Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

467 lines
19 KiB

  1. 5 StR 154/06
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. BESCHLUSS
  4. vom 13. Juli 2006
  5. in der Strafsache
  6. gegen
  7. 1.
  8. 2.
  9. 3.
  10. wegen Untreue u. a.
  11. -2-
  12. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juli 2006
  13. beschlossen:
  14. 1. Auf die Revision des Angeklagten R.
  15. W.
  16. wird
  17. das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 14. November 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen
  18. aufgehoben, soweit es diesen Angeklagten betrifft.
  19. 2. Die Revisionen der Angeklagten K.
  20. L.
  21. W.
  22. und
  23. gegen das genannte Urteil werden
  24. nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Diese Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
  25. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  26. Rechtsmittels des Angeklagten R.
  27. W.
  28. , an ei-
  29. ne andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  30. G r ü n d e
  31. 1
  32. Das Landgericht hat den Angeklagten R.
  33. W.
  34. wegen
  35. Untreue in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlich unterlassener Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, und wegen
  36. Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
  37. Die Angeklagte K.
  38. W.
  39. hat es wegen Beihilfe zur Untreue in Tat-
  40. einheit mit Beihilfe zur vorsätzlich unterlassenen Beantragung der Eröffnung
  41. des Insolvenzverfahrens zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, den Angeklagten
  42. L.
  43. wegen Beihilfe zur Untreue in zwei Fällen,
  44. davon in einem Fall in Tateinheit mit Begünstigung und mit Beihilfe zur vor-
  45. -3-
  46. sätzlich unterlassenen Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
  47. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt;
  48. die Vollstreckung der beiden letztgenannten Strafen hat das Landgericht zur
  49. Bewährung ausgesetzt.
  50. 1. Die mit Verfahrens- und Sachrügen begründeten Revisionen
  51. 2
  52. der Angeklagten K.
  53. W.
  54. und
  55. L.
  56. sind aus den
  57. von der Bundesanwaltschaft in ihrer Antragsschrift benannten Gründen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen dieser Angeklagten im Anschluss an
  58. den Antrag der Bundesanwaltschaft. Insbesondere lässt die – revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbare – Beweiswürdigung des Landgerichts
  59. Rechtsfehler nicht erkennen, weil die von der Kammer gezogenen Schlüsse
  60. angesichts des Gesamtzusammenhangs der Feststellungen jedenfalls möglich sind. Auch die vornehmlich dem Tatrichter obliegende Strafzumessung
  61. hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Das vom Angeklagten
  62. L.
  63. gerügte Absehen von weiterer Strafmilderung nach bereits erfolgter
  64. Strafrahmenverschiebung erfolgte ersichtlich in Berücksichtigung der hierzu
  65. einschlägigen
  66. Rechtsprechung
  67. des
  68. Bundesgerichtshofs
  69. (vgl.
  70. Trönd-
  71. le/Fischer, StGB 53. Aufl. § 266 Rdn. 80 m.w.N.). Angesichts des komplexen
  72. Sachverhalts war der seit Eröffnung des Tatvorwurfs verstrichene Zeitraum
  73. nicht so erheblich, dass eine Strafmilderung wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung hätte erfolgen müssen.
  74. 3
  75. 2. Die Revision des Angeklagten R.
  76. W.
  77. hat mit ei-
  78. ner Verfahrensrüge Erfolg.
  79. 4
  80. a) Dies geht auf folgendes Verfahrensgeschehen zurück:
  81. 5
  82. Der Verurteilung des Angeklagten R.
  83. W.
  84. liegt im
  85. Kern der Vorwurf zugrunde, er habe sich als geschäftsführender Alleingesellschafter der M
  86. -P. -
  87. gesell-
  88. -4-
  89. schaft
  90. (nachfolgend: M.
  91. -P.
  92. ) spätestens im Januar 2001 dazu
  93. entschlossen, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft einzustellen, in Aushöhlungsabsicht ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von 2 Mio. DM entgegen einem Rangrücktritt zurückzuführen sowie der Gesellschaft rechtswidrig
  94. weitere liquide Mittel zu entziehen. In Ausführung dieses Plans entzog der
  95. Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts durch Auszahlung
  96. erheblicher Bankguthaben der Gesellschaft das Stammkapital und führte ihre
  97. Zahlungsunfähigkeit herbei, so dass Fremdgläubiger mit Forderungen von
  98. insgesamt rund 3,2 Mio. DM ausfielen; zudem verkaufte er später auf eigene
  99. Rechnung Waren der Gesellschaft und vereinnahmte die Erlöse. Der Angeklagte verteidigte sich u. a. damit, dass er zu den Auszahlungen an sich berechtigt gewesen sei, weil er bezüglich seines Gesellschafterdarlehens nie
  100. einen Rangrücktritt erklärt habe und einen das Darlehen übersteigenden Betrag von 100.000 DM als vorweggenommene Gewinnausschüttung habe
  101. vereinnahmen dürfen.
