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  1. 5 StR 263/10
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. BESCHLUSS
  4. vom 28. Oktober 2010
  5. in der Strafsache
  6. gegen
  7. wegen Untreue
  8. -2-
  9. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Oktober 2010
  10. beschlossen:
  11. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Dezember 2009 gemäß § 349 Abs. 4
  12. StPO aufgehoben und das Verfahren nach § 206a Abs. 1
  13. StPO eingestellt.
  14. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die
  15. dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.
  16. G r ü n d e
  17. 1
  18. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in drei Fällen zu
  19. einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die
  20. Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil ein Verfahrenshindernis vorliegt.
  21. 1. Die Taten sind – entgegen der Auffassung des Landgerichts – ver-
  22. 2
  23. jährt.
  24. 3
  25. a) Das Landgericht hat festgestellt, dass die Tat zu I.1 am 22. Juni 1992, die Tat zu II.2 am 5. November 1992 und die Tat zu II.3 am 20. Juli 1993 beendet waren. Zu diesen Zeitpunkten waren durch die Untreuehandlungen die Gelder der W.
  26. GmbH (WBB) jeweils endgültig
  27. entzogen gewesen. Dies ist rechtsfehlerfrei.
  28. 4
  29. b) Die Verjährung war jedenfalls zunächst durch den Haftbefehl des
  30. Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 27. Dezember 1996 nach § 78c Abs. 1
  31. Nr. 5 StGB unterbrochen (dort Fälle 8, 9 und 11). Die Verjährung war weiterhin gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB unterbrochen durch die Anklage vom
  32. -3-
  33. 18. Januar 2001, die am 25. Januar 2001 beim Landgericht Berlin eingegangen ist (dort ebenfalls Fälle 8, 9 und 11). Mit Beschluss vom 23. Februar 2001 wurde das Verfahren vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Berlin eröffnet. Damit ruhte die Verjährung nach § 78b Abs. 4 StGB für
  34. fünf Jahre.
  35. 5
  36. c) Unter Berücksichtigung der absoluten Verjährung nach § 78c Abs. 3
  37. StGB und der Ruhenszeit nach § 78b Abs. 4 StGB sind die Taten sämtlich
  38. verjährt; ein weiteres Ruhen der Verjährung trat auch nach § 78b Abs. 5
  39. Satz 1 StGB nur in geringem Umfang ein.
  40. 6
  41. aa) Gegen den Angeklagten wurde ein Auslieferungsverfahren durchgeführt, das mit dem Zugang des Auslieferungsersuchens an die Behörden
  42. des Vereinigten Königreichs am 2. November 2000 in Gang gesetzt wurde.
  43. Auf der Grundlage dieses Auslieferungsersuchens wurde der Angeklagte am
  44. 8. Juli 2009 an die deutschen Strafverfolgungsbehörden übergeben.
  45. 7
  46. bb) Das Auslieferungsersuchen wurde jedoch im Sinne des § 78b
  47. Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 StGB wirksam zurückgenommen. Anders als das Landgericht hat der Senat keinen Zweifel, dass das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 28. September 2004 eine solche Rücknahme darstellt. Mit diesem wurde ein Europäischer Haftbefehl (im Übrigen auch mit
  48. Änderungen des Tatvorwurfs) an das britische Home Office übersandt. In
  49. demselben Schreiben wurde am Ende ausgeführt: „So teile ich mit, dass das
  50. ursprüngliche Auslieferungsersuchen in gleicher Sache aufgrund der veränderten Sachlage nicht mehr verfolgt wird.“
  51. 8
  52. Diese Mitteilung kann nur so verstanden werden, dass hierdurch das
  53. ursprüngliche Auslieferungsersuchen zurückgenommen werden sollte. Ersichtlich wurde das Schreiben auch vom Home Office so aufgefasst, weil dieses – nach Zurückweisung des Europäischen Haftbefehls – bei der Deutschen Botschaft in London ausdrücklich angefragt hatte, ob die deutschen
  54. -4-
  55. Behörden ihr Auslieferungsersuchen immer noch zurücknehmen wollten
  56. („whether they still wish to withdraw the 1989 Act request for the extradition“).
  57. Auch der Mail-Verkehr zwischen den deutschen Behörden – Justizbehörden,
  58. Auswärtiges Amt und Botschaft in London – deutet darauf hin, dass die Erklärung auch dort in dem Sinne verstanden wurde, dass mit der Übersendung des Europäischen Haftbefehls das ursprüngliche Auslieferungsverfahren nicht mehr weiter betrieben werden sollte. Andernfalls ergäbe auch die
  59. sich daran anschließende Korrespondenz, ob das ursprüngliche Auslieferungsbegehren erneut aufgegriffen werden sollte, keinen Sinn.
