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239 lines
7.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 52/11
  4. vom
  5. 3. März 2011
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. 1.
  9. 2.
  10. zu 1.: wegen versuchten Totschlags u.a.
  11. zu 2.: wegen schweren Raubes u.a.
  12. -2-
  13. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. März 2011 beschlossen:
  14. 1.
  15. Auf die Revision des Angeklagten S.
  16. wird das
  17. Urteil des Landgerichts Rostock vom 3. September 2010,
  18. soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen
  19. aufgehoben,
  20. a)
  21. soweit er wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt
  22. worden ist,
  23. b)
  24. 2.
  25. im Strafausspruch.
  26. Auf die Revision des Angeklagten C.
  27. wird das
  28. vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft,
  29. a)
  30. im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung in zwei
  31. Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit besonders
  32. schwerem Raub, schuldig ist,
  33. b)
  34. im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  35. 3.
  36. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
  37. Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  38. 4.
  39. Die weiter gehende Revision des Angeklagten S.
  40. wird verworfen.
  41. -3-
  42. Gründe:
  43. Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
  44. 1
  45. Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen (besonders) schweren
  46. Raubes (qualifiziert nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher
  47. Körperverletzung zu Jugendstrafen von sechs Jahren und zehn Monaten
  48. (S.
  49. ) bzw. drei Jahren und sechs Monaten (C.
  50. lich des Angeklagten S.
  51. ) verurteilt; hinsicht-
  52. hat es außerdem eine Adhäsionsentscheidung
  53. zu Gunsten des durch die letztgenannte Tat Geschädigten getroffen. Gegen
  54. dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen; wobei sich der Revisionsangriff des Angeklagten C.
  55. , wie sich aus dem Revisionsantrag und der Begründung ergibt,
  56. auf die Verurteilung wegen versuchten Totschlags beschränkt.
  57. 2
  58. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; die weiter gehende Revision des Angeklagten S.
  59. ist unbegründet
  60. im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  61. I.
  62. 3
  63. Die Verurteilungen der Angeklagten wegen versuchten Totschlags halten
  64. rechtlicher Prüfung nicht stand.
  65. 4
  66. 1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wollten die Angeklagten unter Einsatz eines Springmessers einen zufällig vorbeikommenden
  67. Passanten berauben. In Ausführung dieses Plans fiel der Angeklagte S.
  68. den Zeugen R.
  69. mit einer Art Karatesprung an. Es entwickelte sich zwi-
  70. schen beiden ein Handgemenge, in dessen Verlauf der Angeklagte S.
  71. dem
  72. -4-
  73. Zeugen mit bedingtem Tötungsvorsatz je zwei kräftig geführte Messerstiche in
  74. die Brust und in den Beckenraum versetzte. Der Angeklagte C.
  75. , der den
  76. Überfall beobachtet und mit seinem Butterflymesser spielend abgesichert hatte,
  77. forderte den Mitangeklagten mehrfach auf, zu ihm zu kommen. Beide verließen
  78. sodann den Tatort, ohne den Zeugen zu berauben. Der Zeuge setzte zunächst
  79. seinen Weg fort, da er die Stiche nur als Schläge wahrgenommen hatte, musste
  80. sich dann aber mit Hilfe des Rettungsdienstes wegen der abstrakt lebensgefährlichen Verletzungen in stationäre Krankenhausbehandlung begeben.
  81. 5
  82. 2. Die Verurteilung des Angeklagten S.
  83. wegen versuchten Tot-
  84. schlags hat keinen Bestand.
  85. 6
  86. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht zwar rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, als er dem Zeugen die wuchtigen Messerstiche versetzte (UA 11, 12). Es
  87. hat aber zur Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Totschlagsversuch
  88. lediglich ausgeführt, dass ein solcher ausscheide, "da der Versuch beendet war
  89. und der bloße Abbruch der Tathandlung deshalb für einen strafbefreienden
  90. Rücktritt nicht genügt" (UA 14).
  91. 7
  92. Diese Begründung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Für
  93. die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die
  94. Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts kommt es darauf an, ob der Täter
  95. nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den
  96. Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont;
  97. st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33,
  98. 295, 298; Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227
  99. m.w.N.). Ein beendeter Versuch ist ferner auch dann anzunehmen, wenn ein
  100. -5-
  101. Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellungen über die
  102. Folgen seines Tuns macht (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR
  103. 449/94, BGHSt 40, 304, 306).
  104. 8
  105. Mit der Frage des Rücktrittshorizonts hat sich das Landgericht gar nicht
  106. befasst. Dabei hätte es entsprechender Darlegungen hier umso mehr bedurft,
  107. als das Opfer trotz der Stichverletzungen nicht zu Boden gegangen war und
  108. zunächst seinen Weg fortsetzen konnte. Auch dafür, dass sich der Angeklagte
  109. nach dem Zustechen keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns gemacht
  110. hat, geben die bisherigen Feststellungen keinen hinreichenden Anhalt.
  111. 9
  112. Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich gesehen
  113. rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung des Angeklagten wegen der
  114. tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des
  115. Zeugen R.
  116. (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR
  117. StPO § 353 Aufhebung 1; vgl. auch KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 353 Rn. 12).
  118. 10
  119. 3. Hinsichtlich des Angeklagten C.
  120. belegen, wie auch der Gene-
  121. ralbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, die Feststellungen lediglich, dass er sich der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nrn. 2, 4 und 5, § 25 Abs. 2 StGB, nicht jedoch auch
  122. eines versuchten Totschlags schuldig gemacht hat.
  123. 11
  124. Jeder Mittäter haftet für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines
  125. - zumindest bedingten - Vorsatzes; er ist also für den Taterfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur
  126. Last fällt; Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, werden jedoch vom Willen
  127. -6-
  128. des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders vorgestellt hat
  129. (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, BGHR
  130. StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32; Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09).
  131. 12
  132. Nach den Feststellungen wusste der Angeklagte C.
  133. zwar, dass bei
  134. dem Raubüberfall auf einen Passanten ein Messer zum Einsatz kommen sollte
  135. (UA 7). Dass er auch eine Tötung des Opfers billigend in Kauf genommen hat,
  136. ist aber nicht belegt. Dagegen spricht im Übrigen schon, dass er, als er sah, mit
  137. welcher Wucht der Mitangeklagte zustach, diesen mehrfach aufforderte, zu ihm
  138. zu kommen, sich also von dem Geschädigten zu entfernen. Das Vorgehen des
  139. Mitangeklagten überstieg in seiner Schwere und Gefährlichkeit den gemeinsamen Tatplan so erheblich, dass er als wesentliche Abweichung anzusehen ist,
  140. mit der der Angeklagte nicht rechnen musste.
  141. 13
  142. Da nicht zu erwarten ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die einen bedingten Tötungsvorsatz belegen,
  143. stellt der Senat den Schuldspruch insoweit um.
  144. -7-
  145. II.
  146. 14
  147. Die Teilaufhebung bzw. Abänderung der Schuldsprüche zieht die Aufhebung der Strafaussprüche nach sich.
  148. Ernemann
  149. Solin-Stojanović
  150. Franke
  151. Roggenbuck
  152. Mutzbauer