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6.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 58/01
  4. vom
  5. 8. Mai 2001
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Vergewaltigung u.a.
  9. -2-
  10. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Mai 2001 gemäß § 349
  11. Abs. 4 StPO beschlossen:
  12. I.
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird, soweit er verurteilt worden ist, das Urteil des Landgerichts Münster
  14. – Strafkammer bei dem Amtsgericht Bocholt - vom
  15. 28. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
  16. II.
  17. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
  18. eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  19. Gründe:
  20. Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im übrigen
  21. - wegen Vergewaltigung in Tatmehrheit mit sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner
  22. Revision rügt der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts.
  23. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
  24. 1. Nach den Feststellungen holte der – damals 71-jährige - Angeklagte
  25. im Februar 1997 Martina B.
  26. und Angelika Be.
  27. mit seinem Wohnmobil von
  28. dem Wohnheim für geistig Behinderte, in dem beide lebten, ab und fuhr mit
  29. ihnen zu einem einsam an einem See gelegenen Parkplatz. Nachdem Angelika
  30. Be.
  31. auf Verlangen des Angeklagten das Wohnmobil verlassen hatte, forderte
  32. er Martina B.
  33. “in energischem Ton” auf, Hose und Schlüpfer auszuziehen.
  34. -3-
  35. Sie wollte dies zwar nicht, “traute sich jedoch aus Angst vor Schlägen des Angeklagten” nicht, ihm Widerstand entgegenzusetzen. Außerdem war sie “ohnehin aufgrund ihrer geistigen Behinderung, insbesondere angesichts der für sie
  36. aussichtslosen Situation auf dem abgelegenen Parkplatz und in dem Wohnmobil unfähig zu einem Widerstand gegenüber dem Angeklagten”. Sie kam daher
  37. dem Verlangen des Angeklagten nach. Anschließend führte der Angeklagte mit
  38. Martina B.
  39. , die mehrfach laut um Hilfe rief, den Oral- und den Geschlechts-
  40. verkehr durch. Unmittelbar danach schickte der Angeklagte die weinende Martina B.
  41. aus dem Wohnmobil und forderte nunmehr Angelika Be.
  42. auf, in das
  43. Wohnmobil zu kommen. Obwohl diese zuvor die Hilfeschreie Martinas gehört
  44. hatte und deswegen sehr verängstigt war, folgte sie der Aufforderung, “da sie
  45. aufgrund der auch bei ihr bestehenden geistigen Behinderung und angesichts
  46. der konkreten Situation auf dem abgelegenen und einsamen Parkplatz und der
  47. dominanten Art des Angeklagten sich psychisch nicht zu einem Widerstand in
  48. der Lage sah”. Im Innenraum des Wohnmobils verlangte der Angeklagte von
  49. Angelika Be. , daß sie sich Hose und Schlüpfer ausziehe und drohte – als sie
  50. dem nicht sofort Folge leistete – “ihr ansonsten eine zu `knallen´”. Daraufhin
  51. folgte sie der Aufforderung des Angeklagten, der im weiteren an ihr sexuelle
  52. Handlungen vornahm.
  53. 2. Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen Vergewaltigung bzw. sexueller Nötigung gemäß §§ 177, 178 StGB (a.F.):
  54. In Bezug auf das Tatgeschehen zum Nachteil von Martina B.
  55. ist be-
  56. reits eine - hier allein als Nötigungsmittel in Betracht kommende - Drohung des
  57. Angeklagten nicht belegt. Soweit es in den Urteilsgründen heißt, daß die Geschädigte “aus Angst vor Schlägen” keinen Widerstand leistete, könnten zwar
  58. -4-
  59. auch vorausgegangene Mißhandlungen oder Drohungen eine fortwirkende
  60. Rolle spielen und aus einer Gesamtschau heraus die Annahme einer Drohung
  61. im Sinne des § 177 StGB bzw. des § 178 StGB (a.F.) rechtfertigen (vgl. BGH
  62. NStZ 1999, 505). Hierfür geben die bisherigen Feststellungen jedoch keinen
  63. hinreichenden Anhalt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß etwa der Angeklagte die Geschädigte bereits bei einer der früheren gemeinsamen Fahrten
  64. bedroht oder körperlich mißhandelt hat.
