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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. Urteil
  4. 4 StR 576/03
  5. vom
  6. 8. April 2004
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen schweren räuberischen Diebstahls
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. April 2004,
  12. an der teilgenommen haben:
  13. Richter am Bundesgerichtshof
  14. Maatz
  15. als Vorsitzender,
  16. Richter am Bundesgerichtshof
  17. Prof. Dr. Kuckein,
  18. Athing,
  19. Dr. Ernemann,
  20. Richterin am Bundesgerichtshof
  21. Sost-Scheible
  22. als beisitzende Richter,
  23. Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
  24. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwalt
  26. als Verteidiger,
  27. Justizangestellte
  28. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  29. für Recht erkannt:
  30. -3-
  31. 1.
  32. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  33. Landgerichts Saarbrücken vom 17. September 2003 im
  34. Strafausspruch mit den Feststellungen - ausgenommen
  35. diejenigen zur voll erhaltenen Schuldfähigkeit - aufgehoben.
  36. 2.
  37. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  38. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  39. 3.
  40. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
  41. Von Rechts wegen
  42. Gründe:
  43. Das Landgericht hat den Angeklagten des schweren räuberischen Diebstahls für schuldig befunden und ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus
  44. einem rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren
  45. und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
  46. Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen
  47. Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es
  48. unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  49. Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung des
  50. § 59 StPO geltend macht, greift – wie der Generalbundesanwalt bereits in sei-
  51. -4-
  52. ner Antragsschrift vom 8. Januar 2004 dargelegt hat, nicht durch. Ebenso erweisen sich die sachlich-rechtlichen Angriffe der Revision zum Schuldspruch
  53. entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts als unbegründet.
  54. Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  55. Das Landgericht hat die wegen schweren räuberischen Diebstahls verhängte
  56. Strafe von sechs Jahren Freiheitsstrafe dem Strafrahmen des § 250 Abs. 2
  57. StGB entnommen. Einen minder schweren Fall des § 252 i.V.m. § 250 Abs. 3
  58. StGB hat es verneint. Dabei hat es sowohl für die Strafrahmenwahl als auch für
  59. die Strafbemessung im engeren Sinne zu Gunsten des Angeklagten allein berücksichtigt, daß er "wegen eines Gewaltdeliktes noch nicht vorbestraft ist".
  60. Demgegenüber hat es zwar zu Recht als strafschärfend berücksichtigt, daß der
  61. Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach wegen Vermögensdelikten verurteilt
  62. worden ist und er sich trotz seiner Inhaftierungen nicht von der Begehung weiterer Straftaten hat abhalten lassen. Zur Aufhebung des Strafausspruchs führt
  63. hingegen, daß die Strafkammer "zudem" zu seinen Lasten gewertet hat, daß er
  64. in der Hauptverhandlung den ihn belastenden Kaufhausdetektiv Thomas M.
  65. " als einen dreisten Lügner bezeichnet (hat), ohne daß für diese Beschimpfung
  66. die geringste Notwendigkeit bestand" (UA 7). Diese Erwägung begegnet
  67. durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Urteilsgründe stellen nicht
  68. klar, ob die Strafkammer hierbei bedacht hat, daß das Prozeßverhalten eines
  69. Angeklagten, mit dem er den Angaben eines Belastungszeugen entgegentritt,
  70. bei der Strafzumessung nicht ohne weiteres zu seinen Lasten berücksichtigt
  71. werden darf (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4).
