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  1. 5 StR 85/04
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. BESCHLUSS
  4. vom 22. Juli 2004
  5. in der Strafsache
  6. gegen
  7. wegen Steuerhinterziehung u. a.
  8. -2-
  9. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2004
  10. beschlossen:
  11. I.
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  13. Landgerichts Wuppertal vom 15. Oktober 2003 nach
  14. § 349 Abs. 4 StPO
  15. 1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte in den Fällen II 6, 20, 37 und 50 der Urteilsgründe jeweils der Beihilfe zur Steuerhinterziehung
  16. und im Fall II 24 der Urteilsgründe – unter Beschränkung der Verfolgung nach § 154a Abs. 1
  17. und Abs. 2 StPO – der Steuerhinterziehung schuldig ist;
  18. 2. im Strafausspruch in den Fällen II 6, 20, 24, 37
  19. und 50 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über
  20. die Gesamtstrafe mit den zugrundeliegenden
  21. Feststellungen aufgehoben.
  22. II.
  23. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2
  24. StPO als unbegründet verworfen.
  25. III.
  26. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
  27. Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
  28. des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
  29. Landgerichts zurückverwiesen.
  30. -3-
  31. G r ü n d e
  32. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung, wegen Steuerhinterziehung in 52 Fällen und wegen Betruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei
  33. Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus
  34. dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im übrigen ist die Revision unbegründet
  35. im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
  36. I.
  37. Nach den Feststellungen verkürzte der Angeklagte in den Jahren 1996
  38. bis 2002 in erheblichem Umfang Umsatzsteuern, indem er (Bruch-)Gold ohne Rechnung ankaufte und dieses offiziell an Scheideanstalten weiterverkaufte. Da er im Geschäftsverkehr nicht selbst in Erscheinung treten wollte,
  39. weihte er mehrere andere Personen in seine Pläne ein. Soweit diese Personen noch keinen Gewerbebetrieb führten, veranlaßte er, daß sie einen solchen anmeldeten. Für diese Unternehmen übernahm der Angeklagte sodann
  40. die Buchführung. Die unter dem Namen der jeweiligen Gewerbebetriebe abgewickelten Goldverkäufe an die Scheideanstalten erfolgten jeweils mit
  41. Rechnungen, in denen die Umsatzsteuer offen ausgewiesen war. In der
  42. Buchführung deckte der Angeklagte diese Lieferungen mit entsprechenden
  43. Scheineinkaufsrechnungen ab, in denen der angeblich gezahlte Steuerbetrag
  44. ebenfalls gesondert ausgewiesen war.
  45. Bis auf solche Fälle, in denen keine Umsatzsteueranmeldungen abgegeben wurden (Fälle 6, 20, 37, 50), machten die jeweiligen Firmeninhaber in
  46. ihren Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen die
  47. angebliche Vorsteuer aus den Abdeckrechnungen geltend. Die zu Unrecht
  48. erstatteten Vorsteuern sowie die nicht erklärten Umsatzsteuern wurden zwischen den Beteiligten als „Gewinn“ aufgeteilt.
  49. -4-
  50. II.
  51. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge führt aus folgenden Gründen zu einem Teilerfolg:
  52. 1. Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall 24 der Urteilsgründe wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung nach § 370a AO verurteilt
  53. hat, ist die Verfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts nach
  54. § 154a Abs. 1 und 2 StPO auf den Grundtatbestand des § 370 AO beschränkt worden.
  55. a) Nach den Feststellungen hatte die Lebensgefährtin des Angeklagten, die ein Schmuckstudio betrieb, sich seit 1998 an den geschilderten
  56. Goldgeschäften beteiligt, um eigene Verluste auszugleichen. Unter anderem
  57. verkürzte sie zusammen mit dem Angeklagten auf diese Weise durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2001 am 5. Juni 2002 Umsatzsteuern in Höhe von 654.650 DM (= 334.717
  58. 
