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9.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 176/04
  4. vom
  5. 15. Juni 2004
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen des Vorwurfs des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
  9. in nicht geringer Menge u.a.
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. Juni 2004 gemäß § 349 Abs. 4
  12. StPO beschlossen:
  13. 1.
  14. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  15. Landgerichts Kaiserslautern vom 29. Januar 2004 im
  16. Maßregelausspruch und im Ausspruch über die Einziehung mit den Feststellungen aufgehoben.
  17. 2.
  18. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  19. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  20. Gründe:
  21. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des bewaffneten
  22. Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit
  23. der unerlaubten Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe und über eine nicht angemeldete Schußwaffe freigesprochen. Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
  24. und die Einziehung der beim Angeklagten sichergestellten Feinwaage nebst
  25. Gewichten sowie des bei ihm sichergestellten Funkscanners angeordnet. Mit
  26. seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Sein
  27. Rechtsmittel hat Erfolg.
  28. -3-
  29. 1. Nach den bisherigen Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit
  30. etwa 20 Jahren Drogen, in den Jahren 1997 bis Anfang des Jahres 2002 monatlich etwa 1 bis 1 ½ kg Haschisch. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung
  31. im Januar 2003 wurden 3.734,95 kg Haschisch mit einem THC-Gehalt von
  32. 349,9 g sichergestellt. Davon war "jedenfalls ein die Grenze zur nicht geringen
  33. Menge überschreitender Teil zum gewinnbringenden Weiterverkauf gedacht"
  34. (UA 15). In dem Zimmer, in dem das Haschisch gefunden wurde, bewahrte der
  35. Angeklagte zwei funktionsfähige Schußwaffen auf. Die mit drei Patronen geladene Kleinkaliberpistole hatte der Angeklagte seit etwa zehn Jahren, das mit
  36. zehn Patronen geladene Kleinkalibergewehr nach seiner Einlassung seit seinem achten Lebensjahr in Besitz.
  37. Nach Auffassung des Landgerichts beging der Angeklagte, der an einer
  38. paranoiden Schizophrenie leidet, die rechtswidrige Tat, die es - entgegen der
  39. Auffassung der Revision - zutreffend als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) in Tateinheit
  40. mit der unerlaubten Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. a WaffenG a.F.) und
  41. über eine nicht angemeldete Schußwaffe (§ 53 Abs. 3 Nr. 7 WaffenG a.F.) gewertet hat, im Zustand der Schuldunfähigkeit. Das Landgericht hat dazu ausgeführt:
  42. "In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen sieht auch die
  43. Kammer den Betäubungsmittelmißbrauch als symptomatisch für
  44. die Grunderkrankung des Angeklagten an, wobei der Hang zum
  45. Haschischkonsum (…) auch als selbstgewähltes Mittel zur Bekämpfung seiner paranoiden Angst, Spannung und Unruhe anzusehen ist. In gewisser Weise steht dieser Befund des Sachverständigen im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten,
  46. -4-
  47. der angab, Haschisch zur Linderung physischer Schmerzen zu
  48. konsumieren. Das Handeltreiben mit Betäubungsmittel durch
  49. den Angeklagten steht in einem unmittelbaren Zusammenhang
  50. mit diesem Hang, weil es (…) zur Finanzierung des Konsums erforderlich ist. Daher ist die Kammer davon überzeugt, dass auch
  51. das Delikt nach § 30 a BtMG im Zustand der Steuerungsunfähigkeit begangen worden ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, die sich die Kammer auch insoweit zu eigen
  52. macht, sind die Waffendelikte ebenfalls symptomatisch für die
  53. Krankheit des Angeklagten, da der Hang zur Bewaffnung aus
  54. den paranoiden Ängsten des Angeklagten herrührt. Auch die
  55. Waffendelikte hat der Angeklagte demnach im Zustand der
  56. Steuerungsunfähigkeit begangen" (UA 15/16).
  57. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht u.a. auf folgende Erwägungen gestützt:
  58. "Von ihm sind auch in Folge seines dauerhaften Zustandes weitere gleichgelagerte Taten zu erwarten, wenn die Grunderkrankung nicht behandelt wird. Die Kammer macht sich insoweit die
  59. nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. R.
  60. zu eigen, wonach mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist,
  61. dass der Angeklagte erneut in die alten Verhaltensmuster verfallen wird, solange das medizinische Grundproblem unbehandelt
  62. bleibt. Es ist daher damit zu rechnen, dass der Angeklagte seinen Drogenmissbrauch fortsetzt, mit der Folge, dass er erneut
  63. darauf angewiesen sein wird, seinen symptomatischen Konsum
  64. durch Handel mit Betäubungsmitteln zu finanzieren.
  65. Allein schon die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines erneuten
  66. Handeltreibens mit Betäubungsmitteln stellt eine Gefährdung der
  67. Allgemeinheit dar, die eine Maßnahme nach § 63 StGB erfordert. Hier tritt noch die Besonderheit hinzu, dass auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich der Angeklagte wegen seiner paranoiden Ängste zumindest wieder bewaffnet
  68. -5-
  69. und somit erneut in qualifizierter Weise gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen wird"(UA 17).
