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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 187/07
  4. vom
  5. 12. Juni 2007
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Totschlags
  9. -2-
  10. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 12. Juni 2007 gemäß
  11. § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  12. 1.
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  14. Landgerichts Rostock vom 7. Dezember 2006 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, einschließlich derjenigen zu den Trinkmengen, aufgehoben.
  15. 2.
  16. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  17. Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  18. 3.
  19. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
  20. Gründe:
  21. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-
  22. 1
  23. heitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2
  24. StPO.
  25. 2
  26. 1. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte, der alkoholabhängig
  27. ist und zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 2,87 ‰ aufwies, seine Lebensgefährtin durch mindestens zehn gegen den Kopf gerichtete Schläge mit
  28. einem Baseballschläger. Die Schläge waren so heftig, dass Teile der Schädeldecke vom Kopf gelöst wurden und der Schläger schließlich zerbrach. Vor der
  29. -3-
  30. Tat war der Angeklagte nie durch Tätlichkeiten oder aggressives Verhalten aufgefallen, sondern führte trotz vergleichsweise hoher Intelligenz ein eher passives und beruflich perspektivloses Leben. In der Beziehung zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin war es mehrfach zu zeitweiligen Trennungen gekommen. Der Tat vorangegangen war ein erneuter heftiger Streit, in
  31. dessen Verlauf das spätere Opfer dem Angeklagten erklärte, er habe am folgenden Tag die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Nach der Tat verschloss
  32. der Angeklagte die Türen zum Tatzimmer und zum Kinderzimmer, zog sich um
  33. und fuhr mit dem Kraftfahrzeug der Geschädigten nach Polen.
  34. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er könne sich an das eigent-
  35. 3
  36. liche Tatgeschehen "ganz überwiegend nicht erinnern", ebenso wenig an das
  37. unmittelbare Nachtatgeschehen. Seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er
  38. die deutsch-polnische Grenze passiert habe.
  39. Das sachverständig beratene Landgericht hat im Anschluss an den
  40. 4
  41. Sachverständigen eine Aufhebung oder erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ausgeschlossen. Eine solche habe weder
  42. auf Grund der akuten Alkoholintoxikation allein noch im Zusammenspiel mit einer möglicherweise affektiv hoch aufgeladenen Streitsituation vorgelegen. Auch
  43. das Maß der aufgewendeten Gewalt spreche hier nicht für das Vorliegen eines
  44. Affekts als Ausdruck einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, da der Tatablauf Hinweise auf stimmige Handlungsschritte enthalte. Im Nachtatverhalten
  45. lägen ebenfalls Umstände vor, die gegen eine vorangegangene Affekttat sprächen.
  46. -4-
  47. 5
  48. 2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB verneint hat, halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
  49. 6
  50. a) Soweit das Landgericht - dem Sachverständigen folgend - meint, die
  51. festgestellte hohe Alkoholisierung des Angeklagten könne deswegen für sich
  52. allein eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht begründen, weil der
  53. Angeklagte eine hohe Alkoholtoleranz entwickelt habe und nach der Tat ohne
  54. Schwierigkeiten nach Polen gefahren sei, hat es nicht bedacht, dass äußeres
  55. Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher Alkoholgewöhnung durchaus weit auseinander fallen können (BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 10, 18). Gerade bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch
  56. "Übung" erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten (vgl. Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 20 Rdn. 23). Dem
  57. Verhalten nach der Tat kommt in diesem Zusammenhang nur eine geringe
  58. Aussagekraft zu, weil, was das Landgericht nicht erkennbar bedacht hat, bei
  59. dem Angeklagten durch die Tat eine wesentliche Ernüchterung eingetreten sein
  60. kann. Zudem ergibt sich aus dem Urteil nicht, dass der Angeklagte unmittelbar
  61. nach der Tat die Fahrt nach Polen angetreten hat.
  62. 7
  63. b) Die Ablehnung eines Affekts begegnet ebenfalls durchgreifenden
  64. rechtlichen Bedenken.
  65. 8
  66. Die Ausführungen der Strafkammer sind schon im Ansatz nicht frei von
  67. Widersprüchen. Einerseits meint sie in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen, die völlig fehlende Gewalt in der Beziehung im Vorfeld würde grundsätzlich für die Annahme einer plötzlichen affektiven "Zerreißung der Sinnzusammenhänge" und damit, befördert durch die Alkoholintoxikation, für die Annahme
  68. -5-
  69. einer tiefgreifenden Bewusststeinsstörung zum Tatzeitpunkt sprechen. Andererseits soll gerade gegen eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung sprechen,
  70. dass aggressive Durchsetzungsstrategien für den Angeklagten nicht typisch
  71. seien.
  72. 9
  73. Vor allem aber hat die Strafkammer den Tatablauf nicht hinreichend in ihre Erwägungen zum Affekt einbezogen. Zwar hat sie gesehen, dass das außergewöhnlich hohe Maß der aufgewendeten Gewalt ein Umstand ist, der für das
  74. Vorliegen eines Affekts als Ausdruck einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung
  75. sprechen könne. Letztlich hat sie aber eine Affekttat vor allem deswegen verneint, weil der Angeklagte das Tatwerkzeug erst aus einem anderen Raum geholt und weil er damit überwiegend zielgerichtet auf den Kopf des Opfers geschlagen habe. Beide Argumente tragen das Ergebnis nicht. Bei dem Herbeiholen des Tatwerkzeugs handelt es sich um eine einfache Tätigkeit, die vom Angeklagten keine intensiven Entscheidungs- und Steuerungselemente erfordert
  76. und deswegen nicht gegen einen Affekt spricht (BGHR StGB § 21 Bewusstseinsstörung 1). Ebenso wenig spricht ein gezieltes Zuschlagen gegen einen
  77. Affekt, denn auch ein Täter, der in einem hochgradigen affektiven Ausnahmezustand handelt, kann gemessen an der Verfolgung seines deliktischen Ziels
  78. durchaus folgerichtig und zielgerichtet handeln und insbesondere in der Lage
  79. sein, sein Opfer mit allen Schlägen am Kopf zu treffen (vgl. BGHR StGB § 20
  80. Bewusststeinsstörung 6; § 21 Affekt 10).
  81. 10
  82. 3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Strafausspruchs,
  83. da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Bewertung des psychischen Zustands des Angeklagten zur Tatzeit zur
  84. Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gekommen wäre, von
  85. der Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB Gebrauch gemacht und auf
  86. -6-
  87. eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten
  88. kann der Senat dagegen auf Grund der getroffenen Feststellungen zum Tatund Nachtatgeschehen ausschließen. Der Senat hebt auch die Feststellungen
  89. zu den Trinkmengen auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende Prüfung
  90. der Voraussetzungen des § 21 StGB zu ermöglichen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass Trinkmengenangaben des Angeklagten bei Errechnung der
  91. Blutalkoholkonzentration nicht ungeprüft zu Grunde gelegt werden müssen.
  92. 11
  93. Die neu entscheidende Strafkammer wird ferner den Anrechnungsmaßstab für die vom Angeklagten in Polen erlittene Freiheitsentziehung in der Urteilsformel festzusetzen haben (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 51 Rdn. 18, 19).
  94. Tepperwien
  95. Kuckein
  96. Solin-Stojanović
  97. Athing
  98. Ernemann