  59. Das Landgericht hat diese Tat als ein Verbrechen der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung nach § 370a Satz 1 Nr. 1 AO gewertet. Es hat das
  60. Gesetz in der Fassung des 5. Gesetzes zur Änderung des SteuerbeamtenAusbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen vom 23. Juli 2002 (BGBl I 2715) als milderes Gesetz (§ 2 Abs. 3 StGB) zugrunde gelegt
  61. und die (Einsatz-)Strafe von zwei Jahren und neun Monaten dem gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falles nach § 370a Satz 2 AO entnommen. Dabei hat es auf der Grundlage der bisherigen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Gewerbsmäßigkeit des Handelns
  62. bejaht und darüber hinaus ohne weitere Begründung ausgeführt, das
  63. Verbrechensmerkmal der Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ sei erfüllt, weil die Grenze insoweit bei 250.000
  64.  
  65.   
  66. 
  67. -5-
  68. b) Der Senat hat das Verfahren im Hinblick auf die gewerbsmäßige
  69. Steuerhinterziehung nach § 154a Abs. 1 und 2 StPO beschränkt, weil die
  70. Strafnorm des § 370a AO erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
  71. Die durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz (StVBG) vom
  72. 18. Dezember 2001 (BGBl I 3922) eingeführte und durch das 5. Gesetz zur
  73. Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von
  74. Steuergesetzen (StBAG) vom 23. Juli 2002 (BGBl I 2715) novellierte Vorschrift qualifiziert die Steuerhinterziehung nach § 370 AO als Verbrechen,
  75. wenn sie gewerbs- oder bandenmäßig begangen wird und dadurch jeweils
  76. Steuern „in großem Ausmaß“ verkürzt werden. Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist ausgeschlossen; Angaben, die den Anforderungen an eine wirksame Selbstanzeige im Sinne von § 371 AO genügen, führen lediglich zur
  77. Verschiebung des Strafrahmens durch die gebotene Annahme eines minder
  78. schweren Falles gemäß § 370a Satz 2 AO.
  79. Abgesehen davon, daß innerhalb des damit neu geschaffenen Normengefüges der §§ 370 ff. AO die jeweiligen Konkurrenzverhältnisse völlig
  80. ungeklärt und die Strafrahmen so wenig aufeinander abgestimmt sind, daß
  81. erhebliche Wertungswidersprüche entstehen (vgl. BGH NJW 2003, 3068;
  82. Reiß Die Steuerberatung – Stbg – 2004, 113, 115 f.), ist nicht ersichtlich, wie
  83. der Verbrechenstatbestand des § 370a AO verfassungskonform ausgelegt
  84. werden kann.
  85. Das Steuerstrafrecht ist im Rahmen der Blankettnorm des § 370 AO
  86. aufgrund der durch das Steuerrecht vorgegebenen regelmäßigen Erklärungspflichten – monatlich, vierteljährlich oder jährlich – geprägt durch eine
  87. serielle Begehungsweise. Deliktstypisch zieht sich ein einmal begonnenes
  88. steuerunehrliches Verhalten über längere Zeiträume hin, ist folglich auf Wiederholung angelegt; zudem sind ebenso regelmäßig mehrere Personen in
  89. ein komplexes Hinterziehungsgeschehen eingebunden. Auf der Grundlage
  90. -6-
  91. der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Tatbestandsmerkmale der „Gewerbsmäßigkeit“ (vgl. BGHSt 42, 219, 225; BGH
  92. wistra 1994, 230, 232) und der „bandenmäßigen Begehung“ (BGHSt 46, 321)
  93. festgeschrieben und über § 369 AO auch im Steuerstrafrecht zugrunde zu
  94. legen. Eine davon abweichende Auslegung im Rahmen der Abgabenordnung
  95. im Sinne einer teleologischen Reduktion, wie sie in der Literatur vielfach befürwortet wird (vgl. nur Kemper in Dietz/Cratz/Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen – Stand: Juni 2003 – § 370a Rdn. 26 ff., 35 ff. m.w.N.; kritisch
  96. Kohlmann, Steuerstrafrecht 7. Aufl. – Stand: Juni 2003 – § 370a AO Rdn. 4,
  97. 11, 15 und Reiß aaO) war vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt. Denn
  98. die im StVBG enthaltenen Tatbestandsmerkmale des § 370a AO wurden bei
  99. der Novellierung durch das StBAG unverändert beibehalten, obwohl die öffentliche Kritik sich unter anderem gerade daran entzündet hatte, daß im
  100. Hinblick auf die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale durch die Rechtsprechung im Zusammenwirken mit den im Steuerrecht vorgegebenen
  101. Strukturen eine Vielzahl von steuerunehrlichen Bürgern vom Verbrechenstatbestand des § 370a AO erfaßt werden würden (vgl. dazu: Harms in FS für
  102. Günter Kohlmann, 2003, S. 413, 421 ff.). Demnach ist eine Eingrenzung über
  103. diese Tatbestandsmerkmale nicht zu erreichen.