  70. 2. Die bisherigen Feststellungen sind nicht geeignet, die Anordnung der
  71. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu
  72. tragen.
  73. Diese setzt zunächst die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden geistigen Defekts voraus, der die Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder zumindest die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begründet, und ferner, daß der Täter in diesem Zustand
  74. eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21
  75. StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist, das heißt mit
  76. diesem in einem ursächlichen und symptomatischen Zusammenhang steht.
  77. Ferner muß die Gesamtwürdigung von Tat und Täter ergeben, daß aufgrund
  78. dieses Zustandes eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger Taten besteht (st. Rspr., vgl. BGHSt
  79. 34, 22, 27; BGH NStZ-RR 2003, 232).
  80. Diese Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung sind
  81. schon deshalb nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil die getroffenen Feststellungen nicht belegen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung
  82. der rechtswidrigen Tat ausgeschlossen war, wie das Landgericht angenommen
  83. hat, oder daß sie zumindest erheblich vermindert war. Maßgebend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ist die Zeit, zu welcher der Täter gehandelt hat
  84. (§ 8 Satz 1 StGB). Erstreckt sich das Handeln des Täters, wie hier die jahrelange Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die beiden sichergestellten
  85. Waffen und das alle hierzu gehörenden Einzelakte - wie Erwerb und den Besitz
  86. -6-
  87. des Betäubungsmittels - zu einer Bewertungseinheit verbindende Handeltreiben über einen längeren Zeitraum, findet § 20 StGB nur dann Anwendung,
  88. wenn der die Schuldunfähigkeit begründende Zustand während des gesamten
  89. Tatzeitraums gegeben ist, wobei der Schuldumfang jedoch bei lediglich zeitweiliger Schuldunfähigkeit während der Tatbegehung auf die Tatteile beschränkt
  90. ist, für die der Täter verantwortlich zu machen ist (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl.
  91. § 20 Rdn. 75). Entsprechendes gilt für die Anwendung des § 21 StGB (vgl.
  92. BGH NStZ 2003, 535, 536; Jähnke aaO § 21 Rdn. 23). Das Landgericht hat
  93. weder nähere Feststellungen dazu getroffen, in welchem Zeitraum der Angeklagte die den Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erfüllende Tathandlung begangen hat, noch dazu, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seines Zustandes während des gesamten Tatzeitraums ausgeschlossen oder jedenfalls erheblich vermindert gewesen ist.
  94. Im übrigen läßt sich den Urteilsgründen nicht sicher entnehmen, ob und
  95. inwieweit die vom Angeklagten begangene rechtswidrige Tat Folge seiner paranoiden Psychose gewesen ist, die sich erstmals im November 2001 manifestiert hat. Insoweit fehlt es schon an einer klaren Beschreibung des Zustands,
  96. der nach Auffassung des Landgerichts zum Ausschluß der Steuerungsfähigkeit
  97. geführt hat. In den Urteilsgründen wird hierzu lediglich mitgeteilt, der Angeklagte habe im November 2001 die Polizei aufgesucht und behauptet, er werde von
  98. 20 Fahrzeugen der Mafia verfolgt. In der Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte dahin eingelassen, daß er "zuweilen" Stimmen höre, bei denen es sich
  99. um Stimmen der Personen handele, die versuchten, ihn zu hypnotisieren. Daraus läßt sich selbst dann, wenn der - nach den Feststellungen allerdings bereits seit 20 Jahren andauernde - Betäubungsmittelmißbrauch, wie das Landgericht meint, als symptomatisch für die Grunderkrankung des Angeklagten
  100. -7-
  101. anzusehen ist, nicht entnehmen, daß die rechtswidrige Tat mit dem nach Auffassung des Landgerichts die Annahme des § 20 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt in einem ursächlichen symptomatischen Zusammenhang steht
  102. und daß dieser Zustand als solcher erhebliche rechtswidrige Taten erwarten
  103. läßt (vgl. BGH NJW 1998, 2986).
  104. 3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den Feststellungen, und zwar auch denjenigen zu der
  105. rechtswidrigen Tat (vgl. BGH NStZ 1988, 309). Eine Aufrechterhaltung der
  106. Feststellungen zu der rechtswidrigen Tat kommt hier schon deshalb nicht in
  107. Betracht, weil bisher keine hinreichenden Feststellungen zu dem Zeitraum, in
  108. dem der Angeklagte die rechtswidrige Tat begangen hat, und zu seinem Zustand während dieses Zeitraums getroffen worden sind.
  109. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls die Frage einer Unterbringung
  110. des Angeklagten nach § 64 StGB zu prüfen haben.
  111. Vorsitzende Richterin am
  112. Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien
  113. ist urlaubsbedingt ortsabwesend
  114. und deshalb verhindert zu
  115. unterschreiben.
  116. Kuckein
  117. Athing
  118. Kuckein
  119. Solin-Stojanovi
  120. Ernemann