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8.4 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 133/16
  4. vom
  5. 2. Mai 2016
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines
  9. Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses
  10. ECLI:DE:BGH:2016:020516B4STR133.16.0
  11. -2-
  12. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts am 2. Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 2
  13. StPO beschlossen:
  14. Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 1. September 2015 wird als unbegründet
  15. verworfen.
  16. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu
  17. tragen.
  18. Gründe:
  19. 1
  20. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses freigesprochen; wegen der Verletzung eines Privatgeheimnisses
  21. hat es ihn verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe vorbehalten. Gegen den Freispruch wendet sich die Revision der Nebenklägerin mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
  22. 2
  23. 1. Die Strafkammer hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
  24. 3
  25. Der Angeklagte ist Diplom-Psychologe und war in Bochum in einer auf
  26. Autismuserkrankungen spezialisierten Praxis tätig. Ab September 2013 nahm
  27. -3-
  28. die damals zwölfjährige Tochter der Nebenklägerin, die an einer autistischen
  29. Störung leidet, wöchentlich zwei Förderstunden bei dem Angeklagten und dessen Kollegen wahr. Parallel hierzu fanden einmal monatlich „Bezugspersonengespräche“ statt, in deren Rahmen der Angeklagte der Nebenklägerin und
  30. ihrem anfangs ebenfalls anwesenden Ehemann über den Verlauf der Therapiegespräche berichtete. Auch diese Gespräche rechnete der Angeklagte mit der
  31. Krankenkasse ab.
  32. 4
  33. Bei dem Erstgespräch hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitgeteilt, dass sie auch selbst an einer leichten Form des Asperger-Syndroms leide,
  34. und sich nach Therapieangeboten für Erwachsene erkundigt. Die Aufnahme
  35. einer Therapie seitens der Nebenklägerin hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Bei einem Bezugspersonengespräch berichtete die Nebenklägerin dem
  36. Angeklagten, dass sie beabsichtige, ein Informationsblatt für Jugendliche mit
  37. der Diagnose Asperger-Syndrom zu erstellen. Hierbei unterstützte der Angeklagte die Nebenklägerin und es kam in diesem Zusammenhang zu nahezu
  38. wöchentlichen Treffen, um gemeinsam an dem Text für die Broschüre zu arbeiten. Bei einem dieser Treffen berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten,
  39. dass sie häufig Schwierigkeiten habe, Augenkontakt zu halten. Der Angeklagte
  40. riet ihr, zu versuchen, ihren Blick stattdessen auf die Stirn ihres Gegenübers zu
  41. richten.
  42. 5
  43. Der Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin wurde
  44. immer enger und es entwickelte sich schließlich aus beider Sicht ein Liebesverhältnis. Ab März 2014 kam es einvernehmlich zu Zungenküssen und intimen
  45. Berührungen zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Nachdem der
  46. Ehemann der Nebenklägerin im Juni 2014 von dem Verhältnis erfahren hatte,
  47. beendete der Angeklagte den Kontakt.
  48. -4-
  49. 6
  50. 2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 174c Abs. 1 StGB
  51. nicht vorliegen. Die Nebenklägerin war dem Angeklagten, als es zu den sexuellen Handlungen kam, nicht wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit
  52. oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut.
  53. 7
  54. Zwar setzt ein Anvertrautsein im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB das Zustandekommen einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht voraus. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Verhältnis auf Initiative
  55. des Patienten, Täters oder eines Dritten begründet wurde. Ohne Belang ist zudem, ob tatsächlich eine behandlungsbedürftige Krankheit oder eine Behinderung vorliegt, sofern nur die betroffene Person subjektiv eine Behandlungsoder Beratungsbedürftigkeit empfindet. Das Beratungs-, Behandlungs- oder
  56. Betreuungsverhältnis muss auch nicht von einer solchen – zumindest beabsichtigten – Intensität und Dauer sein, dass eine Abhängigkeit entstehen kann, die
  57. es dem Opfer zusätzlich, d.h. über die mit einem derartigen Verhältnis allgemein verbundene Unterordnung unter die Autorität des Täters und die damit
  58. einhergehende psychische Hemmung hinaus, erschwert, einen Abwehrwillen
  59. gegenüber dem Täter zu entwickeln und zu betätigen. Es ist ausreichend, wenn
  60. das Opfer eine fürsorgerische Tätigkeit des Täters entgegennimmt (BGH, Urteil
  61. vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 318/11, NStZ 2012, 440 f.).