  102. 6
  103. Die Verteidigung des Angeklagten stellte in der Hauptverhand-
  104. lung mehrere Beweisanträge, in denen jeweils behauptet wurde, dass Ende 2000/Anfang 2001 fällige Zahlungsforderungen (u. a. aus Retourendifferenzen) gegen andere bestanden hätten. Mit zwei Beschlüssen vom 26. September 2005 lehnte die Kammer die Beweisanträge – überwiegend wegen
  105. tatsächlicher Bedeutungslosigkeit – ab. Im Rahmen der Begründung heißt es
  106. u. a.:
  107. 7
  108. „Wie die angebliche Retourendifferenzforderung in der Han-
  109. dels- oder gar in der Steuerbilanz zu behandeln und zu bewerten ist, interessiert für die Untreuevorwürfe aus Fall 15 der Anklage im Hinblick auf die
  110. Auszahlung der 1.350.000 DM entgegen dem Rangrücktritt und aus den Fällen 16 und 17 der Anklage sowie für den Insolvenzverschleppungsvorwurf
  111. nicht… Es bleibt dabei, dass der Angeklagte W.
  112. 100.000 DM aus der M.
  113. -P.
  114. auch die weiteren
  115. ohne Rechtsgrund und nicht etwa als Bi-
  116. lanzgewinnvorschuss entnommen hat… Selbst wenn die Zeugen Sch
  117. -5-
  118. und K
  119. diese in ihr Wissen gestellten Behauptungen bestätigen würden,
  120. ändert dies nichts daran, dass der Angeklagte W.
  121. die Verkaufserlöse im
  122. Zeitraum Juli bis September 2001 ohne Rechtsgrund privat vereinnahmt hat
  123. und damit die M.
  124. -P.
  125. schädigte. Auch für den Untreuevorwurf im Fall 15
  126. sind diese Behauptungen ohne Belang. Selbst wenn sich der Angeklagte W.
  127. nicht bereits im Februar 2001, sondern erst im Juli 2001 dazu entschied, die
  128. in den Rechnungen vom 14.02.2001 und 21.02.2001 enthaltenen DVDs und
  129. Videos auf eigene Rechnung zu verkaufen, ändert dies im Rahmen der Gesamtschau aller maßgeblichen Indizien nichts an dem Schluss der Kammer,
  130. dass sich der Angeklagte W.
  131. schied, den Betrieb der M.
  132. deutlich vor dem 22.01.2001 dazu ent-P.
  133. einzustellen und die M.
  134. dieren und nach seiner Gesamtstrategie die M.
  135. -P.
  136. -P.
  137. zu liqui-
  138. beginnend mit den
  139. ersten Auszahlungen ab dem 22.01.2001 auszuhöhlen… Daneben kommt
  140. dem glaubhaft gestandenen Abverkauf von 2.770 DVDs und Videos unter
  141. der Firma der V
  142. am 14.02.2001 an das Pressezentrum Lübeck entschei-
  143. dende Bedeutung zu, mithin zwei Tage, bevor sich der Angeklagte W.
  144. nach seiner nicht glaubhaften Einlassung einen Bilanzgewinnvorschuss von
  145. 100.000 DM errechnet haben will und über seine damalige Lebensgefährtin
  146. War.
  147. und seinen ‚Abwickler’
  148. 450.000 DM aus der M.
  149. 8
  150. -P.
  151. L.
  152. ohne Rechtsgrund weitere
  153. entnommen hat.“
  154. Am nächsten Tag lehnte der Angeklagte W.
  155. die an den
  156. Beschlüssen beteiligten Berufsrichter wegen der Besorgnis der Befangenheit
  157. ab. Zur Begründung des Ablehnungsantrags stellte er wesentlich darauf ab,
  158. dass er die Besorgnis der Befangenheit nicht in der seines Erachtens rechtsfehlerhaften Behandlung der Beweisanträge sehe, sondern dass die Argumentation und Wortwahl der Beschlussbegründung aus seiner Sicht eine
  159. endgültige Festlegung der Richter zu seinen Lasten nahe lege. Zum Beleg
  160. führte der Ablehnungsantrag Teile der oben zitierten Beschlussbegründung
  161. an.