  104. Das danach entscheidende Verbrechensmerkmal der Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ erscheint indes unter Bedacht auf Art. 103 Abs. 2
  105. GG nicht ausreichend bestimmt (vgl. dazu nur: Park wistra 2003, 328 ff.;
  106. Reiß Stbg 2004, 113 ff.; Kohlmann aaO Rdn. 12; Seer BB 2002, 1677, 1680;
  107. Langrock wistra 2004, 241 ff.; Harms aaO S. 419 ff.; alle m.w.N. sowie Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft Klimatagung“ in WPK-Mitteilungen
  108. 2003, 130 ff.). Es läßt sich nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen
  109. dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, welche Anknüpfungspunkte maßgeblich sein sollen und ob es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt oder ob bei
  110. einer Vielzahl von Hinterziehungstaten – wie etwa bei der monatlich anzumeldenden Lohnsteuer – eine Gesamtbetrachtung des Tatbildes entscheidend sein soll; bei diesem Befund ist nicht ersichtlich, wie der Normadressat
  111. -7-
  112. – der dem Gesetz unterworfene Steuerbürger – durch Auslegung Tragweite
  113. und Anwendungsbereich des Verbrechenstatbestandes ermitteln und konkretisieren soll (vgl. zu diesen Anforderungen an einen Straftatbestand:
  114. BVerfGE 105, 135, 152 ff. m.w.N.).
  115. Eine Anlehnung an die Rechtsprechung zur Strafzumessungsregel
  116. gemäß § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO im Hinblick auf das für die Straffindung relevante Merkmal der Steuerverkürzung „aus grobem Eigennutz in großem
  117. Ausmaß“ führt nicht weiter (so auch Langrock aaO S. 242 f.; a.A. Hunsmann
  118. DStR 2004, 1154, 1155 f.). Denn die im Strafzumessungsrecht gebotene
  119. Gesamtwürdigung aller die Tat prägenden und begleitenden Umstände läßt
  120. dem Richter bei der Rechtsfolgenbestimmung einen weiten Spielraum. Dementsprechend weit gefächert ist das in der Rechtsprechung zum Steuerstrafrecht anzutreffende Spektrum von Fällen, die entweder trotz hoher Verkürzungsbeträge noch dem Normalstrafrahmen zugeordnet worden sind oder
  121. die ungeachtet eines vergleichsweise geringen Hinterziehungsumfangs nach
  122. Auffassung des Tatrichters schon vom erhöhten Strafrahmen des § 370
  123. Abs. 3 Nr. 1 AO erfaßt sein sollten. Die im Strafzumessungsrecht noch vertretbare Unbestimmtheit des Merkmals im Regeltatbestand (vgl. dazu auch
  124. BGH wistra 2004, 22 ff. – zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt – zum
  125. „großen Ausmaß“ im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB) ist, wenn
  126. das Merkmal zum maßgeblichen Kriterium bei der Abgrenzung von Vergehen
  127. und Verbrechen im Rahmen der §§ 370, 370a AO wird, auf der tatbestandlichen Ebene nicht mehr hinnehmbar. Denn die derzeitige Gesetzesfassung
  128. überläßt die Auslegung dem jeweiligen Rechtsanwender, der gezwungen ist,
  129. die Grenze zum Verbrechenstatbestand – wie vorliegend – je nach seinem
  130. wirtschaftlichen Vorverständnis und dem von ihm herangezogenen rechtlichen Anknüpfungspunkt bei einem gegriffenen Hinterziehungsbetrag zu ziehen (vgl.: Meyer DStR 2002, 879, 881: 50.000
  131. 250.000
  132. 