  65. Auch die zu dem weiteren Tatgeschehen zum Nachteil von Angelika
  66. Be.
  67. getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme einer Drohung im
  68. Sinne der §§ 177, 178 StGB (a.F.). Der Tatbestand der genannten Vorschriften
  69. setzt eine (qualifizierte) Drohung mit einer Gefahr für Leib oder Leben des
  70. Opfers voraus. Hierfür genügt deshalb nicht jede Drohung mit einer Körperverletzung, vielmehr erfordert das Merkmal der Drohung mit Gefahr für Leib
  71. oder Leben eine gewisse Schwere des in Aussicht gestellten Angriffs auf die
  72. körperliche Unversehrtheit (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8 m.w.N.).
  73. Die bloße Androhung von Schlägen - hier: dem Opfer “eine zu knallen” – reicht
  74. daher nicht. Daß der Angeklagte der Geschädigten mit dieser Androhung besonders intensive Mißhandlungen in Aussicht gestellt haben könnte, kann dem
  75. Urteil nicht entnommen werden.
  76. 3. Die bisherigen Feststellungen ermöglichen dem Senat auch nicht die
  77. Überprüfung, ob der Angeklagte sich – statt wegen der ausgeurteilten Straftaten - wegen sexuellen Mißbrauchs Widerstandsunfähiger (§ 179 Abs. 1 Nr. 1
  78. StGB a.F.) strafbar gemacht hat.
  79. -5-
  80. Der Tatbestand des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F., der gegenüber der
  81. seit dem 1. April 1998 geltenden Neufassung das mildere Gesetz darstellt (§ 2
  82. Abs. 3 StGB), setzt voraus, daß das Opfer aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit - unter Umständen
  83. auch im Zusammenwirken mit einer besonderen Tatsituation - keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen bilden, äußern oder durchsetzen kann
  84. (BGHSt 36, 145, 147). Ob dies hier der Fall war, vermag der Senat indes mangels hinreichender Darlegungen in den Urteilsgründen nicht zu beurteilen (zur
  85. Darlegungspflicht vgl. BGHR StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 5).
  86. Das Urteil teilt nämlich zur geistig-seelischen Verfassung der beiden Geschädigten im wesentlichen nur mit, daß Martina B.
  87. mit einem Intelligenzquoti-
  88. enten zwischen 50 und 70 “mittelgradig geistig behindert” (UA 3) und Angelika
  89. Be.
  90. bei einem solchen zwischen 70 und 75 “leicht geistig behindert” (UA 5)
  91. war. Zudem bleibt nach den Urteilsfeststellungen letztlich unklar, ob die Geschädigten aufgrund ihres geistig-seelischen Zustandes zu einer Abwehr nicht
  92. in der Lage waren, oder ob sie aus Angst vor Drohungen des Angeklagten (ihnen mögliche) Abwehrmaßnahmen unterlassen haben (zur Abgrenzung vgl.
  93. BGH NStZ 1981, 139, 140 sowie Laufhütte in LK 11. Aufl. § 179 Rdnr. 10).
  94. Die Sache bedarf daher weiterer tatrichterlicher Aufklärung. Sollte die
  95. neu verhandelnde Strafkammer weder zur Annahme einer Strafbarkeit nach
  96. den §§ 177, 178 StGB noch nach § 179 StGB (jeweils a.F.) gelangen, so wird
  97. sie eine solche wegen Nötigung (§ 240 StGB) und - bei rechtzeitiger Stellung
  98. -6-
  99. eines Strafantrags - wegen (tätlicher) Beleidigung (§ 185 StGB) in Betracht zu
  100. ziehen haben (vgl. BGH NStZ 1981, 139, 140; NJW 1983, 636, 637).
  101. Meyer-Goßner
  102. 
  103. 
  104. Kuckein
  105. Athing
  106. Ernemann