstände, die zur Annahme des dringenden Tatverdachts geführt haben, die "Gruppe Freital" stelle
  328. eine terroristische Vereinigung dar, schon mangels ihrer Zuständigkeit nicht
  329. Gegenstand der Ermittlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden
  330. waren. Dass sie ohne Berücksichtigung dieser Strukturen die Ermittlungen für
  331. abgeschlossen gehalten und Anklage zum Jugendschöffengericht Dresden erhoben hatte, steht der Fortdauer der Untersuchungshaft mithin nicht entgegen
  332. und vermag auch nicht den Vorwurf einer verzögerten Sachbehandlung etwa
  333. deshalb zu begründen, weil der Generalbundesanwalt seinerseits noch keine
  334. neue Anklage erhoben hat; dies gilt jedenfalls derzeit mit Blick auf die Verfahrensübernahme erst am 11. April 2016.
  335. 36
  336. Das Verfahren ist auch mit der gebotenen besonderen Beschleunigung
  337. geführt worden. Seit der Inhaftierung des Beschuldigten sind zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden, die der Generalbundesanwalt im Einzelnen in seiner Zuschrift vom 4. Mai 2016 aufgeführt hat. Insbesondere die
  338. Auswertung der anlässlich der Festnahme von mehreren Mitbeschuldigten bei
  339. Durchsuchungen von insgesamt 21 Objekten am 19. April 2016 sichergestellten
  340. - 17 -
  341. Datenträger (Mobiltelefone, Computer und andere Speichermedien) dauert
  342. noch an. Gleiches gilt für die bereits anlässlich der Festnahmen vom
  343. 5. November 2015 sichergestellten 62 elektronischen Asservate; hier haben
  344. sowohl die Anzahl der Asservate als auch bestehende Sperrcodes die Dauer
  345. der Auswertungsmaßnahmen bedingt. Ebenso bedarf die Auswertung der
  346. Chatprotokolle, der geschalteten Telefonüberwachungsmaßnahmen, der Observationsmaßnahmen und der Videoaufzeichnungen vom Treffpunkt der
  347. Gruppe (
  348. 37
  349. Tankstelle) noch weiterer Ermittlungen.
  350. 4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht
  351. außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung
  352. zu erwartenden Strafe.
  353. Becker
  354. RiBGH Hubert befindet sich
  355. im Urlaub und ist daher
  356. gehindert zu unterschreiben.
  357. Becker
  358. Gericke