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118 lines
6.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 623/99
  4. vom
  5. 18. Januar 2000
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Urkundenfälschung u.a.
  9. -2-
  10. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 18. Januar 2000 gemäß
  11. §§ 346 Abs. 2, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  12. 1.
  13. Der
  14. Beschluß
  15. des
  16. Landgerichts
  17. Stralsund
  18. vom
  19. 7. September 1999 wird aufgehoben.
  20. 2.
  21. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des
  22. Landgerichts Stralsund vom 18. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu
  23. den rechtswidrigen Taten der Angeklagten bestehen.
  24. 3.
  25. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  26. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  27. 4.
  28. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
  29. Gründe:
  30. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit (§ 20
  31. StGB) freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es hat ihr die Fahrerlaubnis entzogen, ihren Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von einem Jahr für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt. Ferner hat es die Einziehung des Pkw Barkas
  32. B 1000 der Angeklagten angeordnet.
  33. -3-
  34. 1. Das Landgericht hat die Revision der Angeklagten durch Beschluß
  35. vom 7. September 1999 als unzulässig verworfen, weil "die Revisionsanträge"
  36. nicht rechtzeitig angebracht worden seien. Dabei wurde übersehen, daß die
  37. Verteidigerin der Angeklagten bereits mit dem Schriftsatz vom 22. Juni 1999,
  38. mit dem rechtzeitig Revision eingelegt worden ist, die Verletzung materiellen
  39. Rechts gerügt und damit das Rechtsmittel frist- und formgerecht begründet hat.
  40. Der Verwerfungsbeschluß ist daher auf Antrag der Angeklagten gemäß § 346
  41. Abs. 2 StPO aufzuheben.
  42. 2. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Unterbringungsanordnung;
  43. im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  44. Das sachverständig beratene Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, daß die Angeklagte infolge ihres als querulatorischer Wahn aufzufassenden Zustandes bei Begehung der rechtsfehlerfrei festgestellten Taten in
  45. dem Zeitraum vom 18. Juli bis zum 3. September 1997 schuldunfähig gewesen
  46. ist. Die Angeklagte, die an einer "anhaltenden wahnhaften Störung und an einem Residualzustand einer schizophrenen Psychose mit paranoider Symptomatik" leide, sei der Annahme, daß Polizei, Justiz und inzwischen auch Verwandte sowie Nachbarn sich gegen sie verschworen hätten mit dem gemeinsamen Ziel, ihr und ihrem Sohn Schaden zuzufügen. Aufgrund ihres Zustandes
  47. seien von der Angeklagten "auch zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten, die
  48. für die Allgemeinheit gefährlich sind, zu erwarten." Diese Gefährlichkeitsprognose ist aber – wie die Revision zu Recht rügt – durch die bisherigen Feststellungen nicht hinreichend belegt:
  49. -4-
  50. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
  51. StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme.
  52. Deshalb darf sie - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur
  53. die einfache Möglichkeit künftiger schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht (BGH NStZ 1986, 572; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16, 25). Nach den
  54. Urteilsgründen ist schon zweifelhaft, ob das Landgericht, das sich den Ausführungen der Sachverständigen ”vollinhaltlich angeschlossen hat”, diese Grenzen des Anwendungsbereiches der Maßregel bedacht hat. Die Sachverständige ist nämlich bei der Beurteilung des Zustandes der Angeklagten davon ausgegangen, daß diese – wie ihr Verhalten bei der Polizeiflucht (Fall II 2 der Urteilsgründe) zeige – dann, "wenn sie sich in die Enge getrieben fühle, aus ihren
  55. angstbesetzten Vorstellungen heraus auch durchaus aggressiv handeln" könne. Es sei "nicht auszuschließen, daß es in solchen Situationen zu ernsthaften
  56. Übergriffen komme". Damit ist aber mehr als die bloße Möglichkeit, daß von
  57. der Angeklagten in Zukunft rechtswidrige Taten zu erwarten sind, nicht dargetan.
  58. Zwar hat die Sachverständige demgegenüber im Rahmen der Beurteilung der Gefährlichkeit der Angeklagten unter anderem ausgeführt, sie sei
  59. "aufgrund der erhobenen Befunde davon überzeugt", daß die Angeklagte "im
  60. Falle einer Zwangsräumung ihres Wohnraumes sich derart in die Enge getrieben fühlen würde, daß sie zu allem fähig sei". Die "anhaltende Realitätsverkennung" mache es ihr "ohne entsprechende Behandlung unmöglich, aus dem
  61. Wahnsystem auszubrechen. Es seien, da sich ihre private Situation eher verschlechtere als verbessere, künftig durchaus schwerere Straftaten als die bislang begangenen zu erwarten". Auch damit ist aber die Wahrscheinlichkeit
  62. -5-
  63. weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht in nachprüfbarer Weise dargelegt, da sich dem Urteil nicht entnehmen läßt, Straftaten welcher Art das
  64. Landgericht für künftig wahrscheinlich gehalten hat. Hierzu hätte es eingedenk
  65. des in § 62 StGB normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BGHR
  66. StGB § 63 Gefährlichkeit 17) angesichts der Anlaßtaten, die das Landgericht
  67. zutreffend als Vergehen nach § 6 PflVersG (Fälle II 1.1 und 1.2), nach § 21
  68. Abs. 1 Nr. 1 StVG (Fälle II 3.7 und 3.8), § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG (Fälle II 3.1 bis
  69. 3.6) und - im Fall II 2 (Polizeiflucht) - als tateinheitlich begangene Vergehen
  70. nach §§ 113 Abs. 1 und 2, 240, 267 StGB, § 6 PflVersG und § 370 AO i.V.m.
  71. § 1 Abs. 1 Nr. 3 KfzStG gewertet hat, auch deshalb besonders sorgfältiger
  72. Darlegung bedurft, weil diese Taten nach den Feststellungen ihrem Gewicht
  73. nach dem unteren Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind (vgl. BGH
  74. NStZ 1986, 237; BGH, Beschluß vom 7. Dezember 1999 - 4 StR 485/99).
  75. Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung. Die zu den
  76. rechtswidrigen Taten des Angeklagten getroffenen Feststellungen werden von
  77. dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen
  78. bleiben (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 19). Dies schließt ergänzende Fest-
  79. -6-
  80. stellungen durch den neuen Tatrichter, die zu den bisher getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
  81. Meyer-Goßner
  82. Maatz
  83. Athing
  84. Kuckein
  85. Ernemann