  62. 8
  63. a) Eine solche fürsorgerische Tätigkeit hat der Angeklagte in Bezug auf
  64. eine objektiv vorliegende oder von der Nebenklägerin zumindest so empfundene Behandlungsbedürftigkeit ihres eigenen Asperger-Syndroms nicht entfaltet.
  65. Nach den Feststellungen ging die Nebenklägerin bei den Begegnungen mit
  66. dem Angeklagten hiervon auch nicht aus. Weder die bloße Erkundigung nach
  67. Therapieangeboten noch der freundschaftliche Ratschlag betreffend die
  68. -5-
  69. Schwierigkeiten beim Augenkontakt reichen aus, ein Anvertrautsein in diesem
  70. Sinne zu begründen. Erst recht gilt dies für die Unterstützung der Nebenklägerin bei ihrem ehrenamtlichen Engagement.
  71. 9
  72. b) Die Nebenklägerin war dem Angeklagten aber auch nicht deshalb wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung
  73. anvertraut im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB, weil ihr der Angeklagte im Rahmen sog. Bezugspersonengespräche regelmäßig über den Verlauf der Therapie ihrer Tochter berichtete. Diese Gespräche dienten lediglich der Information
  74. der Eltern der Patientin und werden von § 174c StGB tatbestandlich nicht erfasst.
  75. 10
  76. aa) Schon seinem Wortlaut nach erstreckt sich der Schutz des § 174c
  77. StGB nicht auf bloße Informationsgespräche mit einem Dritten über den Behandlungsverlauf eines Patienten. Denn die Vorschrift setzt voraus, dass das
  78. Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist. Somit ist tatbestandlich nicht erfasst,
  79. wer sich aus einem anderen Grund als einer eigenen Krankheit oder Behinderung beraten oder betreuen lässt (vgl. Senat, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR
  80. 669/10, StV 2012, 663, 664 f.). So liegt der Fall hier, da die Nebenklägerin lediglich Informationen über die Behandlung ihrer Tochter entgegennahm. Offen
  81. bleiben kann, ob Familienangehörige eines Erkrankten oder Behinderten einem
  82. Psychologen oder Arzt dann selbst zur Behandlung bzw. Beratung im Sinne
  83. des § 174c Abs. 1 StGB anvertraut sind, wenn sie an einer Gruppen- oder
  84. Familientherapie teilnehmen. Nach den Feststellungen hatten die Bezugspersonengespräche jedenfalls keinen therapeutischen Hintergrund, sondern dienten allein der Information.
  85. -6-
  86. 11
  87. bb) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 StGB gebietet es auch nicht,
  88. den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fälle zu erstrecken, in denen ein
  89. Arzt oder Psychologe, der einen minderjährigen Patienten behandelt und die
  90. Erziehungsberechtigten über den Therapiefortgang informiert, mit einem Elternteil ein einverständliches sexuelles Verhältnis eingeht.
  91. 12
  92. Die Vorschrift dient dem strafrechtlichen Schutz solcher Menschen vor
  93. sexuellen Übergriffen, die aufgrund ihrer generellen geistigen oder seelischen
  94. Verfassung unter Umständen nur in beschränktem Maße zur Entwicklung oder
  95. Betätigung eines Abwehrwillens imstande sind (BT-Drucks. 13/8267, S. 4).
  96. Psychisch Kranke oder geistig oder seelisch Behinderte sollen wegen ihrer gesteigerten Schutzbedürftigkeit vor sexuellen Übergriffen im Rahmen von Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen geschützt werden (BTDrucks. 13/8267, S. 6 f.). Die Vorschrift zielt danach auf den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung nur
  97. eingeschränkt abwehrfähigen Patienten ab. Vor dem Hintergrund der innerhalb
  98. von Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnissen typischerweise
  99. bestehenden Vertrauens- und Abhängigkeitsbeziehung (vgl. Senat, Urteil vom
  100. 14. April 2011 – 4 StR 669/10, StV 2012, 663, 665) soll ein Missbrauch derselben auch durch einvernehmliche sexuelle Handlungen verhindert werden
  101. (BT-Drucks. 13/8267, S. 6 f.; BT-Drucks. 15/350, S. 16). Eine solche gesteigerte Schutzbedürftigkeit liegt bei Eltern minderjähriger, geistig oder seelisch kran-
  102. -7-
  103. ker oder behinderter Patienten, sofern sie – wie hier – nur informiert werden
  104. und nicht selbst in den Therapieverlauf eingebunden sind, nicht vor.
  105. Sost-Scheible
  106. Roggenbuck
  107. Mutzbauer
  108. Cierniak
  109. Bender