  162. -6-
  163. 9
  164. Diesen Ablehnungsantrag beschied die Kammer unter Mitwir-
  165. kung der abgelehnten Richter einstimmig als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1
  166. Nr. 2 StPO. Die angegebene Begründung sei – auch unter Berücksichtigung
  167. der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005 (2 BvR
  168. 625 und 638/01) – aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung
  169. eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet, was dem Fehlen einer Begründung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleichstehe. Denn vermeintlich
  170. oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Entscheidungen in der Hauptverhandlung
  171. könnten für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen, wenn nicht Umstände hinzuträten, die nach den konkreten Umständen
  172. des Einzelfalls die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochten.
  173. Der Befangenheitsantrag enthalte nur eine „Formalbegündung“. Das Ablehnungsgesuch werde allein aus der Begründung von Beschlüssen hergeleitet,
  174. mit denen Beweisanträge zurückgewiesen worden seien, und aus dem Ablehnungsantrag ergebe sich nicht der behauptete „eklatante“ Verstoß gegen
  175. strafprozessuale Regeln. Die Begründungen der Beschlüsse, die sich – wie
  176. strafprozessual geboten – eingehend nach zehn Verhandlungstagen mit der
  177. Sach- und Rechtslage mit der nötigen Klarheit auseinandersetzten, ließen
  178. bei einem besonnenen Angeklagten nicht die Besorgnis der Befangenheit
  179. aufkommen. Gerügte Formulierungen seien in ähnlichen Passagen aus einem früheren Beschluss der Kammer unbeanstandet geblieben.
  180. 10
  181. b) Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO liegt vor.
  182. Die Rüge ist – wie die Bundesanwaltschaft in ihrem Terminsantrag näher
  183. ausgeführt hat – zulässig erhoben. Sie ist auch begründet. Bei dem angegriffenen Urteil haben Richter mitgewirkt, nachdem ein gegen sie gerichtetes
  184. Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen wurde. Wie die Bundesanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, durfte die Strafkammer vorliegend nicht
  185. nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO verfahren (aa). Das Landgericht hat damit
  186. auch die Grenzen dieser Norm in einer im Hinblick auf die Anforderungen
  187. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbaren Weise überschritten,
  188. weshalb das Urteil gemäß § 338 Nr. 3 StPO aufgehoben werden muss (bb).
  189. -7-
  190. 11
  191. aa) Das Befangenheitsgesuch war vorliegend nach § 27 StPO
  192. zu behandeln, damit sich die abgelehnten Richter nicht zum „Richter in eigener Sache“ machten.
  193. 12
  194. (1) Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Kammer. Die
  195. Gleichsetzung eines Ablehnungsgesuchs, dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig
  196. ungeeignet ist, mit einem Ablehnungsgesuch ohne Angabe eines Ablehnungsgrundes (§ 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StPO) ist grundsätzlich und auch
  197. aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich (BGHSt 50, 216, 220; BVerfG
  198. – Kammer – StraFo 2006, 232, 234). Entscheidend für die Abgrenzung zu
  199. „offensichtlich unbegründeten“ Ablehnungsgesuchen, die von § 26a Abs. 1
  200. Nr. 2 StPO nicht erfasst werden, sondern nach § 27 StPO zu behandeln sind,
  201. ist die Frage, ob das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst
  202. von den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis
  203. der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist (BVerfG – Kammer – StraFo 2006,
  204. 232, 235). Jenseits dieser bloß formalen Prüfung darf sich der abgelehnte
  205. Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2
  206. StPO zum „Richter in eigener Sache“ machen (BVerfG – Kammer – aaO).
  207. Die Auslegung des Ablehnungsgesuchs muss darauf ausgerichtet sein, es
  208. seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend
  209. auszulegen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten (BVerfG – Kammer – aaO).