  133. Hunsmann aaO: 500.000
  134. ('
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  136. )*+ ,  .-+/ 0 1-324 565-
  137. e-
  138. rung des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Strafnorm um so präziser
  139. sein muß, je schwerer die angedrohte Strafe ist (BVerfGE 105, 135, 155 f.).
  140. -8-
  141. Die Nachbesserung eines unbestimmten Gesetzes ist dem Strafrichter versagt (BVerfG aaO S. 153).
  142. Da das angefochtene Urteil auch im übrigen Rechtsfehler aufweist und
  143. schon deshalb keinen Bestand haben kann, hat der Senat von einer Vorlegung nach Art. 100 Abs. 1 GG abgesehen und stattdessen den verfassungsrechtlich bedenklichen Schuldspruch nach § 370a AO in der Weise beschränkt, daß der Teilvorwurf wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung
  144. entfällt und die Tat als Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu
  145. bewerten ist. Dies führt zur Aufhebung der im Fall 24 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe.
  146. 2. Darüber hinaus hat der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung in
  147. den Fällen 6, 20, 37 und 50 der Urteilsgründe keinen Bestand. Insoweit hat
  148. das Landgericht nicht ausreichend bedacht, daß – anders als in den Fällen
  149. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO – eine in Mittäterschaft begangene Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur dann in Betracht
  150. kommt, wenn eine Rechtspflicht zur Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen verletzt wird. Nach den Feststellungen traf den Angeklagten indes
  151. eine solche Pflicht nicht. Denn er war weder Steuerpflichtiger noch war er in
  152. den von Dritten geführten Unternehmen in einer Stellung tätig, in der ihm die
  153. Wahrnehmung steuerlicher Pflichten übertragen war; es ging ihm vielmehr
  154. darum, nicht nach außen in Erscheinung zu treten und nur intern die Buchführung zu übernehmen. Die Erklärungspflichten trafen die jeweiligen Unternehmer. Bei dieser Sachlage kommt in den vom Landgericht ausgeurteilten
  155. Fällen insoweit nur eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung der erklärungspflichtigen Firmeninhaber in Betracht. Dies gilt auch im Fall 6, in dem ersichtlich auf die unterlassene Jahreserklärung 2001 statt auf die monatlichen abgegebenen Voranmeldungen abgestellt worden ist (vgl. BGH wistra 1996,
  156. 105).
  157. -9-
  158. Der Senat hat den Schuldspruch in den genannten Fällen umgestellt.
  159. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich insoweit nicht
  160. anders als geschehen hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen.
  161. III.
  162. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat darüber hinaus keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler zum Schuld- und
  163. Strafausspruch ergeben. Insbesondere können die weiteren Einzelstrafen
  164. bestehenbleiben. Es ist auszuschließen, daß die dargelegten Gründe, die zur
  165. Aufhebung der genannten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe führen, die
  166. Strafzumessung in den übrigen Fällen beeinflußt haben.
  167. Harms
  168. Häger
  169. Gerhardt
  170. Basdorf
  171. Raum