  60. 9
  61. cc) Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Generalstaatsanwaltschaft Berlin auch zu einer solchen Rücknahme ermächtigt. Abgesehen davon, dass die Generalstaatsanwaltschaft ausdrücklich auf eine
  62. (auch nicht bestrittene) Absprache mit dem Bundesministerium der Justiz
  63. hingewiesen hat, konnte sie den ursprünglichen Auslieferungsantrag auch
  64. wirksam zurücknehmen. Der Bund hatte auf der Grundlage von § 74 Abs. 2
  65. IRG in der damals geltenden Fassung durch die Zuständigkeitsvereinbarung
  66. vom 28. April 2004 die Länder ermächtigt, innerhalb der Europäischen Union
  67. „in allen Angelegenheiten des IRG“ die hierfür gegebenen Befugnisse auszuüben (Nr. 1 der Vereinbarung). Jedenfalls deshalb wurde die für die Senatsverwaltung für Justiz in Berlin handelnde Generalstaatsanwaltschaft Berlin im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig.
  68. 10
  69. dd) Das zurückgenommene Auslieferungsersuchen wurde nicht mehr
  70. rechtzeitig erneuert. Obwohl von Seiten der britischen Behörden mehrfach
  71. angefragt wurde, ist eine autorisierte und verbindliche Antwort jedenfalls bis
  72. zu dem hier maßgeblichen 1. März 2005 nicht erfolgt.
  73. 11
  74. Ab diesem Zeitpunkt, zu dem Deutschland zum Kreis der „Part One“
  75. Nationen des Extradition Act 2003 zählte, also zu den Staaten, deren Europäischer Haftbefehl im Vereinigten Königreich anerkannt wurde, konnte die
  76. Verjährung nur ruhen, wenn es sich um einen Altfall handelte, also mithin
  77. -5-
  78. zumindest noch ein wirksames Auslieferungsverfahren anhängig war. Die
  79. Anerkennung als „Part One“ Nation trat am 1. März 2005 durch Amendment
  80. to Designations Order 2005 (No. 365) in Kraft. Nach der gesetzlichen Regelung des § 78b Abs. 5 Satz 2 StGB gilt die Ruhensregelung nämlich nicht für
  81. solche Auslieferungsverfahren, die dem Rahmenbeschluss des Rates vom
  82. 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl (ABl. EG Nr. L 190 S. 1)
  83. unterliegen. Dies war im Verhältnis zum Vereinigten Königreich spätestens
  84. der Fall, als dieses Europäische Haftbefehle aus Deutschland anerkannte,
  85. weil es Deutschland als „Part One“ Nation des Extradition Act 2003 eingestuft hatte. Ab diesem Zeitpunkt bestand die Möglichkeit über einen Europäischen Haftbefehl die Auslieferung zu erreichen, weshalb nach § 78b Abs. 5
  86. Satz 2 StGB kein Ruhen der Verjährung mehr eintrat. Die Ruhensregelung
  87. bezog sich gegenüber dem Vereinigten Königreich nur auf anhängige Altverfahren. Ein solches lief gegenüber dem Angeklagten nicht mehr, weil der ursprüngliche Auslieferungsantrag zurückgenommen und bis zu diesem Zeitpunkt, zu dem Deutschland „Part One“ Nation wurde, jedenfalls nicht erneuert wurde. Deshalb kann der Senat offenlassen, ob das Verfahren nach der
  88. zwischenzeitlich erfolgten Rücknahme überhaupt noch einen Altfall im Sinne
  89. des Rahmenbeschlusses darstellte, weil dieser bereits in Kraft war und umgesetzt werden musste.
  90. 12
  91. d) Das Ruhen der Verjährung endete demnach mit der Rücknahme
  92. des Auslieferungsantrages durch das Schreiben vom 28. September 2004.
  93. Damit lief nur noch das – bislang parallel hierzu in Gang gesetzte – Ruhen
  94. gemäß § 78b Abs. 4 StGB ab Eröffnung des Hauptverfahrens. Das Auslieferungsverfahren ist allenfalls noch für den Zeitraum von November 2000 (Eingang des Auslieferungsersuchens) bis zum 23. Februar 2001, dem Tag des
  95. Eröffnungsbeschlusses, geeignet, ein selbständiges Ruhen der Verjährung
  96. herbeizuführen. Nachdem diese knapp viermonatige Frist, die Ruhensfrist
  97. nach § 78 b Abs. 4 StGB und die absolute Verjährungsfrist nach § 78c Abs. 3
  98. StGB abgelaufen sind, ist hinsichtlich sämtlicher ausgeurteilter Taten Verjährung eingetreten. Die letzte Tat war spätestens im November 2008 verjährt.
  99. -6-
  100. 13
  101. 2. Da die Taten vor Erlass des angefochtenen Urteils verjährt waren,
  102. lag ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis bereits im erstinstanzlichen Verfahren vor. Der Senat hebt deshalb das landgerichtliche
  103. Urteil auf und stellt das Verfahren nach § 206a StPO ein (BGH wistra 2007,
  104. 154; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 206a Rdn. 6).
  105. 14
  106. 3. Der Senat überträgt die Entscheidung über eine dem Angeklagten
  107. zu gewährende Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen dem Landgericht, weil hierzu im Hinblick auf § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG noch
  108. Feststellungen erforderlich sind (BGH aaO).
  109. Brause
  110. Raum
  111. Schneider
  112. Schaal
  113. Bellay