  210. 13
  211. (2) Danach ist die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs
  212. unbedenklich, das lediglich damit begründet worden ist, der Richter sei an
  213. einer Vorentscheidung zu Lasten des Angeklagten beteiligt gewesen (BGHSt
  214. 50, 216, 221; vgl. auch Leitsatzentscheidung des Senats vom 29. Juni 2006
  215. – 5 StR 485/05). Dies gilt namentlich auch für die Ablehnung von Beweisanträgen (BGHSt 50, 216, 221). Gerade die Zurückweisung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2
  216. -8-
  217. StPO gebietet es, die Tatsachen anzugeben, aus denen sich ergibt, warum
  218. die unter Beweis gestellte Tatsache, wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte (BGHR StPO § 244 Abs. 3
  219. Satz 2 Bedeutungslosigkeit 26 m.w.N.). Die damit einhergehende Mitteilung
  220. einer auch für den Angeklagten nachteiligen Beweiswürdigung des Gerichts
  221. vor Urteilsverkündung ist prozessimmanent und demnach vom Angeklagten
  222. hinzunehmen. Beweiswürdigende sachliche Erwägungen – seien sie auch
  223. geeignet, eine den Schuldvorwurf begründende Subsumtion erkennen zu
  224. lassen – können für sich nicht zum Gegenstand eines zulässigen Befangenheitsantrags erhoben werden. Darauf beschränkte Gesuche können daher
  225. nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO beschieden werden.
  226. 14
  227. Anders verhält es sich allerdings beim Hinzutreten besonderer
  228. Umstände, die über die Tatsache einer negativen Vorentscheidung als solcher sowie die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen (vgl. BGHSt 50, 216, 221). Dies kann etwa der Fall sein, wenn
  229. Äußerungen in Vorentscheidungen nach der Sachlage unnötige und sachlich
  230. unbegründete Werturteile enthalten oder ein Richter sich bei einer Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten oder
  231. seines Verteidigers äußert (vgl. BGHSt 50, 216, 222). Trägt der Antragsteller
  232. neben der Vorbefassung oder Vorentscheidung und den damit notwendig
  233. einhergehenden inhaltlichen Aussagen besondere Umstände vor und macht
  234. sie glaubhaft, die eine inhaltliche Prüfung erfordern und den abgelehnten
  235. Richter bei einer Beteiligung an der Entscheidung über den Ablehnungsantrag zum „Richter in eigener Sache“ machen würden, darf der Befangenheitsantrag nicht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters nach § 26a Abs.
  236. 1 Nr. 2 StPO beschieden werden.
  237. 15
  238. (3) Dies war vorliegend der Fall. Der Angeklagte R.
  239. W.
  240. hat seinen – im Ausdruck allerdings vielfach überschießend harsch
  241. begründeten – Befangenheitsantrag gerade nicht maßgeblich auf die Tatsache der Ablehnung seiner Beweisanträge gestützt, sondern entscheidend die
  242. -9-
  243. Besorgnis einer in der Ablehnungsbegründung deutlich zum Ausdruck kommenden endgültigen Vorverurteilung durch die Kammer geltend gemacht. Ein
  244. solches Ansinnen beruhte nicht auf einer völlig haltlosen Bewertung der Ablehnungsbegründung (vgl. hierzu BGHSt 50, 216, 222), sondern war vielmehr
  245. durch die getroffene Auswahl von Formulierungen aus den Ablehnungsbeschlüssen nicht gänzlich unschlüssig belegt. Die Kammer musste aufgrund
  246. dieser konkreten Beanstandungen das Ablehnungsgesuch inhaltlich daraufhin prüfen, ob der Art der getroffenen Formulierungen eine Festlegung zum
  247. Beweisergebnis im Sinne der Anklage zu entnehmen war, die aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit begründen
  248. konnte. Eine derartige inhaltliche Prüfung ist dem von der Ablehnung betroffenen Richter indes gerade verwehrt (vgl. auch BVerfG – Kammer –
  249. StraFo 2006, 232, 235).
  250. 16
  251. Dem Gericht müssen zwar in jeder Lage des Verfahrens, na-
  252. mentlich bei der Ablehnung von Beweisanträgen wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit, offene Worte zu einer vorläufigen Einschätzung der Beweislage und deutliche Hinweise auf das nach dem gegebenen Sachstand zu erwartende Verfahrensergebnis erlaubt sein (vgl. auch BGHR StPO § 24 Abs.
  253. 2 Befangenheit 4). Ein Befangenheitsgesuch, das – wie hier belegt durch
  254. einzelne Zitate – nicht allein die Tatsache der Voreinschätzung, sondern eine
  255. darüber hinausgehende unumstößliche Festlegung der Richter im Sinne einer Vorverurteilung beanstandet, kann indes in aller Regel nicht als aus
  256. zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet angesehen werden, weil es eine inhaltliche und keine rein formale Prüfung der zur Befangenheit angebrachten Gründe erfordert.