  72. Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Angeklagter im Rahmen seiner
  73. Verteidigung einen Belastungszeugen als unglaubwürdig hinstellen, ohne für
  74. -5-
  75. den Fall des Mißerfolgs schon deshalb eine schärfere Bestrafung befürchten
  76. zu müssen (BGHR aaO Verteidigungsverhalten 1). Jedoch kann im Einzelfall
  77. ein Angriff des Angeklagten auf die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen
  78. strafschärfendes Gewicht erlangen, wenn er die Grenze angemessener Verteidigung eindeutig überschreitet und sein Vorbringen eine selbständige Rechtsgutsverletzung enthält (BGHR aaO Verteidigungsverhalten 19). Hinweise auf
  79. eine besondere Rechtsfeindschaft oder Gefährlichkeit oder eine hiernach unzulässige Herabwürdigung des Zeugen können allein dem Umstand, daß der
  80. Angeklagte den Zeugen der Lüge bezichtigt hat, nicht ohne weiteres entnommen werden (vgl. BGH StV 1994, 424; BGH, Beschluß vom 2. Mai 2000 - 1 StR
  81. 136/00). Inwieweit solche Angriffe, die die Ehre eines Zeugen berühren, erlaubt
  82. sind, beurteilt sich nach § 193 StGB (vgl. BGHSt 14, 48, 51; BGHR aaO Verteidigungsverhalten 14 m.w.N.; BGH StV 1985, 146, 147).
  83. Bei der Beurteilung der Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens
  84. können die Umstände des Einzelfalles nicht außer Betracht bleiben. Insoweit
  85. ist hier zu berücksichtigen, daß der Angeklagte von vornherein den Vorwurf, in
  86. dem Kaufhaus einen Kindercomputer entwendet und den dort tätigen Detektiv,
  87. den Zeugen Thomas M., anschließend mit seiner geladenen Schreckschußpistole bedroht zu haben, detailliert bestritten hat. Die ihm drohende Verurteilung
  88. wegen eines Verbrechens zu einer hohen Freiheitsstrafe hing nach der Beweislage von der Aussage des ihn belastenden Detektivs ab. Angesichts der
  89. konkreten Verfahrenssituation, auf die es bei der Beurteilung zulässigen Verteidigungsverhaltens ankommt (vgl. BVerfG NJW 1991, 29), konnte es aus der
  90. Sicht des Angeklagten erforderlich erscheinen, seiner bestreitenden Einlassung dadurch besondere Überzeugungskraft zu verleihen, daß er den Belastungszeugen der Lüge bezichtigte. Daß er sich dazu einer scharfen Aus-
  91. -6-
  92. drucksweise bediente, rechtfertigt für sich regelmäßig noch keine andere Bewertung, wenn sich der Vorwurf gegen einen Zeugen auf die Aussage zur verfahrensgegenständlichen Tat bezieht und nicht etwa einen vom maßgeblichen
  93. "Streitstoff" losgelösten allgemeinen Angriff auf die Ehre des Zeugen beinhaltet
  94. (vgl. BVerfG NJW 1991, 2074, 2076). Letzteres ist in der Rechtsprechung beispielsweise in der Bezeichnung eines als Zeuge vernommenen Polizeibeamten
  95. als "bedenkenloser Berufslügner" gesehen worden (Hans. OLG Hamburg
  96. NStZ-RR 1997, 103 f.). Daß es sich hier so verhält, kann den Urteilsgründen
  97. indes nicht entnommen werden. Selbst wenn das Prozeßverhalten des Angeklagten zu beanstanden wäre, ergäbe sich daraus hier noch nicht ohne weiteres ein bestimmender Strafschärfungsgrund, der - wie es das Landgericht getan hat - mit demselben Gewicht in die Strafzumessung einzustellen wäre wie
  98. etwa die strafrechtliche Vorbelastung des Angeklagten.
  99. Mit dieser Rechtsprechung wird der berechtigte Anspruch eines Zeugen,
  100. ehrverletzenden Äußerungen des Angeklagten im Strafverfahren nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, nicht unangemessen eingeschränkt. Vielmehr ist es
  101. Aufgabe des Vorsitzenden im Rahmen seiner Sachleitung, den Zeugen gegen
  102. unsachliche Angriffe zu schützen und den Angeklagten in einem solchen Fall
  103. zur Mäßigung anzuhalten.
  104. -7-
  105. Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht der Strafausspruch, da das
  106. Landgericht sowohl die Strafrahmenwahl als auch die Strafbemessung im
  107. engeren Sinne ausdrücklich mit dem Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung begründet hat. Über die Strafe ist deshalb neu zu befinden.
  108. Maatz
  109. Kuckein
  110. Ernemann
  111. Athing
  112. Sost-Scheible