  257. 17
  258. bb) Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch des Ange-
  259. klagten in einer die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Weise nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig
  260. verworfen. Dies begründet nach der Rechtsprechung des Senats den absolu-
  261. - 10 -
  262. ten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO (BGHSt 50, 216; vgl. auch BGH
  263. NStZ 2006, 51 m. Anm. Meyer-Goßner; BVerfG – Kammer – StraFo 2006,
  264. 232, 236; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05).
  265. 18
  266. (1) Die Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO muss durchgreifen, wenn
  267. die Voraussetzungen für die Behandlung des Ablehnungsantrags als unzulässig offenkundig nicht gegeben sind (Meyer-Goßner NStZ 2006, 53), also
  268. die Entscheidung des Gerichts auf einem Fall klarer Fehlanwendung des
  269. Gesetzesrechts beruht und daher in der Sache offensichtlich unhaltbar ist,
  270. weshalb das Gericht bei der Rechtsanwendung Bedeutung und Tragweite
  271. des von der Verfassung garantierten Rechts auf den gesetzlichen Richter
  272. (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) grundlegend verkannt hat (BGHSt 50, 216, 219
  273. f.). Ob ein solcher Fall vorliegt, kann nur anhand der jeweiligen Umstände
  274. des Einzelfalls beurteilt werden (BGHSt 50, 216, 220). Zudem kann im Einzelfall Anlass zur Prüfung bestehen, ob das Ablehnungsgesuch nicht aus
  275. einem anderen der in § 26a Abs. 1 StPO genannten Gründe als unzulässig
  276. zurückzuweisen war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2006 – 3 StR
  277. 429/05;
  278. vgl.
  279. auch
  280. BVerfG
  281. – Kammer – StraFo 2006, 232, 236).
  282. 19
  283. (2) Nach diesen Kriterien liegt hier ein absoluter Revisions-
  284. grund nach § 338 Nr. 3 StPO vor.
  285. 20
  286. Kern des Ablehnungsgesuchs war aus hinreichend deutlich
  287. vorgetragener Sicht des Angeklagten die näher belegte Behauptung einer
  288. unverrückbaren Festlegung der Kammer auf ein ihm nachteiliges Beweisergebnis in den Gründen und den Formulierungen der Beschlüsse, mit denen
  289. das Landgericht die begehrten Beweiserhebungen abgelehnt hat, nicht die
  290. Ablehnung der Beweisanträge als solche. Eine über das Ablehnungsgesuch
  291. getroffene Entscheidung des Landgerichts, das vornehmlich auf den letzten
  292. Gesichtspunkt abgestellt hat, hätte bei sachgerechter Behandlung eines solchen Antragsbegehrens nicht ohne inhaltliche Prüfung der Berechtigung der
  293. - 11 -
  294. vorgebrachten Ablehnungsgründe erfolgen dürfen. Indem die abgelehnten
  295. Richter die Entscheidung selbst getroffen und damit eine inhaltliche Bewertung des Ablehnungsgesuchs vorgenommen – oder sie in Nichtausschöpfung des Gesuchs versagt – haben, ist der Anwendungsbereich des § 26a
  296. Abs. 1 Nr. 2 StPO in einer Weise überspannt worden, die letztlich in Hinblick
  297. auf die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar
  298. war. In Fällen, in denen der abgelehnte Richter derart eindeutig in die inhaltliche Sachprüfung einsteigen muss, um das Befangenheitsgesuch vollständig
  299. zu bescheiden, begründet die Fehlanwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO
  300. letztlich den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO.
  301. 21
  302. An diesem im Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebotenen
  303. Ergebnis vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter gemäß § 27 StPO
  304. wohl als unbegründet zu verwerfen gewesen wäre. In diesem Rahmen hätten
  305. die beanstandeten Formulierungen – nahe liegend nach dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter (§ 26 Abs. 3 StPO; vgl. dazu BGHR StPO §
  306. 338 Nr. 3 Revisibilität 1; BGH NStZ 2006, 49) – als notwendig vorläufige, für
  307. die
  308. Ur-
  309. - 12 -
  310. teilsfindung nicht etwa bereits verbindlich gemeinte Bewertungen im Rahmen
  311. der Beweisantragsablehnung interpretiert werden können.
  312. Basdorf
  313. Brause
  314. Häger
  315. Schaal
  316. Raum